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Zagora

Nachdenkliches · Kurzgeschichten · Sommer/Urlaub/Reise
Er hatte gestern seiner Frau beim Duschen den Vortritt gelassen. Nicht nur aus Höflichkeit, er wollte die Vorfreude noch etwas verlängern, jetzt wo es nur noch wenige Minuten dauern konnte, bis ihm nach den Tagen in der Wüste das kühle Wasser über die staubige, ausgetrocknete Haut rinnen würde. Er hatte dann geduscht, bis das Wasser nur noch spärlich floss, vermutlich war auch in einem gehobenen Hotel in dieser wasserarmen Gegend irgendwann Schluss mit Komfort.
Sie waren eine Woche mit Kamelen unterwegs gewesen, in der Steinwüste um den Djebel Bani und dann weiter in den Sanddünen, im Süden den Bergzug Le Kerb als Orientierung in der endlosen Landschaft. Die Tage waren heiss gewesen, windig und in den Nächten war die Kuppel des Himmels mit unendlichen vielen Sternen ganz nahe an die Erde gerückt.
Morgen würden sie wieder nach Hause fliegen, heute war nochmals ein freier Tag in Zagora, dieser südlichsten Stadt Marokos, am Rande der Wüste. Es war ein Mittwoch, die Reiseleitung hatte ihnen den Besuch des Wochenmarktes empfohlen. Er würde nochmals fotografieren können, nachdem er in den vergangenen Tagen einsehen musste, dass er die gleichen Motive immer wieder neu aufnahm und dies eigentlich wenig Sinn machte. Nun würde er nochmals andere finden.
Die Fülle des Marktes war überwältigend. Die Farben der Früchte und Gemüse, überströmt vom Duft der allgegenwärtigen Minze, die Berge von aufgeschichteten Dateln in verschiedenen Grössen und Formen. Die Fleischstände, von denen die Touristen sich abwandten um nicht in die glasigen Augen der abgetrennten Schafsköpfe blicken zu müssen. Die grellen Farben des Plastiks bei den Haushaltgeräten, das glänzen der dünnen Silberschicht des traditionellen Teegeschirrs. Die bunten Kleider und Tücher. Die lebenden Hühner, Schafe und Ziegen, die Esel, Kamele.
Mitten in diesem bunten Treiben war ein riesiger Haufen von ungeordneten Kleidungsstücken auf dem Boden ausgebreitet, Jeans, Hemden und Röcke, Mäntel und Jacken, T-shirts und Unterwäsche, belagert von den Einheimischen und den wenigen Touristen.
Er fotografierte seine Frau, wie sie inmitten der anderen Frauen in dem Haufen herumwühlte. Sie hielt ihm ein T-shirt entgegen, mit einem Aufdruck, der an ein Gemälde von Klimt erinnerte.
„Das verkauft man bei uns in den Museums-Shops“, rief sie, „sehr teuer, hier kostet es nicht einmal drei Franken. Soll ich es mitnehmen als Geschenk für Mona?“
Ein Mitbringsel von einem Wochenmarkt am Rande der afrikanischen Wüste.
„Wie du meinst.“
Er zoomte den Kleiderberg näher heran, bis nur noch die verschiedenen Farben und Muster der Stoffe erkennbar waren, glitt mit einer Bewegung der Optik über die Oberfläche auf der Suche nach dem perfekten Bild. Da war ein zerknülltes Stück Stoff, Linien in gelbem Ocker und Blau auf weissem Grund. Wie die Wüste, dachte er, der Sand, der Himmel, die weissen Zelte. Schön, das würde ein gutes Bild geben, aufgeladen mit Sinn, mit Erinnerungen an diese Reise.
Er brauchte einige Zeit, um mit blossem Auge das Stück im Haufen wieder zu finden. Es war ein kariertes Herrenhemd, eines wie er es gerne mochte.
Hatte er nicht einmal genau ein solches Hemd besessen? Im Gegensatz zu seiner Frau mochte er karierte Hemden, sie liebte es, wenn er unifarbene trug. Er hatte sie damals im Verdacht gehabt, es nur deshalb in den Kleidersack zur Entsorgung gepackt zu haben, weil sie es nicht mochte. Sie hatte zwar behauptet - er erinnerte sich nun genau - dass es einen Fleck an der Brusttasche gehabt hätte, wohl, weil er wieder einmal seinen Kugelschreiber dort eingesteckt habe.
Er nahm das Hemd, hielt es mit beiden Händen vor seinen Oberkörper, es passte. Und als er so an sich hinuntersah, da entdeckte er in der unteren Ecke der linken Brusttasche einen kleinen schwarzen Fleck, kaum sichtbar im Blau des Streifens.
(„Schau dir das an“, rief er hinüber zu seiner Frau.)


Aufgabe:Ein Text zu einem Kleidungsstück
24. April 2017
 
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