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5 Seiten

Der Stich des Skorpions

Fantastisches · Kurzgeschichten
Omar, ein einfacher, junger Mann mit Lendenschurz, aus-gemergeltem Körper und schmuddeligem Turban, zog mühelos, den gefüllten Lederbalg voller Wasser aus dem Brunnen. Am Himmel zogen fernab einige Aasgeier gemächlich ihre Kreise. Aus dem Wüstendorf, nahe der Gold und Weihrauchstraße, erklang wütendes Hundegekläff. Omar sah, wie sich zwei Hunde um einen alten Knochen balgten. Sie stritten und zerrten so heftig, dass Omar automatisch für den Schwächeren der beiden „Streithälse“ Partei ergriff. Doch wie immer gewann der mit der meisten Kraft und trug den Knochen, gleich einer Trophäe, stolz davon. Die Pächter der Dorfkaten, deren bucklige Strohdächer sich scheinbar, teils souverän, teils angstvoll gegen die mächtigen Sanddünen lehnten, schien dieses Spektakel nicht zu stören. Die Menschen hatten sich dieses Eiland schon über Generationen hinweg erobert und ihm Ackerland, Obst- und Gemüsehaine, also ihre Lebensgrundlage, abgetrotzt. Omar lenkte seinen Blick wieder seiner Arbeit zu. Die von der Quelle aufsteigende Kühle tat ihm gut, er atmete tief und sog genüsslich die feuchte Luft ein. Der fadenscheinige Sisalstrang rieb sich, wie seit Jahr und Tag, an dem trockenen Querholz über dem Brunnen. „Ganz schön dünn, dieser Strick, der müsste mal ausgewechselt werden!“ murmelte Omar mit prüfendem Blick und legte wie gewohnt die linke Hand auf die Brunneneinfassung. Plötzlich spürte er einen furchtbaren Schmerz in dieser Hand. Mit einem lauten Aufschrei fuhr Omar herum und sah einen Skorpion, der immer noch kampfeslustig seinen bewehrten Schwanz aufgestelltem hatte. Doch zu guter Letzt sah das Tier sein Heil doch in der Flucht. „Du verdammtes Mistvieh!“ Er starrte ungläubig auf das giftige Gliedertier und rief erbost: „Warte, ich will dich lehren einen rechtschaffenen Mann zu stechen!“ Zornig griff er nach einem Stein und zermalmte das bissige Tier mit einem Schlag. Er betrachtete schadenfroh die letzten Zuckungen des Tierleibes und frohlockte: „Du wirst keinen mehr stechen, du alte Bestie!“, lachte kurz und boshaft, kratzte mit einem Holzstück den Brunnenrand sauber und schaute sich nach allen Seiten um. „Komisch, kein Mensch weit und breit zu sehen!“, dachte er. „Selbst das Hundegebell hat niemanden aus seiner Hütte gelockt! Wo sind denn nur die jungen und hübschen Sklavinnen von Hassan Ibn Odd Set? Normalerweise sind die immer die ersten! Lachen und albern hier rum, sind kess, manchmal richtig anzüglich und verbreiten ein prickelndes Leben auf diesem grünen Wüstenfleck!“ Er lächelte trotz seiner Schmerzen und sinnierte: „Wie mich Leila, dieses samtäugige Kätzchen, immer anschmachtet, obwohl sie weiß, dass ich Weib und Kinder habe!“ Die schmerzende Hand riss ihn kurz aus den Gedanken, doch er grübelte weiter:“ Ist das nicht seltsam? Keine Menschenseele zu sehen!“ Plötzlich fiel es ihm ein, seine Augen begannen zu leuchten und er rief: „Ich Trottel! Vergangene Nacht wurden ja die Uhren umgestellt, wir haben ja jetzt die Sommerzeit! Aber ich darf um diese Zeit schon Wasser holen!“, nörgelte er, „da kennt Latifa nichts!“ Er spürte, wie dieser hinterhältige und ziehende Schmerz zunahm! Es war ein furchtbarer Schmerz, der sich in wellenartigen Krämpfen den Arm hinaufzog und im Kopf weiterpochte. Omar schüttelte sich wie einer jener Hunde, die er beobachtet hatte, biss die Zähne zusammen und versuchte instinktiv das Gift aus dem kleinen Wundmal zu saugen. Erfolglos, denn er hatte nichts um die Wunde zu öffnen! Nichts Scharfes! Nichts Spitzes! Die Wunde einfach mit den Zähnen aufzubeißen? Dazu fehlte ihm Entschlossenheit und Mut. Sein Mund wurde trocken, und ein jähes Zittern erfasste ihn. „Jetzt nur nicht schlappmachen!“ schoss ihn durch den Kopf. In seiner verzweifelnden Lage entdeckte er Latifa, sein Weib, das mit Riesenschritten angelaufen kam. „Endlich kommt mein Weib! Sie wird aus allen Wolken fallen, wenn sie hört, was mir widerfahren ist! Sie wird mir Trost spenden und bestimmt Mittel und Wege wissen, um mir zu helfen!“, freute sich Omar und fieberte auf ihre Ankunft…!
