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Die Audienz

Fantastisches · Kurzgeschichten
Bald darauf erschienen zwei Wachen, die Mukhtar mit festem Griff vor den Thron des Sultan führten, ihn vor seine Füße warfen und sich gleich darauf ständig buckelnd, rückwärts aus dem Thronsaal entfernten. Der Sultan, dessen Erwartungen ein wenig enttäuscht schienen, schaute auf die bucklige Erscheinung des Herausforderers wie auf einen Erdwurm und murmelte überrascht:
„Nein, nein, nein! Du armer, kleiner Tropf, willst also partout dein kleines Köpfchen verlieren?“
Der Sultan, der keine Antwort erwartet hatte, fuhr ohne Umschweife im Plauderton fort:
„Aber jetzt, so kurz vor seiner Hinrichtung, verrät er uns doch noch schnell, wie es ihm gelang, so ganz unbemerkt von unseren hellsichtigen und hellhörigen Wachen, in unseren Palast einzudringen?“
Mukhtar hatte sich aus seiner untertänigen Lage schnell befreit. Er stand trotzig vor dem Sultan auf, zupfte und nestelte resolut an seinen Kleidern herum, drehte sich zu einem der Diener um und rief empört:
„Großmächtiger Sultan, nennt ihr das vielleicht Gastfreundschaft? Ihr sitzt auf dem prächtigsten Bock, den die Welt je gesehen hat und ich darf hier stehen? Seid so gut und lasst mir von euren Lakaien einen Stuhl bringen! So plaudert es sich viel besser!“ Der Sultan, der eben noch voller Spott auf seinen Gast, wie auf ein winziges Nichts sah, bekam plötzlich kugelrunde Stauneaugen, die ihm irgendwie verbaten seinen Mund zu öffnen. Der gesamte Hofstaat tat solidarisch, erstaunte sich auch und hielt gebannt die Luft an! Wie würde es nach diesem Affront wohl weitergehen? Das Schweigen wurde plötzlich zu purem Eis, so dass alles und jeder bei Hofe mit einem Mal wie gefroren erschien. Der Sultan, dessen Gesicht sich zuerst vereist hatte, taute auch als erster wieder auf. Zunächst rollten nur seine Augen, sie wurden immer schneller und schneller, schließlich fiel das Eis auch von seinem Mund, der wie widerwillig rief: „Los schnell, glotzt nicht wie die Ölgötzen, einen Stuhl für unseren Gast!“
Mukhtar schaute sich nun gemächlich um! Dann wurde ein Stuhl ge-bracht! Mukhtar setzte sich betulich und schlug betont langsam die Beine übereinander. Nun schaute er lächelnd zum Sultan. Dieser räusperte sich laut und gab mit der Hand ein verächtliches Zeichen, was ihn zum Reden aufforderte. Mukhtar räusperte sich so laut wie der Sultan und antwortete:
„Hinrichtung? Hörte ich eben etwas von Hinrichtung? Ich glaube, dieses Thema müssen wir später noch einmal vertiefen, um es zu klären! Um zu eurer zweiten Frage zu kommen, oh, oberster Hüter des wahren Glaubens. Damit hat euch sicher jemand einen Floh ins Ohr gesetzt! Aber bei diesem Personal hier, wundert mich überhaupt nichts! Wie konntet ihr euch nur einblasen lassen, dass ich unbemerkt an euren Hof gelangt sei? Eure Sklavin Nefa, oh oberster Verfechter des wahren Glaubens, bemerkte mich schon, als ich am Brunnen im östlich Vorhof des Palastes zu mir kam!“
„Nefa, Nefa, diese Sklavin kenne ich nicht!“, erklärte der Sultan nach-denklich.
„Nefa“, parierte Mukhtar, „ist das wunderschönste Mädchen, das ich kenne. Sie ist so schön wie der Morgen und so anmutig wie ein junge Gazelle, mein Gebieter!“, erklärte Mukhtar mit großen und verträumten Augen.
„Ich kenne keine Sklavin von mir, die auf deine Beschreibung passt, mein kleiner buckliger Freund!“.
Der Sultan hatte seinen Kopf sinnierend auf die rechte Hand gestützt und rief nach einer geraumen Zeit: „Bei unserem Barte, jetzt kann ich mir denken, wen er meint, dabei kann es sich nur um Sh…!“
