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4 Seiten

Katz und Maus - Kapitel 1 [Scarlette]

Romane/Serien · Romantisches
Bereits ein halbes Schuljahr war dieser mysteriöse, neue Kerl nun an ihrer Schule. Scarlette fixierte sein Gesicht, während ihre Hände sich an dem Tablett festkrallten, als wäre es im Moment ihr einziger Halt. Gleich wäre sie an der Reihe. Ihr Herz raste bei dem Gedanken, dass sie ihm gleich endlich ihre Gefühle gestehen könnte.
Er sah so gut aus, kein Wunder, dass sie nicht die Einzige war, die total auf ihn abfuhr. Er hatte längeres, blondes Haar, welches in seinem Nacken zusammengebunden war, doch jede Menge Strähnen lösten sich dem Zopf und fielen in sein engelsgleiches Antlitz. Seine blauen Augen aber wirkten kalt und wenn er mal den Kopf hob und sein Blick sich mit dem eines anderen kreuzte, dann schien es, als würde er durch einen hindurchschauen. Ihn garnicht wahrnehmen. Er war wirklich seltsam, aber vielleicht war es genau das, was viele an ihm so anziehend fanden.
Eine Menge andere Mädchen, die in der Schlange vor ihr dran waren, versuchten, den Mann in ein Gespräch zu verwickeln, allerdings ignorierte er sie gekonnt, bedachte sie ab und zu mit diesem kühlen Blick und überreichte ihnen höchstens ihren Nachtisch.
Scarlette hatte am Abend um die 100 Briefchen geschrieben, in denen sie versucht hatte, ihr Gefühle für ihn zu Papier zu bringen, aber nur einen hielt sie nun in ihren zittrigen Fingern. Cool bleiben, sei selbstbewusst!, sprach sie sich selbst Mut zu, ehe sie endlich dran war und lächelnd zu ihm hochsah. Doch in dem Moment, in dem sich ihre Blicke trafen vergaß sie für einen kurzen Augenblick, was sie hier wollte. Erst das Klirren des Tellers, welchen er auf ihr Tablett stellte, holte sie wieder in die Realität zurück.
Bevor sie überhaupt nachdachte, was sie da tat, hob sie die Hand mit dem Zettel und steckte ihm selbigen in die Brusttasche seiner Küchenschürze. Aidan hob ungläubig eine Augenbraue und sah sie an, als wäre sie geisteskrank, bevor er stöhnte.
„Ich bin fertig hier.“, brummelte er, drehte sich nach hinten und verschwand in der Küche, ließ nicht nur Scarlette verdattert stehen sondern auch die Anderen, die eigentlich noch auf ihr Essen warteten.

