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3 Seiten

"Irgendwann werden wir fortgehen"

Trauriges · Kurzgeschichten
-Winter-

"Irgendwann werden wir fortgehen."
Wie oft habe ich diesen Satz gehört, wenn wir beieinander saßen und den Ausbruch planten, der uns endlich ein besseres Leben ermöglichen sollte.
Weg von den Sprüchen und Schikanen, von den Leuten und den Schlägen, die einem das Gefühl gaben, wertlos und verachtet zu sein.
"Du hast hier nichts verloren!" hieß es das eine Mal, "Verpiss dich oder es setzt was!" ein anderes.
Eines Tages würden Donny, Gavin und ich all das hinter uns lassen. Das wusste ich.
Jeder musste unsere Angst bemerkt haben. Angst vor Bloßstellung, Angst vor Isolierung, Angst vor Prügeln. Wir hatten vor allem eine scheiß Angst!
Anfangs gab es nur Beleidigungen und hin und wieder blaue Flecken. Später kamen Prellungen hinzu, dann Tritte, dann Brüche.
Wenn man in die Mangel genommen wurde, hieß es Zähne zusammenbeißen, Augen schließen und warten. Irgendwann würden sie schon aufhören, sie würden müde werden oder sich jemand anderen suchen. Und wenn sie nicht aufhörten, mussten wir eben durchhalten. Durchhalten, bis die Augen versagten, alles schwarz wurde und hoffen, dass man sie wieder öffnen würde.
Mit jedem Tag fiel es uns schwerer, die pochenden Schmerzen in der Vorstellung einer rettenden Flucht zu ertränken.

-Frühling -

Es wurde schlimmer: Sie richteten Donny so arg zu, dass er mit zwei Schnittwunden und einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus kam(er log zu der Ursache seiner Verletzungen, das konnte er schon immer sehr gut). Er wurde nachts überfallen. Sie bedrohten ihn nicht mit dem Messer, um ihn zu erpressen. Sie wollten seine Angst. Seine Panik.
Ich habe nicht gewagt ihn zu besuchen, aber ich habe gehofft, dass er es schaffen und mich dann zu sich zurückholen würde.
Allmählich glaubte ich sogar, sie zu verstehen. Wie sie uns hetzten. Tieren gleich, die schwächere Tiere jagten.
Wenn sie uns verfolgten, rannten wir und wenn sie uns umzingelt hatten, kauerten wir uns zusammen.
Sogar in solchen Augenblicken, in denen wir hätten zeigen können, dass wir keine nutzlosen Versager sind, heulten wir anstatt unseren Mann zu stehen.
Ich erinnere mich nur zu gut daran, wie ich unter schallendem Gelächter niedergeschlagen wurde und einfach liegen blieb, während sie Gavin weiter verdroschen. Wie ein Kleinkind schrie ich seinen Namen und sie lachten mich aus: "Gavin! Wer zum Teufel ist Gavin?!" oder "Flennst du jetzt auch noch 'Gavin' an?" Es muss ein jämmerliches Bild gewesen sein. Die Starken werden gefürchtet und begehrt, die Schwachen (das waren wir) in ruhigen Stunden bemitleidet, wenig später fortgeschickt und wieder ein wenig später erneut verdroschen.
Es gab Zeiten, da haben wir uns die Schläge gewünscht. Schließlich braucht niemand auf der Welt Versager und, wenn es entwürdigende Worte von Seelenklempnern schon nicht vermochten, vielleicht konnten die Fäuste zumindest einen Teil des verdammten Elends aus uns herausprügeln.

-Sommer-

Irgendwann wollte ich nicht mehr ausbrechen.
Es war die Woche um den 3. Juli, in der Donny sich umgebracht hat. Für mich wäre ein Selbstmord niemals in Frage gekommen. Schließlich war das etwas für Schwächlinge.
Er hatte zuvor versucht, irgendwie aus der ganzen Scheiße rauszukommen: Stundenlange Gespräche mit selbsternannten Menschenkennern, nutzloses Geschwafel mit den wenigen Bekannten, die er hatte.
Aber Donny war kein Mensch, der sich aus der Scheiße ziehen konnte. Die Starken können das. Die Lernfähigen auch.
Donny gehörte zu den Schwachen. Zu ihnen gehörte er.
In diesem Sommer war ich froh, ihn nicht besucht zu haben.
Wer weiß, was sonst aus mir geworden wäre. Möglicherweise auch so ein Pflegefall.
Und Gavin? Niemand brauchte Gavin. Und ich am allerwenigsten. Das sagten sie auch.
Ihnen ist der Ausbruch nicht gelungen, mit welchem Recht wollten sie auch gehen?

