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4 Seiten

Teufelswerk

Spannendes · Kurzgeschichten
Es war vier Uhr früh als Kommissar Richard Latte und sein Kollege vor dem Haus standen. An der schmucken Eingangstür hing ein Schild mit der Aufschrift:

Anwaltskanzlei
Ferdinand Strecker

„Sind Sie Frau Strecker, haben Sie uns angerufen?“ fragte Kommissar Latte verschlafen und streckte gleichzeitig seinen Dienstausweis in die Höhe. Sein Begleiter tat es ihm gleich und hielt seine Polizeilegitimation der sichtlich verstörten Frau unter die Nase.
„Ja, mein Name ist Luise Strecker und ich hab sie informiert“
„Was ist passiert? Am Telefon haben sie von einem Schuss gesprochen“ antwortete Latte.
„Vor etwa 15 Minuten war aus dem Arbeitszimmer meines Mannes ein Schuss zu hören. Als ich nachschauen wollte, war die Tür verschlossen, und da auf mein Rufen hin, sich mein Mann nicht rührte, habe ich die Polizei informiert“ sprudelte es aus der aufgeregten Frau hervor.
„Ok, dann zeigen sie uns mal den weg zum Zimmer ihres Mannes“ nuschelte Latte und marschierte schon mal los, ohne eine weitere Reaktion der Frau abzuwarten.

Latte betrachtete die schwere Eichentüre, die den Eingang zum Büro des Anwaltes verschloss. Sein Kollege trommelte gegen das Holz. Frau Strecker rief den Namen ihres Mannes. Aber eine Antwort blieb aus.
Latte räusperte sich „Die Türe ist von innen verschlossen worden, man sieht den Schlüssel im Schlüsselloch stecken!“

Etwa eine halbe Stunde später hatten die beiden Kommissare es geschafft den Schlüssel mit einem Draht so auf der Innenseite der Türe hinunterfallen zu lassen, dass er auf einer unter der Türe hindurch geschobenen Zeitung landete. Langsam konnte nun der Schlüssel mitsamt Zeitung unter der Türritze durchgezogen werden. Latte öffnete die Tür und sah sofort den leblosen Körper auf dem Boden liegen. Frau Strecker stieß einen spitzen Schrei aus, was für Latte die Frage beantwortete, dass dies Anwalt Ferdinand Strecker war. Latte trat drei Schritte vor und ließ seinen geschulten Blick durch den Raum schweifen. Blitzschnell erfasste er die wichtigste Details, die er in alter Columbo Manier in einem kleinen Notizbuch notierte. Der Anwalt war tot. Wahrscheinlich erschossen, denn in seiner Schläfe war ein kleines Loch aus dem Blut hervortrat. Das noch frische Blut sowie der Umstand, dass der Körper noch warm war, ließ vermuten, dass der Tod in den letzten zwei bis drei Stunden eingetreten war. Eine Tatwaffe war nicht zu sehen. Latte blickte von seinem Notizblock auf, sah sich noch einmal um und unterstrich dann seinen letzten Eintrag mit der fehlenden Tatwaffe zweimal. Das Zimmer hatte keine Fenster und der einzige Zugang war die Tür durch die sie eingetreten waren. Die Tür war von innen verriegelt! War der letzte Eintrag in Lattes Aufzeichnungen.
„Merkwürdig, merkwürdig“ murmelte Kommissar Latte vor sich hin. Man sah ihm deutlich an, dass er am Nachdenken war. Latte machte sich über zwei Möglichkeiten Gedanken:

Szenario 1: „Wenn sich der Anwalt eingeschlossen hätte, um sich dann selbst zu erschießen, wo war dann die Waffe? Selbstmord scheidet also eindeutig aus.“

Szenario 2: „Wenn jemand den Anwalt erschossen hat, dann muss er mit der Tatwaffe geflüchtet sein. Aber eine Flucht war unmöglich, der Raum hatte keine Fenster und die einzige Türe war von innen verschlossen worden. Mord scheidet also aus.“

Mittlerweile waren der Polizeiarzt und die Spurensicherung am Tatort eingetroffen. Lattes Kollege musste die Verstärkung wohl angefordert haben. In solchen Fällen war dies ein polizeilicher Routinevorgang.
„Hört zu, nehmt den ganzen Raum auseinander und schaut nach einem geheimen Ausgang und schaut noch mal alles durch, die Tatwaffe fehlt nämlich auch noch“ so Latte zu den zwei Jungs in den weißen Anzügen der Spurensicherung. Die beiden Schneemänner nickten eifrig und begannen mit ihrer Arbeit. Auch der Polizeiarzt widmete sich nun seiner Arbeit. Latte fühlte sich überflüssig und beschloss Frau Strecker zu suchen, um ihr noch einige Fragen zu stellen. Er fand die schluchzende Frau am Küchentisch sitzend. Trotz eindringlicher Befragung durch Latte, blieb sie jedoch dabei, außer dem Schuss nichts mitbekommen zu haben.
Nachdenklich verließ Latte den Tatort. So einen mysteriösen Fall hatte er in seiner ganzen Kariere noch nicht gehabt. Erstmal blieb ihm aber nichts anderes übrig, als auf die Berichte der Spurensicherung und des Polizeiarztes zu warten.

