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9 Seiten

Keine Zeit für einen Job

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
© Tintentod
Rick hatte den Job als Fahrradkurier genau einen Tag lang. Von Anfang an hatte er gewusst, dass ein Job keine gute Idee sein konnte. Aber schließlich hatte er sich auch nicht darum gerissen. Sophie, seine Dauerfreundin, die er nicht los wurde, egal, was er anstellte und Dom, ein guter Freund, der sich benahm, als sei er sein Ersatzvater, hatten es gemeinsam ausgeheckt. Er wusste genau, wie es gelaufen war. Sie hatten sich bei einem Kaffee zusammengesetzt und überlegt, welche Jobs überhaupt für ihn infrage kamen. Die Auswahl konnte nicht sehr groß gewesen sein.
Rick war nicht faul, er war den ganzen Tag unterwegs, traf sich mit Freunden, versuchte den Jungs aus dem Weg zu gehen, denen er noch Geld schuldete und es nicht zurückzahlen konnte, vermied es, den Cops auf die Nerven zu gehen. Hauptsächlich war er den ganzen Tag und die halbe Nacht damit beschäftigt, für die vielen kleinen interessanten und aufregenden Dinge, die ihm in den Sinn kamen, nicht eingebuchtet zu werden. Und er sah es nicht ein, für Geld arbeiten zu gehen.
Rick war achtundzwanzig, groß, schlaksig, sein Haar entweder zu lang oder zu kurz, denn wenn Sophie ihm sagte, er sähe schon wieder aus wie eines der Tiere aus der Muppet Show, nahm er den Rasierer und kümmerte sich selbst darum. Vor einem halben Jahr war er bei ihr eingezogen, sie hatte eine kleine Wohnung in einem roten Backsteinhaus in Brooklyn, eine ehemals schlechte und quasi über-Nacht-trendy Wohngegend. Brooklyn war nicht die Ecke, die er sich ausgesucht hätte, aber es war nicht die schlechteste Lösung, wenn er ständig in New Jersey und New York unterwegs war.
Er war am Morgen um halb vier nach Hause gekommen (noch immer betrunken) und hatte einen Song von Bruce Springsteen gesungen, weil er vergessen hatte, wie spät es war. Sophie stellte sich schlafend und reagierte erst, als er zu ihr ins Bett kroch und da erst versuchte, leise zu sein.
„Wo hast du gesteckt?“ fragte sie. Ihr Wecker hatte ihr verraten, dass sie noch etwa zwei Stunden schlafen konnte, bevor ihr Tag begann. Was waren schon zwei Stunden Schlaf, wenn sie Spaß mit Rick haben konnte.
„Ich war mit den Jungs unterwegs“, sagte er so leise, dass sie erraten musste, was er sagte. Sie drehte sich zu ihm herum und schlug ihm die flache Hand auf den Kopf.
„Ich bin wach“, sagte sie, „danke. Du bist wie ein Elefant hereingepoltert und hast Atlantic City gesungen, also versuch jetzt nicht, Rücksicht zu nehmen.“
Wenn er mit den Jungs unterwegs war, hieß das, er war mit Mascot und Hollis unterwegs gewesen. Mascot würde ihr ewig unheimlich bleiben, weil er immer mehr zu wissen schien, als er jemals von sich geben würde, außerdem sprach er nur spanisch, und Hollis war ein rothaariger Blödmann, dem es im Traum nicht einfallen würde, Rick die dummen Ideen auszureden.
Wer war auf die Idee gekommen, einen Schrottplatz in New Jersey aufzuziehen, um dort geklaute Autos zu zerlegen und die Ersatzteile zu verkaufen? Rick und Mascot hatten es sich einfallen lassen und Hollis war sofort Feuer und Flamme gewesen. Fünf Monate später wären sie alle deswegen im Bau gelandet, wenn sie nicht vor der Razzia gewarnt worden wären.
„Wir waren nur einen trinken und haben über die alten Zeiten geredet“, sagte Rick. Er lag neben ihr, den Kopf in die Handfläche gestützt, den Ellenbogen ins Kissen gedrückt. Seine freie Hand wanderte unter der Decke zu ihr hinüber und Sophie klemmte sie zwischen ihren Oberschenkeln ein.
„Du wolltest dich mit Dom treffen, hast du das vergessen?“
„Er war nicht da.“
„Ich hab mit ihm telefoniert, er hat den ganzen Morgen auf dich gewartet.“
„Na, dann fahr ich morgen zu ihm.“

