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3 Seiten

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Kurzgeschichten · Erinnerungen
© Waldkind
In meinen Lungen steckt ein Schrei.
Er kann nicht hinaus.
Der Weg, den der Schrei nehmen muss, ist blockiert.
In meinen Lungen steckt ein Schrei und mein Herz ist erfroren in einem Schock.
Feste Hände umklammern krampfig und umbamherzig meinen Hals.
Schwielige Daumen pressen sich auf meinen Kehlkopf.
Ich kann nicht atmen und bekomme keine Luft.
Ein heißeres Würgen will an den Daumen vorbeibrechen, doch es schafft es nicht und so schießen mir jetzt Tränen in die Augen. Sie laufen brennend auf meinem heißen Gesicht hinab. Der Druck lässt nicht nach, er wird stärker.
Die Hände pressen mit aller Gewalt meinen Hals zusammen und Der,
dem die Hände gehören,
wird mich töten.

Kotze steigt aus meinem Magen,
doch nach oben kann nichts mehr aus mir heraus.
Warm rinnt es an meinen Schenkeln hinab.
Urin. Der beige Stoff, aus dem mein Kleid gefertigt ist, klebt daran fest.
Ich habe Angst.
Es zerrt mich aus meinem Leib doch ich versuche dem Sog stand zu halten. Ich will dieses Leben noch nicht aufgeben denn auf eine kranke Art und Weise hänge ich daran, auch wenn ich es oft verachte. Es gibt noch so viel zu erfahren.

Widerstehe! Widerstehe! Halte aus!

Ein wenig Zeit,
er wird nicht ewig diesen Druck halten können.

Ich muss nur noch ein kleines bisschen widerstehen.

Doch ich schaffe es nicht.
Er ist stärker und mein Körper erschlafft unter seinen Händen.
Nichts kann mich jetzt noch halten.

Ich gebe endgültig nach.

Ich gebe auf.

Und zögernd ergebe ich mich dem lockendem Sog und ziehe einem silbernen Faden gleich aus dem geschundenen Körper aus, der bis zu diesem Zeitpunkt meiner gewesen ist.
Etwa einen Meter über diesem sammle ich, jetzt Silberfaden mich zu einem Knäuel und schaue auf den Mann hinab, der noch immer meinen Körper an die Wand presst und jetzt schluchzend in den Magen der leeren Hülle boxt, die ich zurückgelassen habe.

Er scheint in einer Art Wahn gefangen zu sein und schlägt immer wieder zu. Fest, wütend und scheinbar ohne Ende. Doch der Körper, dem er diese Gewalt zufügt, wehrt sich nicht mehr. Er ist schlaff weil die Kälte endgültig gewonnen hat. Ich spüre jetzt keinen Schmerz mehr und mein Peiniger kann mir kein weiteres Leid antun.

Niemals wieder.

Zumindest nicht in diesem Leben.

Und er ist es, der in seinem jetzigen noch länger verweilen wird.

Häme erfüllt mich.

Bei unserem nächsten Zusammentreffen werde ich in einer anderen Position sein, ich werde schon um einiges länger erneut auf der Welt sein und er wird schutzlos in meinen Armen liegen.

Er wird in meinen Armen liegen?

Schutzlos?

So schnell die Häme sich auch in mir breitgemacht hatte, wandelt sie sich nun in wortloses Staunen während die tiefe Erkenntniss des Momentes in mir Raum gewinnt.

Ich werde ihn lieben lernen.

Ich werde ihn lieben müssen und seinen schutzlosen Körper in meinen Armen geborgen halten. Ich weiß nicht, ob ich Mutter sein werde oder Vater. Ich weiß nicht ob er Tochter oder Sohn sein wird. Ich weiß nicht, ob er er einfach ein wimmerndes Päckchen sein wird, das mir vor die Füße fällt und für das ich mich verantwortlich fühle.
Ich weiß nichts, außer dass ich ihn, der schutzlos sein wird, lieben lernen muss.

Welche Anteile werde ich von hier mit in das nächste Leben nehmen?

Oft war ich gefesselt gewesen und eingesperrt. Würde ich überhaupt ein freier Mensch sein können?
Geschlagen wurde ich und ich hatte gelernt, dass ich wertlos und schwach war. Würde ich stark und selbstbewusst sein können?
Meine reine Liebe hatte er mit Gewalt in blanke Angst verwandelt. Würde ich je wieder zu Liebe fähig sein, ohne ständig fürchten zu müssen?

Welche Lehren werde ich aus diesem Leben ziehen?

Wenn ich betrachte, dass alles was ich in diesem tat, dazu geführt hat, dass ich nach einem langen Leidensweg wütend getötet worden bin, obwohl ich immer nur die besten Absichten hatte. Werde ich dann daraus ziehen, dass ich den niederen Absichten und Verhaltensmustern mehr Raum lassen muss um zu bestehen?

Wird die Prüfung für mein nächstes Leben sein zu lieben, obwohl ich mir schwöre, mich genau davor zu verschließen?

Welche Erinnerung an diesen gewaltsamen Tod werde ich in einem nächsten Leben verkraften können?

Ich,
Silberfaden,
löse mich langsam aus mir,
dem geballtem Knäuel
und steige langsam
verschwindend
in die Atmosphäre auf.

Es gibt da neben dem Urvertrauen, dass ich in die Frau lege, aus deren Schoß ich gerade schlüpfe, ein weiteres Gefühl. Es ist ein Druck. Er ist unangenehm. Ich bringe ihn irgendwie mit Daumen und einem tauben Gefühl in Verbindung.
 
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Kommentare  

Vielen Dank, Dieter.

Waldkind (04.07.2016)

Genial geschrieben. Da kann man nur sagen, bitte mehr davon.

Dieter Halle (04.07.2016)

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