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Schwarze Schwäne - Weiße Schwäne, Teil 7 - OSTERN -*-*- VOR DER HOCHZEIT

Romane/Serien · Nachdenkliches
Es ist nicht viel los bei mir. Keiner ruft mich an oder kommt gar vorbei, bis auf Susanne. Und die kommt nur, um mir mitzuteilen, dass sie Ostern bei ihren Eltern in D. verbringen wird. Ralf hat sich auch verabschiedet, er wird nach Holland an die See fahren, die Mädels dort sollen ja unglaublich geil sein. Ich gönn's ihm. Toll, das wird mit Sicherheit kein lustiges Fest für mich werden.
Ostern findet in diesem Jahr sehr spät statt. Trotzdem ist es lausig kalt, schade, ich würde mich gerne in meinem Garten sonnen. Leider liegt der Garten nach Nordosten, das ist nicht gut, denn da kommt nur frühmorgens die Sonne hin, und wenn die großen Bäume erst ihr Laub haben, dann kommt die Sonne nirgendwo mehr hin.
Wo könnte ich mich sonnen? Mir fällt ein, dass es nicht weit von hier ein Wäldchen gibt, und dann ist da noch der Großpark - eine ehemalige Landesgartenausstellung - auch in erreichbarer Nähe. Also fürs Sonnen wäre gesorgt, falls die Sonne denn mal geneigt wäre zu scheinen.
Am Ostersamstag steige ich munter in mein Auto, um nach G. zu fahren. Ich hatte Claudia ja versprochen, ihre Treppe zu putzen und meine Versprechen halte ich.
Das Autochen springt aber nicht an, es hat in letzter Zeit öfter so Mucken und muss außerdem zum TÜV. Also fahre ich mit der Straßenbahn, hab ja eh nix zu tun. Leider nehme ich die falsche Bahn, die zwar auch nach G. fährt, aber anders und viel länger. Ich glaube, ich fahre durchs ganze Ruhrgebiet. Einmal sehe ich sogar eine Zeche, die anscheinend noch in Betrieb ist. Aber irgendwann - dem Himmel sei Dank - ist Endstation, Galopprennbahn oder so. Ich stehe ziemlich blöde da. Wo bin ich? Wo will ich hin? Wie komme ich da hin? So Schicksalsfragen halt.
Ich fahre mit dem Bus zum Hauptbahnhof von G. – auch das dauert. Ich fahre anscheinend durch das restliche Ruhrgebiet. Irgendwann dann HAUPTBAHNHOF! Ich steige aus und erblicke auf Anhieb eine Straßenbahn, die nach E. fährt laut Anzeige. Nix wie rein und nach Hause! Das mit dem Treppeputzen wird wohl nicht klappen, tut mir leid, Claudia.
Zwei Haltestellen später kommt mir die Gegend auf einmal bekannt vor. Klar, hier wohnt Claudia. Ich nix wie raus, finde Claudias Wohnung auf Anhieb, gieße einen Eimer Wasser über die Treppe, lege die Schlüssel auf den Küchentisch und erwische die nächste Straßenbahn nach Hause.
Die Heimfahrt dauert nur eine halbe Stunde. Und ich bin froh, so froh, wieder zuhause zu sein! Die Katzen freuen sich auch mit mir, nachdem ich einiges an Futter rausgerückt habe. Aber ich glaube, die lieben mich auch ohne Futter. Vor allem Pascha, mein Schwarzer. Immer wenn er mich ansieht, dann werden sein Augen herzförmig. Ja, er liebt mich. Und ich liebe ihn auch.
Abgesehen davon ist das Wetter wie immer lausig, weder Sonne noch Regen, passt gut zu meiner Stimmung.
-*-*-
Ich habe mir wohl nicht genug Bücher aus der Leihbibliothek besorgt, denn am Ostersonntag überkommt mich solch eine Langeweile, dass ich mich nicht entblöde, meinen alten Lover Robert anzurufen.
