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DER HIMMEL UEBER ROM, Teil 9 - ELYSISCHE GEFILDE...

Romane/Serien · Nachdenkliches
Nach drei unerträglich langen Tagen erreichten sie Rom – Thumelicus wurde in ein separates Zimmer gebracht – und sie selber begrüßte ihre Freunde, sie hatte sie sehr vermisst. Die Colonia war unversehrt, ihre Mutter hatte ihr nichts antun können. Ein Glück!
Der Römer Marcus tobte sich auf einem Feldzug gegen irgendwelche Barbaren aus, die angebliche Revolte des Asiaticus wurde niedergeschlagen und er befand sich nun in Gefangenschaft.
Aber das Wichtigste war: Niemand suchte nach dem Thumelicus, keiner der Nachrichtenschreier auf den Foren erwähnte seinen Namen. Kein Straßentheater spielte seinen Tod auf sarkastische Weise nach. Anscheinend wusste niemand, dass es passiert war – oder es interessierte niemanden. Das war gut!
Der Imaginus, sie hatte sich mittlerweile an seinen neuen Namen gewöhnt, es war sicherer, ihn so zu nennen – also der Imaginus hielt sich hauptsächlich in seinem Zimmer auf. Wenn er aber doch einmal herauskam, dann verhielt er sich wie ein scheues Reh. Er betrachtete sie manchmal heimlich, aber nicht so heimlich, dass sie es nicht bemerkte. Vanadis beneidete ihn zuerst um dieses Zimmer – sie hätte auch gerne ein eigenes gehabt – doch im Lauf der Zeit fing sie an, ihn zu bemitleiden. Er saß da in diesem Raum, vollkommen in sich selber vertieft, was zum Pluto war mit ihm los? Sie fühlte sich angesprochen, fühlte sich besorgt, fühlte ... ja was? Dumme Gedanken? Aber im Nachhinein schienen sie ihr gar nicht so dumm zu sein…

„Was hast du nun mit ihm vor?“, fragte sie die Caenis, die einige Wochen später zu Besuch kam. Glücklicherweise war die Sidonia nicht im Hause.
„Wir werden sehen ...“, die Caenis wirkte unentschlossen. „Ich würde ihn gerne zu mir in den Palast nehmen, aber da sind viele neugierige Ohren und Augen.“
„Was könnte denn passieren?“
„Ich weiß es nicht, aber...“, die Caenis machte eine bedeutsame Pause, bevor sie weitersprach, „es ist die germanische Leibwache des Kaisers, welche mir Unbehagen verschafft.“
„Oh! Da könntest du Recht haben, die sind bestimmt fähig, einen Germanen von einem anderen zu unterscheiden, und vielleicht erinnert sich sogar noch der eine oder andere an den Arminius.“
„Das ist gut möglich“, stimmte die Caenis ihr zu. „Man darf diese Männer nicht unterschätzen, zudem sie auf das Römische Reich und vor allem auf den Claudius eingeschworen sind. Sie haben ihn sich schließlich zum Kaiser erwählt, nachdem Caligula getötet wurde. Ich kann mich noch gut daran erinnern: Die Verschwörer lockten den Caligula aus dem Theater. Dann haben sie ihn erdolcht.“ Die Caenis lächelte, es wirkte befriedigt. „Die Leibwache war ziemlich erbost, man hatte ihr den Kaiser genommen! Die Germanen fingen daraufhin ein Gemetzel im Theater an, Hunderte von Zuschauern fielen ihnen zum Opfer… Bis der Schauspieler Mnester sie fortlockte mit der Botschaft, der Kaiser würde noch leben. Dieser war zwar tot, aber sie fanden seinen Onkel, der sich im Palast versteckt hatte. Den hinkenden und stotternden Claudius! Caligula, der Sohn seines geliebten Bruders Germanicus hatte sich als grausamer Herrscher entpuppt. Aus dem niedlichen kleinen „Stiefelchen“, wie die Soldaten ihn einst nannten, war ein Wahnsinniger geworden, der sich zum Gott erklärt hatte“, die Caenis stöhnte auf. „Nun denn, es ist vorbei, jetzt ist Claudius Kaiser. Und er war keine schlechte Wahl, ganz gewiss nicht. Wenn nur die Messalina nicht alles kaputt machen würde. Die Todesurteile häufen sich mittlerweile.“ Die Caenis sprach nun leise. „Nein, im Kaiserpalast darf der Thumelicus nicht erscheinen. Das Risiko ist zu groß.“
Risiko ... Vanadis hatte während der letzten Sätze nicht richtig zugehört, doch bei diesem Wort wurde sie hellwach: „Im Haus der Sidonia ist das Risiko auch groß. Du weißt sicher, was vorgehen könnte!“, hakte sie unerbittlich nach.