„Bei Allah!“, rief Latifa, kaum, dass sie auf Hörweite war, „Ich denke: Omar wird schon alle Krüge mit Wasser gefüllt haben und ich kann gleich zwei mitnehmen. Aber nein, der Herr ruht sich lieber aus, hält Maulaffenfeil und lässt Allah einen guten Gott sein! Wahrscheinlich glaubt er nicht am Brunnen, sondern mit der Wasserpfeife im Cafe zu sitzen, um mit den Männern über die Weiber herzuziehen!“ Ihre Stimme nahm noch an Schärfe zu: „Ich muss das Baba ghanush vorbereiten, die Kinder haben Hunger!“ Omar glotzte nur wortlos, stützte sich auf und verbiss sich ein Stöhnen auf den Lippen.
Seiner sonst so braunen Hautfarbe schien alle Farbe gewichen, seine Augen hatten den gewohnten Glanz verloren und sein Keuchen wurde hörbar: „Ich wurde eben von einem Skorpion gestochen, mir ist jetzt nicht nach Witze reißen! Bist du von allen guten Geistern verlassen, mich hier so zu überfallen? Lass mich jetzt erst einmal in Ruhe und vor allem mit deinem Baba ghanush zufrieden!“ Latifa stemmte beide Arme in den Leib und wetterte: „So, du wurdest also von einem Skorpion gestochen? Das ist noch lange kein Grund, dass du mich auf mein Wasser, das ich so dringend brauche, warten lässt! Ich werde dir helfen…“ Doch, sie wurde unsicher und erklärte, nun etwas versöhnlicher: „Stell dich nicht so an! Konntest du nicht besser aufpassen! Wie kann man nur einen Skorpion übersehen?“ Sie beruhigte sich und prüfte kritisch den Stich: „Also Omar! Ich kann nicht viel erkennen! Diese Stelle hier ist leicht gerötet und etwas geschwollen – daran stirbt man nicht!“
„Aber der Skorpion ist doch giftig!“ Omar sah seine Frau verstört und vollkommen fassungslos an.
„Giftig? Das ich nicht lache! Nicht jeder Skorpion bringt einen Menschen um!“, belehrte sie ihn, „Eine Kobra ist giftig, wirklich giftig! Aber ein Skorpion? Lächerlich, einfach lächerlich, aber das kriegen wir wieder hin! Wir haben Wasser, Tücher und heilenden Tee! Du wirst sehen, wie schnell das Gift damit ausgetrieben wird!“ Sie betrachtete ihren Mann mit hellen, spöttischen Augen.
Plötzlich wurde sie nachdenklich: „Pass auf: Wenn du schon mal dieses Missgeschick …!“ Sie hielt in ihrem Gedanken inne und formulierte den Satz, mit verschlagener Miene, neu: „Das trifft sich gut!“
„Was trifft sich gut?“ Er schaute verständnislos.
„Na, dass dich ein Skorpion gestochen hat!“
„Das ist nicht dein Ernst?“, Omars Gegenwehr war schwach. Er erhob seine Augen zum Himmel. „Schau dir die Geier an! Sie kreisen schon. Sie warten nur auf eine Gelegenheit, um herabzustoßen! Dabei ist es ihnen egal, ob ich noch am Leben bin! Wichtig ist, dass ich mich nicht mehr wehren kann! Diese Kreaturen! Die kommen in Scharen, trampeln auf mir herum und zerren mir meinen letzten Zipfel Leben aus dem Leib! Dann liege ich ruhig und bin ein gefundenes Fressen für diese gefiederten Teufel!“
„Nun ist es aber gut mit dieser Schmierenkomödie!“
„Schmierenkomödie? Ich sah vor dem Unglück noch keine Geier am Himmel kreisen! Erst kurz nach dem Skorpionstich, da waren sie plötzlich da!“, er flüsterte mit geistesabwesenden, fast verschwörerischen Augen, „es scheint, dass sich Skorpion und Geier abgesprochen hätten!“