Der ist auch sofort bereit, zu mir zu kommen. Das ist zwar gut, andererseits aber schlecht, besser wäre es gewesen, in seine Wohnung zu gehen, dann hätte ich jederzeit abhauen können. Na ja, jetzt ist er nun mal hier.
Leider kann ich die Klappe nicht halten und erzähle ihm (manchmal hab ich das Gefühl, wenn ich was erzähle, ist es garantiert das Falsche), dass Parker in letzter Zeit öfter bei mir gewesen ist.
Robert zeigt sich davon überhaupt nicht überrascht, sondern tut so, als hätte er es schon immer gewusst. Der muss ja ein Vertrauen zu mir gehabt haben! Nicht ganz zu Unrecht, hmm ...
Wir landen natürlich im Bett, und es ist nicht übel. Im Bett ist er immer Klasse gewesen.
„Egal, was noch kommt“, meint er danach, „daran werde ich mich immer erinnern.“
Hat er das letztens nicht auch schon behauptet? Ich sage nichts dazu. Das weiße manipulative Spitzenkleid habe ich diesmal nicht verwendet, ich vergrub es tief in meinem Kleiderschrank, denn ich will es nie wieder benutzen, es sei denn, ich würde irgendwann meinen wahren Geliebten treffen. Haha, das wird vermutlich nie passieren.
Am nächsten Morgen nach dem Frühstück bleibt Robert stur in meiner Küche hocken und liest verbissen irgendwas. Ja, was liest er denn da? Es handelte sich um die Westdeutsche Allgemeine Gazette vom Donnerstag, die ja nicht die Frischeste ist. Die wollte ich eigentlich schon länger kündigen – ich muss sparen ...
Will er den ganzen Tag hier sitzen bleiben? Warum geht er nicht? Nein, er verbeißt sich in diese überalterte Zeitung wie ein Terrier in einen Knochen. Eigentlich will ich lieber allein sein und überlege daher angestrengt, wie ich diesen Terrier loswerden könnte. Vielleicht sollte ich ihn aus der Wohnung locken. Also schlage ich vor, ein bisschen spazieren zu gehen. Damit ist er einverstanden.
Wir schlendern also auf der Einkaufsstraße meines Viertels entlang. Wir setzen uns in ein Eiscafé und essen Eis. Seltsam, ich gehe nur im Winter in Eiscafés und habe nur im Winter Appetit auf Eis.
Wir haben uns nicht mehr viel zu sagen. Die tote Saison hat uns voll im Griff. Schweigend laufen wir zurück zu meiner Wohnung, das Schweigen hat mittlerweile unsere Seelen durchdrungen. Sogar das Wetter ist fürchterlich deprimierend, weder warm noch kalt, so wie unsere Beziehung. Ich hasse dieses Wort, es hat auch so was lauwarmes. Am Himmel eine Farbe wie blasser Schmelzkäse, und ich habe das Gefühl, als hätte sich eine lichtundurchlässige Glocke auf mich niedergelassen und mich umschlungen, ich muss nach Luft schnappen. Alles ist unbeweglich und tot.
Und er kommt wieder mit in meine Wohnung und vertieft sich wieder in diese Zeitung. Es reicht allmählich, wie könnte ich ihn vertreiben?
Vielleicht durch ein bisschen ungemütliche Hausarbeit? Leider ist nicht viel schmutziges Geschirr da, aber trotzdem fange ich lautstark an zu spülen. Er lässt sich davon nicht beeindrucken. Für diesen sturen Kerl muss ich stärkere Geschütze auffahren. Ich hole den Staubsauger und fange an, lautstark damit herumzusaugen. Keine Reaktion. Er stellt sich immer noch stur. Wahrscheinlich zehrt er von unserer Bettsache. Der verwechselt Orgasmus mit Liebe.
Ich sauge so lautstark Staub, dass ich fast das Telefon überhöre. Oh, wie schön, es ruft mich jemand an!
Es ist Alex. „Hast du Lust, gleich Minigolf spielen zu gehen?“, fragt er.
„Klar! Übrigens ist Robert auch hier“, verkünde ich frohlockend. Na gut, besser als nix. Ich mag Minigolf nicht besonders. Billard wäre mir lieber, da geht es zwar auch um Bälle und Löcher, ist aber interessanter.