Die Caenis nagte an ihrer Unterlippe und überlegte sichtlich. „Gut!“, sagte sie dann. „Ich habe schon eine Idee, ich kaufe ein Anwesen in Capua, das ist weit weg von Rom, aber das kann dauern, weil die Villen dort sehr begehrt sind. Bis dahin muss der Imaginus hierbleiben. Und ich hoffe, dass ihm nichts Schlimmes widerfährt.“
„Ich kann ihn nicht davor beschützen“, Vanadis schüttelte den Kopf, „denn du weißt sicherlich, wie die Herrin ist.“
„Verdammte Hure! Sie muss sich an die Abmachungen halten! Ich habe ihr viel Geld gegeben, damit sie dich und jetzt auch den Thumelicus, nein den Imaginus in Ruhe lässt.“
„Man kann ihr nicht trauen. Wenn sie die Möglichkeit hat, ihren Gelüsten nachzugeben, dann tut sie es. Geld hat sie selber genug.“ Vanadis war erstaunt über ihre Worte. Wieso wusste sie, dass die Herrin so war? Sie wusste es eben. „Nun, bis jetzt ist er standhaft geblieben und ich glaube an ihn, im Innersten ist er unschuldig, egal was er schon erlebt hat, aber er ist ja, kompliziert, er ist geprägt von seiner Vergangenheit.“
„Beim Jupiter, wir sind doch alle geprägt! Ich bin es, du bist es! Du musst ihn nicht entschuldigen. Was will er, wovon träumt er? Frage ihn danach!“ Die Caenis erhob sich, bereit zum Aufbruch.
„Ich kann es ja versuchen“, murmelte Vanadis. „Aber ich glaube, das weiß er selber nicht.“
Sie selber wusste ja auch nicht, was mit ihr passiert war, nie hätte sie damit gerechnet. Vor allem so schnell, nur ein paar Wochen waren vergangen und schon bestimmte der Imaginus ihre Gedanken, ihre Wünsche, ihre Hoffnungen.
Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass mittlerweile Winter herrschte. Sie saß im Haus Colonius fest und versuchte, die Liebe des Imaginus zu erlangen, sie war so von ihm gefangen, dass sie an gar nichts anderes mehr denken konnte.

Wie hatte es angefangen:
Am Anfang war sie nur fasziniert von ihm gewesen, er schien so widersprüchlich zu sein, so kraftvoll im Äußeren, so zurückhaltend, fast schon zaghaft im Inneren. Außerdem war er ein Bild von einem Mann, und das hatte auch die Herrin mittlerweile festgestellt.
Diese Schlampe legte es darauf an, ihm zu begegnen und sich dabei wie zufällig mit ihren Brüsten an ihm zu reiben, ihm die Wange zu streicheln und ihn aufreizend anzulächeln, auf eine widerliche Weise, wie Vanadis fand. Er schaute die Sidonia dann immer so hilflos an, dass Vanadis am liebsten dazwischen gefahren wäre.
