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6 Seiten

Rabennächte

Kurzgeschichten · Romantisches
Man erzählt sich viele Sagen,
Sagen, von verwunsch’nen Raben.
Auf ihnen lastet wie ein Stein,
ein böser Fluch, im Federschein.

Wie ein Mantel nie vergossener Tränen schlang sich der Nebel um die uralten Bäume, welche hier schon so lange standen, das nicht einmal die Zeit selbst mehr sagen konnte, wann sie denn geboren wurden. Langsam, bedächtig so schien es fast, streifte der Nebel die Stämme, liebkoste sie mit glänzenden Kristallen, so kalt wie Eis. Die letzten Strahlen der Sonne vereinigten Licht und Schatten zu einem Zusammenspiel nie gekannter Farben und Formen.
Betörend schön.
Und einen Zauber innehabend, der jeden zu Tränen gerührt hätte.
Dämmerung im Weltnebelwald.
Ruhelos, so mag es den Menschen vorkommen, flog ein Rabe über die Wipfel der Bäume hinweg. Begierig schweifte sein Blick in die Ferne. Mal hierhin, mal dorthin. Schließlich sank er hinab in den Schatten des nunmehr nächtlichen Waldes und setzte sich auf die verwitterten Steine eines alten Brunnens. Dort verharrte der Vogel und hätte man genau hingeschaut, so wäre einem Trauer in seinen Augen kaum entgangen.

Geh nur in den Wald hinein,
doch nimmermehr bei Mondenschein.
Denn wenn der Nebel kommt herbei,
ist’s mit dem schützend Licht vorbei.
Dann spuken Geister durch die Nacht,
halten der alten Zeiten wacht.

Die Zeit vergessen!
Rosalie schreckte auf und ließ die gepflückten Blumen ins nasse Gras fallen. Sie sah hinauf zum Himmel, welcher schon dunkelblau geworden war und bald in Schwarz die Nacht herbeitragen würde. Hecktisch wischte sich das Mädchen das wildrote Haar von der Stirn. Ihre Eltern würden sich sicher schon Sorgen machen, dabei war ihr überhaupt nichts zugestoßen. Allein die Zeit hatte sie vergessen, beim Blumen pflücken hier im Wald, wo die Schönsten und Größten wuchsen. Doch jetzt war es Zeit zurück ins Dorf zu gehen, bevor die lieben Eltern sie suchen würden.
Also ließ das Mädchen die Blumenlichtung hinter sich und ging den Weg zurück durch den Wald. Nebel umschloss nach kurzer Zeit ihre Beine und das junge Mädchen begann zu frösteln. Mit jedem Schritt wurde es kälter und bald hatte sie der Nebel umhüllt und ihr rotes Gewand in glitzernde Kristalle eingewoben, aus Wasser zwar, doch nicht minder schön, als es echte Edelsteine gewesen wären.
Langsam musste Rosalie sich eingestehen, das sie nicht mehr genau sagen konnte, wo sie sich befand und in welche Richtung das Dorf lag. Dieser Gedanke machte sie schaudern und als würde der dunkle Forst das wissen, drang plötzlich ein Rascheln an ihr Ohr.
Das Mädchen zuckte zusammen und schlang schützend die Hände um sich. Sie wagte es kaum zu atmen, als sie sich zitternd umsah. Da erkannte sie vor sich auf einem morschen Baumstumpf einen Raben sitzen, der sie neugierig und mit schwarzglitzernden Augen betrachtete. Beinahe kam es ihr vor, als würde sein Blick tief in ihre Seele dringen.
“Welch ein schönes rotes Gewand du trägst.”, sprach der Rabe plötzlich mit krächzender Stimme. Und war es dem Mädchen, als würde auch etwas Kindliches in seiner Stimme mitschwingen, etwas ungestüm Wildes.. “Doch wirkt er blass im Vergleich zu deinem lockigen roten Haar und den weichen roten Lippen.”