„Ist ja toll“, sagt Alex. „Ich hab schon versucht, bei ihm anzurufen, aber da war keiner.“
Wieso wundert mich das nicht? „Okay, wir stehen bereit. Freu mich schon!“
Bester Laune gehe ich zu Robert in die Küche und verkünde: „Alex holt uns gleich ab zum Minigolfspielen.“ Und das heißt brutal: Entweder kommst du mit oder nicht. Raus hier musst du sowieso!
Robert tut irre erfreut, ist ja auch eine gute Gelegenheit für ihn, hier rauszukommen, ohne sein Gesicht zu verlieren. Ja, er hat viel Stolz, das weiß ich.
Ich wasche mir die Haare und ziehe mir irgendwas Frisches an, denn jetzt muss es schnell gehen. Alex kommt sehr pünktlich und wir fahren zu Alex' und Sybilles Wohnung. Sybille ist nicht da, soll aber gleich erscheinen, sagt Alex.
Robert setzt sich drei Meter von mir entfernt hin, als ob er jede Bekanntschaft mit mir leugnen würde. Dieser elende Heuchler! Tut der jetzt so, als hätte er mit MIR Schluss gemacht? Möglich wäre es ...
Das Gespräch plätschert so vor sich hin. Es geht um die Freundin von Sybille, ich kenne sie von Silvester. Stimmt ja, die hatte auch was mit Robert. Sie lebt allein – so wie ich – und hat einen Haufen Spaß dabei. So verstehe ich es jedenfalls.
Ich selber hab aber nicht richtig Spaß dabei, weil mir irgendetwas fehlt. Wenn ich nur wüsste was ... Ich fange an zu grübeln: Ich mag Männer mehr als Frauen, weil ich Männer viel besser verstehen kann, und ohne einen Mann finde ich das Leben öde, es muss halt nur der richtige sein, aber ob ich den jemals finden werde? Und vor allem, ob ich ihn dann behalten werde, denn ich habe die Neigung, immer alles kaputt zu machen... Upps, gerade sagt Alex einen Satz, der mich stutzig werden lässt.
Er sagt tatsächlich: „Alleinstehende Frauen werden Nutten.“ Dabei lächelt er schelmisch.
Anwesende vielleicht auch? Nicht der Obhut eines Mannes anvertraut, können Frauen wohl leicht auf die schiefe Bahn geraten. Und wieso habe ich das Gefühl, dass es um mich dabei geht?
Robert grinst heimtückisch zustimmend. Und mir bleibt die Sprache weg. Wenn das die vorherrschende Meinung unter Männern ist, dann können die mich mal! Ich sage nichts dazu, bin nur furchtbar sauer.
Endlich erscheint Sybille, die einwandfrei keine Nutte ist. Sie überreicht mir feierlich eine Einladung zum Polterabend. Alex und Sybille wollen tatsächlich heiraten. Im Mai, das ist wohl der traditionelle Hochzeitsmonat.
Na dann: Ich umarme Sybille und heuchle freudige Zustimmung. Nein, es ist nicht geheuchelt, ich bin neidisch auf dieses Paar. Ich selber bin wohl unfähig, mich richtig verlieben zu können mit allen Konsequenzen wie die einer Heirat.
Die Einladungskarte sieht aus wie ein welkes Blatt. Echt Bütten, handgeprägt, wie man mir mitteilt. Hinter mir unterhält man sich über die Hochzeit. Kirchlich soll sie stattfinden, natürlich nicht mit dem gemeinen Volk, sondern nur mit den engsten Verwandten. Das gemeine Volk soll am Abend davor - es ist der übernächste Freitag - irgendwo im Süden von E. erscheinen. Aber vorher erwartet man es mit diversen Hochzeitsgeschenken hier. Und man kann auch anderes mitbringen: Diverse Schüsseln und Teller und anderes Porzellan, so was wie ausrangierte Klosetts, um es hier zu zerdeppern. Steht alles auf der Karte. Ich überlege, ob ich noch ein Klosett übrig habe. Nein, habe ich nicht, und meine Teller und Tassen, die brauche ich selber.