Natürlich tat sie es nicht. Stattdessen ging sie ein paar Tage später einfach in sein Zimmer. Er saß auf seinem Bett, ließ die Schriftrolle, in der er gelesen hatte fallen und schaute sie erstaunt an.
„Pass mal auf, Imaginus! Ja, das bist du jetzt wohl: Imaginus! Du bist nicht mehr der wunderbare Sohn des Eroberers Segifryd, du bist nur noch ein Sklave namens Imaginus. Die Antonia Caenis hat sich für dich in große Gefahr begeben, indem sie dich aus Ravenna befreite. Warum kannst du darüber nicht froh sein?“ Eigentlich hasste sich Vanadis für diese freche Rede, aber sie wollte zu ihm durchdringen. Wollte seine starre Fassade erschüttern, wollte sie bröckeln sehen.
Er starrte sie an, und sein Mund verzog sich.
Nein, bitte nicht zum Weinen, das fehlte ihr gerade noch! Vanadis fuhr schnell fort: „Und wer weiß, was sie dir noch alles Gutes antun wird ...“
„Antun... ja, das ist es wohl“, brachte er schließlich bitter hervor.
Immerhin sagte er etwas, er hatte sie wahrgenommen, das war doch gut, oder? Aber was wollte er, was erwartete er?
„Viele andere wären froh, wenn sie so eine Gönnerin hätten! Aber du nennst es ja ‚antun’, meine Güte, in was für einer Welt lebst du überhaupt? Was willst du? Was bewegt dich? Diese Welt ist nun mal so, wie sie ist. Die Römer sind die Herren!“
Wieder schwieg er, aber er wirkte unsicher und Vanadis entschloss sich, noch ein bisschen grober zu werden.
„Hast du jemals daran gedacht, was sie von MIR verlangen? Ich soll deine Gefährtin sein, eine, die dich tröstet oder sonst noch was tut ...“ Sie schaute ihn erbittert an. Nicht dass sie es nicht tun würde, dieses ‚sonst noch was’, aber sie hasste den Zwang, der auf sie ausgeübt wurde, nur weil sie eine Sklavin war.
„Das wusste ich nicht“, seine Stimme klang kleinlaut, und am liebsten hätte sie ihm das Haar aus der Stirn gestrichen. So wie die Herrin es tat, diese lüsterne Hündin! Aber sie war nicht wie die Herrin. Sie wollte nur sein Bestes. Er kam ihr vor wie ein Kind im Körper eines Mannes. Ein schutzbedürftiges Kind. Und plötzlich tat sie es doch, sie wusste nicht warum, aber sie streichelte ihm das Haar aus der Stirn. Seine Haut fühlt sich gut an, weich, angenehm und auch aufregend.
Er lehnte sich an sie und ließ seinen Kopf schließlich auf ihre Schulter sinken. Vanadis stockte der Atem, sie versuchte diesem Moment bis ins Unendliche auszudehnen, weil er so gut war, sie hatte ähnliches noch nie erlebt. Es war vielleicht wie mit einem der wilden Löwen aus Afrika, die in der Arena gezeigt wurden, man konnte von ihm gefressen werden, aber er konnte auch wie eine Hauskatze schnurren und dann war es wunderbar.
Nach einer Weile zog er sich wieder zurück. „Es tut mir leid“, sagte er. „Aber ich bin wohl nicht ganz normal.“
„Keiner von uns ist ganz normal“, Vanadis schaute ihn zärtlich an, bis sie dann zugab: „Mehr oder weniger... Aber was ist mit dir? Was haben sie dir angetan?“
Oh nein, das war bestimmt zu vorwitzig, und sie hasste sich wegen ihrer spontanen Frage. Aber er tat ihr so leid, er war so schön, so unglücklich, er kam aus Germanien, war sozusagen ein Blutsverwandter, obwohl er seine Heimat nie gesehen hatte, aber er lebte im Geiste darin, das ahnte sie. Und gerade sein Anderssein zog sie an, es unterschied ihn von allen Römern, die sie kannte, vor allem von dem Marcus. Sein Vater war wohl der Schlüssel dazu. Oder seine Mutter? Was war wohl mit der Gunhilda geschehen?