***

Am nächsten Tag saß Latte in seinem Büro vor einem dampfenden Pott Kaffee, als die Berichte des Doc`s und der Spurensicherung eintrafen. Zuerst nahm sich Latte den ärztlichen Bericht vor, der in kurzen aber präzisen Sätzen formuliert war.
- männliche Leiche , zirka 62 Jahre alt
- Todeszeitpunkt: zwischen 0 Uhr und 4 Uhr
- Tod ist durch Kopfschuss eingetreten
- Schuss wurde aus nächster Nähe abgefeuert (Schmauchspuren an der Schläfe)
- Ob das Opfer selbst geschossen hat, oder aber erschossen wurde lässt sich anhand des Winkels wie die Kugel eingedrungen ist nicht feststellen
- Das Opfer hat keinerlei weitere Anzeichen, die auf einen Kampf oder ähnliches hinweisen
- Im Blut konnten keinerlei Drogen, Narkotika oder Toxide nachgewiesen werden
- Merkwürdig ist folgende Tatsache: Es fehlt die Kugel und das obwohl es keine Austrittswunde gibt. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür dass die Kugel post mortem entfernt wurde (selbst bei der Durchführung durch einen Fachmann hätte dies Spuren hinterlassen)
Eigentlich hatte sich Latte von dem Bericht einen Hinweis erwartet der eventuell zur Lösung des Falles beitragen würde. Das Ergebnis brachte aber nur ein weiteres Rätsel. Wie war es möglich, dass bei einer Schussverletzung ohne Austrittswunde die Kugel fehlt. Latte erhoffte sich nun vom Bericht der Spurensicherung weitere Erkenntnisse. Der Bericht war ebenfalls sehr kurz gehalten.
- die Tatwaffe wurde nicht gefunden
- im ganzen Raum wurden nur Fingerabdrücke des Opfers gefunden
- der Tatort ist nur durch eine Tür zugänglich. Es gibt keine Fenster, keine geheimen Ausgänge.
- Die Art und Weise wie die von innen verschlossene Türe beim Auffinden der Leiche vorgefunden wurde schließt definitiv aus, dass dies nachträglich von außen vorgenommen wurde.
- In der Jackentasche des Toten wurde ein Schließfachschlüssel gefunden.

Auch dieser Bericht brachte Latte nicht weiter. Aber es gab einen neuen Ansatzpunkt. Der gefundene Schlüssel war in einer Plastikhülle verpackt und die Kollegen hatten schon einen Zettel daran geheftet, mit der Bemerkung, dass es sich um ein Schließfach der hiesigen Postfiliale handelte. Latte hatte er überhaupt keine Ahnung ob und was der Schlüssel bzw. das Schließfach mit dem Tathergang zu tun haben sollte, aber dies war im Moment die einzige Spur, die er verfolgen konnte.

***
Eine halbe Stunde später betrat Latte, begleitet von seinem Kollegen die kleine Postfiliale und beide steuerten zielstrebig auf die Schließfachanlagen zu. Das Fach war schnell geöffnet. Latte zog sich seine Einweghandschuhe an und nahm eine Pistole Typ Walther P99 heraus.
„Kaliber 9 mm Parabellum“ sagte Latte zu seinem Kollegen.
„Das könnte die Tatwaffe sein“ antwortete der junge Begleiter.
„Ja, aber wie kommt die Waffe hierher?“ fügte Latte hinzu.
Hierauf wusste auch sein Begleiter keine Antwort.
Latte setzte wieder sein Denkergesicht auf und ging das ganze noch mal durch. Da muss jemand die Waffe hier her gebracht haben, ist danach zum Tatort zurückgefahren und hat den Schlüssel dort in der Tasche der Leiche deponiert.
„ Nein, Nein, Nein, unmöglich. Wie wäre der Täter dann wieder aus dem Zimmer gekommen.“
Die Adern an seinen Schläfen schienen zu platzen vor Anstrengung. Latte war zum ersten Mal in seiner beruflichen Laufbahn soweit, dass er an seinem Verstand zweifelte.
Die Waffe musste auf dem schnellsten Weg zur kriminaltechnischen Untersuchung gebracht werden. Es musste unbedingt Klarheit darüber herrschen ob dies nun wirklich die Tatwaffe war oder nicht.

***

Das Ergebnis lag schell vor. Noch am gleichen Tag trudelte das Ergebnis bei Kommissar Latte ein. Latte war geschockt.
„Das konnte nicht wahr sein. Wie war das möglich?“
Schweißperlen standen auf der Stirn des Kommissars. Seine Gesichtsfarbe änderte sich in schneeweiß. Der nichts ahnende Kollege eilte mit einen Glas Wasser herbei. Latte nickte dem jungen Helfer dankbar zu und nahm einen großen Schluck.
„Die KTU bestätigt dass dies die Tatwaffe ist“ stotterte Latte.
„Aber deshalb sind Sie doch jetzt nicht so weiß im Gesicht worden?“ so der junge Mann.
Latte holte tief Luft.Mehrmals räusperte er sich.
Man konnte förmlich zusehen wie er einen riesengroßen Klos versuchte hinunter zu schlucken.
Die Stille im Raum war unerträglich.
Dann endlich begann Latte mit zittriger Stimme zu reden:
„Die Kugel……“
Latte musste wieder Luft holen und startete einen erneuten Anlauf.
„Die Kugel, die mit Blut des Toten verschmierte Kugel, war noch im Magazin“.
Der junge Kollege brauchte einige Zeit, um überhaupt zu verstehen, was hier vorging. Auch er musste sich nun setzen.


***
Der Fall landete im Polizeiarchiv unter dem Stapel für ungeklärte Kriminalfälle. Mit kleinen zittrigen Buchstaben hatte Latte bevor er den Ordner ins Archiv gab unter das Aktenzeichen geschrieben „Teufelswerk“.
 
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Kommentare  

Gefällt mir auch gut. Federleicht, witzig und direkt so ein bisschen unheimlich.

doska (02.12.2009)

Oh, Mann, ja, wie kam die Kugel da nur hinein? Schöner lebhafter Text mit einer geheimnisvollen Pointe. Ein dickes Grün von mir.

Petra (28.11.2009)

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