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3 Seiten

Becker (Teil 3)

Romane/Serien · Nachdenkliches
© Middel
(15)
Als dann plötzlich die hintere Tür zum Garten einen Spalt breit geöffnet wurde, durchfuhr mich ein eiskalter Schauer, der mich innerlich lähmte. Ich war wie schockgefroren und konnte mich nicht rühren. Wie durch einen Nebelschleier drang Jonas` Stimme an mein Ohr. Ich versuchte mich zusammenzureißen um mitzukriegen, was er sagte. „Zackig jetzt, wir müssen da rein. Ab sofort gibt es kein Zurück mehr, ist das klar?“ Meine Lippen formten ein stummes „Ja“ und Fisch sah mich prüfend und ernst an. „Ob das klar ist Sasch?“ Ob das klar ist? Ich merkte, wie ich zitterte und keinen klaren Gedanken zu fassen bekam. Ob das klar ist? Ich war vollkommen durchnässt, meine Knochen und Muskeln taten weh und ich hatte eine Scheißangst. Ich verspürte eine Panik in mir aufkommen, die mein Blut gleichzeitig pulsieren, mein inneres kochen und mich trotzdem frieren ließ. Mein Atem stockte und es drängte mich scheinbar aus meinem Körper. Ich lag sprichwörtlich neben mir in diesem Gebüsch und hörte wie durch eine Glaswand dumpf, wie Jonas mir Anweisungen gab, die ich nicht verstand. Er hätte in diesem Moment genauso gut japanisch oder griechisch mit mir sprechen können, es kam null bei mir an. Er stand über mir gebeugt und ich hätte nicht sagen können, ob er da seit Sekunden oder Stunden stand. In diesem Moment wusste ich gar nichts.
Vielleicht, so denke ich jetzt, war mir da schon klar, dass das alles ein böses Ende nehmen würde. Unterbewusst muss ich etwas gespürt haben. Bewusst war ich in den nächsten Minuten erst einmal fremdgesteuert, ich funktionierte einfach. Wie ein Roboter.
Erst als Fisch mich am Arm packte und mich in die Höhe riss, verstand ich ihn wieder. „Alter, wenn du das versaust, dann war’s das!“ Mir wurde schwindelig und ohne seinen festen Griff wäre ich wohl sofort wieder auf den nassen Boden gefallen. Ich schaute unwillkürlich nach oben und bemerkte, dass es noch heftiger zu regnen angefangen hatte. Merkwürdigerweise spürte ich die Tropfen nicht.
Während mich Fisch nun unsanft hinter sich herzog, versuchte ich einen klaren Kopf zu bekommen. Ich hatte mal in einer Fernsehsendung gehört, dass bewusstes, kontrolliertes Atmen hilft, eine Panik zu unterdrücken. Also versuchte ich das. Es wird schon alles gut gehen, redete ich mir ein. Wie ein Mantra wiederholte ich diese Worte in Gedanken. Es wird schon alles gut gehen. Verdammt, es muss einfach funktionieren, für Jonas und – vor allem – für Anni. Und außerdem ist der Scheiß-Becker ja selber schuld. Wenn der nicht so ein verficktes Arschloch wäre, dann müssten wir ja gar nicht hier sein. Ganz klar. Jonas öffnete nun leise die nur angelehnte Tür. Ich atmete noch einmal tief durch und folgte ihm. Mir war speiübel und ich hatte Angst mich zu übergeben. Merkwürdigerweise nicht, weil das Spuren hinterlassen hätte, sondern einzig und allein aus dem Grund, dass mich das ja vor Anni bloßstellen würde. Ich wäre als Feigling geoutet.
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„Wie machen wir das Video? Soll ich mein Handy rausholen?“ „Alter, jetzt sei mal leise, echt. Wart’s ab, ich geb dir ein Zeichen. Lass das Dingen erstmal aus.“ Wir standen in irgendeiner Art Wintergarten und ich wollte die Sache möglichst schnell hinter mich bringen. Ich drehte mich langsam um und ehe ich mich versah hatte ich schon irgendeinen Blumenkübel umgerissen. „Scheisse Mann, bist du bescheuert?“ Fisch herrschte mich im Flüsterton an. Seine Augen starrten mich an und er hatte eine sonderbare Zornesröte im Gesicht.