„Deine Mutter?“, fragte sie behutsam, „was ist mit ihr geschehen?“
Er sank in sich zusammen, umschlang sich mit seinen Armen, schaukelte sich langsam in Trance hinein und stöhnte vor sich hin.
„Bitte sag es mir!“ Vanadis war unerbittlich, sie musste eine Verbindung mit ihm herstellen, und dazu musste er sich öffnen, musste etwas aus seinem Innersten preisgeben.
„Sie wollte mich beschützen“, wimmerte er zwischen seinen Beinen hindurch, die er immer noch mit den Armen umklammerte. „Sie hat sich mit ihm eingelassen, um mich zu beschützen.“
So etwas hatte sie vermutet. Es handelte sich ja um Rom, egal ob es nun in Ravenna geschah oder direkt hier vor ihrer Nase.
Ein seltsames Gefühl überkam sie: Sein Körper zog sie an, zog sie sehr an, auch sein Geist zog sie an, er war empfindsam, war gebildet als Geisel Roms, etwas das sie selber nicht war – bis auf das bisschen Schreiben und Lesen.
Und er war so schön - dennoch innerlich in Stücke geschlagen, und vielleicht würden sich diese Stücke nie wieder zusammenfügen. Nein, daran durfte sie nicht glauben, denn dann wäre alles umsonst gewesen, die Anstrengungen der Caenis, ihn zu retten, auch die des Marcus, obwohl der ihr vollkommen egal war, aber sie selber, sie wollte, dass er wieder anfing zu leben. Dass er seinen Dämmerzustand überwand, dass er seine Traurigkeit besiegte. Dafür würde sie alles tun.
„Weißt du, ob deine Mutter noch lebt?“, fragte sie ihn schließlich. Sie konnte sein Schweigen nicht mehr ertragen.
„Das ist das Schlimme: Ich weiß es nicht... Wo ist sie? Wo kann sie sein? Wie geht es ihr, wenn sie noch da ist? Warum meldet sie sich nicht? Sie kann doch nur tot sein. Ich hoffe, dass sie tot ist.“ Thumelicus sah an ihr vorbei ins Leere. „Als ich klein war, da hat sie mir erzählt, dass mein Vater ein Held ist. Ein Held, der uns retten würde. Sie hat ihn so geliebt! Doch dann vergingen die Jahre, und er hat uns nicht gerettet. Irgendwann erfuhren wir, dass er tot war. Durch Gift ermordet bei einem Fest der verbündeten Chatten. Und danach hat sie sich aufgegeben. Ich habe das als Kind nicht verstehen können, aber jetzt verstehe ich es.“
„Die Chatten selber hatten nichts damit zu tun, das weißt du, oder? Ich lebte bei ihnen, war zwar nicht von ihrem Stamm, doch angenommen als Tochter. Der Mörder war ein Freier, der deine Mutter heiraten wollte und den sie verschmähte. Und das Gift bekam er aus Rom vom Kaiser Tiberius.“
„Ja, ich weiß. Sie hat statt ihm meinen Vater geheiratet gegen den Willen meines Großvaters. Dieser alarmierte die Römer, während mein Vater auf einem Feldzug war. Mein Großvater übergab meine Mutter dem Germanicus, um dem Imperium seine Treue zu beweisen. Und er saß bei dem Triumphzug des Germanicus auf der Tribüne, als meine Mutter vorbeigeführt wurde, mit mir im Arm. Ich wurde in Gefangenschaft geboren und bei dem Triumphzug war ich zwei Jahre alt.“ Er verstummte.
