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Alte Perser

Schauriges · Kurzgeschichten
Er stand von seinem Sessel auf. Er bestieg seinen Holzschemel.
Er hatte seine frisch gewichsten Lederschuhe ausgezogen und sie ordentlich in seinem Schuhkasten verstaut. Er hatte sorgfältig den Straßenstaub von seinem Mantel abgebürstet. Der hing an seiner Garderobe in seiner Diele. Ordnungsgemäß. Er hatte seine Hauspantoffeln angelegt. Es runzelte sich seine Stirnwulst. Ein Ausdruck der Unzufriedenheit knitterte seine Haut.

Er stand still. Harrend. Grübelnd. Er rückte seine Hornbrille zurecht. Er stieg von seinem Schemel herab. Er blickte auf seine Uhr, strich mit einem Finger sanft über diese seine Karate. Er drehte sich auf der Stelle. Er ließ seinen Blick in alle Ecken seines Raucherzimmers fallen: Sie hatte nicht richtig gesaugt.
- Unfähiges Personal!
Er überquerte den alten Perser, ärgerte sich, blieb in tadelloser Haltung vor seinem ovalen Wandspiegel stehen. Er musterte sich. Seinen stattlichen Korpus. Er strich durch sein pomadiges Haar. Er zupfte einige seiner Nasenhaare mit der kleinen, silbernen Pinzette aus seinem Kulturbeutel.
Versunken verharrte er einen Moment in Stille. Grübelnd. Runzelnd.

Seine Stirnfalten verloren Härte. Sein Gesicht hellte auf. Er nickte seinem Spiegelbild zufrieden zu. Er säuberte seine Hände von der Pomade, mit seinem Seidentuch seiner Brusttasche. Er ließ es in seinen Wäschekorb fallen. Er lief zum Sekretär in der Zimmerecke. Er überquerte den alten Perser. Er nahm sich aus der Schachtel sein abendliches Schweizer Praliné.
Delikat. Eine schokoladenummantelte Mandel. Mit Creme.
Er wurde einiger Fusseln auf dem alten Perser zu seinen Füßen gewahr. Er zupfte sie sogleich ab, ließ sie in seinen Aschenbecher fallen. Er lutschte geräuschvoll. Die schmeckten ihm. Diese Schweizer.
- Die sind doch die Besten.
Er strich sanft über den alten Perser und verteilte die Schokolade gleichmäßig auf seinem Gaumen. Er blickte durchs Panoramafenster in den Nachthimmel, beobachtete die dünne Mondsichel, wie sie von vorbeiziehenden Wolken über seinem Anwesen verdeckt wurde. Er durchforstete sein Gedächtnis. Bestürzung bereitete ihm Mißbehagen. Doch bestürzt mußte er feststellen: Da fand sich kein passender Vers für den Moment in seinem lyrischen Repertoire. Er konnte nicht rezitieren. Ein Seufzer entsprang dem Geschmatze. Er ging zu seiner Bar. Er überquerte den alten Perser. Er goß sich seinen abendlichen Drink. Er öffnete seinen Humidor. Dieser Duft. Er drehte liebevoll eine seiner Cohibas zwischen seinen Fingern.

- Kubaner sind einfach die Besten.
Er stellte sein Glas ab. Er ließ den Kristallstopfen seiner Karaffe auf Mahagoni kreisen. Er streichelte das Holz.
Versunken verblieb er einen Moment in Stille.
Er verstaute die Zigarre in seinem Humidor. Er tat den Stopfen auf seine Karaffe. Er überquerte den Perser. Er glättete seine Kotletten. Er bestieg sorgfältig seinen kleinen Schemel. Er zwirbelte seinen Schnauzer. Er schluckte seinen süßen, scharfen Speichel. Er spielte einen Augenblick mit der Mandel zwischen seinen Zähnen, blickte auf seine Pantoffeln.
- Die Besten.
Er schlürfte. Die schmeckten ihm. Nur die Schweizer. Über Pralinés wußte er Bescheid. Es gab keine Besseren als die Schweizer.
- Belgische?
- Nein!!!
Der Holzschemel kippte. Die Stirnwulst verlor Härte. Das Drahtseil spannte sich, schnitt in seinen weichen Hals. Ein einsilbiger Röchellaut krächzte aus seinem Rachen. Die Mandel löste sich in einem lauten Schmatz, fiel, beschmutzte die Innenseite des Hosenbeins, die vorbildliche Bügelfalte und befleckte den alten Perser mit schokoladigem Speichel.
Große Pupillen in großen Augen wurden starr. Auf die Mandel geheftet.

Der alte Perser verzog das Gesicht. Angewidert. Er stand auf. Er streckte sich geräuschvoll. Er blinzelte. Gähnte. Er beschaute müßig die letzten Zuckungen. Er hob die Mandel auf. Er glotzte sie an. Er glotzte ihn an. Er tat sie ihm in den Mund. Er klemmte sie ihm unter die Zunge. Er stupste aufmunternd den speckigen Bauch. Sah ihm aufs Doppelkinn. Zwinkerte ihm zu. Grinste. Wischte sich mit dem Hemdsärmel den Speichel von der Backe. Den Rotz von der Nase.
Er blickte hinüber zum Sekretär. Der Sekretär grinste zurück. Beide schlenderten zur Bar. Wünschten sich Wohlsein. Und sie tranken und sie rauchten. Tage. Nächte. Nur vom Besten.
 
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Kommentare  

Echt gruselig.

Lisa M. (28.06.2003)

Spannend und auch gruselig... und vor allem nicht vorhersehbar!
das mag ich!


Kersti (09.04.2001)

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