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3 Seiten

Patiencen

Kurzgeschichten · Sommer/Urlaub/Reise · Romantisches
© Majissa
Es gibt da noch etwas zu klären. Schon lange sitze ich hier unten am Meer. Rot steigt der Oktobermond aus dem Wasser. Ich lasse unsere Dialoge wie vor einem Fenster passieren. Lasse wie in alten Liedern die Verse vorbeiziehen. Auf der Suche nach Worten, die du mir nicht verdrehen kannst, verschluckt mich die Zeit. Ein paar Leute ziehen lachend an mir vorüber. Ihre Sorglosigkeit bekümmert mich. Es ist spät geworden in diesem windigen Ort. Wenn ich jetzt nicht zu dir gehe, wirst du wieder für einen langen Tag verschwunden sein. Kies knirscht unter meinen Sandalen, als ich aufstehe und den Strand verlasse. Auf der Straße überlege ich kurz, es aufzugeben und mich nach links zu wenden, fort von dir. Unschlüssig stehe ich unter dem Mond. Ein heißer Windstoß zerrt an meinem Kleid. Es ist lang und leicht. Einst hast du es angehoben, um meine Wade zu berühren. Kann Leinentuch sich erinnern? Etwas zieht mich nach rechts. Dunstschwaden hängen über dem Meer und in der Luft vor mir. Das geschieht nur im Oktober, hast du mir erklärt. Wenn Luft- und Wassertemperaturen sich angleichen. Jetzt, wo ich mich deinem Lädchen nähere, habe ich den Eindruck, den Dunst durchschneiden zu müssen, um hindurchzugehen. Ich könnte mir ein Stück Dunst in die Tasche stecken und es später in Ruhe auf seine Beschaffenheit hin untersuchen. Geigenklänge dringen an mein Ohr. Du bist also noch da und hörst Musik. Meine Schritte werden langsamer, als ich den schwachen Lichtschein wahrnehme, der aus der geöffneten Ladentür dringt. Nun kann ich dein Gesicht sehen. Ich weiß, daß du meine Schritte hörst. Du blickst nicht auf. Du sitzt da hinter deinem Ladentisch und legst Patiencen. Pingpongbälle hüpfen in meiner Kehle auf und ab, als ich die Schwelle zu deinem Reich übertrete und dir einen guten Abend wünsche. Du nickst, bist höflich und bietest mir einen Platz neben dir an. Kaffee oder Wein, fragst du lächelnd. Kaffee denke ich, sage aber Wein, weil ich nicht will, daß du das Zittern meiner Hand bemerkst, wenn sie die winzige Moccatasse zum Mund führt. In deiner Nähe lassen sich Weingläser besser steuern. Doch ich bin mir da nicht sicher. Du greifst zum Telefon und bestellst Weißwein. Dabei betrachte ich dich wie ein Gemälde. Ich würde gerne in deine weichen, braunen Locken greifen. Mein Blick streift scheu deine sinnlichen Lippen, die leise Töne in den Hörer murmeln. Dicht an meinem Ohr haben sie sich weich angefühlt. Als ich seufze, schaust du mich kurz an. Müde siehst du aus. Worin nur hat sich dein bernsteinfarbener Blick gestern Nacht verfangen? Hast du eine andere so angesehen wie mich? Ich muß das klären. Auch deshalb bin ich hier. Du legst auf und siehst mich an. Dein Lächeln legt sich wie eine Wolldecke um mich. Verlegen schaue ich aus dem Fenster. Die Scheiben sind weiß gestrichen, sage ich zu dir. Nein, das ist nur der Dunst, antwortest du und drehst die Musik lauter. Ich öffne meinen Mund und will dich endlich fragen. Aber du hebst mahnend den Zeigefinger und lauschst. Schritte nähern sich. Ein Mann mit öligem Haar und einem Tablett in der Hand betritt das Geschäft. Er stellt Wein und Gläser vor uns ab, ohne auf die