Er wollte gerade den Namen seiner Tochter offenbaren, als ihm der Narr, ein zappeliger Geselle mit klugen Augen, buntem Gewand, Schnabel-schuhen, Schellen und Narrenkappe, abrupt, aber dennoch irgendwie sanft, das Wort abschnitt:
„Schon immer brachtet ihr die Namen eurer Lakaien durcheinander, durchlauchtigste Majestät, wo doch auf unserem infantilen Arbeitsmarkt die Namen einfach so verschwinden und plötzlich wieder ganz woanders auftauchen oder beispielsweise hier in eurem Palast, wo doch die Lebens-erwartung eines Sklaven praktisch oder so gut wie gegen Null tendiert! Da ist es ganz normal, dass man sich da mal im Namen vertun kann? Das hat dann auch nichts mit eurem genialen Gehirn oder Gedächtnis zu tun!“
Der Narr schaute den Sultan, der seinen Blick fragend erwiderte, flehend-lich an. Dabei nickte sein Kopf leicht in die Richtung Mukhtar, wobei seine Augen kreisrund wurden und die Ausläufer seine antennenartigen Augenbrauen rhythmisch zu jedem gesprochenen Wort wippten. Mit viel Mühe und noch anderer komischer Gesten, machte der Narr dem Sultan endlich deutlich, dass Mukhtar nicht erfahren durfte, dass es sich bei der sagenumwobenen Nefa um Shakira handelt, die, trotz aller Verbote, im-mer wieder wie eine streunende Katze durch den gesamten Palast streift. Als sich der Narr so ziemlich sicher war, dass es der Sultan endlich ver-standen hatte, sagte er laut an den Sultan gerichtet:
„Und das ist peinlich!“ Der Sultan schien doch noch nicht so ganz begriffen:
„Was ist peinlich?“ Dem Narren standen vor lauter Anstrengung die Schweißperlen auf der Stirn, als er rief: „Na die Namen, die falschen Namen sind peinlich, Oh, Herrscher über alle Gläubigen und Un-gläubigen! Stellt euch vor, ihr sprecht einen Sklaven mit falschen Namen an! Der rennt doch sofort zu dieser seltsamen Sklavengewerkschaft, von der allerorts gemunkelt wird, und klagt euch, den Obersten Vertreter des gesamten Sultanreiches, an!“
„Aber ich spreche doch gar keinen Sklaven mit Namen an. Ich sage höchsten Sklave, Hundsfott, Ausgeburt, Hohlkopf, Dummes Schwein, Ochse oder Rindvieh. Sind das etwa Namen?
„Nein!“ entgegnete der Narr, der nur mit größter Anstrengung Gelassen-heit mimte!
„Seht ihr, da kann uns auch keiner verklagen!“ rief der Sultan sich entrüstend, besann sich, überlegte lange und rief eigensinnig wie ein Kind:
„Wer sollte mich denn auch verklagen? Sind wir nicht Sultan und Herrscher über alle Gläubigen und Ungläubigen, die obersten Richter in unserem Reich? Wo kämen wir hin, wenn uns irgendjemand einfach so verklagen könnte?
„In der Tat, eure Herrlichkeit, das steht natürlich ganz außer Frage und auch nicht zur Debatte! Ich wollte euch doch einfach nur erläutern, dass ihr Nefa, also die genannte Person, mit der Mukhtar gesprochen haben will, nicht kennen könnt, weil ihr weder von der Person, noch von solch einem Namen Kenntnis habt!“
Der Narr blinzelte nur kurz mit einem Auge, überlies den total verwirrten Sultan sich selbst, tat einen gewagten Sprung über Mukhtar hinweg, lan-dete geschickt auf den Händen, ließ den vorhandenen Schub in einem dreifachen Purzelbaum enden, nahm erneut Schwung, sprang hoch, voll-führte eine doppelte Luftschraube und kam sicher und geschickt auf beiden Füßen, direkt vor dem Throne des Sultans, zum Stehen. Danach verbeugte er sich tief, ließ einen nicht aufhören wollenden Applaus auf sich wirken und klärte weise lächelnd auf:
