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4 Seiten

Silvestermärchen für Erwachsene.

Fantastisches · Kurzgeschichten · Winter/Weihnachten/Silvester
© doska
Da gab es mal einen jungen Kerl mit Namen Norbert, der in der Oberschule immer ein Mädchen Namens Hilde ärgerte, weil diese so schrecklich dünn war und außerdem vorstehende Zähne hatte. Zu Silvester war er sogar ganz besonders böse zu ihr und stachelte alle Klassenkameraden gegen sie auf, die auf der Party erschienen waren. Hilde lief schließlich schluchzend hinaus auf den Balkon des Dachgeschosses.
Niemand kümmerte sich um sie, alle feierten lustig weiter. Als die dürre junge Frau gerade über das Geländer klettern wollte, um sich in die Tiefe zu stürzen, erschien unten auf der Straße eine Hexe.
„Halt!“ rief diese nach oben. „Nicht springen! Ich komme gleich auf meinem Besen hoch geflogen.“
Und so kam es, dass sich Hexe Agathe plötzlich mitten auf dem Fest befand. Die Leuchtraketen waren noch nicht gezündet worden und es war auch erst fünf vor zwölf. Zunächst dachten alle Gäste, die alte Dame wäre nur eine gut verkleidete Person, die nun zornig ihren Besen Richtung Norbert schwang. Hier und da wurde gekichert, denn man hielt das Ganze für einen gekonnten Gag, den sich Norbert wohl wieder mal ausgedacht hatte.
Norbert lachte natürlich auch und zwar am lautesten, als die Hexe auch noch ihre langen Zähne fletschte und fauchte: „Was bist du doch für ein menschliches Schwein, Norbert, andere Leute so fertig zu machen, dass sie sich deswegen das Leben nehmen wollen. Sieh gefälligst auch aus wie eines, und erst wenn du für jemanden zu Silvester ein wahres Glücksschwein geworden bist, sollst du von deiner schrecklichen Gestalt erlöst sein. Gelingt dir dies in sieben Jahren nicht, bleibst du für immer ein Schwein.“
Da grinste Norbert über das ganze Gesicht.
„Na, klar Muttchen!“ feixte er. „Pass auf deine Zähne auf, damit du sie nicht beim Sprechen verlierst!“ Er amüsierte sich königlich. Doch siehe da, plötzlich krümmte er sich zusammen, sein Lachen ähnelte mehr und mehr einem wilden, aufgeregten Grunzen und plötzlich sahen seine entsetzten Mitschüler, dass sich ausgerechnet DER Norbert, der immer Mittelpunkt der Klasse gewesen war, in ein richtiges Schwein verwandelt hatte. Schließlich lachte keiner mehr, außer Hilde. Es war ein leises, vorsichtiges Kichern und sie wischte sich dabei die Tränen weg. Die Hexe aber war so rasch über den Balkon verschwunden wie sie gekommen war.
Alle waren völlig verstört, wollten Norbert irgendwie helfen. Doch der winkte grunzend ab und Hilde, die ihm nach einiger Überwindung tröstend über die Borsten streicheln wollte, biss er in die Hand.
Er öffnete die Tür mit seiner Schweineklaue und hüpfte laut quiekend die Stufen hinunter. Wie vom Donner gerührt standen alle da. Überlegungen wurden getroffen. Einige schlugen vor, man solle die Hexe bei der Polizei anzeigen. Andere hatten die Idee einer OP in einem bekannten Krankenhaus für Schönheitsoperationen. Vor allem hatte man Sorge, dass Norbert eines Tages in einer Fleischerei enden könnte.
Doch niemand lief ihm hinterher, um zu sehen, wohin er nun rannte. Stattdessen floss an diesem Silvesterabend reichlich Alkohol und schon im Morgengrauen war alles vergessen. Nur Hilde hatte vorzeitig die Party verlassen.
Norbert traute sich nicht nach Hause in sein Schülerwohnheim und hätte ihm nicht ein altes Mütterlein, das gerade seinen Weg kreuzte, hinten in ihrem Garten im ehemaligen Hühnerstall eine kleine Heimstadt gegeben, hätte es mit ihm bestimmt ganz schlimm geendet. Norbert ging nicht mehr ins Gymnasium, denn mit solch einem schweinischen Aussehen konnte er sich unmöglich den Lehrern zeigen.
