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4 Seiten

Schwarzweiss

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
© Namida
Mit schweren Schritten schleppte sich die 14-jährige Rosalie zur Direktion des Gymnasiums. Tausende Gedanken hetzten durch ihren Kopf, tausende Begründungen dafür dass man sie bestellt hatte. Getan hatte sie nichts, da war sie sicher. Hatte immer ihre Hausaufgaben gemacht und in der Stunde aufgepasst. Gedanke nach Gedanke wurde gedacht und im selben Moment wieder verworfen. Grund schien es keinen zu geben.
Atemlos und mit zittrigen Knien klopfte das zierliche, dunkelhäutige Mädchen mit dem perfekten Deutsch an die Tür des Sekretariats und nachdem sie aufgefordert wurde trat sie ein. ?Guten Tag!? sagte sie artig, ?Herr Mair kam vorhin in die Klasse und sagte mir ich solle mich beim Direktor melden.? Die Sekretärin - ein Frau Mitte dreißig im eleganten Kostüm und mit makelloser Frisur - nickte nur. "Geh rein!" forderte sie Rosalie auf die an die Tür zum Direktorenbüro klopfte und nach einem erneuerten "Herein?" eintrat.

Der Direktor war ein strenger alter Mann im Nadelstreifanzug, der kaum noch unterrichtete. "Setz dich!" forderte er das Mädchen mit dunkler Stimme auf und sie tat nervös, was ihr gesagt wurde. "Du weißt zweifellos warum ich dich hier her gerufen habe?" begann er ohne große Umschweife. In sein Büro gerufen zu werden bedeutete nichts Gutes, das wussten alle an dem Gymnasium, auch Rosalie. "Nein, Direktor, ehrlich gesagt weiß ich es nicht." Gab sie vollkommen eingeschüchtert zu und machte sich daraufhin in Erwartung des Donnerwetters so klein sie konnte. "Das wisst ihr doch alle nicht!" brummte der alte Mann ihr gegenüber mehr zu sich selbst als zu Rosalie und legte in diesen Satz all seine Verachtung für die Schüler an seinem Gymnasium. "Nun meine Liebe, dann werde ich dich jetzt mal aufklären." Begann er nach einer Kunstpause, "In den letzten Tagen kamen einige deiner Klassenkameraden zu mir um mir einige Beobachtungen zu berichten die sie dich betreffend machten." Er sah Rosalie an als erwarte er irgendein Geständnis, doch das Mädchen tappte im Dunklen wie eh und je. Zu Verwirrung kam Angst. Angst die von Sekunde zu Sekunde größer wurde. Der Direktor sah es und ließ sie einen weiteren schmerzvollen Moment lang im Dunklen tappen. "Nicole Schmidt sagt, sie habe dich am Schulhof dabei ertappt wie du anderen Schüler kleine Pakete in Alufolie verkauft hättest. Nur einen Tag später kam Lukas Lehmann aus der 9ten zu mir und berichtete dasselbe, nur hatte er den Inhalt der Pakete gesehen: ein weißes Pulver...?"
"Aaaber ...?" stammelte Rosalie dazwischen. Sie verstand die Welt nicht mehr. Hatte nichts getan. "... ich habe das nicht gemacht! Ich habe nichts mit Drogen zu tun! Ich schwöre es! Bei allem was mir heilig ist!" doch sie spürte dass es hier kein Entrinnen gab.
"Natürlich, das tut ihr danach ja alle. Vor allem ihr Nigger. Erst lässt man euch ins Land und peppelt euch mit unseren Geldern wieder hoch, ja man lässt euch sogar gemeinsam mut unseren Kindern ein Gymnasium besuchen und dann verderbt ihr sie, indem ihr Drogen an sie verkauft."
"Aber ich habe nichts getan!" bekräftigte Rosalie erneuert und eine verzweifelte Träne rann über ihre Wange.
"Wenn du unschuldig bist, meine Kleine, dann hast du doch sicher nichts dagegen, wenn ich mir deine Schultasche mal ansehe, oder?" donnerte der Direktor mit bedrohlicher Stimme, doch Rosalie sah einen Hoffnungsschimmer und nickte sofort: "Natürlich nicht, Herr Direktor!" Sie reichte ihm die altmodische, lederne Schultasche und er grinste selbstgefällig.
Als er begann die Schultasche zu durchwühlen beobachtete Rosalie jede seiner Handbewegungen. Sie wusste, dass sie keine Drogen bei sich hatte doch trotzdem war sie sehr angespannt. "Mutter Maria!" betete sie im Geist Bitte hilf mir jetzt!
"Ha!" donnerte der alte Mann in diesem Moment. "Was sagst du hierzu?" Vor ihrer Nase holte er ein schmales Päckchen aus Alufolie aus der Schultasche und hielt es ihr vor die Nase. Rosalie verstand die Welt nicht mehr. Das Päckchen hatte sie noch nie zuvor gesehen. Träne nach Träne rann über ihre Wange während der Direktor das Päckchen öffnete und sich darin ein weißes Pulver zeigte.
"Was ist es?" donnerte er und Rosalie zuckte bei jedem Wort zusammen, "Kokain? Heroin? Oder was sonst? Ich ... ich weiß es nicht ... ich habe das noch nie zuvor gesehen!" heulte Rosalie in all ihrer Verzweiflung. "Hör auf zu heulen, du verlogener Nigger! Man sollte euch Manieren beibringen, bevor man euch nach Österreich lässt!" Er sah sie eiskalt an dann wurde er ruhig. Zu ruhig. "Nun gut, meine Liebe, es geht mich ja nichts an, was du in deiner Freizeit tust, aber an dieser Schule will ich dich nicht mehr sehen! Du bist hiermit in meinem Gymnasium nicht länger erwünscht!"
"Aaber...? " stotterte sie nochmals aber ihre Stimme war schon zu schwach um noch gehört zu werden.
"Das hättest du dir vorher überlegen sollen!" fuhr sie der Direktor an, "Und jetzt mach und geh deine Sachen packen. In 20 Minuten will ich dich an dieser Schule nicht mehr antreffen. Raus hier!" Die letzten beiden Worte betonte er dabei ganz besonders.