Die ganze Mittagspause über bekam Scarlette keinen Bissen mehr runter. Er hatte den Zettel schnell lesen wollen, deswegen war Aidan so früh verschwunden. Das musste der Grund gewesen sein! Zumindest redete sie sich das immer wieder ein. Hannah, ihre beste Freundin fragte sie unaufhörlich aus, was sie sich bitte dabei gedacht hätte. Scarlette seufzte leise und blies sich eine ihrer roten Haarsträhnen aus der Stirn.
„Ich weiß es ja auch nicht. Als ich vor ihm stand, war plötzlich alles weg… und ehe ich es selbst wirklich mitbekommen hab, steckte dieser Zettel in seiner Schürze.“, murmelte sie zur Antwort. Hannah stöhnte und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück.
„Ich glaubs nicht. Hast du sein Gesicht gesehen? Er war richtig angepisst.“, stellte sie überflüssigerweise fest, dann zuckte sie aber mit den Schultern.
„Naja, wie auch immer, ist dein Problem. Iss schneller, in Fünf Minuten ist die Pause vorbei und wir haben heute in den letzten Stunden diesen komischen Thompson.“, lenkte sie das Gespräch nun in eine andere Richtung. Scarlette blickte auf.
„Thompson?“, wiederholte sie. Nicht dieser komische Kauz. Er war ein Aushilfslehrer, sie wusste nichtmal, ob er ein festes Fach an dieser Schule hatte. Viele mieden ihn, er war nicht besonders beliebt und Scarlette konnte das gut verstehen. Er war noch garnicht so alt, dennoch hatte er die Ausstrahlung eines alten, verbohrten Knackers. Er war streng, herablassend und unfreundlich, verteilte liebend gern Strafaufgaben oder ungerechte, schlechte Noten. Niemand hatte gern Vertretung bei ihm.
„Ich geh nicht mit.“, informierte Scarlette ihre Freundin und schob den endlich geleerten Teller nach hinten. Dafür erntete sie von ihrer Freundin einen fragenden Blick.
„Ich werd mich krankschreiben lassen. Hab ich noch gut, für diesen Monat. Ich hab keine Lust auf den Thompson, außerdem will ich so schnell wie möglich wissen, was Aidan zu dem Brief sagt.“, antwortete sie. Hannah zog eine Augenbraue hoch.
„Du willst echt noch mit ihm reden? War dir das grad nicht peinlich genug?“
„Ich will nunmal eine Antwort!“, fuhr Scarlette sie an, dann nahm sie ihr Tablett, stand auf und brachte es rüber zur Theke, wo es ihr abgenommen wurde. Hannah verstand sie nur nicht, weil sie noch nie verliebt gewesen war. Nicht so wie Scarlette.
Die 10 Minütige Pause, die eigentlich dazu gedacht war, den Weg von der Kantine zu den Klassenräumen zurückzulegen nutzte Scarlette tatsächlich, um der Schulärztin einen Besuch abzustatten und ihr ein Unwohlsein vorzugaukeln. Wie sonst auch zog es und wenige Minuten später stand sie mit der Entschuldigung in der Hand wieder im Flur. Zufrieden mit sich selbst verließ sie das Gebäude, allerdings nicht, um sich auf den Weg nach Hause zu machen. Scarlette wusste, dass die Küchenkräfte kurz nach der Mittagspause frei hatten. Sie hoffte bloß, dass sie Aidan nicht schon verpasst hatte.
Die Kälte kroch ihr in die Knochen. Es ging langsam auf den Winter zu, die Tage wurden kürzer und die Luft kälter. Heute Morgen noch hatte Chase ihr geraten, einen Schal mitzunehmen, aber sie hatte die Worte ihres Bruders wie immer in den Wind geschlagen. Das hatte sie nun davon.
Das Mädchen legte ihre kühlen Finger wie einen Trichter um den Mund, blies Luft hinein, um sie ein wenig zu wärmen, aber wirklich viel brachte es nicht. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, öffnete sich das große Haupttor und Aidan trat nach draußen, hatte das Gesicht zur Hälfte hinter dem Kragen seines Mantels versteckt. Kaum verließ er das Tor und ging an ihr vorbei, trat sie aus dem Schatten der Bäume, hinter denen sie sich versteckt gehalten hatte und nahm die Verfolgung auf.
„Aidan! Was für ein Zufall…!“, stieß sie laut aus und gesellte sich sogleich neben ihn. Dem Seitenblick nach zu urteilen, den er ihr zuwarf, schien er nicht sonderlich erfreut über diesen, sogenannten Zufall zu sein.
„Die Krankenschwester hat mich nach Hause geschickt. Hast du mir vielleicht was in mein Apfelmuß gekippt?“, versuchte Scarlette nun, ein Gespräch in die Wege zu leiten, lachte auf und es klang wie das Wiehern eines Pferdes. Nervosität war wirklich etwas Schreckliches. Doch Aidan starrte nur weiter geradeaus, während er lief, würdigte sie keines Blickes.
„Jedenfalls… wir scheinen ja denselben Weg zu haben. Also dachte ich, wir könnten ein Stück zusammen gehen. Das wird bestimmt witzig.“, probierte sie es nochmal.
„Zum totlachen.“, war seine trockene Antwort. Naja, zumindest reagierte er überhaupt. Das war doch schon mal ein kleiner Fortschritt.
„Hast du meinen Brief gelesen?“, kam sie nun auf den eigentlichen Grund zu sprechen, weswegen sie ihm gefolgt war.
„Hab ihn weggeworfen.“
Scarlette entgleisten einen kurzen Moment die Gesichtszüge. Sie hatte sich so viel Mühe mit diesem Ding gegeben und er hatte ihn einfach weggeschmissen? Gerade öffnete sie den Mund, wollte protestieren, da blieb er stehen und drehte sich unvermittelt zu ihr um. Sein eiskalter Blick traf sie mit voller Härte und die Worte blieben ihr im Halse stecken.
„Hör zu, du hast gesagt, du bist krank oder? Dann geh nach Hause und leg dich hin, geh schlafen oder mach sonst was, aber geh mir nicht auf die Nerven!“, zischte er leise. Stille herrschte zwischen ihnen. Scarlette überlegte einen Moment, was die darauf nun erwidern sollte.
„Tut mir leid, ich dachte… du läufst ja immer allein rum und da dachte ich, ein paar Freunde würden dir ganz gut tun.“, brachte sie kleinlaut hervor und sah unsicher zu ihm auf. Aidan schwieg einen Moment.
„Du irrst dich. Ich bin gern allein und ich brauch Niemanden.“, antwortete er, ehe er sich wieder umdrehte und den Weg erneut aufnahm. Scarlette blieb stehen und sah ihm nach.
„Ach komm schon! Ist das dein Ernst? Menschen, die einsam sind reden sich immer ein, sie bräuchten Niemanden, aber eigentlich bereust du diese Fassade doch, oder?“, rief sie ihm hinterher, bevor sie den Abstand zwischen ihnen eilig überbrückte, diesmal aber ein Stück nach ihm ging.
„Wovor fürchtest du dich?“
Er drehte sich schonwieder so plötzlich um, dass Scarlette beinahe in ihn hineingelaufen wäre.
„Was erwartest du, was ich jetzt tun soll, Quälgeist?“, fragte er gereizt. Sein Blick fixierte sie. Zum ersten Mal glaubte Scarlette, dass sie nicht ausdruckslos waren. Nein, im Moment schienen sie ausgesprochen wütend zu funkeln.
„Soll ich dich küssen, damit du zufrieden bist? Oder soll ich mich gezwungenermaßen mit dir anfreunden? So tun, als würde ich dich lieben, deinen Freund spielen?“, seine Worte klangen ein wenig verletzend. Scarlette schluckte.
„Nein, natürlich nicht… Ich will nicht, dass du irgendwas vortäuschst, was du nicht bist. Aber ich hab dich schon einige Monate beobachtet, wir alle haben das und du wirkst alles andere als glücklich. Wenn du nur mal Jemanden an dich heran lassen würdest, dann würdest du merken, dass es garnicht so schlimm ist.“, erklärte sie. Aidan taxierte sie noch immer, drehte sich dann aber einfach um und vergrub seine Hände in den Hosentaschen.
„Du weißt überhaupt nichts über mich.“, war das Letzte, was er sagte, bevor er sich davon machte.
„Das Angebot steht!“, rief Scarlette ihm hinterher, wurde aber von Aidan in der Kälte stehen gelassen.
 
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