„Mein hocherlauchter Sultan und durchlauchteste Majestät! Ihr, der ihr mit dem Glanz des Himmels und mit den Strahlen der Sonne zu ver-gleichen seid, hört meine Worte: Die kleine Sklavin Nefa ist ein einfaches Mädchen aus der unteren Kaste, die ihr, oh Erlauchtester, einfach nicht kennen könnt. Selbst wenn, habt ihr sie in eurer Größe und Mächtigkeit, einfach übersehen!“ Damit verbeugte er sich nochmals bis auf den Boden und schloss seine genauso spontane, wie abenteuerliche Erklärung. Der Sultan lächelte unsicher und schien froh, dass diese leidige Geschichte endlich ein Ende gefunden hatte. Im Stillen dankte er dem Narren für sein kluges Eingreifen und schwor auch mit Shakira nochmals ein ernstes Wörtchen zu reden. Für Öffentlichkeit und Protokoll sagte er nur kurz und knapp:
„Wir können ja schließlich nicht jeden kennen!“, dann wandte er sich wieder Mukhtar zu, der die Geschichte um Nefa zwar nicht durchschaut, sich aber dennoch über deren Kurzweiligkeit belustigt hatte.
Der Sultan, dem Mukhtars Geschichte noch genau im Ohr klang, sam-melte sich kurz und fragte: „Aber was meinte er mit: „Als ich zu mir kam?“
Mukhtar überlegte kurz! Er hatte sich, zum Schutz und Geheimhaltung seiner Zauberdinge willen, eine besondere Geschichte ausgedacht. Er rutschte etwas unruhig auf seinem Stuhl hin und her und begann seine Legende:
„Also meine Geschichte trug sich folgendermaßen zu: Als ich so ziellos durch eure schmucke Altstadt schlenderte…“
Der Großwesir, eine große, ulkig wirkende Erscheinung mit spöttischem Gesichtsausdruck, loser Zunge und großen Ohren mischt sich in Mukhtars Erzählung ein und poltert los:
„Schmucke Altstadt hört, hört!“
„Bitte, unterbrecht mich nicht!“, Mukhtar schaute den Großwesir an und hielt sich zum Zeichen des Schweigens den Zeigefinger vor den Mund. Der Sultan grinste vielsagend und der Großwesir wandte verachtend seinen Blick ab. Zufrieden mit der Reaktion der beiden Oberhäupter fuhr Mukhtar mit seiner Mär fort:
„…Also, als ich gerade beim Tuchhändler Abdullah eintreten will, um mir einen neuen Turban anmessen zu lassen…“
Wieder unterbrach ihn der Großwesir spöttelnd, ohne auf den weiteren Verlauf der Geschichte zu achten: „Turban anmessen lassen! Wo mag er nur stecken, dein neuer Turban?“
Mukhtar sprang auf, trat an den Thron des Sultans und empörte sich: „Oh du oberster Gebieter über alle Gläubigen und Ungläubigen, erteilt diesem hirnlosen Schwätzer doch endlich einmal Redeverbot, wie kann man sich sonst noch konzentrieren, zumal ich heftig am Kopf gestoßen wurde und er mir tüchtig schmerzt!“
Dem Sultan schnappte, überrumpelt von der Dreistigkeit des einfachen Mannes, der Mund auf und wieder zu, dann begann er dröhnend zu lachen:
„Ha, ha, habt ihr gehört Großwesir, ihr hirnloser Schwätzer, seid so lieb und verschließt eure große Klappe, bis es Euch dieses Nichts hier gestattet ha, ha, ha, dass Ihr sie wieder öffnen dürft. Ha, ha, ha…“
Der Großwesir schnaufte wütend. Seine Augen verengten sich und glotz-ten Mukhtar hasserfüllt an, doch der Sultan lachte, dass ihm die Tränen kullerten, so dass er eine lange Zeit nicht mehr damit aufhören konnte und schließlich der gesamte Hofstaat mit in das Gelächter des Herrschers einfiel.
Mukhtar ließ sich seinen Triumph nicht anmerken, setzte sich wieder und erzählte, getreu seiner Legende, ohne mit einer Wimper zu zucken, weiter: „Ich wollte mir also einen neuen Turban anmessen lassen!“, dabei schaute er immer wieder auf den Großwesir und sprach jeden Buchstaben so deutlich und wohl akzentuiert aus, bis sich der Großwesir durch ein rüdes Abwenden seinem Blick entzog! Nun erzählte Mukhtar vernünftig und folgerichtig weiter:
„So begann ich meinen alten, zerschlissenen Turban, bedächtig, wie es meine Art ist, sorgfältig abzuwickeln, um das rechte Maß für den neuen Turban zu ermitteln.
