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3 Seiten

Sonnenstrahlen

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
© Josephine
Ich glaube nicht an Gott, ich glaube nicht an Schicksal, an Glück oder Unglück, ich glaube nicht an Vorbestimmung, Wiedergeburt, Buddah, chinesische Glückskekse oder UFOs. Ich glaube an gar nichts. Und nicht mal das kann ich sagen, weil dieser Satz ein Widerspruch ins sich ist, denn dann würde ich glauben, dass ich an gar nichts glaube, und somit glaube ich an etwas.
Ich bin 17 Jahre alt, ich mag es andere Menschen zu provozieren, versuche immer aus der Menge herauszustechen, habe ein Faible dafür mich selbst an den Rande des Abgrunds zu kapitulieren und ich freue mich, wenn andere Menschen mich für intelligent oder außergewöhnlich halten. Aber das macht mir oft auch Angst, weil ich befürchte den Vorstellungen dieser Menschen in Wirklichkeit nicht entsprechen zu können. Mein Freund hat mich gestern gebeten Realität zu definieren, da ich mich gerne als Realistin bezeichne, während er den Ausdruck Pessimistin vorzieht. Es fiel mehr schwer den Begriff Realität in Worte zu fassen. Realität ist das, was hinter allem steckt, was man oftmals nicht sieht. Ich bin Realistin, weil ich versuche die Dinge immer zu hinterfragen und nie etwas so hinzunehmen, wie es mir vor die Nase gesetzt wird. Ich denke sie nicht negativ, ich versuche mich einfach auf eine objektive Art und Weise damit auseinanderzusetzen. Das hat nichts mit Pessimismus zu tun. Zumindest meiner Ansicht nach nicht. Ich werde oft als depressiv beschrieben, diesen Ausdruck kann ich schon eher akzeptieren. Kannst du dir vorstellen dich 24/7 mit dem Tod zu beschäftigen? Ständig mit dir selbst zu kämpfen, gegen den unbändigen Wunsch einfach alles aufzugeben und sich umzubringen? Selbstmord ist so leicht und jedes Mal, wenn ich davor zurückschrecke, komme ich mir einfach nur feige vor. Ich bewundere die Menschen, die die Selbstmordgedanken besiegen und sich dem Leben stellen. Die Menschen, die sich umbringen, sahen keine andere Lösung. Manchmal wird man nicht mit dem Leben fertig und ich kann keinem Menschen einen Vorwurf daraus machen, dass er in solchen Augenblicken einfach nur sterben will. Es müssen nur die richtigen Gründe sein, aus denen man Selbstmord begeht. Ich bin zu beidem zu feige, zu feige mich umzubringen und zu feige mich dem Leben zu stellen. Das ist wirklich armselig, aber ich kann es nicht ändern. Ich vegetiere in meiner kleinen Luftblase vor mich hin, versuche mich völlig abzukapseln und unabhängig zu sein. Ich habe mir vor einiger Zeit geschworen nie wieder jemanden so nah an mich heranzulassen, dass er mich verletzen kann. Ich habe es tatsächlich geschafft, ich habe hart dafür gearbeitet und kann von mir wirklich behaupten, dass mir alles egal war. Mir war es egal, wer mich hasst und wer mich liebt, Verachtung und Bewunderung sind völlig an mir abgeprallt, ich war so kalt und hart, dass es mich selbst manchmal erschreckt hat. Aber es war keine gute Zeit. Trotz meiner Unverletzbarkeit, trotz meines unsichtbaren Schutzschildes lag ich jeden Abend weinend in meinem Bett, trug mit mir selbst Tag für Tag einen neuen Ringkampf aus, lebte mich aus und hielt mich gleichzeitig unter Kontrolle. Ich habe in dieser Zeit gelernt mich selbst zu analysieren und ich glaube, dass ich jetzt sehr viel mehr über mich weiß. Mir wurde damals klar, dass ich leer bin und diese Leere immer versucht habe mit Gefühlen aufzufüllen, bin von einem Extrem ins andere gefallen, habe alle Gefühle so intensiv ausgelebt, bis ich irgendwann bemerkte, dass irgendetwas nicht stimmt. Ich habe gespürt, dass diese Gefühle nicht der Wirklichkeit entsprechen, dass ich sie mir einbilde, sie völlig anders auslege und lebe, als es ihrem ursprünglichen Sinn entsprechen würde. Ich war eine Künstlerin, nur habe ich kein Kunstwerk geschaffen, sondern ein Wrack. Ein inneres Wrack, das zur Selbstzerstörung neigt. Aber vielleicht ist auch das Kunst. Ich bin kein Liebhaber der modernen Kunst, ich mag Dalí, Macke, Gaudí und Miró, aber wirklich moderne Kunst entspricht nicht wirklich meinem Geschmack. Ich habe auch nichts übrig für die älteren Künstler, wie Botticelli, Tizian oder Rembrandt, ebenso wenig wie für klassische Musik. Vielleicht bin ich ein Kunstbanause, aber was andere Leute als Kunst bezeichnen, muss nicht für mich Kunst sein, oder?! Ich liebe Musik, sie gehört zu den wichtigsten Dingen meines Lebens, aber mein Musikgeschmack gefällt auch nicht allen. System of a Down, Slipknot, Korn, Nirvana, Wizo... Die Reaktion auf diese Aufzählung ist häufig Unverständnis, oft auch Entsetzen, aber das kann ich nicht nachvollziehen. Das ist MEINE Kunst, das ist das, was mich berührt und mich glücklich macht, was mich ausfüllt und nachdenklich stimmt. Jedem das seine, oder?! Ich mag dunkle Atmosphären, ich liebe es, wenn Künstler eine Atmosphäre von Gewalt, Brutalität und Angst zu erzeugen, ohne dabei ordinär zu werden. Das ist für mich immer wieder faszinierend. Einen modernen Künstler mag ich doch, wie mir gerade in den Sinn kommt. Araki, ein japanischer Fotograf, der sich in meinen Augen ganz hervorragend darauf versteht die Realität erbarmungslos und ungeschliffen zu spiegeln. Seine Bilder vereinigen Macht, Kontrolle und lösen in mir, als objektiver Betrachter des Bildes, immer wieder eine lähmende Faszination aus, auch durch die scheinbare Teilnahmslosigkeit, die den Bildern anhaftet.
Genug von Kunst. Ich neige dazu abzuschweifen, was nicht unbedingt ein positiver Aspekt für meine Liebe zum Schreiben ist.
Ich wollte nur eine Frage in die Luft stellen: Kann man sich durch Depressivität definieren und wenn man glücklich ist sich verloren fühlen, weil man seine Definition verloren hat? Ich glaube, ja. Ich bin nicht mehr das, was ich mal war. Ich bin immer noch depressiv, aber ich bin auch glücklich, weil da jemand ist, der es schafft mich glücklich zu machen und mir die Gedanken stiehlt, die sich früher 24 Stunden mit Selbstmord beschäftigt haben. Mir hat es sehr viel Angst gemacht plötzlich nicht mehr so am Ende zu sein. Es ist schwer sich damit abzufinden, dass man sich ohne sein Zutun und ohne den eigenen Willen verändert hat, in eine Richtung, die der Gegensatz der vorherigen Richtung ist. Es ist nicht leicht zu akzeptieren, dass man immer noch man selbst ist, obwohl man nicht ständig in einem tiefen Loch hängt, wenn man sich vorher nur durch seine herausragende Depressivität definiert hat. Aber ich fange an es zu akzeptieren und ich bin dem Menschen, der mir dabei geholfen hat, sehr dankbar. Auch wenn mich manchmal Zweifel überkommen und ich oft denke, dass ich mich viel zu abhängig von ihm mache. Ich liebe ihn, aber es fällt mir schwer mich gehenzulassen. Er kann mich verletzen, weil ich mich ihm geöffnet habe, und genau das wollte ich verhindern. Aber es tut gut so zu sein.
 