„Er braucht einen Job“, hatte Dom gemeint, „er hat sein Leben lang noch keinen Tag gearbeitet, er lungert herum, dreht krumme Dinger und irgendwann wird es ein böses Ende mit ihm nehmen.“
Sophie hatte ihm zugestimmt, aber sie hatte zu dem Zeitpunkt noch nicht gewusst, wie sie Rick zu einem Job überreden sollte. Sie konnte mit den üblichen Argumenten nicht kommen.
Du musst Geld verdienen. – Wozu? Ich hab Geld. – Du brauchst einen geregelten Tagesablauf. – Bei mir ist alles geregelt, glaub mir. – Du musst endlich erwachsen werden. – Was soll das denn? Soll ich vielleicht zwei Meter fünfzig groß werden?
Rick dachte, er solle sich mit Dom treffen, um etwas für ihn zu erledigen, was er ab und zu für ein Taschengeld tat, als kleine Gegenleistung, weil Dom diverse Kautionen für ihn bezahlte. Hätte er etwas anderes vermutet, wäre er nicht zu ihm gefahren.

Rick schlief ein, seine Hand noch immer zwischen ihren Schenkeln, er träumte von der Zeit, die er mit Mascot in New Mexico verbracht hatte. Sie waren viel herumgekommen. Sie mochten es, unterwegs zu sein und einfach der Straße zu folgen. Gemeinsam hatten sie Tausende von Meilen auf den Wüstenstraßen verbracht, hatten im Wagen geschlafen und die Kojoten heulen gehört.
Als er sich reichlich müde und mit einem ausgewachsenen Kater mit Dom traf, bekam er genau das zu hören. Du bist doch gerne unterwegs, lässt dir den Wind um die Nase wehen. Ich hab dich noch nie lange auf einem Stuhl sitzen sehen, außer, es gibt was zu saufen, also haben Sophie und ich uns etwas einfallen lassen. Wir haben dir einen Job besorgt, der zu dir passt. Ich weiß, dass du Fahrradfahren kannst und dich in New York auskennst wie kein Zweiter, deshalb fährst du direkt rüber zu meinem alten Freund Barney und stellst dich dort vor. Er hat einen Job als Kurierfahrer für dich. Ist das was? Du fährst den ganzen Tag durch die Gegend und bekommst noch Geld dafür.
Als Rick ihm den Finger zeigte und meinte, er bräuchte einen – DIESEN - Job so dringend wie ein Loch im Kopf, sagte Dom: „Sophie wird dich rausschmeißen, wenn du den Job nicht annimmst und ich werde dir das nächste Mal nicht helfen, wenn du dich wieder in die Scheiße geritten hast. Aber es ist natürlich deine Entscheidung.“
Rick brauchte eine Stunde, um sich die Sache zu überlegen. Er versuchte, Mascot aufzutreiben, um ihm davon zu erzählen, aber der war irgendwo untergetaucht und Hollis war noch nicht aus dem Alkohol-Koma erwacht. Er saß allein in dem irischen Pub in der Bowery, ließ es dich durch den Kopf gehen, und dabei half ihm ein Pint Guinness.
„Ich kann’s ja mal versuchen“, sagte er zum Barkeeper, der keine Ahnung hatte, was er meinte, aber aufmunternd nickte.

