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4 Seiten

The essence of noise

Trauriges · Kurzgeschichten
Es gab vieles, an das Colin Wesker sich nicht gewöhnen konnte. Den blasierten Akzent, der wie von Stelzen getragen herabkam. Fish and Chips. Die nachtverachtende Helligkeit, die aus den Nächten Frühgeburten des Morgens schuf. Ein Auto würde er in diesem Land ganz sicher nie fahren. Colin hoffte auf ein Arrangement, als hätte er es mit Geschäftspartnern zu tun, die ihm jetzt noch zwiespältig erschienen, bis er sie näher kennen lernen und feststellen würde, dass sie die selben Interessen vertraten.
Nichts kam jedoch dem unaufhörlichen Lärm gleich. Schwankend zwischen störend und unerträglich und von einer so dichten Präsenz, als sauge er sich an der Luft fest und potenziere sich in ihr. Colin konnte ihm nicht entkommen, dennoch ergriff er jeden Abend die Flucht und überquerte die Lambeth Bridge. Er ging vorbei an den Obelisken mit ihren ananasförmigen Spitzen, Symbole der Gastfreundschaft.
Er setze sich auf eine Bank, Abend für Abend. Mr. Maugham schloss um diese Zeit seinen Stand, er bot Fanartikel englischer Fußballmannschaften an. Vor zwei Tagen hatte er Colin einen Schal verkauft. Mr. Maugham winkte ihm zu, erinnerte sich an ihn als einen seiner wenigen Kunden. Colin hob die Hand und sie täuschten eine Vertrautheit vor, die es nur der Aufschrift über der Verkaufstheke des agilen Alten wegen ansatzweise gab: „Maughams Sportswear“. Stünde es nicht dort hätte Colin nicht einmal seinen Namen gekannt. Nachdem Mr. Maugham gegangen war, saß Colin allein an der Themse. Aus zwei, nein drei verschiedenen Richtungen ertönten Sirenen. Die Themse dämpfte den Lärm, seichtes Plätschern gegen die Kaimauern zwang ihn unter ihr konstant strömendes Regiment. Gänzlich unterjochen konnte auch sie ihn nicht.
Colin legte seine Hände vor die Ohren und London verstummte. Die Stadt, wie er sie wollte. In Stille. Gegenüber die Victoria Tower Gardens. Big Ben. Die Houses of Parliament, das am häufigsten fotografierte Bauwerk der Welt, als wolle man es durch Fotografien der Stadt entreißen, doch ansehen konnte man ihm dieses Zerren und Ziehen nicht.
Colin beugte sich vor, die Zeigefinger tief in die Gehörgänge gebohrt, die Handflächen wie Scheuklappen neben den Augen postiert. Eine Weile schwenkte er in einem inneren Rhythmus vor und zurück, lauschte Blutfluss, Herzschlag, Atmung. Einförmiger Takt in Ruh-Mol. Als er sich wieder aufrichtete stand jemand neben seiner Bank. Hastig senkte er die Hände.
„Good evening“, sagte sie.
„Guten Abend.“ Die benommene Erkenntnis, von einer schönen Frau ertappt worden zu sein, entmachtete ihn der Fremdsprache. „Sorry, good evening“, setzte er rasch nach und musste sich die Schließbewegung bewusst machen, um sie nicht offenen Mundes anzustarren und somit in die nächste Peinlichkeit zu trudeln.
„Are you allright?“ Ihre Stimme bannte ihn, ungetrübt von britischer Arroganz, dafür in klarer, melodischer Betonung geerdet, hinter der etwas exotisches nachklang.
„Yes, I’m fine. Please, take a seat.“ Er machte ihr fiebernd Platz, staunend über seine Initiative.
„Thanks.” Sie ließ sich neben ihn sinken und Colin zweifelte bis zuletzt an seiner Wahrnehmung. „My name is Sahila Kureishi.” Kaum merklich gab die Bank unter ihr nach und Colin begriff, sie war wirklich.
„Colin Wesker”, sagte er stenografisch, jeden Buchstaben beinahe einzeln aussprechend. „My grand-fathers surname. He was a soldier in the second World War. Came to Germany and met my grandma and they fell in love. Love at first sight.” Er machte eine Pause, sei subtil verdammt, sagte er sich und lenkte den Fokus des Gespräches eilig um. „I must say thank you to the war, I guess.”
„Well…”, begann sie. „I was worried about you. The way you were sitting here… it reminded me of something. You looked so… desperate.”
„Oh, it’s just the noise, don’t worry.“ Er war dankbar für die Gelegenheit, sich erklären zu können und unsicher, ob Sorge als Auftakt und Fundament einer Beziehung taugen konnte. „It’s so loud. Can’t get used to it. So I’m coming here, searching for silence. Enjoying some moments of peace.”
„You think it’s loud in London?” fragte sie ungläubig. „I live in Soho. It’s very noisy there. But it’s a kind of noise that helps you to remember what it means to be alive. A positive kind of noise.“
„Positive noise, oh”, stöhnte er verblüfft. „I must have missed that. Where do you come from? You’re not born in Britain, are you?”
„No.” Er nahm das Unbehagen wahr, ausgelöst durch das Bemerken ihres nicht zu leugnenden Ursprungs. Sie fuhr fort, als laste das Fremde auf ihr; ihr onyxschwarzes Haar, die kaffeefarbenen Augen, ihr golden angehauchter Teint, ihr Glaube. Als mache die Summe der Sichtbarkeit sie verletzbar. „I was born in Bagdad. I moved to London in 1994. What about you? When did you came here?"
„I lived in a small town in Germany. I came to London three month ago. I’m living in an hotel right now, the Luna Simone. But I’ve rented a flat in the East End, next month I’m going to live there."
„Why did you left your home?"
„I haven’t seen any perspectives”, erklärte Colin mit der inbrünstigen Gewissheit, einem unduldbarem Schicksal gegenüber gestanden zu haben und dem entkommen zu sein ihn auszeichnete. „No work, the stupid politicians. You are left with the feeling that almost nothing works out how it should be. There was no future for me. Living from day to day, without any safety. I don’t want to live like that."
„And it’s better over here?"
„No, not yet. The job isn’t well payed, the noise is making me insane and somehow I’m unable to find contact to the people.” Klagend hob er die Schultern.
„Contact.“ Sie schwieg einen langen Moment und fuhr schließlich langsam, bedächtig fort, als beschreibe sie eine Situation, deren Ausgang ungewiss war und unter deren Schatten sie zu verschwinden drohte. „I lost it. After the terror. Neighbours, always friendly, began to talk. The way they look at me when I’m leaving the Mosque near Regent’s Park. The mistrust. The hate. London suffers in silence since the day the bombs came to their homes, Mr. Wesker. It’s staring at me, waiting for the right moment, waiting for its payback. You are thankful, because without the war, you may wouldn’t exist. My existence is taken by a war. For the second time now."
Alle vorigen Bemühungen waren vergebens, nun, da Colin nicht anders konnte, als sie anzustarren.
„I wish you all the best in East End", sagte sie, stand auf und wandte sich ab.
„O-o-one question, please." Er sprang von der Bank, wollte nach ihrer Schulter greifen und sie zu sich drehen, doch als er seine Hand sich ihr entgegenstrecken sah, erschrak er vor dem Gedanken und sein Arm zuckte zurück. „You said I reminded you of something. What was it?"
Sie blieb mit dem Rücken zu ihm stehen, nur ihr Kopf neigte sich leicht. „Myself. Me sitting between the ruins of our house, bombed away the night before. My parents, buried alive. Me crying, screaming my heart and lungs out, pressing my hands against the ears, because I can’t stand the sound of shooting, guns, bombs, tanks and the dying people anymore. Me, not able to stand the noise any longer. London isn’t a very noisy city, Colin Wesker. Bye." Sie ging weiter. Colin blieb stehen.
Später am Abend öffnete Colin das Fenster seines Hotelzimmers. Sirenen. Hupen. Flugzeuge, Menschen, Wortfetzen, Gebrüll. Elegisch lehnte er an der geöffneten Scheibe. Und stellte fest, wie still der Lärm einer Großstadt sein konnte.
 
