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1 Seiten

Sog

Poetisches · Romantisches
© Waldkind
Seine Augen trafen aus dem Bildnis in mein Herz und trugen mich direkt ins eigene Selbst.
Ich sah durch das männliche Antlitz das meine wie einen Schatten hinter dem traurigen Blick.
Männlichkeit und weibliches verschmolzen auf dem spiegelnden Display meines Tablets.
Traurig sieht er aus.
Die Oberfläche des Gemäldes ist von feinen Rissen durchzogen.
Lebendig lächle ich durch ihn hindurch, bis ich spüre,
wie seine Düsternis meinen Geist umnebelt.
Was hatte er gedacht,
als er irgendwann in der Vergangenheit auf seinem Stuhl saß,
nackt und sich malen ließ?
Hatte er Angst gehabt, oder hatte er gerade geweint?
War ihm etwas durch die Finger geglitten, ging ihm ein Schatz verloren?
Schwarz ist der Hintergrund und strahlend hell hebt er sich davon ab.
Sein Ausdruck selbst allerdings strahlt nur Schatten ab.
Diesen dunklen Schatten, der sich nun direkt auf meine Seele zu legen scheint.
Er hat leiden müssen und sich daran geweidet.
Das Leid hatte sich durch geweinte Tränen auf sein Gesicht gelegt und war nun
in feinen, die Mundwinkel nach unten ziehenden Fältchen
permanent sichtbar geworden.
Ach, wer war er nur gewesen?
Oder hatte der Künstler ihn frei erdacht?
Warum dieses Leid?
Ich lächle tapfer gegen seine Schatten an und stelle mir vor,
wie mein Lächeln seine Mundwinkel mit mir sacht lächeln lässt.
Von seinen vollen Lippen aus erreicht das lebendige Strahlen
jetzt langsam seine Augen, er sieht mich an.
Halb war ich seinem Ausdruck verfallen,
im Sog des Bildes.
Er hat mich tief berührt.
Er oder der Künstler, der ihn schuf.
Wahrscheinlich beide.
Ich kann ihn nicht berühren,
er ist nur ein totes Fragment aus einer fernen Zeit,
die mir fremd ist.
Und dennoch, mein Lächeln gilt ganz ihm.
Ob es ihn erreicht oder nicht, es ist mir gleich.
Ich habe es ihm geschenkt.
 
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