-Herbst-

Ich wohne in einer anderen Stadt, aber ich bin nicht geflohen. Ich bin kein Feigling.
Ich hatte keine Wahl. Irgendeiner Juristerei verdanke ich den neuen Wohnsitz. Denken Sie nicht, dass ich zum Verbrecher geworden bin, da lägen Sie falsch. Feiglinge werden zu Verbrechern.
Man kann es halten, wie man will: Vielleicht hatte ich Glück, vielleicht Pech, dass ich noch lebe. So oder so, verdanke ich es Gavin und Donny, sagt eine gewisse Psychologin mir Woche um Woche.
Trotzdem weiß ich heute, dass es stimmt, was meine Mutter zu der Zeit gesagt hat: Ich brauchte sie zum Flennen und Jammern. Eigentlich brauchte ich sie gar nicht und Gavin am allerwenigsten. Mit vierzehn Jahren hatte ich Donny und Gavin nur, um mich bei ihnen auszuheulen. Was ein widerlich unnützes Balg ich gewesen bin.
"'Irgendwann werden wir fortgehen', diesen Satz haben sie oft gehört nicht wahr?" sie fragt mich das und ich muss mir von der Frau Psychologin eine Phrase über Integrierung nach der anderen anhören. Integrierung sei notwendig, um mir zu helfen. Aber jedes Mal überlege ich nur, ob ich ihr die Wahrheit sagen, die Augen öffnen soll: Dass sie eine verdammte Hure ist, will ich ihr sagen. Donny und Gavin waren Feiglinge. Sie sind auf der Intensivstation krepiert, die elenden Versager. Ich bin kein Versager, heute nicht mehr! Wenn sie von "uns" spricht verkrampft sich etwas in mir, ich will nicht, dass sie das tut. Sie soll von ihnen reden, was habe ich denn mit ihnen zu tun? Ich weiß noch nicht einmal, was sie mit Integrierung meint!
"Donny und Gavin, was für bescheurte Namen!" fluche ich in mich hinein "Wer denkt sich denn sowas aus?!".
Vor ihrer Antwort lächelt sie kurz, ein wenig mitleidig und mir wird schlecht.
 
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Kommentare  

Ich denke, dass du ganz bewusst die Verhältnisse und Lebensumstände deiner Protas nicht genauer beschrieben hast, um eine Geschichte zu haben, die als Beispiel dafür gelten könnte, wie Minderheiten oftmals Jugendliche behandelt werden, die in einem fremden Land leben müssen. Du lässt uns tief in die Seele dieser jungen Menschen blicken, zeigst auf, wie sie trotz aller Demütigungen unbedingt "stark" sein wollen. Der einzige rettende Gedanke ist für sie "irgenwann fortzugehen" aber er hilft ihnen nicht.
Sehr erschütternd. Eine kleine große Story mit einem gewaltigen Appell für mehr Nächstenliebe.


doska (24.06.2010)

Hallo Benjamin,
geschrieben ist das ganze tatsächlich gut, allerdings hat Rosmarin Recht. Man kommt nicht so wirklich dahinter, von was dein Protagonist nun eigentlich spricht. Woher kommt er, warum werden er und seine Freunde(?) geschlagen, wer sind Donny und Gavin?
Ich persönlich musste da ja eher an Straßenkindern, vieleicht auch an einen Slum oder ein Elendsviertel denken.
Ich meine, wenn du am Schluß eine kleine Auflösung schreibst, dann begreift man den ganzen Text viel besser.

Mit lieben Sonntagsgrüßen


Tis-Anariel (13.06.2010)

hallo, benjamin, der text ist gut geschrieben. inhaltlich aber ist er nicht ganz klar. wurden die kinder von den eltern misshandelt, der mutter oder von anderen. sind donny und gavin die geschwister deines prot? warum wurden sie geschlagen? ich kann mir ja jetzt vieles zusammen reimen, aber das ist nicht der sinn einer kurzgeschichte. ich erkenne hier keine entsprechende struktur. oder soll es nur so ein text sein. und keine geschichte? dann wäre der text eher unter experimentielles einzuordnen.
grüß dich


rosmarin (12.06.2010)

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