Vanadis ahnte das Ausmaß seiner Verzweiflung. Er tat ihr so leid, wieso nur, er war doch nur ein winziges Teilchen in der römischen Welt der Eroberungen. Trotzdem redete sie drauf los, es war ihr egal, ob es die Wahrheit war oder nur Erfundenes:
„Dein Vater war immer bemüht, einen Weg zu finden, wie er dich und deine Mutter befreien konnte. Alle seine Feldzüge unternahm er nur, um euch näher zu kommen. Als er starb, hatte er einige Kämpfe gegen die Römer gewonnen und er war nur noch fünfhundert Meilen von Ravenna entfernt.“ Zumindest das Letztere stimmte, denn sie hatte es oft an den Herdfeuern der Chatten gehört. Also erzählte sie unbeirrt weiter, obwohl sie gar nicht wusste, wo diese Länder lagen: „Dein Vater beherrschte das mittlere Germanien, er hatte den großen König Marbod vertrieben und statt ihm einen Vasallenkönig im Markomannen-Reich eingesetzt, welches direkt an Pannonien grenzte. Der Vorstoß durch Pannonien auf Ravenna war denkbar, und hundert Jahre vor ihm hatten die Kimbern und Teutonen in der Po-Ebene mit den Römern Katz und Maus gespielt.“ Vanadis lächelte. „So erzählte man es sich. Doch dann wurde dein Vater bei einem Besuch im Lager der Chatten durch Gift ermordet.“
Thumelicus schwieg. „Es ist alles so sinnlos“, sagte er schließlich und seufzte dabei.
„Ach weißt du, das Leben ist nun mal so. Die Götter schert es nicht, was mit uns passiert.“
„Meinst du, er hat mich geliebt?“
Vanadis wusste instinktiv, wen er meinte. „Aber sicher doch, natürlich hat er dich geliebt. Du warst sein Sohn und alles was passiert ist, waren nur unglückliche Zufälle.“ Natürlich glaubte sie nicht an diese Worte, im Innersten war sie überzeugt davon, dass der Arminius ein Machtmensch gewesen war, dem die Feldzüge gegen die Römer über alles gingen – während seine Familie ihm kaum etwas bedeutete.
Aber das hier war sein Sohn. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen, er war so unsicher, so hilflos, doch gleichermaßen körperlich stark. Wenn er ihr jetzt irgendein Zeichen geben würde, eine Geste, einen Blick, dann würde sie sich in ihm verlieren. Ihr Herz fing stärker an zu pochen, erwartungsvoll, sehnsüchtig.
Schon wollte sie sich wieder an ihn schmiegen, doch dann erkannte sie, dass er ganz weit weg war in unbekannten Bereichen. Und vielleicht würde er diese Bereiche nie verlassen können.
Sie richtete sich auf, und sie fühlte sich in diesem Moment erbärmlich. Fühlte sich verschmäht. Was war nur los mit ihm?
Nein, was war los mit ihr! Sie trug selber die Schuld daran, sie hätte ihm nicht so nahe rücken sollen, sie verhielt sich ja genauso wie die geile Herrin. Das war ekelhaft. Sie musste ihr Verlangen nach ihm unterdrücken, sie musste sich mehr auf ihn einstellen, musste versuchen, seinen Schmerz zu lindern und schließlich zu überwinden.
Sie atmete tief durch, ja, so würde sie es tun. Und durch ihre Zurückhaltung würde sie erst sein Vertrauen gewinnen - und dann seine Liebe.

„Gib mir sofort Bescheid, wenn etwas passiert, ich bin im hinteren Verwaltungspalast zu finden. Scheue dich nicht, mich dort aufzusuchen!“, hörte sie eine Stimme neben sich. Es war die der Caenis.
Vanadis schaute sie verwirrt an. Die Gedanken an den Imaginus hatten sie alles um sich herum vergessen lassen.
