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6 Seiten

Die Notkapsel 2/3

Romane/Serien · Spannendes · Experimentelles
Hudsen schaute nach, wie weit sie noch von dem Planeten entfernt waren. Noch etwa eineinhalb Stunden. Er gab dies durch die Sprechanlage durch und vernahm von hinten ein Raunen der Erleichterung. Keiner der Passagiere wusste, in welch misslicher Lage sie sich tatsächlich befanden und wie sehr es auf der Kippe stand, ob sie es überhaupt schaffen würden. Denn die letzten Daten, die er von seinem Mechaniker erhalten hatte, stimmten ihn alles andere als zuversichtlich. Dies würde eine äußerst knappe Angelegenheit werden.
Das Schiff rumpelte ein weiteres Mal heftig, als River gerade wieder von seinen aktuellen Berechnungen in das Cockpit zurückkam. Vielleicht gab es ja diesmal endlich ein paar gute Nachrichten, dachte Hudsen bei sich, als er seinen Mechaniker bemerkt hatte. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Er sah sich den Treibstoffverbrauch noch mal an. Es sah nicht gut aus. Sie mussten einfach irgendetwas unternehmen. „Na, wie sieht es aus?“, fragte Hudsen seinen Mechaniker.
River schwitze. Er war alle Daten wieder und wieder durchgegangen, hatte alles wieder und wieder berechnet, sich den Systemverbrauch wieder und wieder angeschaut, jedoch nur sehr geringe Möglichkeiten gefunden, mehr Energie einzusparen. „Nicht sehr gut. Wir werden die Kapsel mithilfe der derzeitigen Energie in den Batterien in einer Atmosphäre maximal sieben Minuten in der Luft halten können.“
„Sieben Minuten? Wow, so etwas habe ich auf der Akademie niemals trainieren müssen. Das wird eine Herausforderung werden.“ Hudsen versuchte damit, sich selbst aber auch River ein wenig lockerer zu machen. Selbstverständlich war ihm das Ausmaß ihrer schwierigen Lage völlig klar. Aber was brachte es, Panik zu machen? Nichts. Absolut nichts.
„Könnten wir denn nicht den Antrieb jetzt schon auf die Batterien umschalten, und den Treibstoff dann für später in der Atmosphäre aufheben?“, wollte Hudsen nun von seinem Mechaniker wissen, auch wenn er sich sicher war, dass dieser diese Option gedanklich schon durchgespielt und längstens wieder verworfen hatte.
„Geht leider nicht. Zwar würde die Energie in den Batterien in der Schwerelosigkeit tatsächlich viel länger halten, als in einer Atmosphäre. Aber ausreichen würde auch diese Option nicht. Und außerdem: die Energie in den Batterien hält auch das Lebenserhaltungssystem aufrecht. Verbrauchen wir diese Energie komplett durch den Antrieb, hat keiner von uns eine Überlebenschance. Die Batterieenergie muss weiterhin die allerletzte Option bleiben.“
Hudsen räusperte sich. „Ich verstehe. Aber hören Sie, River, ich möchte, dass Sie sich hinsetzen und einen Notfallplan ausarbeiten. Spielen Sie selbst Möglichkeiten durch, die Sie eigentlich niemals in Erwägung ziehen würden. Sollte es zum Äußersten kommen, dann möchte ich dennoch Handlungsoptionen zur Verfügung haben, die uns wenigstens vielleicht teilweise retten könnten.“ Er schaute seinem Mechaniker direkt in die Augen. „Haben Sie verstanden?“ Rivers Schweiß tropfte auf den Boden des Cockpits. Er sah sehr müde aus. Dann nickte er zaghaft, drehte sich wieder um, und ging zurück in seinen Bereich im hinteren Teil der Notkapsel, wo er die Daten ein weiteres Mal durchcheckte.

