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4 Seiten

Einfach ein schlechter Tag (Teil 3)

Romane/Serien · Spannendes
© Middel
Ja, hier war es heller, als in der weitaus größeren Nachbarshöhle, aber das erhoffte 5-Sterne-Hotel war natürlich nicht in Sicht. Dafür fror ich, wie nie zuvor in meinem Leben und wünschte mir ich wäre heute Morgen einfach nicht aufgestanden. Von dem verschluckten Dreckswasser musste ich mich dann auch zu allem Überfluss übergeben und sah so unverhofft die Packung Kekse wieder, die ich am Vormittag genüsslich während der Wanderung verschlungen hatte. Wiedersehen macht Freude. Unvermittelt schoss mir die letzte Begegnung mit Nick Sinkewitz durch den Kopf. Seine Zukunft hatte sich nach dem Schulabschluss nicht wirklich rosig entwickelt und aus Mr. Jekyll („Ich werde Arzt, wie mein Vater“) war innerhalb weniger Jahre ein alkoholvertilgender Mr. Hyde geworden. Da halfen selbst Vaters Geld und Einfluss nicht mehr und ich erinnere mich noch gut daran ihn vormittags vollends besoffen im Stadtpark getroffen zu haben, wo er torkelnd eine Ente jagte, bevor er sich kotzend auf’s Maul legte. Fast hätte ich ihn nicht erkannt, aber selbst in diesem Zustand fühlte er sich noch als König und lallte in seiner überheblichen Art irgendwas von „ihr seid doch alle nur Dreck unter meinen Fingernägeln“. Damals wäre es ein leichtes gewesen ihm all das, was er mir seit der Kindheit angetan hatte, zurückzuzahlen, aber irgendwie war mir nicht danach. Sein Schicksal jagte mir, ganz im Gegenteil, eine Heidenangst ein, da es mir zeigte, wie leicht die Welt eines Menschen ins Wanken geraten kann. Später erfuhr ich dann noch so einiges über Nick, was ihn für mich in völlig neuem Licht erscheinen ließ.
Ich würde die Sache mit Nick ja auch gerne weitererzählen, nur läuft mir grad irgendwie die Zeit davon. Wenn ich hier heil rauskommen will, muss ich mir schleunigst was überlegen und zwar was weitaus besseres, als ich damals meinen Eltern erzählte, warum ich das Studium der Rechtswissenschaft (was ich ja derzeit wieder ausübe) auf Eis legen wollte. Die haben mir den ganzen Mist von Selbsterfahrung und man ist nur einmal jung und auf Reisen gehen nicht wirklich abgekauft, denn es schien als könnten sie durch mich hindurchsehen. Ich hab ohne Scheiß während des Gesprächs mit meinen Eltern mehrmals in einen Spiegel im Wohnzimmer geschaut und überprüft, ob man in meinen Augen irgendwas erkennen kann. Sie konnten es und wussten sofort woher der Hase läuft, wahrscheinlich deshalb, weil ich zu sehr ins schwärmen geriet wenn ich von ihr redete:
Marlis Schwimmer, die Frau, für die ich bis nach Afrika gehen wollte und es auch musste, da sie dort hinfuhr, um die Welt zu verbessern. Sie sagte: „Entwicklungshilfe“ und ich sah ihr wunderschönes, langes und lockiges Haar, das immer nach Flieder duftete und schon als Zopf verführerisch aussah, aber wenn sie es öffnete, sagte es: „Adam, nimm diesen Apfel und beiß rein.“ Sie predigte von „Humaner Hilfe“ und ich sah diese vollen Lippen, die mich regelrecht dazu aufzufordern schienen, sie wieder und wieder zu küssen. Sie wollte etwas aufbauen und den Menschen, die es nötig haben, Unterstützung geben. Ich wollte etwas viel simpleres „sie“, ich wollte sie sehen, hören, berühren, riechen, schmecken und das am liebsten 24 Stunden am Tag. Heute glaube ich, nein mittlerweile weiß ich, dass ich sie mit meiner Liebe fast erdrückte. Und sollte sie mich jemals auch so heiß geliebt haben, so hab ich die Flamme wohl sehr schnell erkalten lassen. Als ich dann nach nicht mal einem Jahr bei meinen Eltern vor der Tür stand sah ich schon innerlich Phil Collins mit dem Gesicht meines Vaters auf der Schwelle stehen, wie er voller Inbrunst: „You’re no son, you’re no son of mine ... you walk down you left us behind, you’re no son, you’re no son of mine“ sang. Meine Mutter dazu die Kochlöffel im Takt schwingend und mit diesem „Ich hab’s dir ja gesagt, aber du