„Natürlich“, sagte sie. Sie stand auf und begleitete ihre Herrin zur Haustür, vor der eine Sänfte auf sie wartete. Vanadis blickte der Sänfte nachdenklich hinterher und ging dann schnell ins Haus zurück, es war kalt und regnerisch draußen – und es wurde schon dunkel. Das hieß: Die Saturnalien standen wieder bevor, doch diesmal würde sie nicht in eine Taverne gehen, um sich zu betrinken, nein, sie würde im Hause bleiben. Bei ihm…
Zwei Tage später beschwerte sich Swari bei ihr: „Warum willst du nicht mitgehen? Was hält dich hier?“
Natürlich wusste Vanadis sofort, was sie meinte und sie ging in Abwehrstellung: „Ich bin viel lieber hier als in einer stinkenden Taverne!“
„Das ist doch nur wegen des Imaginus“, erwiderte die hübsche Syrierin geringschätzig. Sie schien nicht viel von ihm zu halten.
„Na und?“, sagte Vanadis patzig.
„Der steht doch mit Sicherheit auf Männer oder sonst was“, grinste Swari, und Terehasa, die üppige Nubierin nickte zustimmend bei ihren Worten.
Vanadis schüttelte zornig den Kopf und verließ das Zimmer. Ausgerechnet diese beiden wollten ihr erzählen, was mit Männern los war! Die kannten doch nur dumme oder verdorbene Gestalten, die mit ihnen schlafen wollten. Egal, ob es sich nun um Bobum oder um einen aus der Taverne handelte. Nein, Imaginus war nicht so einer, davon ließ sie sich nicht abbringen.
Natürlich verbrachte sie die Saturnalien mit ihm, sie saßen auf der Bank in seinem Zimmer, sprachen im diffusen Licht der Öllampen miteinander, nichts was persönlich war, nur über die Caenis, über Rom und tatsächlich über seine Wünsche. Diese waren leicht zu verstehen, ja, es waren ihre eigenen Wünsche, weit weg von Rom zu sein, ohne Roms Einmischung zu leben. Sie schauten sich an, berührten sich manchmal sogar… Es geschah sanft und zufällig, aber es geschah.
Der Thumelicus war eben kein animalisches Vieh wie die meisten Männer, und er hatte sicherlich Probleme mit Berührungen. Er war geprägt worden von seinem Erzieher, geprägt worden von Rom, diesem Moloch, der alles an sich riss - und den sie hasste. Samt Marcus, dem treuen Diener dieses Molochs!
Vanadis schüttelte den Kopf, um Marcus daraus zu vertreiben – und es gelang. Verdammter Römer, immer mischte er sich unter ihre Gedanken. Weg damit! Sie würde sich dem Thumelicus weihen, und ihn durch ihre Liebe sein Schicksal vergessen lassen. Irgendwann würde er glücklich sein, würde loslassen, was ihn quälte, und er würde anfangen, sie auch zu lieben.
Vanadis konnte sich das in der Realität zwar nicht richtig vorstellen, aber sie hatte gewisse Bilder im Kopf, und die waren großartig und erfüllend wie Träume:
Er liebt sie, und sie liebt ihn. Sie leben auf dem Land, frei von römischer Vorherrschaft, glücklich und zufrieden, Kinder werden ihnen geschenkt, es ist einfach wunderbar. Sie liebt ihn, und er liebt sie.
Seltsam, weiter kam sie nicht, sie konnte kein einziges Bild genauer sehen, alles war verschwommen und diffus. Welches Land, wo befand es sich?
Aber dennoch verheißungsvoll, das glaubte sie fest.
„Sie liebt ihn, und er liebt sie“, flüsterte sie fast unhörbar vor sich hin.