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Kommentare  

wieder mal keine bewertung von mir
habe es aber gerne gelesen
kann einiges davon sehr gut verstehen
zum beispiel sich-selbst-definieren
anderes würde ich beantworten
zum beispiel die leere
das ist aber nicht meine aufgabe


jaana (09.12.2004)

Ich finde es spannend, daß du erst von Selbstmord sprichst & gleich darauf vom "Abkapseln" und "daraufhinarbeiten, daß einem alles egal ist".
Ist das nicht eine Form von Selbstmord?
Wenn man nicht mehr wirklich am Leben teilhat, ist es dann noch Leben?
Nur einem Toten kann alles egal sein, weil es ihn ja nicht mehr berührt bzw. es keinen Einfluß mehr auf ihn hat.

Ja... Wenn man Leben so definiert, daß man nur dann wirklich lebt, wenn man Einfluß auf seine Umgebung & seine Umgebung Einfluß auf einen selbst hat, dann ist das Fehlen alldessen nichts anderes als der Tod.
Das bedeutet, daß, wenn einem alles gleichgültig geworden ist, ob schöne oder schlechte Dinge, man bereits gestorben ist.
Das heißt, daß der Erzähler hier im Prinzip doch schon (zumindest für eine Weile, wie es scheint) Selbstmord betrieben hat.

Spannenderweise, wenn man all das auf die Gesellschaft überträgt, mit der ganzen wachsenden Gleichgültigkeit, die man überall bereits spüren kann, dann beginne ich mich langsam zu fragen, wo das alles hinführen wird bzw. ob das alles nicht vielleicht letztendlich ins Verderben führen muß.


Marcel (28.04.2003)

ich schließe mich oliver an... aber punkte geb ich und zwar alle fünfe...

*Becci* (09.11.2002)

das Nachdenken über sich selbst hat hier erstaunliche Dinge bewirkt. ( Gratulation an den Erzähler, falls es eine ausgedachte/ nachempfundene Geschichte ist). Falls nicht, warten hier wohl noch viele schöne Erlebnisse und erkenntnisse in der Realität auf die/ den Betroffenen.
Gratulation. Endlich aufgewacht.
Geschichten bewerte ich nicht mit Punkten. Das hat für mich irgendwie was würdeloses. Aber die Entwicklung (der beschriebenen Person) verdient alle Punkt dieser Welt.


Oliver (18.09.2002)

Hui, wahrscheinlich kann ich keine der Fragen beantworten, aber es tut gut zu sehen, dass es noch Menschen gibt, die erhlich zu sich selbst sein können. RESPEKT!!!!

Meridion (06.09.2002)

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