„Sorry“ war alles, was ich herausbrachte. „Reiss dich zusammen!“ „Ich versuch’s.“
Wo war bloß Anni und wo zur Hölle war der verdammte Becker? Ich lauschte, ob ich vielleicht irgendetwas hören konnte. Nichts. Aber zumindest hieß das höchstwahrscheinlich auch, dass man uns bisher auch nicht gehört hatte. Fisch bedeutete mir stehen zu bleiben und zu warten. Er flüsterte: „Ich schau mal nach, wo die beiden Turteltäubchen stecken. Du bleibst hier. Ich hol dich schon, wenn’s was zu tun gibt. Und Alter, fass nichts an, halt’s Maul und keine Geräusche, klaro?“ „Ja Fisch, aber bitte beeil dich.“ „Ich tu mein bestes.“
Einen Moment später stand ich alleine in diesem mir fremden Wintergarten und begann langsam zu realisieren, was hier abging. Bis zu diesem Zeitpunkt: Einbruch, Hausfriedensbruch und eventuell Sachbeschädigung, so genau kannte ich mich damit nicht aus. Aber für den verpissten Blumenkübel würden die mich wohl nicht einsperren. Im Gegensatz zu dem, was noch kommen sollte.
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In diesem Moment, als ich völlig durchnässt, durchgefroren und nervlich am Ende im Haus meines Lehrers Achim Becker stand, wurde mir klar, dass meine Jugend in diesem Moment endgültig zu Ende war. Mir wurde speiübel und nur mit Mühe konnte ich verhindern, mich zu übergeben. Ich hielt es nicht mehr aus. Wo waren die jetzt und was passierte gerade? Sollte ich nicht dabei sein, um dieses verfickte Video zu drehen?
Plötzlich musste ich an den Abend zurückdenken, als ich mir zum letzten Mal so unglaublich cool vorgekommen war. So cool, dass ich noch in jener Nacht Anni angerufen hatte und mit ihr alles noch einmal besprechen wollte. Unter vier Augen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich auch keinen Hintergedanken gehabt – zumindest keinen bewussten. Im Nachhinein betrachtet ziemlich naiv von mir, ich weiß.
Ich verabredete mich also noch einmal mit Anni und wir trafen uns am Schrottplatz. Als ich ankam, saß sie schon in „unserem“ Van. Ich setzte mich zu ihr und wir schwiegen uns eine ganze Weile an. Plötzlich sah sie mich an und flüsterte: „Ich weiß, warum du hier bist.“ Ach echt, dachte ich, ich eigentlich nicht. Obwohl, ich weiß gar nicht mehr genau, was ich da gedacht habe, wahrscheinlich gar nichts. Ich weiß nur noch, dass mir das Herz in die Hose rutschte und ich kein Wort herausbrachte. Anni sah mich weiter an und lächelte. Und Sekunden später berührten ihre Lippen meine. Der erste Kuss, es mögen Sekunden gewesen sein, mir kam er wie eine halbe Ewigkeit vor. Niemals zuvor und niemals danach ließ mich etwas so sehr Raum und Zeit vergessen, wie dieser Kuss in diesem alten Van.
Was danach folgte, war die Erfüllung eines Wunsches, von dem ich bis dahin nicht mal gewagt hatte zu träumen. Es war Anni, unsere Annika, und ich war so nah bei ihr, dass ich, während wir es taten, zeitweise das Atmen vergaß.
Ein lauter Knall riss mich aus meinen Gedanken. Was war da los? Ich konnte doch unmöglich hier im verdammten Wintergarten warten, während dort drin wer weiß was passierte. Ich musste handeln und zwar jetzt!

(Fortsetzung folgt)
 
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Kommentare  

Schön, dass du nach so langer Zeit noch einen Teil deiner tollen Story hier reingestellt hast. Offensichtlich will man deinen Prota linken. Er merkt´s nicht, weil er total in Anni verknallt ist. Ich kann nur sagen, spannend! Man fragt sich, was nun passieren wird.

Gerald W. (24.12.2011)

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