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Das Indianertotem - oder: 2424

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Seit vier Monaten wartete ich nun auf mein Honorar. Inzwischen war die Summe auf 2424 Euro gestiegen. Wie oft hatte ich den Chef schon darauf angesprochen, aber er sagte immer nur: „Kommt noch!“. Ich brauchte das verdammte Geld, mein Konto war inzwischen überzogen, weil mein Erspartes aufgebraucht war, wenn ich das Geld nicht langsam bekommen würde, könnte ich die nächste Miete schon gar nicht mehr zahlen.
Einen Anwalt konnte ich mir als Student nicht leisten und meine Eltern wollte ich auch nicht damit reinziehen, die würden sich nur Sorgen machen. Was bildete diese Person sich eigentlich ein, mir mein Geld zu unterschlagen, für das ich gearbeitet hatte? Ich musste mir etwas einfallen lassen...

Am folgenden Wochenende stand ein Seminar an, ein sogenanntes Teamtraining. Lust hatte ich darauf nicht wirklich, da ich mich zu sehr wegen des mir unterschlagenen Honorars aufregte und außerdem war Herr Lefuet, mein Chef, auch dabei und ich hatte keine Lust, sein Gesicht zu sehen.
Das Seminar begann mit einem typischen Kennlernspiel. Jeder sollte etwas über sich erzählen, dabei sollte er seinen Lieblingsort, seine Lieblingsfarbe und seine Lieblingszahl angeben und begründen, warum es so war. Was für ein blödes Spiel, dachte ich zunächst.
„Mein Lieblingsort ist Frankreich“, erklärte Herr Lefuet, als er an der Reihe war. Wahrscheinlich musste er wieder mit einem französischen Nachnamen angeben, mit dem er sich so toll vorkam. „Das liegt wohl daran, dass ich französische Vorfahren habe, wie man an meinem Namen merkt, auch wenn ich nicht weiß, wer sie waren und wann sie gelebt haben. Meine Lieblingsfarbe ist Schwarz, denn ich liebe schwarze Zahlen und meine Lieblingszahlen sind natürlich auch schwarz.“ Er lachte über seine eigenen Witze. Aber alle anderen fanden das natürlich auch toll. Wahrscheinlich wollte er deshalb mein Honorar nicht zahlen, weil er sonst rote Zahlen schreiben würde.
Dass dieses Spiel doch gar nicht so schlecht war, sondern mir sogar richtig nützlich sein konnte, wurde mir, als ich dran kam, bewusst.
„Also, mein Lieblingsort ist der Wald, weil ich dort immer meine Ruhe finde und abschalten kann, meine Lieblingsfarbe hängt von dem entsprechenden Gegenstand ab und meine Lieblingszahl ist 2424, aber das kann ich jetzt nicht so gut erklären. Aber das kann Ihnen Herr Lefuet besser erklären.“
Natürlich waren jetzt alle neugierig, warum gerade so eine Zahl meine Lieblingszahl war. Alle Blicke wandten sich nun meinem Chef zu. Verunsichert und fragend sah er mich an.
„Soll ich Ihnen eine kleine Hilfestellung geben?“, fragte ich. „Es hat mit Honorarabrechnungen zu tun.“
„Ach so...Nun ja, ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, Herrn Anders sein Honorar zu zahlen. Das werde ich natürlich nächste Woche sofort nachholen.“
„Es ist ja nicht so, dass ich ungeduldig bin, aber ich brauche das Geld wirklich, es hat sich ja nun aus vier Monaten etwas angesammelt.“
„Vier Monate?“, fragte ein Seminarteilnehmer.
„Also, das ist wirklich nicht in Ordnung“, mischte sich ein anderer ein.
„Das ist ja wohl das Letzte. Wenn Sie mein Chef wären, hätte ich Sie längst verklagt.“
„Ja, und Ihnen rechts und links etwas hinter die Löffel gegeben.“

Unter den Seminarteilnehmern befand sich zufällig ein Wirtschaftsprüfer, der daraufhin die Buchhaltung überprüfte. Dabei stellte sich heraus, dass noch so einiges unterschlagen wurde. Die Staatsanwaltschaft, die von dem Wirtschaftsprüfer daraufhin eingeschaltet wurde, fand heraus, dass Lefuet bereits in seiner Vergangenheit in anderen Institutionen Mitarbeiter, besonders Honorarkräfte, gerne betrogen hatte. Und das war noch nicht alles: Mein Chef war nicht nur ein Betrüger, sondern auch ein Mörder. Vor einigen Jahren kam ihm nämlich jemand auf die Schliche und wurde von ihm eiskalt aus dem Weg geräumt.

Ich bekam nicht nur mein Geld, sondern auch eine dicke Belohnung, da ich durch Zufall dazu beigetragen hatte, einen Mörder zu überführen.
 
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Kommentare  

Hallo,

ich musste mir diese göttliche Geschichte mal wieder durchlesen, nachdem wir uns neulich wieder schön über "Monsieur Lefeut" aufgeregt haben... :) Bin nach wie vor begeistert. Geht da nicht noch mehr?

LG


Sabine Müller (18.03.2012)

In der Tat :)

Sabine Müller (25.07.2011)

Tja, was so ein Vorstellungsspiel manchmal bewirken kann. Eine Lehre für jeden fiesen Chef.

Dieter Halle (25.07.2011)

Hallöchen,

diese Geschichte hat mir ganz besonders gut gefallen. Da hat endlich mal der Gelackmeierte gewonnen.

Du solltest aber noch erwähnen, dass dieses Vorstellungsspiel Indianertotem heißt. Das ist mir nämlich auch sehr wohl bekannt...

Vielleicht kannst du es auch noch ausschmücken, so dass vielleicht noch einer der Protagonisten ein wenig erzählt und vielleicht den Ablauf des Seminares noch ein wenig in den Dreck ziehen. Da muss noch mehr Böses rein, mehr Spannung.

Ansonsten ausgezeichnet.

LG Sabine


Sabine Müller (25.07.2011)

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