Barney, der Boss des Kurier-Services „RoadRunner“, zeigte sich positiv überrascht, als Rick morgens um sieben bei ihm im Büro auftauchte. Die meisten Kuriere waren schon mit den ersten Aufträgen unterwegs und Rick hatte sich in der Zentrale kurz umgesehen, bevor er an die Tür mit der Aufschrift „BÜRO“ geklopft hatte.
„Überpünktlich“, sagte Barney mit einem Blick auf die riesige Uhr an der gegenüberliegenden Wand, „ein guter Anfang. War’s schwierig, so früh aufzustehen?“
Rick kratzte sich das unrasierte Kinn und suchte nach einer Antwort, die Barney zufriedenstellen würde. Die Wahrheit war, dass er noch gar nicht im Bett gewesen war. Während des kurzen Gesprächs kam heraus, dass Barney bereits über ihn Bescheid wusste. Dom musste aus dem Nähkästchen geplaudert haben.
„Du bekommst Freitag nach der letzten Fahrt deinen Scheck“, sagte Barney, „solltest du die Tasche verlieren oder das Rad demolieren, ziehen wir es von deinem Lohn ab. Sollte sich ein Kunde über dich beschweren, weil du unverschämt oder unpünktlich warst, wird das ebenso abgezogen. Dom sagt, du kennst dich in der Stadt aus. Ich stelle Typen wie dich normalerweise nicht ein, aber ich war ihm noch einen Gefallen schuldig.“
„Dom sammelt Gefallen wie andere Leute Briefmarken“, sagte Rick.
Nach der Einweisung sagte er, dass er das Grundprinzip verstanden habe. Er tauchte morgens in der Frühe in der Zentrale auf, holte die ersten Aufträge ab, bekam ein Clipboard mit Lieferadressen und Uhrzeiten und die Päckchen, alles mit fortlaufenden Nummern versehen. Das war einfach. Außerdem wurde er darauf hingewiesen, das Funkgerät immer eingeschaltet zu lassen, weil er immer wieder zwischendurch neue Aufträge abholen und ausliefern musste. War alles für den Tag ausgeliefert, brachte er das Rad, den Helm, die knallrote Plastiktasche und das Funkgerät zurück in die Zentrale und hatte Feierabend.
„Du bekommst für heute erst einmal zwei Aufträge“, sagte Barney, „zum Eingewöhnen. Die erste Lieferung muss nach Downtown und muss bis neun dreißig da sein. Das andere Paket ist für eine Fotoagentur direkt um die Ecke. Schnapp dir das Rad und mach dich auf den Weg.“
Es war ewig her, dass Rick auf einem Fahrrad gesessen hatte, aber es war kein großer Unterschied zu einem Motorrad, bis auf die Tatsache, dass es anstrengend war. Zur Fotoagentur fuhr er auf dem Bürgersteig, bis er sich sicher genug fühlte und sich in den Straßenverkehr wagte.
„Roadrunner“, rief er in die Sprechanlage des Bürohauses und wurde eingelassen. Am Empfang knallte er den wattierten Umschlag auf die Theke und war schon fast wieder zur Tür raus, als die Sekretärin ihm nachrief: „Hey, ich muss noch den Empfang quittieren.“