Rosalie lächelte zaghaft. “Danke, lieber Rabe.”, antwortete sie und ihre Stimme klang so glockenrein, als würde die Ferne von der Liebe singen. “Meine Großmutter nähte es mir, der roten Haare wegen.”
“Was macht ein junges Mädchen wie du, so spät allein im dunklen Forst?”, fragte der Rabe weiter.
“Ich vergas die Zeit beim Blumen pflücken oben auf der Lichtung und nun habe ich mich verirrt und kann den Weg zurück nicht mehr finden.” Wieder begann Rosalie zu frösteln, ob der Kälte und der misslichen Lage, in der sie sich befand. Und wieder schien selbst der Rabe verzaubert zu sein, von der reinen Stimme des Mädchens, welche es so wohl kein zweites Mal gab auf dem großen Erdenrund.
“Den Weg zurück ins Dorf suchst du?”, fragte der Rabe und flog behände auf die Schulter des Mädchens. Erschocken sah Rosalie ihn an, doch als sie in seine glänzenden Augen blicke, verflog jede Aufregung in ihr, denn nichts Böses konnte sie in Ihnen lesen. Nur eine Trauer, die sie sich in ihrer unschuldigen Jugend kaum erklären konnte.
Rosalie nickte.
“Wie kommt es, das du sprechen kannst? Bist du doch ein Rabe und kein Mensch.” , fragte das Mädchen zaghaft. Wieder sah sie in die schwarzen Augen des Raben, welche sie auf sonderbare Weise gefangen nahmen.
Etwas Seltsames war an dem Tier.
Und auch der Rabe selbst, schien verzaubert zu sein, von den grünen Augen des Mädchens. Umso mehr Trauer schwang in seiner krächzenden Stimme mit, als er ihr antwortete. Doch das Mädchen, in ihrer Jugend, bekam davon nichts mit.
“Oh, das ist nichts Sonderliches hier im Wald. Besonders nicht des Nachts, wenn Nebel durch die Zeiten dringt und sie verschmelzen lässt. Doch musst du wissen, ich bin weder das Eine, noch das Andere.”
Dann schwieg der Rabe und ließ die junge Rosalie mit ihren Gedanken allein. Es hätten Stunden vergehen können, in denen sich das Mädchen in den magischen Worten das Raben hätte verirren können. Doch als ihr gefiederter Freund sich von ihrer Schulter erhob und auf einen Ast nicht unweit von ihr flog, da wurden ihre Sinne zurück geholt in den nächtlichen Nebelwald.
“Wenn du ins Dorf willst, geh durch den Sumpf dort. Das ist er schnellste Weg.”
“Danke, lieber Rabe.”, flüsterte das Mädchen und warf ihm lächelnd und voller dankbarer Zuneigung einen Handkuss zu. “Ohne deine Hilfe, wäre ich sicher verloren gewesen.”
Und so schritt Rosalie in die Richtung, in welche der Rabe gewiesen hatte.
“Warte Mädchen!”, krächzte der Rabe plötzlich und Rosalie drehte sich um und sah zu ihm hinauf, verzauberte ihn erneut mit der weich schimmernden Unschuld ihrer Augen. “Wie ist dein Name?”
Endlose Zeiten schienen zu vergehen.
“Rosalie.”, hauchte das Mädchen schließlich und wieder war es, als würde die Ferne von der Liebe flüstern. Und vielleicht war es auch so. Doch auch Liebe kann sich einstweilen dem Schicksal nicht erwähren, sollte es auch noch so schrecklich und ungerecht daherkommen.
“Weiche nicht vom Wege ab, hörst du Rosalie?”, krächzte der Rabe und nun bekam auch das Mädchen einen Hauch seiner Angst und Trauer mit. Doch zu wenig nur, um sich einen Reim daraus machen zu können, oder darüber nachzudenken.
Rosalie nickte. “Danke mein Freund, ich werde dich nie vergessen.” Noch einen letzten Handkuss schenkte sie ihm, dann zog sie ihrer Wege.

