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4 Seiten

Wölfin der Taiga - 5. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches
Die hochgewachsene Gestalt des jungen Mannes ließ Jade einen Schritt zurückweichen. Er blickte ihr direkt in die Augen und hielt sie damit gefangen. Seine Augen waren dunkel wie die Nacht, doch gleichzeitig warm und freundlich.
Jades Blick hatten sich mit seinem verhakt. Sie stand da und starrte ihn an. Sie schloss die Augen. Sog seine Geruch ein. Diesen bekannten, vertrauten Geruch. Diesen Geruch, den sie nie wieder vergessen wollte.
„Ist alles in Ordnung mit Dir?“ Die raue Stimme ihres Gegenübers riss Jade aus ihrer Trance.
Etwas benommen nickte sie.
„Schön!“ Der junge Mann umrundete sie und setzte seinen Weg der Marina entlang fort.
Jade wirbelte herum und atmete tief ein. Dieser Geruch… wenn sie nur wüsste, woran er sie erinnerte. Woran dieser Mann sie erinnerte.
„Halt, warte!“ Jade wirbelte herum. „Bitte… warte einen Moment!“
Der Fremde hielt inne und fing sie wieder mit seinem Blick ein. Jade konnte sich kaum rühren, geschweige denn sprechen.
„Wer… wer bist Du?“ Nur schwer brachte sie diese Worte über ihre trockenen Lippen.
Der Fremde zog seinen Augenbrauen nach oben. „Ich heiße Nathan…?!“ Die Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Jade schluckte und sah zu Boden. Was tat sie da?
„Nathan…“ Leise wiederholte sie seinen Namen, doch bis sie wieder aufsah, war der groß gewachsene Mann weiter entlang der Marina gelaufen.
Jades Gedanken wirbelten durcheinander. Dieses Gesicht, diese Stimme, sein Geruch – alles an ihm kam ihr so unendlich bekannt vor. Sie starrte ihm hinterher.
Ein leichter Wind kam auf, ließ ihre Haare tanzen und trug seinen Duft wieder zu ihr.
Jade atmete tief durch. Doch so schnell er kam, war er auch wieder verschwunden. Keine Erinnerung geblieben. Dabei wollte sie diese doch unbedingt festhalten. Die Erinnerung an jemanden wahren, den sie nicht kannte.
„Jade?“ Gabriella war hinter sie getreten und berührte leicht ihren Rücken.
Jade drehte sich zu ihrer Freundin um und blickte in ihr besorgtes Gesicht.
„Kennst Du den Mann?“
Jade blickte über ihre Schulter. „Ich habe das Gefühl, ich sollte ihn kennen…“ Sie atmete tief ein. „Aber ich weiß nicht, woher oder warum.“ Jade wandte sich wieder Gabriella zu und zuckte die Schultern. „So durcheinander war ich schon lange nicht mehr!“, wisperte sie kopfschüttelnd.
Jade starrte den leeren Steg der Marina entlang, drehte sich schließlich um, warf etwas Geld auf den Tisch, um die Getränke zu bezahlen und machte sich dann auf den Weg zu ihrem Auto. Gabriella lief schweigend neben ihr her. Als die Stille sie zu erschlagen drohte, ergriff sie das Wort.
„Jade… ich weiß zwar momentan wirklich nicht, wie ich Dir helfen kann, aber wenn Du möchtest, komme ich mit ins Reservat. Vielleicht fällt uns gemeinsam mehr auf.“
Jade nickte. Vermutlich würde sie Gabriellas Anwesenheit beruhigen, gerade nach dieser Begegnung auf der Marina.
Jade glitt hinters Steuer und startete den Wagen. Wie gut, dass ihr kleines Auto kaum zu überhören war. In ihrem momentanen Zustand wäre es gut möglich gewesen, dass sie vergessen hätte den Schlüssel im Zündschloss zu betätigen.
Gabriella hatte neben ihr Platz genommen, ihre Freundin immer noch mit besorgtem Blick im Auge. Diese Verbissenheit, die in Jades Zügen lag, kannte sie von ihr nicht. Überhaupt war ihr das Mädchen neben ihr in den letzten Tagen fremd geworden. Sie hatten sich kaum gesehen, kaum Zeit miteinander verbracht. Nicht so, wie sonst. Das gemeinsame Joggen diesen Morgen war ihre erste Unternehmung seit langem gewesen.
Gabriella fragte sich, was an dieser Werwolf-Geschichte dran war. Sie kannte sich nicht gut mit der Mythologie der First Nations aus, wusste nur das, was Florence gelegentlich erzählte. Aber sie wusste sonst keinen logischen Grund fürs Jades Verletzungen. Sie war nicht der Typ, der sich selbst Wunden zufügen würde. Und aus körperlichen Auseinandersetzungen mit anderen konnten die Schnitte und Kratzer erst nicht stammen.
Gabriella seufzte. Beinahe hoffte sie, dass die Geschichte mit Werwölfen stimmte. Vielleicht würde dann alles wieder besser werden…