Er blieb saudumm und nur zu Silvester durfte er bis Mitternacht seine menschliche Gestalt haben. Allerdings mit kleinen Veränderungen seines einst so stattlichen Aussehens. Die weichen Haare waren hart geworden und gekürzt zu einem derben Borstenschnitt und statt seiner schönen, aristokratischen Nase besaß er jetzt einen rosaroten Rüssel. Deswegen trug er den Kragen seines Mantels hoch geschlossen, damit man diese Verunstaltung nicht sah.
Das alte Muttchen hatte ein großes Herz und den Stall vergrößern lassen und ihm eine kleine Sau hinzugeführt, damit der Eber nicht immer so allein war. Aber Norbert strafte dieses arme Schwein mit Desinteresse.
Jedes Silvester bemühte er sich, ein Menschenherz zu finden, das ihn trotz seiner Borsten und seines Rüssels als großes Glück empfand, aber alles schien vergebens zu sein. So schwand die Hoffnung, endlich wieder ein richtiger Mensch zu werden, von einem Silvesterabend bis zum nächsten mehr und mehr.
„Weißt du“, sagte darum die alte Dame eines Tages, „vielleicht solltest du dich damit abfinden, für immer ein Schwein zu bleiben und ruhig diese hübsche, kleine Sau zur Frau nehmen, denn jetzt steht dir nur noch dieses eine, letzte Silvester zur Verfügung und dann ist ohnehin jede Chance für dich vorbei.“
Aber das wollte er nicht hören. Schweine waren doch ekelig mit ihren dicken Bäuchen und den Schlappohren! Er sprach mit der kleinen Sau kein Wort, mied sie, wo er nur konnte. Immer, wenn sie freundlich zu ihm angegrunzt kam, stieß er sie mit seiner rosaroten Schnauze von sich fort.
Bald war der große Tag gekommen. Sein letztes Silvester. Noch einmal durfte Norbert Mensch sein. Sein Herz klopfte ihm bis zum Halse, denn wie konnte er in so kurzer Zeit jemanden zu finden, der ihn als großes Glück betrachtete? Als er wie immer eine Packung Leuchtraketen in seinem Lieblingsladen für Silvester kaufen wollte, erkannte er in der neuen Kassiererin seine ehemalige Klassenkameradin Hilde, die er doch an jenem verhängnisvollen Silvesterabend so sehr beleidigt und verletzt hatte. Sie war ein wenig runder geworden - das stand ihr gut - und auch ihre Zähne lugten nicht mehr zwischen den Lippen hervor. Heute fielen ihm sogar ihre ausdrucksvollen Augen auf, die er nie zuvor beachtet hatte. Donnerwetter, hatte sich die Hilde aber verändert. Verlegen zupfte er sich den Schal noch etwas höher über den Rüssel. Sie war so viel hübscher als er und er nur ein hässliches, armes Schwein.
Norbert schob ihr einen kleinen, charmanten Brief herüber, wie er das auch bei allen anderen Frauen immer zu Silvester getan hatte und siehe da, auch bei ihr hatte er damit Erfolg. Allerdings verriet
er ihr darin nicht, wer er war. Sie trafen sich nach Ladenschluss und tatsächlich gelang es ihm, Hilde dazu zu überreden, noch diesen Silvester mit ihm ins Bett zu steigen. Als der spannende Moment kam, wo sie sich gegenseitig entkleideten, stutzte sie, weil er das Tuch noch immer über dem Mund behalten wollte. Kaum hatte sie es ihm vom Rüssel gerissen, rief sie überrascht und zornig: „Ach, du bist es also, Norbert! Du brauchst mich doch nur, um von deiner Schweinegestalt erlöst zu werden, in die du damals verzaubert worden bist. Dazu bin ich dir plötzlich gut genug! Probiere es doch mit allen anderen, mit denen du früher Sex gehabt hast!“ Und dann zog sie sich laut schluchzend wieder an. Es half nichts, dass er ihr beteuerte, wie sehr ihm seine Zankereien von damals leid täten, und dass er sie inzwischen wunderschön finden würde, auch sie lief ihm davon.
