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Mein Weg zum akademischen Versager - Teil 6

Romane/Serien · Erinnerungen
Es gab einige Abteilungen, in denen ich mich wohl gefühlt habe, wie in der ersten Abteilung. Eine davon war die Anlagenbuchhaltung. Die Kollegen waren lustig, immer für Scherze offen, aber brachten mir, was auch das Wichtigste war, eine Menge bei. Vor allem fühlte ich, dass man sich diesen beiden Herren anvertrauen konnte.
Die schlimmste Station meiner Ausbildung war der Vertrieb. Eigenartigerweise war das eigentlich die Abteilung, auf die ich mich die ganze Zeit vorher gefreut hatte, weil sie mich am meisten interessiert hatte. Tatsächlich war die Zeit dort aber die reinste Hölle.
Die Mitarbeiter dort wirkten am ersten Tag noch recht freundlich und locker. Dort wird es mir sicherlich gefallen – dachte ich.
„Herr Meier, Sie sind doch so ein Fremdsprachenexperte habe ich gehört“, sprach mich Frau Braun, eine Mitarbeiterin dort an. Sie war etwa 40 Jahre alt.
„Ich? Da hat entweder jemand ziemlich übertrieben oder es war ironisch gemeint“, bemerkte ich.
„Ironisch gemeint“, wiederholte Herr Kipper, ihr Kollege, der meine Aussage lustig fand. Er war etwa 35 Jahre alt.
Das konnten sie wohl nur von Monika, der Auszubildenden, die vor mir in der Abteilung war, gehört haben. Für sie war ich wahrscheinlich auch ein Fremdsprachenexperte, was auch kein Wunder war, da sie, wie sie selbst sagte, eine ziemliche Niete in Fremdsprachen war. Der Englischunterricht in der Berufsschule bestätigte es auch, sie bekam wirklich keinen einzigen Satz fehlerfrei hin. Da war ich ihr natürlich schon etwas voraus, mich auf Englisch unterhalten konnte ich mich schon, aber das war in einem Englischunterricht, in dem zu 90% Deutsch gesprochen wurde, auch nichts Besonderes. Die vielen Zeitformen konnte ich auch einigermaßen, aber ich war weit davon entfernt, ein Verhandlungsgespräch zu führen und dann auch noch fehlerfrei.
„Ich wäre es zwar gern, aber es reicht nur, um mich einigermaßen zu verständigen“, stellte ich richtig.
„Welche Sprachen sprechen Sie denn?“
„In der Schule hatte ich Englisch, Französisch und Latein, wobei man Latein ja leider nicht anwenden kann. Nebenbei habe ich noch an der Volkshochschule Italienisch gelernt.“
„Ui, dann sind Sie ja ganz schön vielsprachig.“
„Wie gesagt, zum Verständigen reicht es, aber für alles darüber hinaus nicht, aber irgendwann mal, hoffe ich.
„Und welche Sprache mögen Sie am liebsten?“
„Französisch, auch wenn sie am schwierigsten ist, nach Latein.“