Rosalie verließ die Direktion im Laufschritt. Sie machte schon nicht einmal mehr den Versuch ihre Tränen zurück zu halten und rannte heulend geradewegs bis ins Klassenzimmer. Kurt Mehlstein lachte als er sie sah. "Haben sie dich endlich erwischt du Dealerin!" schmiss er ihm entgegen. Rosalie entgegnete nichts. Schweigend ging sie zu ihrem Platz und begann die Schulbücher einzupacken. "Man hätte euch damals im dritten Reich alle vergasen sollen!" brüllte Johann Müller in das entstandene Getuschel der Klasse.
Ihr Klassenvorstand, ein ruhiger Mann Mitte 40 saß am Katheder und tat als korrigiere er Hausübungen. Als bekomme er nicht mit, was seine Schüler sagten.
Mit gesenktem Kopf verließ Rosalie die Klasse und bemerkte so Nicole Schmidt, die gerade durch die Tür kam. Erst in dem Moment in dem sie mit ihr zusammenkrachte. "Pass auf wo du hintrittst du dreckiger Nigger! Wird gut sein wenn du hier weg bist, dann kann man endlich die Luft wieder atmen ohne Angst haben zu müssen sich irgendetwas einzufangen."zischte sie ihr zu.
Rosalie erwiderte nichts und verließ schweigend die Schule. Sie wusste, dass ihr Vater sie schlagen würde, und wahrscheinlich auch die Mutter. Und wenn die Großmutter davon erfahren würde, würde sie dem Vater empfehlen seine Tochter zurück nach Namibia zu schicken, zu der strengen Mutter ihrer Mutter. Damit sie lernen konnte, was es hieß zu arbeiten, wahrscheinlich auf einer Plantage der Weißen. Eine Schule würde sie wohl nie wieder betreten und erst recht keine Universität. Das Schlimmste jedoch war dass ihre Mutter weinen würde, nicht weil sie sich schämte. Sie würde nicht glauben was Nicole Schmidt gesagt hatte. Ihre Mutter wusste genau wie die Tochter, dass sie nicht von der Schule geflogen war weil sie Drogen verkauft hatte, sondern weil sie anders war. Dunkelhäutig.
 
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Kommentare  

Wow, hat mich echt mitgenommen. Solche Vorfälle zeigen, dass die Ursache des Hasses, der vor 60 Jahren Millionen tötete, immer noch nicht beseitigt ist. Was mir besonders gefällt, ist das Ende, wo Du beschreibst, dass das Mädchen auch unter ihrer eigenen Familie leiden muß, die ihr eigentlich beistehen sollte, aber dies nicht kann, weil sie von der leichen Blindheit "befallen" ist, wie die Rassisten von der Schule.

http://www.naturalchild.com/alice_miller/zwoelf_punkte.html


Jan Nolte (24.03.2002)

Klasse Geschichte, bin tief beeindruckt und gerührt. Ich sage Weiter so.

Jingizu (16.01.2002)

Feine Geschichte und leider nur allzu wahr. Persönlich hätte es mir besser gefallen, wenn erst ganz zum Schluss heraus gekommen wäre, dass das Mädchen schwarz ist. Ansonsten: Topp!

Stefan Steinmetz (04.01.2002)

Einsame Spitze. Endlich wird mal gesagt wie es wirklich im Leben laeuft. Und nicht alles nur vertuscht! Weiter so.


werwoelfin (07.11.2001)

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