wolltest ja nicht hören“-Gesichtsausdruck. Ganz so schlimm war’s dann doch nicht, aber immerhin durfte ich nur unter Auflagen in mein altes Zimmer (das ich aber recht schnell zugunsten einer Studenten-WG wieder verließ) zurück und (weitaus wichtiger) in den Schoß der Familie. Wichtigste Auflage war das Versprechen sofort wieder mit dem Studium weiterzumachen. Schließlich sei mir ja ein ganzes Jahr verlorengegangen. Die Frage, ob ich noch zu Abendessen könne oder mich direkt mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch in mein Zimmer einschließen solle, hätte mir fast den endgültigen Bruch mit meinen nicht sehr erfreuten Erzeugern eingebracht. Ich kann halt mein Maul nicht halten. Dass das verlorene Jahr, das bisher schönste meines Lebens gewesen war, hab ich dann auch für mich behalten. Noch heute träume ich regelmäßig von Marlis und irgendwann, wenn ich reif genug bin, werde ich sie besuchen fahren.
Oder aber ich werde nur noch einen einzigen Besuch abstatten, nämlich den ins Reich der ersoffenen Vollidioten. Mittlerweile steht mir das Wasser nämlich bis zum Hals und das nicht nur im übertragenen Sinne. Und wenn euch meine Gedankensprünge etwas verwirren stellt euch einfach vor ihr hättet einen gebrochenen Fuß, der aber mittlerweile nicht mehr allzu stark schmerzt, weil ihr nämlich unterhalb der Brust fast gar nichts mehr spürt. Dazu ist das Wasser viel zu kalt. Der andere, eigentlich noch intakte Fuß klemmt zwischen zwei Felsbrocken im Bach, weil ihr so dämlich wart, dem Wasserverlauf weiter zu folgen. Zu allem Überfluss steigt der Wasserpegel rapide an, während ihr euch weder vor, noch zurück bewegen könnt. Dabei habt ihr mittlerweile eine Lösung gefunden gehabt, wie ihr die Höhle mit (einigermaßen) heiler Haut verlassen könnt.
Nachdem ich mich ein wenig erholt und die Kekse verabschiedet hatte, hatte ich die Quelle des Lichts entdeckt. Direkt über mir gab es einen Spalt, der, sofern ich den Bach durchquerte, von der anderen Seite wohl zu erreichen wäre. Es würde mich wohl einige Mühe kosten, an den glitschigen Felsen entlangzuklettern, aber es war zumindest möglich und ich war mir sicher, dass ich es dann zu dem oben erhofften Ausgang schaffen würde. Während ich mich also aufraffte und schon mal psychisch auf die Kälte des nassen Elements (verschworen, genau!) vorbereitete, bemerkte ich, dass ich zwar immer noch an der gleichen Stelle saß, das Wasser mir aber bedrohlich nahe gekommen war. Das konnte nur bedeuten, das es stieg. Wahrscheinlich hatte sich mittlerweile der ganze Mist, der vom Wasser davongetragen wurde irgendwo so gesammelt, dass es nicht weiter aus diesem Berg hinauskam. Ich war zwar in Naturwissenschaften nie ein Ass gewesen, wusste dennoch, das sich das Wasser dann halt einen anderen Weg sucht. In diesem Fall nach oben. Was kümmert’s mich, dachte ich noch, als ich beim hineingehen in den mittlerweile weitaus beachtlicheren Strom ausrutschte und unsanft ins Wasser fiel.
Schreiend und fluchend schluckte ich erneut jede Menge Wasser und bemerkte dann beim Versuch mich zu bewegen, dass ich mich irgendwo verkeilt hatte. „Was soll denn das? DAS ist nicht dein Ernst du mistvergorener grünbrauner Drecksbach!“ Ich verlor endgültig die Fassung und schrie aus Leibeskräften um Hilfe.
 
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Kommentare  

Wann geht es weiter? Gruß Sabine

anonym (02.04.2008)

Ja sicher, im gewissen Sinne ist die Rahmenhandlung der Aufhänger für die Rückblicke des Protagonisten.

Middel (02.04.2008)

Ich bin gespannt, wie es weitergeht und wieviele Forsetzungen es noch gibt.

Sabine Müller (01.04.2008)

Hallo, nun klappt es endlich mit dem kommentieren. Wieder eine gelungene Fortsetzung. Spannend ist es zwar, aber irgendwie muss man die ganze Zeit schmunzeln, weil man es nicht so ernst nehmen kann - das ist sicherlich so gewollt, oder? LG Sabine

Sabine Müller (01.04.2008)

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