„Was war denn das für ein Mäuschen?“, fragt Sybille mich mit Betonung auf ‚das’. Mit einer sehr geringschätzigen Betonung auf ‚das’.
„Was meinst du?“ Ich stelle mich ganz blöd, obwohl ich genau weiß, wen oder was sie meint.
„Na, die letztens bei dir war ...“
„Eine Bekannte von früher“, erkläre ich. „Ich brauch ab und zu jemanden, mit dem ich ausgehen kann.“ Ich spüre, wie Robert mich neugierig ansieht. Das passt ihm bestimmt nicht und bestätigt seine Annahme, dass ich ein unsolides Stück bin.
„Na, ich weiß nicht ...“ Was Sybille nicht weiß, lässt sie bedeutungsschwer im Raume stehen. Sie meint natürlich, wenn ich ab und zu mit ihr, Alex und Robert ausginge, wäre mein Bedarf an Geselligkeit vollkommen gedeckt. Und sie missbilligt Susanne, obwohl sie die nur ein einziges Mal gesehen hat. Gut, Susanne ist nicht jedermanns Sache. Das kann ich verstehen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit brechen wir endlich auf zum Minigolfspielen. Ich bin froh, aus der stickigen Heiratsatmosphäre dieser Wohnung herauszukommen. Dort, wo Männer Frauen behüten und auf sie aufpassen, damit sie ja keine Nutten werden. Mir ist richtig schlecht! Aber die frische Luft tut mir gut. Nur körperlich natürlich.
Der Rest des Tages ist kaum auszuhalten. Und peinlich noch dazu. Es scheint immer klarer zu sein, dass Robert mich meidet, und die anderen meiden mich auch, also angebliche Freunde wie Alex und Sybille. Weil ich aber nüchtern bin - hach, es ist schön nüchtern zu sein, denn dann hat man wenigstens seine Arme und Hände unter Kontrolle - kann ich gut einlochen. Trotzdem: Was für ein blödes Spiel! Genauso blöd wie das Spiel des Lebens.
Am späten Nachmittag bin ich froh, wieder zu Hause zu sein, allein und ohne lästige Leute und deren Missachtung für mich. Ich bin ja auch nicht die Netteste, aber das war zuviel. Was habe ich denen angetan? Aufschlussreich war dieser Tag aber schon: Ich bin jetzt eine Unperson. Wie soll ich damit umgehen? Ehrlich gesagt, ist mir das piepegal!

-*-*- VOR DER HOCHZEIT

Parker ruft mich zwei Tage später an.
„Tony, mein Schatz, ich hab da eine Einladung zum Polterabend bekommen“, meint er anzüglich.
„Du auch? Das welke Blatt ...“ Wieso nennt er mich ‚mein Schatz’? Das bin ich schon lange nicht mehr.
„Stimmt! Genauso sieht es aus ...“ Parker fängt an zu lachen.
„Und gehst du hin? Ich schon ...“, sage ich.
„Ich auch, das darf ich nicht verpassen.“ Und nach einer kurzen Pause: „Kannst du vielleicht ein Geschenk besorgen?“
„Wieso ich?“ Ich halte das für eine ziemliche Zumutung.
„Cornelia kann nicht mitkommen. Hat Nachtschicht“, erklärt er mir.
Das ist natürlich was anderes, wenn Cornelia nicht mitkommt. Vielleicht wird es dann wie in alten Zeiten sein, nur besser. Und vielleicht kommt Bruce ja auch. Das fände ich dann richtig Klasse.
„Was schwebt dir denn so vor?“, frage ich.
„Irgend so ein Grünzeug mit Topf vielleicht.“
„Und how much?“
„Na, so für fünfzig Mark“, sagt Parker.