An diesem ersten Tag lief noch alles freundlich ab. Aber nach einigen Tagen fing es langsam an. Diese Frau Braun konnte mich offensichtlich nicht leiden und hatte ständig was auszusetzen. Anfangs waren es nur unfreundliche Anweisungen wie „Gehen Sie mal ans Telefon“, obwohl sie selbst am Platz saß. Ich fragte mich daher immer, worin der Sinn lag, wenn ich das Gespräch annehmen sollte, wenn ich ihr dann eh den Hörer weiter reichte. Die Anrufer kamen aus allen Teilen Europas, manche auch aus den USA. Viele sprachen daher direkt Englisch. Manche hatten einen harten Akzent, so dass ich nicht immer ihren Namen verstehen konnte. Die Braun fragte ja jedes Mal, wenn ich ihr den Hörer weiter reichte, wer da ist. Und jedes Mal, wenn ich den Namen nicht verstanden hatte, kamen sofort blöde Sprüche. „Wieso wissen Sie nicht, wer da dran ist?“ Dabei erfuhr sie es doch eh eine Sekunde später. Diese Unfreundlichkeiten nahmen dann immer mehr zu.
„Ich dachte, Sie sind so ein Fremdsprachengenie“, meinte sie dann. „Haben noch ganz groß getönt, dass Sie so gut Englisch sprechen und Französisch könnten Sie ja noch viel besser.“
Das hatte ich nie behauptet.
„Habe ich nicht. Ich habe von Anfang an gesagt, wie es ist. Ich habe nur gesagt, dass ich Französisch schöner finde, aber nie, dass ich es besser kann und ich habe von Anfang an gesagt, dass ich mich nur verständigen kann.“
Darauf sagte sie nichts. Dafür fragte sie mich jedes Mal, wenn sie mir irgendetwas erklärte, hinterher ganz langsam „Haaben – Sie – das – auch – verstaanden?“ Innerlich kochte ich, aber trotzdem schluckte ich und bejahte nur. Das Problem an mir war es nur immer schon gewesen, dass ich immer schluckte, aber irgendwann nichts mehr hinein passte. Und sobald das Fach überlief, war es vorbei mit der Beherrschung und ich rastete aus, aber auf übelste Weise. Ich fragte mich, wie viel Platz noch im Fass war. Ich hätte ihr gern die Meinung gesagt, das Problem war nicht, dass ich vor ihr Angst hatte, vor ihr hatte ich absolut keine Angst, ich hätte sie liebend gern fertig gemacht. Das Problem war, dass ich Angst hatte, rauszufliegen, wenn ich ausrastete. Auf meine Seite hätte sich sowieso niemand geschlagen, ich war ja nur ein abgefuckter kleiner Azubi, der nichts zu sagen hatte. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als weiter zu schlucken. Und um Platz zu schaffen, reagierte ich mich anders ab. Aber sie dachte wohl, ich hätte Angst vor ihr, und das, obwohl sie fast zwei Köpfe kleiner war als ich.
Als ich mal eine handschriftliche – und lesbar geschriebene - Notiz für einen Kollegen hinterließ, kam von ihr die Bemerkung: „Schreiben Sie es auch so, dass man es lesen kann.“
„Das dürfte lesbar sein“, sprach ich trotz allem recht freundlich.
„Jetzt werden Sie hier nicht pampig. Ganz ruhig“, sie dann plötzlich.
„Was ist denn jetzt los?“, fragte ich.
„Passen Sie bloß auf!“, sie.
„Was ist ihr Problem?“, ich.
„Sagen Sie mal. Wollen Sie mich verarschen?“, sie.
„Vergessen Sie es.“
„Wie bitte?“
„Schon gut.“
Nun war das Fass wirklich fast übergelaufen. Wahrscheinlich wäre es das Vernünftigste, wenn ich mich an meinen Ausbilder wandte, obwohl ich mir nicht viel davon versprach.
„Leider keine Zeit“, meinte Rahneberg nur, als ich ihn anrief, ob ich ihn mal sprechen könne. Aber wenn sich über mich jemand beschwert hätte, dann hätte er wahrscheinlich sofort Zeit gehabt. Ich ging hinunter zum Betriebsrat und suchte Herrn Romberg. Ich erfuhr, dass er Urlaub hatte. Toll. Natürlich bestand der Betriebsrat aus mehreren Mitgliedern, aber den anderen wollte ich mich nicht anvertrauen, erstmal jedenfalls nicht.

Eine Woche fiel wieder jemand von der Postabteilung aus. Nein, diesmal hatte sich niemand im Bett das Bein gebrochen. Diesmal war es ein Bandscheibenvorfall und ein anderer Mitarbeiter. Aber jetzt war ich wirklich froh, dass ich wieder die Vertretung übernehmen durfte und somit meine Ruhe von der Braun hatte.
 
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