„Ja, ja! Fragt sich jetzt nur noch, wer wen geschickt hat! Waren es die Geier, die sagten: „Hey Skorpion stich doch schnell mal den Omar, wir hatten lange nichts mehr zu fressen!“ Oder führte gar der Skorpion die Regie und sagte: „Hey Geier! Ich steche jetzt den Omar, aber ihr müsst mich dann vor ihm beschützen, weil ich euch etwas zum Frühstück besorgt habe!“ Latifa schaute auf den Boden und kratzte mit dem Fuß über die Überreste des Skorpions. „Aber aus dem Schutz scheint nicht viel geworden zu sein!“, stichelte sie, strich ihm über den Kopf und flüsterte: „Armer Omar! Ich habe es doch nicht böse gemeint, als ich sagte, dass es sich gut trifft! Eigentlich wollte ich damit sagen, dass wir, wo dich nun einmal unglücklicherweise dieser drei Mal verfluchte Skorpion gestochen hat, noch unseren Nutzen aus diesem Unglück ziehen könnten!“ Omars halb geschlossenen Augen öffneten sich augenblicklich. „Weib bist du noch bei Sinnen? Du willst einen Nutzen aus meinem Unglück ziehen?“
„Aber, klar doch!“ Sie machte eine spannungsgeladene Pause: „Ich sage nur: Hassan Ibn Odd Set!“, und in ihren Augen funkelte es geschäfts-tüchtig. Omar stöhnte, aber dieses Mal nicht wegen der Schmerzen: „Hassan Ibn Odd Set, der Dorfälteste!“ Jetzt begriff er: „Du willst um mein Leben wetten?“ Sie bejahte mit heftigem Kopfnicken und schüttelte ihn aber gleich wieder resolut.
„Nicht ich werde um dein Leben wetten, sonders Hassan Ibn Odd Set! Du bist lediglich das Wettsubjekt!“ „Wettsubjekt? Geht’s noch? Kennst du eigentlich Hassan Ibn Odd Set? Du weißt doch, dass der nicht recht-schaffen ist und die Leute betrügt!“, keuchte er. „Wenn sie betrogen werden wollen?“
„Komm jetzt!“, versuchte Omar, sie von ihrem Vorhaben abzubringen, „Wette! Mach nicht so ein Aufsehen! Wir gehen still in unsere Hütte, und du machst mich wieder gesund – fertig!“
„Aber es fallen doch genügend auf seine üblen Machenschaften herein!“, verbiss sie sich in ihren Gedanken und spann sie stolz weiter: „Hast du nicht begriffen? Jetzt sind wir einmal dran, den Reibach zu machen! Für uns! Verstehst du, für uns allein! Omar, das ist unsere Chance endlich eine zweite Ziege zu bekommen oder vielleicht sogar einen Ochsen! Das wäre doch gelacht, wenn uns das nicht gelingen würde! Wir wissen, dass dieser Stich (Allah möge uns beistehen) nicht tödlich sein wird! Du musst einfach nur so tun, als ob du mit dem Tode ringst! Also nur laut genug schreien, dich zu unserer Hütte schleppen und auf unser Lager werfen! Glaub mir, du wirst sehen, wie sehr das Hassan Ibn Odd Set imponieren und wie sehr er uns bei unserem kleinen Trick helfen wird! Weil er dann glaubt, sich damit selbst am meisten zu helfen!“
„Trick? Wieso?“ Omar hatte plötzlich Mühe sich zu konzentrieren. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen.
„Ganz einfach!“, erklärte Latifa geduldig: „Hassan Ibn Odd Set macht den Leuten glauben, dass du an diesem Stich sterben wirst, aber in Wirklichkeit setzt er heimlich auf deine Genesung. Nur so kann der ein Geschäft machen! Nur so macht der immer seine Geschäfte!“
Sie ließ ihn nicht mehr antworten, kroch unter seinen Arm und flüsterte: „Hab Vertrauen Omar, alles wird gut! Los, stütz dich auf mich, mach ein schmerzerfülltes Gesicht, vergiss nicht laut wehzuklagen und lass mich nur machen!“
„Da brauche ich mich gar nicht zu verstellen!“, jammerte Omar wahr-heitsgetreu. Latifa winkte ab und schob sich noch weiter unter Omar. Sie taumelte unter seinem Gewicht und verließ mehr schwankend als laufend den Brunnen: „Hilfe, Hilfe Omar wurde von einem wilden Skorpion gestochen, seht nur, wie sehr er leidet und wie schlimm er zugerichtet ist!“, schrie sie unaufhörlich und stöhnte laut, weil sie unter dem Gewicht ihres Mannes fast zusammenbrach! Omar gab die zweite Stimme in diesem Trauerspiel, so dass dieses laute Gemeinschaftsgezeter seine Wirkung nicht verfehlte…!
 
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Kommentare  

Klasse Story aber auch klasse Zeichnung. Hast beides du gemacht? Jedenfalls beginnt deine Geschichte so amüsant und spannend, dass ich gleich den nächsten Teil lesen werde.

Evi Apfel (10.01.2012)

Ein humorvoller aber auch tragischer Anfang, denn, wer weiß wie es ausgeht? Ich hoffe doch es geht noch weiter?

Gerald W. (09.01.2012)

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