“Weiche nicht vom Wege ab.”, flüsterte der Rabe noch einmal, als das wunderschöne Mädchen mit den feuerroten Haaren schon längst im Nebel verschwunden war. “Weiche nicht vom Wege ab.” Doch der Rabe, der nie Einer gewesen war, wusste, dass das kaum möglich war. Und somit hatte er ihr Schicksal wohl besiegelt, ohne es wirklich zu wollen. Doch wo der Zauber einer alten Hexe im Spiel war, konnte der eigene Wille kaum siegen.
Längst tot hätte sie sein sollen, die Zauberin!
Tod und begraben in den Wirren alter Märchen…
Längst tot!
Doch hatte sie die alte Zeit wieder ausgespuckt!
“Weiche nicht vom Wege ab.”, krächzte der Rabe noch einmal. Und vielleicht war es nur die Feuchtigkeit des Nebels, welche gleich einer Träne sein Gesicht hinunter rann…
Dann flog er davon.
In Richtung des Sumpfes.

Tief im trüben alten Moor,
dringen Schreie an ihr Ohr.
Doch folgt sie ihnen jetzt und hier,
sprießen Rabenfedern ihr.

Nach einiger hörte das Mädchen die Hilferufe. Erst von weither, mehr wie in einem Traum, als denn im wahren Leben. Doch bald konnte sie die Rufe deutlich hören und ein kalter Schauer überkam Rosalie. Es waren die Schreie eines Kindes und sie kamen zweifellos aus dem Moor. Erschrocken blieb sie stehen und sah hinaus auf den gefährlichen Sumpf. Und schon erkannte sie den Schatten eines kleinen Kindes, das tief im schlammigen Wasser mit dem Leben rang. Es schrie und trampelte, doch versank es immer tiefer im tückischen Moor.
“Warte, ich komme und helfe dir.”, rief Rosalie dem Kinde zu und stieg mit großen Schritten hinein ins tödliche Nass.
Diesmal sang die Ferne auch, als das Mädchen sprach, jedoch nicht von Liebe…
Nein, sie sang von…
Immer tiefer ging das Mädchen ins Moor hinein, bald stand sie bis zu den Hüften im Schlamm und drohte immer weiter zu versinken. Hilflos sah sie sich um, doch vom dem versinkenden Kind fehlte nun jede Spur. Anstelle dessen, war es nun Rosalie selbst, welche verzweifelt um ihr Leben rang. Panisch versuchte sie sich zu befreien, das rote Haar schon längst mit Schlamm bedeckt. Doch je mehr sie strampelte, je mehr sie versuchte, wieder hinaus zu kommen, umso tiefer sank sie hinab in die kalten Tiefen.
“Du darfst dich nicht bewegen.”, hörte sie plötzlich eine krächzende Stimme vom Wegesrand aus. Es war die Stimme des Raben und ja, dort am Rand des Sumpfes stand er und sah Rosalie mitleidig an. Jetzt erkannte auch sie deutlich die Trauer in seiner Stimme, doch zu spät war es.
Viel zu spät…
“Wenn du leben willst, dann sprich mir nach.”, krächzte der Rabe so laut er konnte und das Mädchen nickte eifrig.
“Das will ich! Das will ich!”, schluchzte sie mit bebender Stimme, glaubt sie doch schon ein Licht am Ende ihrer Sphäre zu sehen.
Und dann sprach der Rabe die Zauberformal, welche das Mädchen retten und gleichzeitig verfluchen sollte.
Das Mädchen sprach ihm nach und diesmal war es nicht die Ferne, welche bei ihrer glockenklaren Stimme von der Liebe sang, sondern Rosalie selbst.
Doch war es Liebe, welche unter einem bösen Stern stand.
Liebe, auf ewig gefangen im Nebel…
Und so sang Rosalie, das Mädchen, mit dem feuerroten Haar…

“Geister im Wald
und alte Sagen,
macht aus mir
nun einen Raben.
Lasst den Fluch
nun weiterwandern,
von der einen Hand
zur andern.”

Und kaum waren die Worte ausgesprochen, fiel von dem Raben der Bann der alten Hexe.
Jedoch nicht der Zauber der Liebe, welcher ihn für immer gefangen halten sollte…
Doch auf dem Mädchen lastete Selbiger nun so schwer wie Stein.
Sie sah an sich herab und stellte mit Schrecken fest, das ihr Rabenfedern gewachsen waren und sie sich flügelschlagend in die Luft erhob.
Ihr Federkleid schimmerte rötlich und in ihren schwarzen Augen schien es, als würde ein grünes Feuer brennen.
Das Rabenmädchen landete auf dem Weg im Moor und suchte nach ihrem Retter. Doch anstelle eines weiteren Raben, stand dort auf dem Weg ein junger Bursche, mit blond gelocktem Haar und etwa in ihrem Alter. Er hatte Tränen in den Augen und ein Schatten lag auf seinem Angesicht.
“Es tut mir leid.”
Das war alles, was er sagte.
Er sah das Rabenmädchen an, mit Tränen in den Augen.
Und noch etwas war darin zu lesen…
Dann ging er den Weg weiter, ohne sich auch nur noch einmal umzusehen, bis er im Nebel verschwunden war.
Er ging Richtung Dorf.
Dort wo die Eltern bangend auf ihre Rosalie warteten.
Sie sollte nie zurückkehren…

Das Rabenmädchen selbst, welches weder Mensch noch Tier war, flog noch lange ruhelos im Wald umher.
Ohne Ziel und ohne Richtung.
Einfach nur ihren Gedanken folgend, die sie kaum begreifen konnte.
So schwer ihr Herz, so tief ihr Leid.
Bald schon hörte sie eine Stimme aus längst vergangnen Zeiten. Eine Stimme, so unbeschreiblich grässlich und endgültig, das sie die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte.

“Der Fluch, er lastet nun auf Dir
und verfallen bist Du mir.
Erst wenn Einer kommt und Dir vertraut,
kannst Du zurück in Deine Haut.”

Bald schon ging die Sonne auf.
So strahlend rot…
Wie, ja wie…
…ferner Gesang.

Rosalies Eltern bangten noch lange ob ihrer Wiederkehr. Doch als die Hoffnung entschwand weinten sie viele Tagen und Nächte lang. Auch ein kleiner Rabe mit rotschimmerndem Federkleid, welcher oft auf der Fensterbank des Hauses saß, konnte die Eltern nicht über ihre Trauer hinwegtrösten. Sie sahen nicht das grüne Leuchten in den kleinen schwarzen Äugelein.
Und immer, wenn Rosalie um Erlösung flehte, dann war es…
… als würde die Ferne von der Liebe singen.
 
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Kommentare  

Kann mich nur Pia anschließen. Meisterhafte kleine Geschichte.

doska (11.05.2009)

Althergebrachtes neu verpackt und trotzdem schön geschrieben.

Gruß
UweB


anonym (21.11.2008)

Danke für die Kommentare.
Hab das "Fell" geändert. (Ich hoffe, daß du das am Ende gemeint hast)


gedanke.in.ketten (05.11.2008)

bis auf das federfell (?) und eine am anfang etwas sperrige sprache: grün

anonym (05.11.2008)

leider kann ich nur einmal grün drücken - grün grün grün - fabelhaft geschrieben, sowas gehört in Leder gebunden und vor dem Kamin vorgetragen.
LG Dublin ;0)


anonym (05.11.2008)

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