Jades Mini passierte den Palisadenzaun, der die Grenzen des Reservats markierten. Ihre Hände hielten das Lenkrad umklammert, als sie das Auto auf den Parkplatz lenkte. Gerade war sie sich nicht mehr so sicher, ob sie die Geschichten ihres Großvaters überhaupt hören wollte.
Reiß Dich zusammen! Sie rüttelte sich selbst auf. Sie war so nahe dran ihr Geheimnis zu lüften.
Gabriella sah das Zweifeln im Gesicht ihrer Freundin. Sie berührte Jades Arm.
„Nein, Jade! Du wirst das jetzt durchziehen. Denn ich werde sicher nicht weiter zusehen, wie ich meine beste Freundin verliere.“
Gabriella stieg aus, lief um den Wagen herum, öffnete Jades Türe und zog sie heraus. „Komm, zeig mir das Reservat!“
Jade seufzte und machte sich schließlich auf den Weg über die gekiesten Pfade zur Blockhütte ihres Großvaters. Viel konnte sie Gabriella über das Reservat nicht erzählen, wusste sie doch selbst kaum etwas darüber. Die Erinnerung an ihre Kindheit an diesem Ort war verschwindend gering.
Jade zeigt auf die Schule, die in einer der größeren Blockhütten untergebracht war, sowie das Gemeinschaftshaus. Auch die Blockhütte ihres Großvaters zählte zu den größeren im Reservat.
Gabriella runzelte die Stirn, als Jade die Veranda betrat. „Hat das eine bestimmte Bedeutung?“
Jade wandte sich zu ihrer Freundin um. „Was meinst Du?“
„Das hier.“ Gabriella machte eine ausladende Armbewegung, die die Größe des Hauses umfassen sollte.
„Hmm…“ Jade zuckte die Schultern. „Ich glaube, es hat mit Joes Status hier zu tun. Er ist das, was man einen Bürgermeister nennen könnte.“
Gabriella grinste. „Der große Häuptling also.“
„Ja, so ungefähr. Aber mittlerweile wird auch der ganz demokratisch gewählt.“ Jade hob die Hand und klopfte gegen die Holztüre, die sich gleich darauf öffnete.
Drinnen stand Joe. Dem hoch gewachsenen Mann war sein Alter nicht anzusehen und nur seine tiefbraune, wettergegerbte Haut zeugte von einem ereignisreichen Leben. Seine langen grauen Haare wurden im Nacken von einem Band zusammenhalten. Beim Anblick seiner Enkelin breitete sich ein breites Grinsen auf seinem markanten Gesicht aus.
„Jade! Schön, dich zu sehen!“ Er schloss sie in seine Arme.
Jade zuckte zusammen. Ihre Gedanken kreisten. So lange hatte sie ihren Großvater nicht gesehen oder berührt und doch fühlte sie sich in seiner Umarmung so wohl, so sicher, wie sie es lange nicht mehr getan hatte.
Sie löste sich aus der Umarmung und trat einen Schritt zurück.
„Grandpa, das ist Gabriella. Sie ist meine beste Freundin und ich habe ihr alles erzählt. Sie hat mir ihre Unterstützung angeboten. Du musst uns alles, wirklich alles, erzählen, was du weißt!“
Ihre Stimme überschlug sich beinahe, so verzweifelt war sie in diesem Augenblick.
„Jade, beruhige Dich! Jetzt kommt erst mal rein.“
Joe führte die beiden Mädchen ins Wohnzimmer, das sich hervorragend in den Rest des Hauses einfügte. Die Holzwände glichen größtenteils einer Ahnengalerie, die mehrere Jahrzehnte zurückzureichen schien. Die ältesten Bilder zeigten sogar noch Häuptlinge mit prächtigem Federschmuck.
Die einzige Seite, die nicht von Bildern geziert wurde, war von einem offenen Kamin unterbrochen und auch sonst strotze der Raum nur so vor Gemütlichkeit.
Jade ließ sich neben Gabriella in das alte, durchgesessene Sofa fallen und betrachtete ihren Großvater, der gerade mit einem Tablett kalter Getränke zurückkam.
Sie hatte ihn wirklich schon lange nicht mehr gesehen. Dadurch, dass Florence beinahe keinen Kontakt mehr mit den Leuten aus dem Reservat hatte, war auch Jade schon über 5 Jahre nicht mehr hier gewesen. Wenn sie so darüber nachdachte, fühlte sie sich richtig schlecht bei dem Gedanken daran, dass sie nur hier war, weil sie etwas von Joe wollte.
Doch Joe schien keinen Gedanken an diesen Aspekt zu verschwenden. Er lächelte immer noch breit, als er sich in den Sessel gegenüber den beiden Mädchen setzte.
„Also, Jade, bevor ich etwas erzähle, muss ich alles von Dir wissen. Ich muss mir zuerst ein Bild machen. Erzähl mir bitte alles, was Dir noch einfällt.“ Joe stütze die Ellenbogen auf die Armlehne, legte die Fingerspitzen aneinander und betrachtete Jade eindringlich.
Jade dachte nach. Was wusste sie noch? In Erinnerung geblieben war ihr das wenigste.
„Ich weiß nicht…“, begann sie zögernd. „Meistens bin ich morgens aufgewacht und hatte Verletzungen, die ich mir nicht erklären konnte. Manchmal kam ich an fremden Orten zu mir und wusste nicht, wie ich dort hingelangt war. Meine Sinne sind so geschärft, ich kann sogar die Ameisen auf dem Boden krabbeln hören.“ Sie atmete tief ein. „Kurz gesagt, es passieren Dinge, für die ich keine Erklärung habe. Was passiert mit mir, Grandpa?!“ Wieder überschlug sich ihre Stimme beinahe.
Joe nickte bei Jades Erzählung immer wieder. Schließlich stand er auf, verließ den Raum und kam mit einem großen, in Leder gebundenen Buch zurück. Er nahm wieder in seinem Sessel Platz und schlug das Buch auf. Die vergilbten Seiten raschelten, bis er schließlich das fand, wonach er suchte. Und dann nahm er Jade und Gabriella mit auf eine Reise in die Tiefen der Legenden der Mohawks…
 