Es war ihm also so ergangen wie jedes Silvester. Wieder hatte er nichts erreicht. Kurz vor zwölf taumelte er schluchzend zum Schweinestall und warf sich ins Heu. Da trippelte das kleine Schweinchen herbei und beugte sich tröstend über ihn. Das fand er so lieb, dass er zu ihr sagte, ohne sich umzudrehen: „Zwar bin ich selbst kein Glücksschwein gewesen, und werde es wohl auch nie schaffen, eines zu werden, aber du ... du bist es für mich!“ Kaum hatte er das gesagt, berührten ihn plötzlich keine Hufe mehr, sondern es waren Hände die ihn zärtlich streichelten. Er blickte aus dem Heu zu ihr auf und sah, dass sich das kleine Schwein in eine sinnliche, nackte Frau verwandelt hatte. Diese lächelte ihn ganz erleichtert an.
„Auch ich habe mit meinem Hochmut sehr viel Böses getan“, hauchte sie, „und bin deswegen in eine Sau verwandelt worden. Ich sollte nur dann eine Chance bekommen, für immer Mensch zu bleiben, wenn mich jemand auch in Schweingestalt mögen würde. „Ich will mich dafür revanchieren, dass du mich erlöst hast. Willst du mein Glücksschwein sein?“
Das ließ sich Norbert nicht zweimal sagen. Er küsste sie mit seinem Rüssel und sie küsste sehr zärtlich zurück und so kam es, dass er wieder eine richtige Nase bekam und sein schönes weiches Haar zurück erhielt. Es blieb nicht bei dem einen Kuss - oh nein - denn die Zwei gefielen einander sehr. Sie legten sich ins Heu und machten zusammen ganz viele kleine Ferkeleien und grunzten jedes Mal vor Freude, wenn sie kamen. Ja, diese über Jahre gewohnte Grunzerei konnten sie so schnell nicht lassen.
Die Alte, welche natürlich in Wirklichkeit Hexe Agathe war, schaute schmunzelnd dabei zu und da gerade Magier Leopold ebenfalls zugegen war, hatten beide plötzlich eine Idee, wie man zauberhaft miteinander in das neue Jahr gleiten könnte.
Hilde lernte an diesem Silvesterabend einen Minister im hohen Amt kennen, der sich, obwohl er keinen Rüssel hatte, als rechtes Schwein entpuppte.
Darum passt auf, wenn ihr zu Silvester jemanden küsst. Er könnte inwendig ein Schwein sein oder aber auch nur nette, kleine Schweinereien mit euch vorhaben. Das zu unterscheiden ist manchmal sauschwer. Trotzdem wünsche ich euch viel Schwein zum neuen Jahr!
 
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Kommentare  

Wirklich ein hübsches Silvestermärchen mit ernstem Hintergrund. Ich bemerke immer wieder, dass du in deinen tollen Geschichten ein Herz für die Schwachen hast. Dieses gefällt mir an deinen Storys ganz besonders.
LG. Michael


Michael Brushwood (02.01.2013)

Hallo Dieter und hallo Rosmarin, danke für eure lieben Kommentare.

Dieter: Schön, dass du gerührt warst und dass du Romantik bei Märchen gut findest.

Rosmarin: Freut mich, dass das kleine Märchen dir gefallen hat. Ja, das mit den Schweinen weiß man manchmal nicht sogleich. Das ist eben die Schweinerei. Ich sende dir auch einen Silvestergruß und wünsche auch Dieter ein gutes neues Jahr.


doska (30.12.2012)

das ist ja ein übraus süßes silvestermärchen. hoffentlich küsst mich kein schwein. rutsch gut rein.
grußvon


rosmarin (30.12.2012)

Deine Silvesterstory hat mir große Freude gemacht und am Ende war ich sogar ein kleines bisschen gerührt. Romantisch, wie es Märchen sein sollten, auch wenn sie für uns Erwachsene geschrieben worden sind.

Dieter Halle (30.12.2012)

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