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Kommentare  

toller schreibstil... und sehr tolle geschichte... wunderschön... danke

Sina-Antonia Bartneck (30.04.2008)

Hallo und danke für den Kommentar!
Die englischen Dialoge waren in der Ursprungsfassung nicht im Text enthalten, aber seit ich ihn dahingehend überarbeitet habe, finde ich ihn sehr viel ausdrucksstärker.
lg
Christian


Chrstian Hoja (05.02.2008)

Hallo, ein schöner, tiefsinniger Text. Es gefällt mir, dass du englische Sätze mit eingebaut hast. Gruß Sabine

Sabine Müller (05.02.2008)

Hallo und danke für alle Kommentare und Bewertungen! Wünsche eine schöne Weihnachtszeit, einen guten Rutsch und Start in 2008.
Beste Grüße, bis dahin, man liest sich im neuen Jahr!
Christian


Chrstian Hoja (23.12.2007)

Huhu Christian,
wie bereits gewohnt eine tolle Story von dir.
Ich liebe deine Bilder. Die kommen so spielerisch, leicht rüber und hauen mich fast vom Stuhl. Zum Beispiel: "Frühgeburten des Morgens".
Auch jonglierst du mit Sätzen wie ein Feuerakrobat: Du lässt mich auf eine Szene schauen. Die Hintergründe muss ich selber herausfinden ("Kaum merklich gab die Bank unter ihr nach und Colin begriff, sie war wirklich.")
Tiefsinnigkeit gerade eben mit dem Finger eines Leuchtfeuers beschienen. Herrlich :-))

Liebe Grüße, Shan


Shannon O'Hara (20.12.2007)

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