Sie spürte, wie der Imaginus sie fragend ansah und kam in die Wirklichkeit zurück. Doch die war nicht schlimm. Sie sah einen wunderschönen und sensiblen Mann vor sich. Er war zwar gefangen wie sie selber, doch das vereinte sie auch miteinander. Während sie dies dachte, ertönte ein grelles Geräusch in ihrem Kopf, eine Art Warnsignal, wie es manchmal in Rom verwendet wurde, um Brände zu vermelden. Mit einem lauten misstönenden Instrument verkündete man: Bringt euch in Sicherheit, es brennt!“
Vanadis missachtete dieses Feuersignal natürlich. Dumme Einbildung! Sie hatte nur den Thumelicus im Auge – und seine Rettung. Sie selber war es, die ihn retten würde, Feuersignal hin, Feuersignal her…
In diesem Moment flüsterte jemand am Türvorhang: „Kann ich hereinkommen?“ Es war die Stimme der kleinen Colonia, wie Vanadis feststellte, und sie fühlte sich auf einmal unendlich erleichtert. Die ‚Feuersignalträume’ waren doch sehr verwirrend, und auch die Gegenwart des Imaginus erschien ihr anstrengend. Obwohl sie ihn doch liebte.
„Natürlich, meine Kleine.“
Sie hatte schon seit längerem bemerkt, dass ihre Loni, wie sie die Tochter des Hauses nannte, sich gut mit dem Imaginus verstand. Imaginus wirkte dann richtig glücklich und unbefangen. Viel glücklicher als mit ihr… Die beiden kamen ihr vor wie zwei Kinder, wenn sie miteinander plauderten. Das würde er mit ihr, Vanadis nie tun. Oder doch? Vielleicht irgendwann einmal? Auch das entzog sich ihrer Vorstellungskraft. Einfach so mit ihm zu plaudern über nichtssagende Dinge? Wenn sie mit ihm redete, fühlte sie sich gehemmt, und deshalb trank sie vorher immer einen Becher Wein, um lockerer zu werden. Würde sich daran jemals etwas ändern? Sie konnte sich das beim besten Willen nicht vorstellen, und das verwirrte sie.
Wieso war es diesen beiden möglich? Fühlten sich beide missachtet? Beide verraten? Sie waren gerne zusammen, und sie blühten dabei auf. Vanadis musste lächeln. Es war schön, sie zusammen zu sehen.
Doch was würde aus dieser Freundschaft werden? Imaginus konnte nicht ewig in diesem Hause bleiben, hier war er gefährdet. Als Geisel Roms, als Feind, als Abkömmling eines „Verräters“ – und schließlich als Lustobjekt der Herrin.
Sie sah, wie die beiden miteinander tuschelten, ein ungewohnter Anblick: Der schöne Germane mit dem römischen Kind. Sie sahen so echt und natürlich aus, gar nicht verunstaltet, wie die Römer sagen würden, egal ob sie es nun auf die Seele oder den Körper bezogen. Es waren einfach nur zwei Lebewesen, die eine tiefe Verbindung miteinander hatten.
Natürlich gab es für Imaginus und Colonia keine gemeinsame Zukunft. Doch, es gab sie. Imaginus und sie selber würden zusammenkommen und glücklich miteinander leben, trotz aller Widerstände, und die kleine Colonia würde dabei sein. Das war gerade in ihrem Tagtraum aufgetaucht. Colonia stellte ein beruhigendes und stabilisierendes Element dar, und Vanadis begrüßte dieses Element, obwohl Liebende doch eher für sich alleine sein sollten.
Nein, nicht in diesem Fall. Es war ja auch kein normaler Fall.
 
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Kommentare  

ich glaube, die machen es sich alle nicht leicht. ;-)
weil manche gebunden sind, egal ob an ehebande oder ans sklaventum. oder an eine abartige erziehung. wir werden sehen...
und ich hoffe, du liest weiter, weil ich glaube, die besten teile kommen noch. (mutmaßliche einschätzung...)


Ingrid Alias I (01.12.2014)

Na nun machst du es aber wirklich sehr spannend. Da habe ich doch die ganze Zeit gedacht, dass Vanadis irgendwann einmal Marcus zum Mann nehmen würde und nun das.*Schmunzel* Thumelicus oder eher Imaginus scheint Vanadis sehr zu verzaubern, doch bei der kleinen Colonia vermag er wohl am ehesten aufzutauen. Du machst es einem nicht leicht!

doska (27.11.2014)

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