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5 Seiten

Crysella und der Schwarze Mond / Kapitel 3

Romane/Serien · Erotisches
© rosmarin
3. Kapitel
_____________
Der Regen prasselte an die Fensterscheiben. Dunkle Wolkenberge trieben am Himmel.
Crysella stieg, noch immer zitternd, aus dem Bett, wankte zum Fenster, zog die Vorhänge zu. Der verrückte Traum ging ihr nicht aus dem Sinn. Er war so realistisch, so gegenwärtig. So unmittelbar. Immer wieder erlebte, durchlebte sie ihn. Wieder und wieder. Sie spürte Ricardo in sich, seine brutale Härte. Vernahm schmerzlich die lieblosen Worte. Er war doch eher von sanfter Natur. Und stets Gentleman. Auch in Sachen Sex. Und nun dieser Traum.
Wo mag Ricardo jetzt wohl sein.
Zum ersten Mal bedauerte sie, keine Träume deuten zu können. Bestimmt hatte dieser Traum etwas mit Lilith zu tun. Der schönen Frau im Spiegel. Wenn sie an sie dachte, zog so ein seltsames Gefühl durch ihren ganzen Körper, so ein erregendes, nicht erklärbares Gefühl. Ihr war, als würde sie sie verfolgen. Beobachten. Auf Schritt und Tritt. Echt unheimlich.
Mit Gewalt versuchte sie, die Frau, Lilith im Spiegel, zu verdrängen. Und auch den schrecklichen Traum. Sie musste ihre Arbeit beenden. Es wäre eine Katastrophe, wenn sie sie nicht termingerecht abgeben könnte. Verrücktes Thema – Lilith – Mythos oder Trauma -.
Ein aktuelles Thema. Jetzt, wo die Frauen wieder verstärkt um ihre Gleichberechtigung kämpfen. Teilweise auch mit Erfolg. Seit den Siebzigerjahren hatte sich ja nicht mehr viel getan. Immerhin hatte sie viel Zeit mit der Recherche verbracht. Die Frauen in Frankreich sind da schon viel weiter. Und die Frauen in der ehemaligen DDR erst Recht. Da war die Gleichberechtigung sogar gesetzlich verankert. Und die Frauen haben sie gelebt. Selbstbewusst und konsequent. Alles schön und gut. Aber was bedeutete dieser verrückte Traum.

Verzweifelt versuchte Crysella in die Realität zurückzufinden. Doch der Traum quälte sie Nacht für Nacht. Verlor niemals seine Schrecken, trieb ihr neues Leben erbarmungslos in eine Richtung, die sie weder beeinflussen noch steuern konnte.
Eines Tages erwachte sie wieder aus unruhigem Schlaf. Der verdammte Albtraum war gegenwärtig wie nie zuvor. Die Haare klebten ihr im Gesicht. Ihre Hände waren ins Kopfkissen gekrallt. Ihr Herz schlug rasend. Und wieder regnete es.
Sie stand auf, zog die Vorhänge zu. Es war wie ein Ritual. Nacht für Nacht.
Noch ganz benommen, knipste sie das Licht an, setzte sich vor den Computer und schrieb das unwirklich wirkliche Erlebnis in ihren Geliebten.
Plötzlich vernahm sie eine eigenartige Musik. Liebliche Harfenklänge. Schluchzen und Weinen und dazwischen einige schnelle Tanzrhythmen. Dann wieder vermeinte sie, herzzerreißende Flötentöne zu vernehmen und lauschte fast träumerisch diesen ungewöhnlichen Klängen. Ihr war, als würden Tiere sie hervorzaubern. Diese Musik erinnerte sie an etwas. Ja, an einen Besuch im Britischen Museum. Dort war ein Fuchs zu sehen, der eine Doppelflöte spielte. Und in dem satirischen Papyrus Turin soll es ein Quartett von Tieren geben, die Instrumente spielen.
Der Esel spielt die Harfe, der Löwe die Leider, das Krokodil die Laute, der Affe die Doppelflöte. Allerdings war das im Alten Ägypten.
‚Vielleicht ist die Musik ja auch nur in meinem Kopf ‘, dachte sie. ‚Bei dem chronischen Schlafmangel kein Wunder.‘
Sie stand auf, machte einige gymnastische Übungen und begann plötzlich zu tanzen.