Vor der Tür überlegte er, welche Route er nehmen sollte. Mit dem Rad konnte er Einbahnstraßen in beide Richtungen benutzen, also musste er umdenken. Er konnte sogar versuchen, das Rad mit in die U-Bahn zu nehmen, um sich den Weg abzukürzen. Bis neun dreißig hatte er noch massig Zeit, deshalb rauchte er sich erst einmal eine Zigarette und holte sich einen Kaffee, den er in aller Ruhe trank. Das Rad und die Tasche hatte er gegenüber dem Laden abgestellt und hätte beides beinahe vergessen, als er sich wieder auf den Weg machte. Er kam nicht weit. An der übernächsten Straßenecke traf er auf einen alten Kumpel, der ihn ungläubig anstarrte. Rick lenkte das Rad zwischen zwei parkende Autos, schrammte dabei mit einer Pedale an der Stoßstange entlang.
„Ich glaub’s nicht“, rief Mickey, „ich glaub wirklich nicht, was ich da sehe.“
„Halt’s Maul, Froschgesicht.“ Alle nannten ihn Froschgesicht und niemand behandelte ihn sehr freundlich, aber das war er gewöhnt. Vermutlich bemerkte er es nicht einmal. Rick zeigte mit dem ausgestreckten Zeigefinger in seine Richtung.
„Das war nicht meine Idee“, sagte er, senkte etwas die Stimme, und tat geheimnisvoll. „Ich fahre den Stoff für José durch die Stadt. Das ist die beste Tarnung überhaupt, oder was meinst du?“
„Damit will ich nichts zu tun haben“, sagte Mickey. Er wusste von Ricks Freundschaft zu José, der im großen Stil mit Drogen handelte, und diese Sache war ihm zu heiß. Er steckte die Hände in die Jackentaschen, drehte auf dem Absatz und verschwand in der Menschenmenge. Rick fuhr weiter, geriet in die Spur eines anfahrenden Taxis und wurde wüst beschimpft, hielt dem Fahrer nur den Mittelfinger entgegen und fuhr weiter.
Sein Handy klingelte. Hollis kam immer sofort zur Sache, er fragte, ob Rick wach genug sei, um ihm zuzuhören und ohne auf eine Antwort zu warten, legte er los. Im Hintergrund hörte Rick Geräusche von elektronischen Ballerspielen und er wusste, wo sein Kumpel steckte.
„Tipp der Woche“, sagte Hollis, „wenn du einen Wagen besorgst, zwei Riesen auftreibst und mich in einer Stunde in der Hölle abholst, sind wir rechtzeitig in Atlantic City.“ Er machte ein schlürfendes Geräusch. Das Geräusch seines flüssigen Frühstücks. „Was sagst du, bist du dabei?“
„Was ist mit Mascot?“ Rick hatte vor einer roten Ampel angehalten, war vom Rad gestiegen und schob es von der Straße. Während er mit Hollis telefonierte, holte er sich von einem Straßenverkäufer die letzte Ausgabe der Rennzeitung, steckte sie in die Tasche zu dem Päckchen Dokumente, was er noch ausliefern musste. Bis neun dreißig war noch massig Zeit.
„Er hat bereits seine zwei Riesen zusammen und wartet im Pub.“
„Ich bin unterwegs zur River Terrace, hab da was zu erledigen. Danach komm ich dich abholen. Oh, und wenn du Mickey triffst, hör nicht auf das, was er sagt.“
„Zwei Riesen“, wiederholte Hollis und kappte die Verbindung.
José würde ihm die zwei Riesen leihen, aber dazu musste er durch die halbe Stadt zurück zur 175. Straße, und wenn José ihn mit der Fahrradkuriertasche sah, würde er vielleicht wirklich auf die hirnrissige Idee kommen, ihn als Kurier zu benutzen. Als kleine Gegenleistung für die zwei Riesen. Lieber fuhr er in die Bowery zurück und versuchte dort sein Glück. Er war kaum unterwegs, seine Waden schmerzten bereits von der ungewohnten Bewegung, als das Funkgerät in der Brusttasche seiner Jacke knisterte und eine laute Stimme nach ihm brüllte. Er hatte das Ding vergessen und fiel vor Schreck fast vom Rad. Er überquerte gerade eine der Straßen, in deren Asphalt noch die uralten Schienen eingelassen waren. Um ihn herum waren alle auf dem Weg ins Büro, Schlipsmänner und Frauen in Kostümen.