„Mach ich. Dann also bis nächsten Freitag. Halt, warte! Der Karmann springt manchmal nicht an, und du wolltest ihn doch übern TÜV bringen.“
„Nächste Woche habe ich Zeit. Dann hole ich ihn ab und guck mal nach.“
„Gut, und ich besorge schon mal das Geschenk.“
Hinterher wird mir klar, dass Cornelia das Geschenk auf mich abgewälzt hat, denn auch wenn sie nicht mitkommt, kann sie doch bestimmt mit Parker irgendwas besorgen. Ganz toll!
Ich kaufe für das Brautpaar ein Kochbuch für italienische Gerichte und eine gute Pfanne, weil ich mich noch an das Silvesteressen erinnere, das war nämlich gar kein Essen, sondern ein Haufen von faden Fertigsalaten vom Discounter. Für Parker besorge ich einen Übertopf und einen kleinblättrigen Gummibaum. Sybille hat mal gesagt, sie wolle niiiie wieder so einen blöden Ficus haben. Der Übertopf ist ungefähr viermal so groß wie die Pflanze. Vielleicht könnte man ihn besser als Papierkorb verwenden, aber das soll mir egal sein.
Für diesen Polterabend kaufe ich mir extra einen Hosenanzug. Bequeme Hose, kurzes Jäckchen, alles naturhell gehalten. Der Stoff sieht aus wie Leinen, ist aber aus Baumwolle. Das Teil ist eigentlich zu teuer für mich: Über zweihundert Mark, aber man gönnt sich ja sonst nichts. Einmal im Kaufrausch gönne ich mir noch schwarze geflochtene Lederschuhe, nach Art eines Turnschuhs, knöchelhoch, und sie passen sich wunderbar meinen Füßen an. Hundert Mark sind nicht zuviel dafür, denn vorher haben sie das Doppelte gekostet.
Und nun warte ich. Fragt sich nur worauf ...
-*-*-
Zum Glück kommt mir die nächste Woche nicht allzu lang vor. Denn am Mittwochabend erscheint Susanne bei mir. Sie hat einen Typen mitgebracht, den ich irgendwo schon mal gesehen habe, ich weiß aber nicht mehr, wo. Ich grübele und grübele und dann endlich fällt es mir ein: „Warst du nicht mit Tommy in Nick's Café?“
„Jau“, sagt er. „Tommy und ich sind seit Urzeiten Freunde. Leider hat er im Augenblick Eheprobleme ...“
„Ich kenn dich aber noch von woanders her.“ Das mit den Eheproblemen ist zwar interessant, aber da kann ich nix dran ändern.
Es stellt sich heraus, dass Rüdiger - so heißt der Typ - meinem Exmann Parker Saxophonunterricht gegeben hat. Er gibt sich außerdem als Bademeister vom Freibad am See zu erkennen, und im Winter ist er Skilehrer, allerdings nicht im Ruhrgebiet, da ist das Wetter zu mild für Schnee. Ein vielseitiger Typ ... Für meinen Geschmack sieht er etwas grob im Gesicht aus, aber es stehen bestimmt viele Frauen auf ihn. Und er ist wirklich ein angenehmer Plauderer und ganz nett.
„Sollen wir noch ins Hawaii gehen?“, schlägt Susanne nach einer Stunde vor.
Zuerst bin ich richtig entsetzt. Das Hawaiidoskop ist für mich eine Ballerbude in einer toten Sackgasse mitten im Zentrum der Stadt. Und diese Ballerbude weckt in mir übelste Erinnerungen. Aber mit Parker war ja fast alles übel.
