52


3 Seiten

Azurn - war der Himmel

Trauriges · Kurzgeschichten
Als ich die Augen öffnete sah ich in den Himmel. Es war ein schöner Tag gewesen. Keine Wolke war zu sehen, es war warm, aber nicht heiß. Ich trug ein T-Shirt von meiner Lieblingsband, ich hatte eine Kordhose an, die an den Beinen einen leichten Schlag warf. Das würde mir fehlen, meine Kordhosen ... meine Lieblingsband.

Als ich die Treppen erklomm, hatte ich keine Angst gespürt. Da war sogar eine Art von Erleichterung, die sich in mir ausgebreitet hatte. Endlich geschah etwas, endlich hatte ich den Mut, endlich konnte ich etwas tun, war nicht mehr gelähmt vor Enttäuschung und leeren Gedanken.
Es waren unendlich viele Treppen, die ich emporgestiegen war, dabei konnte ich ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken. Ich war noch nie zuvor so viele Treppen gestiegen.
Als ich dann oben stand, zerrte der Sommerwind an meiner Kleidung. Die Luft war hier viel dünner, als unten. Ich genoss einen schönen Ausblick, konnte die kleinen Punkte am Horizont erkennen. Familienhäuser. Dort hätte ich auch wohnen können – mit ihm. Bei dem Gedanken , hatte sich mein Magen wie immer zusammengezogen.
Ich konnte das Gefühl nicht mehr ertragen. Es war eine große Ohnmacht, die mich stets umschattete.
Vom ersten Gedanken am Morgen - bis zum Schlafengehen am Abend.
Näher trat ich an den Rand heran. Mir blieb keine andere Wahl.
Als ich durch die Luft fiel, war es kein Schweben, kein Fliegen. Es war ein Fall, so schwer wie mein Herz. Ich schrie dabei. Obwohl ich es doch wollte ... Ich schrie, wie nie zuvor. Ich fragte mich, wer mich hören würde ...
Statistisch gesehen, bereuen es die meisten Menschen, während sie sich im Fluge hinab befanden, doch ich dachte gar nichts. Ich ließ nicht einmal mein Leben Revue passieren. Dazu hatte ich gar keine Zeit. Mehrmals wandte sich mein Körper in der Luft.
Wie würde ich aufschlagen, wie?
Es war, als bräche ich mir alle Knochen auf einmal. Es knackte beim Aufprall. Ich war sofort weg, dachte nichts mehr ...
Dass ich das Gefühl hatte, meine Augen wieder zu öffnen, war eine Illusion. Es kam mir nur so vor, als würde ich all die Menschen sehen, die um mich herum standen.
Man zerrte an meiner Kleidung, ein Sanitäter drückte auf meinem Leib herum. Ich ermahnte ihn, vorsichtiger zu sein ... immerhin drückte er auf meinem Herzen herum, das Herz, das so wahnsinnig unglücklich liebte. Warum musste er es noch mehr quälen?
Aber er hörte mich nicht. Mich schien niemand zu hören.
Ich wandte mich unter ihren Händen, versuchte mich von ihnen zu lösen, doch in Wahrheit bewegte ich mich kein Stück. Ich war leblos - auf dem Asphalt festgeklebt.
Meine Hände griffen in grünes Gras. Es war regsamer als ich.
Summende Insekten schwirrten um meinen liegenden Körper – überall - viel mehr Kraft als ich jetzt noch besaß.
Und hätte ich gekonnt, so wäre ich, mit Augen voller Tränen, an ihren Worten gescheitert. Ich hätte kläglich versagt.
Doch alles, was ich spürte, war nur eine unglaubliche Kälte. Mir war egal, wie sehr sie an mir zerrten, verzweifelt versuchten, mich in das bunte Leben zurück zu holen.
Als ich auf mich hinabsah, bemerkte ich, dass ich erheblich viel Blut verloren hatte. Es war aus meinem Hinterkopf gequollen, aus meinen Ohren und auch aus meiner Nase. Fast ekelhaft sah es aus. Ich hatte mich noch nie so hässlich gesehen. Mein Mund war leicht geöffnet, als wollte ich etwas sagen, doch meine Lippen waren blau verfärbt und zu ewigem Schweigen verbannt. Meine toten Augen sahen starr in den Himmel. Himmelblau. Oder - Himmelgrau?