Eine hektische weibliche Stimme wollte von ihm wissen, wo er sei und weshalb er das Paket nach Downtown noch nicht ausgeliefert habe. Rick drückte wahllos an dem Funkgerät herum und sagte, er sei auf dem Weg und würde sich danach melden.
„Außerdem hab ich bis halb zehn Zeit“, setzte er hinzu und schaltete das Funkgerät aus.
Er gönnte sich eine Zigarette, zog den drückenden Helm aus und hängte ihn an den Lenker, studierte dabei die Rennzeitung und wurde von einem uniformierten Cop unterbrochen, der wissen wollte, was er hier mitten auf dem Fußweg mache. Sie kannten sich.
Lt. Laurenson hatte genug Erfahrung mit Ricks seltsamen Ideen, dass er sich über die Tasche und das Rad nicht wunderte. Er trat ihm nur gerne in den Hintern, wenn er ihm begegnete. In den Jahren hatte er ihn bereits mehrfach nur auf Verdacht festgenommen und einlochen lassen, was Rick ihm nicht wirklich übel nahm, er sich aber wegen Laurenson’s diversen Drohungen ernsthaft Sorgen machte. Mascot meinte, er sei total verrückt und sie sollten ihm aus dem Weg gehen, aber das war nicht so einfach.
„Hast du ‘ne Wette verloren, Scanlon?” fragte Laurenson, begutachtete die Kuriertasche. Er war ein großer massiger Kerl mit dem Gesicht einer Bulldogge. Sie alle wünschten, er würde ein schlimmes Ende nehmen und das möglichst bald.
„Ich spring nur für ‘nen Freund ein“, sagte Rick.
„Du hast Freunde, die arbeiten?”
Rick lag die passende Antwort auf der Zunge, aber er sprach es nicht aus. Machte Laurenson eine (für ihn) komische Bemerkung, sollte man nicht darauf reinfallen und noch eines draufsetzen. Das ging immer nach hinten los. Und besonders heute schien Laurenson es darauf angelegt zu haben, ihn sich richtig zur Brust zu nehmen, er zog Rick am Kragen der Jeansjacke zur Hauswand und ließ ihn mit der Schulter und dem Schädel dagegenschlagen. Das war für gewöhnlich erst der Anfang, aber diesmal wurde er von dem plärrenden Radio seines Dienstwagens unterbrochen, der direkt an der Straße geparkt war. Er schüttelte Rick noch einmal, starrte ihm ins Gesicht und meinte, das nächste Mal würde er nicht so einfach davonkommen, ließ ihn los und drehte sich weg. Rick war bereits auf dem Rad verschwunden, noch bevor er sich in seinen Wagen gesetzt hatte.
Rick fuhr zurück Richtung Bowery, weil er noch immer plante, sich mit Mascot zu treffen und außerdem musste er ihn warnen, dass Laurenson mal wieder schlecht drauf war. Er rief Hollis über Handy an und sagte es ihm, aber Mascot konnte er so nicht erreichen, denn der weigerte sich, mit diesen Dingern zu telefonieren.
„Nee“, sagte Rick, „ich bin nicht unterwegs zur Hölle und ich hab auch noch keinen Wagen besorgt. Stell dich nicht so an, ich werde schon rechtzeitig da sein.“
Er brauchte eine Zigarette und ein Bier, um die Begegnung mit Laurenson zu verdauen, wurde vor dem Laden, aus dem er mit einer Sechserpackung Bier herauskam, von einem Hütchenspieler genötigt, bei ihm stehen zu bleiben und sein Glück zu versuchen. Der kleine Trickbetrüger hatte nur die Kuriertasche gesehen und vermutlich geglaubt, er habe ein leichtes Spiel. Einer der Jungs, die gelangweilt danebenstanden, versuchten ihn vergeblich zu warnen, aber er ignorierte ihn. Rick grinste und legte zwei Scheine auf das Brett. Zwei Minuten später zog er mit zehn Dollar weiter und grinste noch immer. Natürlich kannte er den Trick.
Er hatte kaum Zeit, in aller Ruhe sein Bier zu trinken, das Rad lag zwischen schwarzen Mülltüten, die sich hier an jeder Straßenecke sammelten, und wieder klingelte sein Handy. Es war Barney, der fuchsteufelswild war, weil Rick sich nicht über Funk meldete.
„Ich stecke in einem Funkloch“, schrie Rick in sein Handy und schaltete es aus. Er kippte die Dose Bier runter, steckte die Restlichen in die Kuriertasche und sammelte sein Rad auf. Ein Blick auf die Uhr – es war kurz vor zwölf.