Kurz bevor sie den Planeten erreicht hatten, kam River wieder ins Cockpit zurück und fragte den Kapitän, wie es aussah.
„Noch fünfzehn Minuten bis zum Eintritt in die Atmosphäre.“ Er nahm das Mikrofon in seine Hand, gab diese Information auch an die Passagiere weiter und bat diese eindringlich darum, sich anzuschnallen und nun keines Falls mehr aufzustehen.
„Treibstoff?“
„Höchstens zehn Minuten, dann ist er alle“, antwortete der Kapitän verbittert. „Haben Sie einen Notfallplan ausgearbeitet?“
„Ja, habe ich“, antwortete River.
„Und?“
„Nun, ganz einfach: wir werden eine Minute, bevor die Batterien vom Antrieb leer gesaugt worden sind, das Lebenserhaltungssystem abschalten und alle restliche Energie in den Antrieb pumpen. Bis die Situation in der Kabine kritisch werden wird, werden wir etwa fünfzehn Minuten Zeit haben. Und genau so lange wird auch der Antrieb weiter von den Batterien gespeist werden können.“
„Das heißt, dass wir nach dem Ausfall des Treibstoffantriebs weitere fünfzehn Minuten haben werden.“
„Theoretisch, ja.“
Der Kapitän holte einmal tief Luft. Dann schaute er seinem Mechaniker in die Augen, nickte ihm einmal kurz zu und sagte ihm anschließend: „Gut gemacht. Wir werden nun eine echte Chance haben. Das allerletzte Stück versuche ich dann im Gleitflug zu meistern. Ich hoffe, dass der Planet da unten einigermaßen gut für eine Notlandung geeignet ist.“ Er widmete sich wieder seinen Aufgaben als Pilot. „Sie wissen ja nun, was zu tun ist“, sagte er während dessen ohne aufzublicken zu seinem Mechaniker. „Bereiten Sie alles nötige dafür vor.“
Nach weiteren fünf Minuten gab der Kapitän den Passagieren bekannt, dass sie nun in die Atmosphäre eintreten würden. Er hörte jubelnde Menschen hinter sich. Noch gab es aber absolut keinen Grund zum Jubeln.
Flammen schlugen plötzlich links und rechts an der Spitze der Notkapsel vorbei. Das kleine Raumschiff fing heftig zu vibrieren an. Es war ein ohrenbetäubender Lärm. Jetzt war der Winkel des Eintritts wichtig. Offensichtlich hatte der Kapitän diesen richtig berechnet, sonst wären sie schon längstens in der Atmosphäre verglüht.
Die Notkapsel fing nun so stark zu vibrieren an, dass es dem Kapitän schwer fiel, seine Instrumente richtig bedienen zu können. Er musste Knöpfe drücken, die aber durch die Vibrationen schnell hin und her und auf und ab zu hüpfen schienen.
„River!“ Hudsen musste in sein Telekommunikationsgerät brüllen. Es war ein Höllenlärm um ihn herum.
„Ja, Kapitän?!“ Er konnte seinen Mechaniker geradeso verstehen.
„Noch zwei Minuten! Dann müssen die Batterien den Antrieb übernehmen! Verstanden?!“
„Verstanden!“
Die Notkapsel sah sicherlich von außen betrachtet ganz ähnlich wie zuvor ihr Generationsraumschiff aus, das in der Atmosphäre des riesigen Planten verglüht war. Hudsen versuchte nun, alles dafür zu tun, dass ihnen nicht das gleiche Schicksal zuteil werden würde.
Die zwei Minuten verstrichen. Noch hielt der Antrieb seinen Betrieb aufrecht.
„River!“
„Ja?“
„Der Antrieb hält noch!“ Der Lärm und die Vibrationen nahmen weiter zu.
„Was?!“
Der Kapitän musste regelrecht brüllen: „Ich sagte, dass der Antrieb noch hält!!“
„Ich verstehe!!“
Sie schossen weiter wie ein Feuerball in die Atmosphäre hinein. Gleich würde sich entscheiden, ob sie tatsächlich eine Chance haben würden, die Notkapsel sicher auf diesem Planeten zu landen.
„Jetzt!!!“ Der Antrieb war ausgefallen. Nun mussten die Batterien die Arbeit übernehmen.
Der Kapitän drückte die nötigen Knöpfe hierzu. Die wichtigsten Knöpfe, nämlich jene, welche die Hauptenergie auf die Steuerungsdüsen umleitete, hatte jedoch River zu bedienen.
Für den Moment war die Notkapsel ohne jeglichen Antrieb und damit ohne Steuerungssystem. Sollte sich jetzt der Eintrittswinkel nur ein ganz klein wenig verändern, wäre es das für sie alle gewesen.
„River!!! Ich brauche Energie!!!“
Die Vibrationen wurden nun so stark wie nie zuvor. Die Flammen loderten weiter seitlich an der Spitze der Notkapsel vorbei. Es würde zu einem ersten entscheidenden Moment kommen.
„River!!!!“
Der Kapitän schaute auf die Anzeige, auf der er den Eintrittswinkel beobachten konnte. Er sah eine erste leichte Veränderung, die er in diesem Stadium mit einem Steuerungssystem ganz leicht hätte beheben können. Jeden Augenblick konnte es hierzu aber schon zu spät sein.
„River, jetzt oder nie!!!“ brüllte er in sein Telekommunikationsgerät und vernahm das Gebrüll seines Mechanikers: „Jetzt!!!“ Der Kapitän sah nach seinen Instrumenten. Endlich hatte er die benötigte Energie zur Verfügung. Sofort machte er sich daran, den Kurs zu korrigieren.
Der Kapitän betätigte die Steuerungsdüsen, auf voller Leistung. Er musste ihren Eintrittswinkel auf Biegen und Brechen irgendwie flacher bekommen. Der Winkel war aber immer noch kritisch und die Vibrationen des Schiffes gefährlich stark. Es drohte, wie zuvor das Generationsraumschiff, auseinander zu brechen.
Gerade als der Kapitän befürchtete, dass die Vibrationen ein Niveau erreicht hatten, das viel zu stark für das Schiff sein könnte, zeigte seine Maßnahme endlich Wirkung: der Winkel verflachte sich sichtlich und auf der Stelle wurden auch die Vibrationen spürbar geringer. Sofort schienen auch die Flammen seitlich der Spitze der Notkapsel etwas weniger zu werden. Nach einer weiteren kurzen Zeit erloschen sie dann ganz, und auch die Vibrationen hörten fast vollständig auf. Offensichtlich hatten sie es tatsächlich geschafft. Zumindest für den Moment. Der Eintritt in die Atmosphäre des Planeten war geglückt. Nun mussten sie noch irgendwie das Raumschiff landen.
Der Kapitän schaute auf die Anzeigen. Er startete die Scanner, die die Oberfläche des Planten nach einem möglichen Landeplatz für sie abtasten konnten. Als diese dann tatsächlich einen gefunden hatten, berechnete der Kapitän den Kurs und die Zeit und die Energie, die sie benötigen würden, um dort zu landen.

