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3 Seiten

Der dreiundzwanzigste Juli

Nachdenkliches · Experimentelles
Der dreiundzwanzigste Juli. Ein heißer trockener Tag, an dem die Luft kochte und die Erde einem unter den Füßen weg zu schmelzen schien. In den Freibädern und an den Badeseen tummelten sich die Sonnenanbeter und Partyleute, die Berufstätigen, die während der großen Ferien keinen Urlaub bekommen konnten, retteten sich in die klimatisierten, sorgsam abgedunkelten Büros. Zur Mittagszeit schienen die Straßen wie ausgestorben, nur vereinzelte Autos waren zu sehen, das waren die luxuriösen mit effektiver Klimaanlage.
Sheena hastete durch die sonnenverbrannten Straßen, der Asphalt klebte unter ihren Schuhen. Der dreiundzwanzigste war ihr Tag, ihr ganz persönlicher Glückstag, das hatte sie schon vor langem beschlossen. Und wenn sie etwas beschlossen hatte, ganz fest beschlossen, dann war es auch so. Schweiß trat auf ihre Stirn, das blendende Licht zwang sie, ihre Augen zusammen zu kneifen. Was für ein Tag! Sie konnte das Glück förmlich riechen, gierig hob sie ihre Nase in den Wind. Ja, sie war ganz nah, ganz nah, und ihre Schritte beschleunigten sich, es wurden erwartungsvolle, ungeduldige Schritte, die Schritte, die sie zu ihrem Glück tragen würden. Vorwärts, vorwärts, kein Halten, kein Zurück, sie war auf dem richtigen Weg, auf dem Weg zum Glück, das wusste sie, so würde sie kein Straucheln und kein Zögern ihrerseits zulassen, nicht mehr.

Ein dumpfer Aufprall, leises Knacken als sein Körper auf sein Bein plumpste. Benommen sah er auf, verwirrt. Eine junge Frau, ein wenig jünger als er, saß plötzlich neben ihm auf dem von der Hitze aufgeladenen Beton des Bürgersteigs. Sie schien ebenso verwirrt, jedoch nicht ernsthaft verletzt. Auch sie sah auf und ihre Blicke trafen sich für einen Moment, und den Bruchteil einer Sekunde verspürte er pures Glück in sich strömen. Es war ein Erkennen, ein Erwachen, es war pure Leichtigkeit. Doch die Unbekannte wandte schnell ihr Gesicht ab und machte Anstalten, sich hastig zu erheben. Schwerfällig richtete sie sich auf, strich kurz ihren kurzen Rock glatt, der ihm einen kurzen Blick auf ihren Slip gewährte.
Sie wollte sich schon entfernen, da rief er in einem kurzen verzweifelten Aufbegehren, sie solle stehen bleiben, sein Name sei Matt und sie solle doch stehen bleiben!
Sie drehte sich nicht einmal um, ihre blauen Flip Flops verschwanden um die nächste Ecke, ohne ein Zögern, ohne einen Moment ins Wanken zu geraten, fluchtartig.

Sheena hatte dieses Gefühl gehabt. Dieses unbeschreibliche Gefühl hatte sie durchströmt, als sie den Unbekannten angesehen und er sie auch angesehen hatte. Als sie sich aufrappelte und ihren Weg fortsetzte, versuchte sie, die Erinnerung an dieses Gefühl zu vergessen. Er rief ihr etwas hinterher, das sie nicht verstand, doch sie drehte sich nicht um, versuchte gar nicht, die Worte zu verstehen, die sie nicht erreichten.
Es war der dreiundzwanzigste Juli, ihr Tag, der Tag an dem sie endlich das Glück finden sollte und sie hatte die Spur des Geruchs fast verloren. Sie wollte sich nicht umdrehen, sich nicht zum Zögern, ins Wanken bringen lassen, sie wollte ihre Chance, die einmalige Chance glücklich zu werden, erkennen und nutzen.
Der Geruch des Glücks, dem sie gefolgt war, wurde wieder intensiver, sie fuhr fort ihn gierig aufzusaugen, ihm so schnell sie ihre Füße trugen zu folgen. Und so ging sie und ging sie, so lief sie und lief sie, so rannte und rannte sie, immer dem unbeschreiblichen, dem unfassbaren Duft hinterher, dem Duft des Glücks am dreiundzwanzigsten Juli.

Er fand keine Ruhe. Immer wieder dachte er an die Unbekannte, die ihm doch so bekannt erschienen war, er konnte sich dem Gefühl nicht entziehen, das ihn quälte und ihn Stunden um Stunden an sein Bett, auf den Sessel, die Parkbank fesselte, ihn in die unendliche Leere starren und die Zeit zeitlos erscheinen ließ. Er konnte sich der Übermacht der Trauer und Verzweiflung, noch viel schlimmer, der Lähmung nicht entziehen, die der Gedanke an die Unbekannte, deren Namen er nicht kannte, in ihm verbreitete und die sich in seinem Körper und seinem Geist ausbreitete wie ein bösartiger Tumor.
Er verlebte so seine Zeit, die kurze, viel zu kurze Zeit, die ihm auf dieser Erde bestimmte war, bis er eines Tages verschied, besiegt von dem großen, lähmenden Tumor.

Zur gleichen Zeit, da er die Augen schloss, brach Sheena zusammen, sie brach zusammen auf der endlosen aussichtslosen Suche nach dem Glück. Ihr Glück hatte die Sterblichkeit verlassen, und so tat sie es ihm gleich. Der Asphalt, noch immer einen Rest der Hitze vom dreiundzwanzigsten gespeichert, nahm sie liebevoll in seine Arme und ließ sie mit der Ewigkeit verschmelzen. Sie sollte nie verstehen, wie nah sie dem Glück schon gekommen war, ganz ohne es zu jagen. Dem Glück, dessen Namen sie nicht verstanden hatte.
 
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Christina Chrissi (30.06.2008)

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