*

Crysella tanzte zu der ungewöhnlich geheimnisvollen Musik. Ihr Körper schien sich ohne ihr Zutun zu bewegen, zu verschmelzen mit dem Rhythmus dieser lieblichen Töne. Immer machtvoller erklang die Musik, mysteriöser, magischer. Wie von selbst glitten ihre Hände über ihren Körper. Berührten ihre Brüste. Verharrten an den sich immer mehr erigierenden rosigen Warzen. Streichelten langsam über ihren Bauch. Verharrten zwischen den leicht gespreizten Schenkeln. Streiften dann ihr kurzes rotes Hemd herunter, griffen wieder in ihr volles, braunes Haar. Berührten sanft ihr Ohr.
Anmutig neigte sie ihren Kopf und tanzte einen imaginären Schleiertanz. Immer schneller drehte sie sich im Kreis. Schneller. Wilder. Sehnsüchtiger. Bald hatte sie alles um sich herum vergessen und ergab sich willig der Musik. Zärtlich und leidenschaftlich. Und ihr Körper, dessen Bewegungen mit den lieblichen Tönen zu verschmelzen schienen, wand sich schlangengleich im Rhythmus der Musik.
Ihr schien, als würde sie zu den im Nebel der Zeit verborgenen Inseln des Glücks tanzen und ein süßes Ziehen erfasste all ihre Sinne.

*

Doch plötzlich erstarrte sie in der Bewegung. An der dem Fenster gegenüberliegenden Wand tanzte ein Schatten, wuchs und wuchs, nahm endlich Gestalt an. Überdimensional, Furcht einflößend. Instinktiv duckte sie sich wie zum Sprung, obwohl sie doch lieber die Flucht ergriffen hätte.
„Erschrick nicht“, sagte da der Schattenmann mit rauer, dunkler Stimme. „Ich bin Seth.“

Seth. Etwa Der Seth? Seth. Wie kommt der in ihr Zimmer. Seth ist doch der böse Gottkönig aus dem altägyptischen Osiris – Mythos, erinnerte sie sich. In diesem Gott zeigen sich sadistische Wesenszüge. Diabolische Heimtücke. Mordlust. Rache. Seth war der Herrscher über Unterägypten. Er hatte einen Bruder. Horus. Dieser herrschte über Oberägypten. Beide waren sie Söhne des Osiris, dem Totengott, und Isis, der Himmelskönigin. Seth tötete seinen Vater, um Horus das Erbe streitig zu machen. Doch er unterlag im Kampf mit Horus und verlor all seine Macht. Nun herrschte Horus über beide Reiche. Horus war der gute Sohn. Seth der böse.

„Doch das war nicht immer so“, sagte Seth, als könne er Gedanken lesen. „Es ist auch überliefert, dass ich als Schutzgott in Eintracht neben Horus gestellt war. Und um diesen zu erhöhen, hat man mich später in die perverse Rolle des Vatermörders gedrängt. Seither trage ich die Maske des Bösen. So wie sie mir die geistliche Überlieferung aufgesetzt hat.“