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Kommentare  

Ich denke, dass wird Geschmackssache sein :)
Ich persönlich habe diese Ausdruck auch schon öfter gelesen, deswegen hab ich vielleicht weniger Anstoß daran genommern...


Summer Peach (03.04.2012)

Ich hab schon verstanden was du damit meinst, ich stoße mich nur etwas an dem Ausdruck selber.
"Ihre Blicke blieben an einander haften", "Ihre Blicke verschmolzen", usw. usf. aber "verhaken" :) Es ist ein eher unschönes Bild das Augen und Haken mit einander verbindet - aber vielleicht liegt das ja auch nur an mir.


Jingizu (03.04.2012)

Hallo Jingizu,

danke für Deinen Kommentar.
Das mit der Namenswiederholung ist mir gar nicht so aufgefallen. Aber ich muss ehrlich sagen, selbst beim Lesen im Nachhinein finde ich es nicht so schlimm ^^

Aber danke für die Anmerkung. Ich werds für die Zukunft beherzigen :)

Was die "verhakten Blicke" angeht... Das ist schwer zu erklären... Es bezeichnet eben einen intensiven Blickkontakt zwischen zwei Personen, aus dem man sich nur schwer lösen kann.
Kannst Dus Dir nun besser vorstellen? :)

Grüße
S.


Summer Peach (03.04.2012)

Du musst besonders auf Wortwiederholungen achten in deinem Text. Allein in dem ersten kurzen Absatz hast du sechzehn Mal den Namen "Jade" verwendet, außerdem komm ich nicht ganz mit der Vorstellung "verhakter" Blicke klar, abgesehen davon schildern insbesondere die ersten Sätze sehr gut diese Begegnung. Da ist auf jeden Fall Potential.

Jingizu (03.04.2012)

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