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3 Seiten

Böses Bärchen II

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
Böses Bärchen II




Aus der Küche hörte ich ein lautes Poltern. „Was machst du da?“, rief ich, vom Computer aufblickend. „Nichts“, rief er zurück. „Für Nichts ist es aber ziemlich laut“, murrte ich. Trotzdem nahm ich mir fest vor, nicht nachzusehen. Immerhin musste der Text über die neue Textilmanufaktur, die nach streng ökologischen Gesichtspunkten produzierte, heute unbedingt noch fertig werden. Zu blöd, dass ich mich seit Stunden nicht wirklich konzentrieren konnte und dass die Worte nicht so flossen, wie ich es gerne gehabt hätte.
Es polterte wieder, diesmal klang es metallisch. „Könntest du einen Teil der Einrichtung bitte heile lassen?!“, rief ich etwas nachdrücklicher. „Mach du deine Sachen und ich mach' meine. Rede ich dir etwa in deinen Text rein?“, kam prompt die Antwort. Wäre ja auch noch schöner. Also bemühte ich mich, die Geräusche aus dem Nebenraum zu ignorieren und stattdessen meine Lobeshymne auf das „neue Unternehmen mit Weitblick“, wie ich es bezeichnet hatte, zu einem hoffentlich druckreifen Ende zu bringen.
Nach etwa einer halben Stunde hielt ich es nicht mehr aus und wagte doch einen Blick in die Küche. Er saß auf dem Boden, um sich herum ein wildes Chaos aus Tellern, Tassen, Messern, Gabeln, Töpfen und jeder Menge anderem Zeug, in der einen Hand einen Hammer, in der anderen den Griff der Küchenschublade. Meinen teils fragenden, überwiegend aber alarmierend wütenden Blick beantwortete er mit einem Schulterzucken und der wie selbstverständlich klingenden Erklärung: „Ich wollte die Schublade reparieren. Du kommst ja nie dazu.“
„Und dazu musst du den Inhalt sämtlicher Schränke ausräumen?“, brachte ich, um Fassung ringend, hervor. „Hab 'n Hammer gesucht.“ Die Frage, warum er den losen Griff einer Schublade mit dem Hammer reparieren wollte, ersparte ich mir. Vielleicht aus der leisen Ahnung heraus, er könne sonst anfangen auch noch den Schraubenzieher zu suchen. Stattdessen bückte ich mich nach zwei Tassen, die durch seine Hilfsaktion den Henkel verloren hatten. „Dann sieh bloß zu, dass du jetzt alles wieder aufräumst, bevor ich...“ Natürlich hörte er mir längst nicht mehr zu, sondern war ins Arbeitszimmer verschwunden.
Nachdem ich vorsichtshalber wenigstens das Werkzeug in einer abschließbaren Kiste verstaut hatte, fand ich ihn vor dem Computer. Mein Textdokument war immer noch geöffnet. „Was zahlen die dir?“, fragte er auffallend beiläufig. „Warum sollten die mir was zahlen? Ich bin freier Journalist.“ Sein Blick traf mich unvorbereitet und durchbohrte mich geradezu. „Und warum schreibst du dann wie ein Praktikant in der PR-Abteilung?“ Natürlich hob ich an, ihm zu widersprechen, doch während ich erläuterte, dass ich von dem ökologischen Denken der Firma tatsächlich begeistert war und mir wünschte, es würden viel mehr Unternehmer einen solchen Weg einschlagen, musste ich mir eingestehen, dass die Neutralität vielleicht doch ein wenig auf der Strecke geblieben war.
„Und wer hat neulich noch behauptet, er würde den ganzen scheinheiligen Gutmenschen ihren moralischen Zeigefinger am liebsten in den...“ „Ich bin nicht scheinheilig, ich finde das wirklich toll. Die verwerten sogar Altkleider“, unterbrach ich ihn ein wenig hilflos. Er deutete auf mein Sweatshirt. „Was hat das gekostet?“ Irritiert blickte ich an mir herunter. Ja, ich hatte es für zwölf Euro beim Textildiscounter gekauft. Langsam ahnte ich, worauf er hinaus wollte. Doch das reichte ihm nicht aus, er wollte die Situation so lange wie möglich auskosten. „Wenn ich deinen Text also richtig verstehe, dann sollten möglichst viele Firmen ökologisch, sozial, fair und nachhaltig produzieren, die Kunden sollten gefälligst tiefer in die Tasche greifen, um das zu bezahlen, nur ein paar vereinzelte Bangladeschi-Kinder müssen weiterhin unter menschenunwürdigen Bedingungen deine billigen Klamotten zusammennähen, damit du dir statt deines Klugscheißerjobs nicht eine vernünftige Arbeit suchen musst?“
Auch wenn es albern war und ich wusste, dass er nur argumentierte, um das letzte Wort zu haben, hatte er mich mit dem Kern seiner Worte doch getroffen. Zumindest musste ich mir wohl eingestehen, dass meine Ideale und mein Handeln nicht immer Hand in Hand gingen. Trotzdem sträubte sich alles in mir dagegen, mir das ausgerechnet von ihm unter die Nase reiben zu lassen. „Meinst du nicht, du tätest besser daran, erstmal die Küche wieder aufzuräumen“, lenkte ich darum vom Thema ab. „Das ist so typisch“, spuckte er geradezu verächtlich aus, „sobald euch geistigen Kolonialherren mal jemand den Spiegel vorhält, steckt ihr ihn ins Arbeitslager.“
Während er beleidigt davonstapfte, natürlich nicht in die Küche, sondern ins Wohnzimmer, setzte ich mich noch einmal an den Computer und überarbeitete meinen Text. „Bevor du aufgetaucht bist, war die Küche weder Arbeitslager, noch Schlachtfeld. Vielleicht verarbeitet die Manufaktur ja nicht nur Altkleider, sondern auch ausrangierte Teddys“, brummelte ich immer noch ein wenig beleidigt vor mich hin.
 
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Kommentare  

Hallo Christian,

mehrfach habe ich herzlich gelacht. Die Szene mit dem Hammer und der Schublade war hinreißend. Ebenso das brummeln in Bezug auf ausrangierte Teddys. Früher brummte der Teddy, jetzt der Erwachsene.

Überhaupt finde ich die Idee sehr gut, dass der alte Teddy als Spiegel fungiert und zur Selbstreflexion anregt.

Ich glaube, fast jeder von uns hatte in der Kindheit einen Teddy, dem er seinen Kummer und seine Sorgen anvertraut hatte. Und jetzt kehrst Du den Spieß um, indem der Teddy sein schweigendes Zuhören bricht und dem Erwachsenen aufzeigt, wo er sich lieber Sorgen zu machen hätte, anstatt zu schweigen. Einfach genial.

Liebe Grüße
Frank-Bao


Frank Bao Carter (03.05.2015)

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