ausgelegten Spielkarten zu achten. Sie geraten etwas durcheinander. So wie ich. Du verwickelst den Weinträger in ein Gespräch. Ich schaue durch den Türspalt nach draußen und sehe eine alte Frau mit geflochtenen Zöpfen, die zwei Ziegen hinter sich herführt. Sie sind schwarz. Mich rührt das. Es ist warm hier. Meine Haare kleben am Nacken fest. Ein zarter Schweißfilm hat sich auf meinen Oberarmen gebildet. Im Spiegel rechts von mir sehe ich, wie Melancholie meine Augen färbt. Blauer als jetzt werden sie nie im Leben mehr für dich sein. Weißt du das? Endlich sind wir wieder allein. Ich möchte dir nun all das sagen, was ich mir so lange zurechtgelegt dort unten am Wasser. Doch du unterbrichst mich, weil du mir von einem Lied berichten willst. Es handelt von einem Hirten, der einen hungrigen Wolf bezähmt. Mit seinem Geigenspiel. Du singst es mir vor. Darauf war ich nicht gefaßt. Aufgewühlt stelle ich mein Weinglas ab. Ich werde lange Zeit aus großen Krügen trinken müssen. An deiner Stimme kann ich mich nicht satthören. Sie ist mein Instrument, sagst du, als du fertig bist. Sie schneidet Verstand in Streifen, denke ich jetzt. Die Zeit am Meer war umsonst. Eine Frage nur ist geblieben. Ich muß sie dir sofort stellen. Es kostet mich Überwindung, auch nur den Mund zu öffnen. Du, sage ich leise. Einen Augenblick, antwortest du und sammelst bedächtig die Karten zusammen. Deine Hände zittern nicht. Wie kannst du nur so ruhig sein? Du schiebst das Kartenpäckchen in die Schublade vor dir. Ich verliebe mich in dein rechtes Handgelenk. Gleich muß ich hier schließen, verkündest du, ohne mich anzusehen. Eine Zeitungsschlagzeile hättest du nicht kühler verlesen können. Was bleibt mir anderes, als aufzustehen? Wichtige Dinge werden nicht im Stehen geklärt. Als ich mich zur Tür drehe, steht dort ein Mädchen. Sie trägt zu ihrem Rock nur ein Bikinioberteil. In der Rechten hält sie eine Postkarte. Es ist zu, sage ich. Sie nestelt an ihrem zurückgesteckten Haar und antwortet etwas auf Französisch. Es hört sich fragend an. Ich weiß, daß du sie nicht verstehst, aber du läßt sie trotzdem herein. Danke für deine Gesellschaft, sagst du zu mir. Du willst nur eine Postkarte verkaufen, denke ich, als ich wieder in den Dunst trete. Ein Betrunkener nähert sich von rechts. Etwas läßt mir keine Ruhe. So blicke ich zurück in dein Geschäft und sehe, wie sie ihr Haar löst. Es fließt an ihrem schönen Rücken herab wie ein dunkler Vorhang aus Samt. Du hältst den Atem an. Ich auch. Der Betrunkene lacht. Du schließt die Tür von innen. Es gibt da noch etwas zu klären, denke ich später, dort unten am Wasser. Eine Träne spült Sand von meiner Sandale. Ich wende mich nach links.
 
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Kommentare  

Gefällt auch mir sehr. Tolle Romantik, erstklassige Bilder. Spitzenmäßiger Text.

Jochen (17.06.2009)

Ganz, ganz toll geschrieben. Da habe ich ja was Feines in dem riesigen Geschichtenberg entdeckt. Schön, dass die Startseite immer wieder alte Texte nach oben spült. Lest diese kleine Geschichte Leute. Es lohnt sich, wenn man das Sehnsüchtige - romantische mag. Großartige Wortwahl, viel Gefühl. Ein paar Absätze im Text hätten allerdings nicht geschadet.

doska (15.06.2009)

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