Als er im Irish Pub in der Bowery endlich ankam, war Mascot schon wieder verschwunden und er hatte auch keine Nachricht hinterlassen, wo er zu finden sei. Dafür stand Mickey an einem der Billardtische und sah misstrauisch zu ihm hinüber. Rick nahm sich eine Handvoll Erdnüsse, die immer auf der Theke standen, und überlegte, ob er das Rad im Pub lassen und das Päckchen einfach mit der U-Bahn ausliefern sollte. Er hatte bis neun dreißig zwar immer noch massig Zeit, aber vielleicht war es besser, das Ding loszuwerden und sich den wichtigen Aufgaben zu widmen. Er musste noch einen Wagen besorgen, Hollis abholen und versuchen, Mascot aufzutreiben. Es gab eintausend verschiedene Plätze, an denen er sich herumtreiben mochte. Die zwei Riesen konnte er vielleicht nicht auftreiben, aber die Tipps, die Hollis bekam, waren auch nie die Besten und vermutlich würde die Wette sowieso in die Hose gehen.
„Mascot sagte, ihr wollt rüber nach Atlantic City“, rief Mickey vom Billardtisch und Rick rief zurück: „Glaub ja nicht, dass wir dich mitnehmen.“ Zum Barkeeper gewandt sagte er: „Kann ich das Rad hier lassen?“
Er nahm die U-Bahn nach Downtown, fand endlich die richtige Adresse, bei der er das zweite Päckchen ausliefern sollte. Als er an dem Empfang die Tasche auspackte, die Rennzeitung, das Bier und endlich das Päckchen zum Vorschein kamen, sagte die Empfangsdame überhaupt nichts, aber ihr Boss dafür umso mehr. Er schrie Rick an, wo er die ganze Zeit gesteckt habe, die Unterlagen seien für neun dreißig versprochen gewesen, daran hinge ein ganzes Projekt und wer für den entstandenen Schaden aufkommen würde. Rick hob die Schultern in einer bedauernden Geste, packte seine Sachen wieder ein und sagte auf den letzten Metern zur Tür: „Ach, mit neun dreißig war neun dreißig morgens gemeint? Hätte mir das einer gesagt.“
Vor der Tür knackte er sich die nächste Dose Bier, notierte sich die vielversprechenden Pferde in der Rennzeitung und steckte die Kuriertasche mit Clipbord und Funkgerät in den nächsten Abfalleimer. In einer Nebenstraße knackte er einen blauen Oldsmobile, fuhr zur Spielhölle, wo Hollis bereits auf ihn wartete und dann machten sie sich auf die Suche nach Mascot, der irgendwo in der Lexington verschwunden war. Sie kamen nachts aus Atlantic City zurück, Hollis warf mit dem Geld, was er gewonnen hatte, nur so um sich, Rick hatte ein blaues Auge, weil er sich mit dem Falschen angelegt hatte und Mascot schlief auf dem Rücksitz des Oldsmobiles, und der Barkeeper rief ihnen entgegen, dass Mickey mit dem Rad abgehauen sei.
Als Dom ihn am nächsten Tag zur Rede stellte und wissen wollte, wie so ein einfacher Job so dermaßen in die Hose gehen konnte, sagte er nur: „Ich hab einfach keine Zeit für einen Job.“


+++ Ich habe Rick für eine kleine Spontan-Schreib-Aktion ins Jahr 2010 versetzt und Mascot ins Leben zurückgeholt. Bleibt allerdings eine einmalige Angelegenheit. Rick gehört einfach in die 80er, ohne Internet, ohne Handys, ohne Airbags. ++++
 
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Kommentare  

Irgendwie ergreifend und witzig zugleich und typisch.... Rick ist ja ein solcher Sturkopf !!! Tolle Story.

Petra (23.08.2010)

Ich schließe mich an. Authentisch, darum eigentlich tragisch. Rick ist eben unverbesserlich, sowohl damals, als auch in die heutige Zeit versetzt. Ich liebe deinen Humor.

doska (22.08.2010)

Oh Gott, richtig schlimm ist das ja mit dem "armen" Rick. Aber du hast es klar erfasst, sehr echt, spannend und lebhaft beschrieben. Brillanter Schreibstil, sehr gelungen und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

Jochen (18.08.2010)

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