Es war knapp. Sehr knapp sogar.
Für die Korrektur des Eintrittswinkels hatte der Kapitän mehr Energie verbrauchen müssen, als sie vorher dafür berechnet hatten. Es würde nicht lange dauern, und sie mussten das Lebenserhaltungssystem abschalten.
Plötzlich hatte der Kapitän eine Idee. Er berechnete ein weiteres Mal den Kurs zu ihrem Landeplatz, lokalisierte einen bestimmten Zwischenpunkt auf dem Weg dorthin – etwa in der Mitte -, gab diesen in den Bordcomputer ein und aktivierte eine Funktion, wodurch auf der Scheibe seines Cockpits ein virtuelles Hilfsgitter erschien. Er wollte diesen Punkt manuell erreichen, und zwar im Gleitflug, also ohne Energie.
Ein waghalsiges Unternehmen aber auch eine Chance, weiter Energie einzusparen.
„River.“
„Ja, Kapitän.“
„Schalten Sie die Energie für das Antriebssystem ab. Und wenn ich es Ihnen sage, schalten Sie es wieder ein. Verstanden?“
Es folgte eine kurze Pause. Anscheinend versuchte der Mechaniker zu verstehen, was das sollte, denn er fragte daraufhin erstaunt: „Ich soll was?!“
„Sie haben mich schon verstanden.“
„Aber Kapitän. Wir wären dann ohne Antrieb.“
„Ich weiß. Tun Sie es einfach!“
„Wie sie meinen. Ich schalte den Antrieb aus, und zwar: jetzt!“
Sofort sackte die Notkapsel zehn Meter nach unten ab. Er hörte die Menschen hinter sich panisch aufschreien.
Zwar war die Kapsel auch für einen Gleitflug in einer Atmosphäre konstruiert worden, dennoch war es für den Piloten ein deutlich spürbarer Unterschied, ob er diese Notkapsel mit oder ohne Antrieb zu steuern hatte. Sie fühlte sich jetzt mehr wie eine Kugel, die es kontrolliert abzustürzen galt, an als ein Raumschiff, das für solch ein Manöver konstruiert worden war.
Der Kapitän schaute auf seine Instrumente. Die Kapsel sackte viel zu schnell ab. Er musste sie irgendwie wieder abfangen, sonst würde er seinen anvisierten Punkt verfehlen.
„River, in etwa zehn Sekunden schalten Sie den Antrieb wieder ein“, rief er in sein Telekommunikationsgerät.
„Alles klar, hab verstanden.“
Es gab Funktionen an der Notkapsel, die dafür vorgesehen waren, den Luftstrom einer Atmosphäre zum Steuern des Schiffes zu nutzen. Zwar hatte der Kapitän selbstverständlich auch derartige Manöver während seiner Ausbildung trainieren müssen, dennoch war es eine ganz andere Sache, wenn er diese Tätigkeit nun nicht mehr nur am Computer zu simulieren hatte.
Nach einer gewissen Zeit hatte er sich aber an das Handling ein wenig gewöhnt und schließlich tatsächlich geschafft, die Notkapsel unter seine Kontrolle zu bringen.
„Achtung River!“ Sie waren kurz vor dem anvisierten Punkt, allerdings ein gutes Stück zu weit darunter. Der Kapitän zog die Spitze der Kapsel nach oben - wieder fing das kleine Raumschiff bedrohlich heftig an zu vibrieren - und sie sausten in einem schwungvollen Bogen nach oben. Dann hatten sie den anvisierten Punkt erreicht. „Jetzt!!“ Auf der Stelle war der Antrieb wieder da und die Notkapsel wurde sachte, wie ein seitlich auf das Wasser aufschlagender Stein, abgefangen. Danach war es ein Leichtes für den Piloten, das Raumschiff dazu zu bringen, die zuvor berechnete Route fortzusetzen.
Dass sich die Lage wieder ein wenig entspannt hatte, schienen auch die Passagiere hinten zu spüren, denn sie fingen plötzlich alle an, hysterisch zu klatschen.
Zwar hatten sie nun mit diesem äußerst gefährlichen Manöver ihre Chancen tatsächlich ein wenig verbessern können, aber auf der Oberfläche angekommen waren sie damit noch lange nicht.
 
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Kommentare  

Sehr spannender Teil. Ich bin buchstäblich mitgeflogen.

Dieter Halle (02.06.2011)

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