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Eine fremde Hand

Trauriges · Kurzgeschichten
Er schaute seinen Arm an. Es war der Rechte. Dann schaute er seine linke Hand an.
Lange schaute er sie an. Er wusste, dass es seine Hand war. Doch sicher war er sich nicht.
Er hatte es sich so einfach vorgestellt. Ein tiefer Schnitt, mit viel Kraft. Ein starker Schmerz und dann war es vorbei.
Alles vorbei. Dann war er Geschichte.
Er hob seinen Blick. Er sah jemanden vor ihm knien. Der schaute ihn an. Auch neben dessen Hand lag eine Rasierklinge.
Auch sie war blutig.
Erst langsam wurde er sich bewusst, dass er sich selbst sah. Das war er. Niemand kümmerte es, ob er das wollte oder nicht.
Okay, das Bild war spiegelverkehrt, doch das machte keinen Unterschied. Links, rechts, völliger Unsinn.
Er dachte gerade, ob er es nicht doch noch einmal versuchen sollte. Was er versuchen wollte? Na Leben. Aber wenn dann in allen Facetten. Nicht nur allein sein, sondern eine Freundin finden. Nicht nur Stress haben, sondern auch mal ganz entspannte Momente. Nicht nur traurig sein, sondern...
Diesen Gedanken konnte er nicht mehr vollenden. Denn der Schmerz meldete sich nun. Nicht der Seelische. Der nicht.
Der Körperliche war es. Der, den er so fürchtete. Schmerz. Tränen liefen ihm schon aus den Augenwinkeln, doch er zeigte keine Regung.
Apathisch starrte er wieder auf den rechten Arm. Eine kurze rote Linie zierte ihn. Aus der quollen einige Tropfen Blut.
Er war sich nicht sicher, ob es nun Feigheit oder Mut war, zu versuchen zu fliehen. Feigheit. Vielleicht war es Feigheit. Vielleicht konnte das Leben seine Erwartungen nicht erfüllen. Vielleicht waren seine Erwartungen zu hoch.
War es eine zu hohe Erwartung zu hoffen, das man endlich eine Freundin findet, war es eine zu hohe Erwartung zu hoffen, dass sie ihn anspricht, weil er so hoffnungslos schüchtern war? Und was war mit Schule, durfte er erwarten mit genau soviel Arbeit wie die anderen machen mussten ans Ziel zu kommen?
Wenn das zu hohe Erwartungen waren, dann war er feige.
Vielleicht war er aber auch mutig, weil er keine Angst vor dem Tod hatte. Nur vor den Schmerzen.
Er warf alles über den Haufen. Es war doch sowieso alles egal.
Er griff mit seiner linken Hand wieder die Rasierklinge, drückte die Augen fest zusammen und machte sich auf den Schmerz bereit.
Doch leider war es nicht seine Hand. Jetzt war er sicher. Denn die Hand gehorchte dem Befehl, den sein Bewusstsein gab, nicht.
Müde und unendlich langsam stand er auf, ging ins Badezimmer und wusch sein Blut von den Händen.
Danach machte er den Boden, wo er gehockt hatte sauber und dachte sich eine gute Ausrede aus, woher der Schnitt an seinem rechten Arm kam.
Die Rasierklinge schmiss er jedoch nicht weg.
Ruhig steckte er sie in sein Portmonee.
„Für alle Fälle,“ dachte er noch, bevor er zur Schule ging.

Mittwoch, 22. August 2001 14:41:27
 
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