Worum ging's damals eigentlich? Oh je, das ... Er hatte mit jemanden Streit angefangen, und der Jemand hat sich gewehrt, tatsächlich zurückgeschlagen und gewonnen. Parker musste ins Krankenhaus, irgendwas war mit seinem Auge, nein, ich will nicht mehr dran denken. Obwohl die Zeit während seines Aufenthalts dort eine sehr glückliche Zeit für mich war. Ich musste nicht kochen, beziehungsweise nicht ertragen, dass er mein Erkochtes nicht aß - weil er mal wieder verliebt war. Ich konnte schon frühmorgens meine Lieblingsplatten hören und fühlte mich unglaublich frei. Es war schon toll! Und es war anscheinend der Anfang vom Ende, denn damals hat er wohl gemerkt, dass ich ihn verabscheue. Ach ja, Memories, aber eher üble ... Trotzdem bin ich froh, dass sein Auge gerettet wurde. Er kann wieder normal sehen und auch Taxi fahren... Aber er ist bestimmt so blöd, seinen Führerschein wieder zu verlieren. Einmal hat er ihn schon verloren wegen Saufens, hat den Idiotentest gemacht und die Fleppe wiedergekriegt. Aber wenn er noch mal erwischt wird, dann ist es Essig mit dem Autofahren ... Ich verstehe das nicht, er will immer mit dem Kopf durch die Wand, auf Biegen und Brechen und koste es was es wolle.
„Der Laden ist gar nicht schlecht“, meint Susanne gerade eindringlich. „Los kommt, wir machen's einfach!“
Okay, dann also los. Wir fahren mit der Straßenbahn in die Innenstadt, schwarz natürlich.
„Seht ihr, wenn's keine Straßenbahn gäbe, mussten wir zum Hawaii laufen.“ Susanne äußert sich sehr schwärmerisch über die Wunder der Technik.
„Da ist was dran - und dazu noch umsonst!“, muss ich zugeben, während ich nervös nach draußen blicke und die Leute abchecke, die bei jeder Haltestelle einsteigen. Gott sei Dank ist kein Kontrolleur unter den Einsteigenden.
Das Hawaiidoskop - kurz Hawaii genannt - hat einen schlechten Ruf, rauschgift- und toilettenmäßig gesehen.
„Im Hawaii sollte man sich nicht auffällig anziehen“, erklärt Susanne mir, „eher underdogmäßig.“
Ich gucke an mir herunter und bin zufrieden. Ich bin dezent gekleidet, mit schwarzer Hose, weißem T-Shirt, Jeansjacke und Stoffturnschuhen.
„Das Hawaiidoskop ist übrigens eine der ältesten Discotheken in ganz Deutschland, außer in Westberlin vielleicht“, sagt Susanne. Sie nennt das Hawaii ‚rudimentär’. ‚Rudimentär’ ist im Augenblick einer ihrer Lieblingsausdrücke.
Wir kommen an. Es scheint drinnen ziemlich voll zu sein, denn viele Leute stehen auf der Straße herum und haben Biergläser in der Hand. Es stimmt aber: Das Hawaiidoskop hat nichts Vornehmes an sich, man kann sich darin rumlümmeln wie man will, man kann tanzen wie man will - und vor allem kann man saufen wie man will. Die Getränke sind billig. Für drei Mark Eintritt bekommt man einen Stempel auf die Hand, und drinnen bekommt man sogar ein Bier, wenn man die Eintrittskarte vorweist. Zwischendurch kann man rausgehen und sich draußen rumlümmeln.
Es ist auch drinnen brechend voll. Den Diskjockey kenne ich, den habe ich letztens auf dem Flohmarkt getroffen, als ich das Bakelitradio gekauft habe. Ich winke ihm zu, und er winkt zurück. Sieht gut aus, der Junge, und er spielt auch gute Musik. An den meisten anderen Tagen wird nicht so gute Musik gespielt, mehr Heavy Metal, und das ist nichts für mich.
Der Laden ist in der Tat nicht übel, vor allem wenn man ohne Parker dort ist. Von Rauschgift merke ich nicht viel, aber die Toiletten sind wirklich unter aller Sau.
Alles in allem, ein richtig guter Abend! Ich habe das Gefühl, diese ‚Ballerbude’ ist genau das, was mir im Moment zusteht, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich bin eben sehr bescheiden. Susanne und ich laufen nach Hause. Rüdiger haben wir im Gewühl verloren.
Jetzt warte ich auf den Polterabend. Auf Parker kann ich verzichten, aber er wird da sein. Und Robert natürlich auch.
Stellt sich die Frage, ob Bruce auch kommen wird. Wenn nicht, dann wäre ich enttäuscht, richtig schwer enttäuscht.
 
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