Da fuhr mit einem Male, wie aus dem Nichts, eine schreckliche Windhose in das Tuch, blähte es wie ein Segel und wirbelte mich, der ich das Tuch gestreckt hielt, hoch in die Luft. Von da an habe ich einen Filmriss, äh, ich meine, kann ich mich an nichts mehr erinnern! Ich leide seit jener Zeit sozusagen unter Amnesie. Sorry! Ich kann es mir nur so erklären, dass mich der schreckliche Sturm direkt in den östlichen Vorhof des Palastes an den Brunnen geworfen hat, wo mich schließlich Nefa, eure Sklavin am nächsten Morgen fand! Dort sortierte ich meine Knochen und spürte einen heftigen Kopfschmerz. Dann überdachte ich meine Situation und sagte zu mir: Der Kopfschmerz wird mit einer Aspirin schnell gelindert sein! Wo du schon mal da bist, kannst du auch gleich Murad Marat Hon, das Großmaul, zum Wettlauf fordern.“
Nun war es an beiden, nämlich an Großwesir und an Sultan, abwechselnd die Kinnlade auf und zuzuklappen. Keiner schien in der Lage, zu ant-worten. Mukhtar freute sich im Stillen über die Reaktion! Der Großwesir fand als erster die Sprache wieder:
„Schweig, du ungläubiger Hund, so ein abscheuliches Ammenmärchen! Sonst rollt dein Kopf gleich hier. So etwas Unbegreifliches findet sich ja nicht einmal in der großen Weltedition der Gebrüder Schlimm! Oder glaubst du etwa, dass dich dein schamloses und dummdreistes Verhalten, hier vor Augen und Ohren des Sultan, noch retten wird?“
Der Sultan griff dem Großwesir in eine Falte seines Gewandes, zog ihn leicht zu sich heran und flüsterte im drohenden Unterton:
„Nicht so heftig Großwesir, beim Barte des Propheten. Ihr wisst doch, dass wir solche Gewaltorgien hier im Thronsaal verabscheuen! Wie wäre es stattdessen mit der Richtstätte? Oder wollt ihr nachher die Schweinerei vor meinem Thron beseitigen? Im Übrigen versucht es doch einfach mal mit nachdenken! Das soll manchmal auch recht dienlich sein! Überlegt doch mal: Wie sollte denn dieser Bucklige sonst an unseren Wachen vorbeigekommen sein.“
Der Sultan hielt inne, atmete betont laut ein, schaute den Großwesir streng und prüfend an und fragte lauernd:
„Habt Ihr noch nie von derlei Stürmen gehört? Stürme, die ganze Hütten wegtragen können. Glaubt ihr nicht auch, dass sie es vermögen, so ein Leichtgewicht wie Mukhtar durch die Lüfte zu schleudern?“
Dem Großwesir blieb die Sprache weg. Statt zu antworten, glotzte er blöd wie ein Schaf und der Sultan ereiferte sich weiter:
„Seid Ihr etwa doch mit Dummheit geschlagen, Großwesir. Oder regiert bei euch bereits der Altersschwachsinn? Ich warne euch, soll ich vielleicht den Idiotentest anordnen? Dann seid ihr nicht nur euren Posten, sondern auch eure Pappe los!“
Der Großwesir wurde blass und würgte, als hätte er einen Kloß im Hals. Doch der Sultan fuhr, dessen ungeachtet, fast schwärmerisch fort:
„Bei Allah, solch einen tollkühnen Flug kann sich doch niemand ausden-ken. Und dann diese interessante „Amnestie“, da passt doch alles zu-sammen!“
Der Großwesir klappte den Mund auf, um etwas zu erwidern, doch der Sultan ließ ihn nicht zu Wort kommen und rief:
„Lasset unseren 1. Leibläufer vor uns erscheinen. Er soll im Wettlauf gegen ihn entscheiden, wie die Geschichte mit unserem wundersamen „Mauer-Überflieger“ enden wird! Es ist eigentlich schade um diesen drolligen kleinen Rollpopel, er hat gerade begonnen, uns mit seinem Abenteuer zu erheitern…!“
 
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Kommentare  

Obwohl Mukhtar zunächst nur wie ein Stück Fleisch dem Sultan vor die Füße geworfen wird, zeigt er sich stolz. Sein Verhalten lässt den Sultsan anscheinend aufmerksamer werden.

Gerald W. (15.02.2012)

Mukhtar scheint nicht auf den Mund gefallen zu sein. Er verlässt sich eben ganz auf seine Zauberschuhe.

Else08 (13.02.2012)

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