Seht, der Schattenmann, löste sich langsam von der Wand.
Crysella erschauerte bei seinem Anblick, der sie erschreckte und gleichzeitig anzog.
Seths rote Haare standen zu Berge. Sein bleiches Gesicht glich einer Totenmaske, Augen wie Feuer versanken in ihren. Doch nun verspürte sie kein Fünkchen Angst mehr. Im Gegenteil. Die ganze Erscheinung flößte ihr auf seltsame Art Vertrauen ein.
Langsam kam Seth auf sie zu, umschloss ihren Körper mit seinen langen Armen, flüsterte:
„Ich bin der Herr des Gewittersturms. Der Gott des heißen Südwindes. Der Atem der Esel.“
Sanft zog dieser vielseitige Gott Crysella zu ihrem Bett in die weichen Kissen.
„Fürchte dich nicht“, sagte er leise. „Du wirst Dinge erleben, die nie zuvor einer Sterblichen zuteil wurden.“
„Aber…“, versuchte sich Crysella schwach zu wehren.
„Bleib ruhig liegen“, fuhr Seth fort, „es gibt viel über mich zu berichten.“
Zärtlich glitten Seths Hände über Crysellas erstarrten Körper.
„Ich bin die Personifikation der Wüste“, klärte er sie weiter auf. „Der Schutzgott der Karawanen, der Gott der aus der Wüste kommenden Dürre, Unwetter und Stürme. Als Herrscher über die Randgebiete bin ich Schutzgott der Fremdvölker, der Kraft- und Kampfgott. Mein Attribut ist ein Zepter, das an der Spitze Eselsohren trägt.“
Crysella erzitterte unter Seths erfahrenen Händen, seinen wilden Blicken, den einschmeichelnden Worten. Seiner wahnwitzig erregenden Aura.
„Ja, ich weiß“, fuhr er fort, „ man stellt sich mich immer ungeschlacht und wild vor, mit rotem Haar und weißer Haut.“ Er küsste Crysellas weißen Bauch. „Das bin ich ja auch. Mein Symboltier ist der Hund oder auch der Schakal, der Esel, die Antilope, auch Gazelle, Krokodil, Nilpferd, und sogar das Schwein. Und soll ich dir mal was verraten?“
„Ja. Bitte“, flüsterte Crysella, kaum noch Herrin ihrer Sinne.
Was sollte dieser verrückte Spuk. Es konnte nur ein Spuk sein. Erst Lilith im Spiegel. Dann Seth an der Wand. Nun in ihrem Bett. Sie dachte an Liliths beschwörenden Worte: Schwarze Träume wecken in dir die Glut des Verlangens.
Vielleicht war Seth ja dieser Traum. Und die Götter hatten ihn geschickt, um in ihr die Glut des Verlangens zu wecken. Eine Glut und ein Verlangen, das ihr bisher fremd war.
„Täglich bekämpfe ich vom Bug der Sonnenbarke aus die dämonische Riesenschlange Apophis“, fuhr Seth fort. „ Mit dem falkenköpfigen Horus lebe ich im ständigen Streit. Und ich neide Osiris seine schöne Gestalt.“
„Du bist wunderschön", sagte Crysella. Sie verging fast in Seths langen Fledermausarmen, schmolz dahin in eine unbekannte Welt der Sinne, der verbotenen Lüste. „So wunderschön.“
„Ich repräsentiere die dunkle Seite der Polarität“, raunte Seth. „Die Griechen kennen mich als Typhon, die christlich-koptischen Priester, die mich in Ägypten kennen lernten, identifizierten mich als Satan.“
Seth lachte wild auf, riss Crysella ungestüm auf seinen zuckenden Leib.
„Nach der Bibel bin ich der Stammvater der vorsintflutlichen Sethiten, der nach Kain und den von diesem erschlagenen Abel dritte Sohn Adams und Evas.“
Wild drang er in Crysella.
"Und jetzt kommen wir zur Sache“, lachte er schallend. „Wie ihr Erdenmenschen diese Sache nennt.“

In dieser Nacht vermählte sich Crysella mit Seth, wurde Fleisch von seinem Fleisch, Geist von seinem Geist. Blut von seinem Blut.
„Räche dich“, flüsterte er, während er unwiderruflich Besitz von ihr ergriff, wild, zärtlich, mit dem nie verlöschenden Feuer der Leidenschaft. „Räche dich.“
Lange, sehr lange, tobten sie nackt auf ihrem Bett.
Die altägyptische Gottheit und sie. Die Erdenfrau Crysella.
„Mit mir wirst du Ricardo, diesen erbärmlichen Erdenwurm, vergessen“, flüsterte der Wüstengott rau. Dieser Gott des Chaos. Der Gott des Verderbens. „Räche dich.“

***

Fortsetzung folgt
 
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Kommentare  

hallo, doska, danke dir fürs lesen und kommentieren, auch in kapitel 4. na, mal sehen, was die liebe crysella noch so alles anstellt, wenn der vollmond sein spiel mit ihr treibt.
grüß dich


rosmarin (03.02.2010)

Einerseits ist es recht unheimlich aber auch sehr erotisch, wie sich Seth mit Crysella vereint. Er scheint nichts Gutes mit ihr vorzuhaben. Andererseits war es aber auch sehr interessant Geschichtliches über ihn zu erfahren. Schönes Kapitel.

doska (02.02.2010)

hallo, jochen und ingrid, es werden noch so einige windige götter crysellas leben bereichern.
grüß euch


rosmarin (29.01.2010)

Und nun hat auch noch der ägyptische Gott Seth die arme verwirrte Crysella besucht und so Einiges mit ihr angestellt. Schönes sinnliches Kapitel. Na, wenn das mal gut geht. Ich fürchte nicht.

Jochen (29.01.2010)

ach, ich liebe es, wenn götter von einem besitz ergreifen, vor allem in einer so leidenschaftlichen art.
bin gespannt, wie's weitergeht mit seth - und mit ricardo.
lieben gruß und schönen abend noch!


Ingrid Alias I (29.01.2010)

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