Wenn er mich jetzt so sehen würde!?
Vielleicht würde er dann bereuen, dass er mich derart verletzt hat, dass er mich so abgelehnt hat, dass er letztendlich ... über mich gelacht hat.
Ja, es war zu schade, dass ich nicht sehen konnte, wie er reagieren würde, wenn die Nachricht meines Todes ihn erreichte. Das war das Einzige, was mich unzufrieden stimmte.
Lautlos entfernte ich mich vom Ort des Geschehens. Man hatte inzwischen aufgegeben, mich zu reanimieren. Es stand schon eine graue, starre „Verpackung“ für mich bereit. Der Reißverschluss wurde zugezogen, mein Leib in den stählernen Sarg verfrachtet.
Unmöglich, daran zu denken, was die anderen wohl dazu sagen würden ...
In einer Baumkrone machte ich es mir gemütlich. Ich erklomm den höchsten Ast. Ich war jetzt schwindelfrei.
Von Weitem beobachtete ich, wie man mit meinem Körper wegfuhr, wie sich die Traube von Menschen löste, Bestürzung in ihren Gesichtern.
„Tolle Vorstellung!“, hörte ich plötzlich jemanden sagen. Als ich meinen Kopf drehte, sah ich einen jungen Burschen, der sich zu mir auf den dicken Ast gesellte.
Er war kalkweiß im Gesicht, seine Lippen bläulich, keine Frage, er war so tot wie ich, doch anscheinend schon viel länger.
Und doch war ich überrascht, dass ich nach meinem Ableben noch jemanden kennenlernen würde.
Unsicher grinste ich ihn an. Dann schüttelten wir uns die Hände.
„War ein toller Sprung!“, sagte er. „So cool hätte ich das nie hinbekommen!“
„Ach, ehrlich?“, fragte ich schüchtern. Kaum zu glauben, dass ich es als Kompliment auffasste.
„Ja, ich war feige, habe es mit Tabletten gemacht. Aber Springen - das ist schon eine Kunst!“ Er nickte bewundernd.
Ich schüttelte den Kopf, musste lächeln.
„So was absurdes!“, stellte ich fest. „ Und ich dachte immer, nach dem Tod sei alles vorbei ...“
Sein noch lauteres Lachen beendete letzte Zweifel an meinem momentanen Dasein.
„Da hast du dich zu früh gefreut!“, sagte er, dann sah er mich schelmisch an. „Jetzt geht das Leben erst richtig los, du glaubst gar nicht, wie viel Spaß wir nun haben können ... und eh du dich versiehst, hast du ihn vergessen.“
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Mir gefällt die Story. Trotz der depressiven Stimmung ein doch etwas humorvolles(?) Ende.

BadBlood (19.01.2005)

Hier und da ein wenig holprig im Ausdruck, aber das macht die Idee und die Umsetzung wieder weg.
Keine schlechte Idee, gefällt mir gut.
4 Punkte


Drachenlord (29.04.2003)

Mmh, danke für die Blumen, jedoch möchte ich darauf hinweisen, daß hiermit durchaus nicht nur der "Heterofrust" gemeint ist, die erzählende Person könnte durchaus männlich sein.


Justin (03.05.2002)

Die Story ist im Ansatz nicht schlecht. Die Gedanken, was wohl Derjenige der sie verschmäht hatte wohl denken mag, wenn er von ihrem Tod erfährt sind sehr interessant. Gute Story!
[Sabine Buchmann]


Jurorenkommentare (03.05.2002)

schoen geschrieben! gefaellt mir wirklich;-)
mach weiter so. 5 points


werwoelfin (13.04.2002)

Interessante Idee, gut umgesetzt. Das Beste war die Pointe am Schluss.5Punkte

Stefan Steinmetz (11.04.2002)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Zwei Welten  
Blinde Leidenschaft  
Lydia -Eine Nacht mit Folgen  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De