14


3 Seiten

Geliebter Dieter

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
Schwere Gedanken weckten mich. Etwas Unbestimmtes nestelte in meinem Schädel, hinter meinem linken Ohr, in kaum fünf Zentimetern Tiefe. Mir war, als wäre das, was dort schlummerte, und mir den Schlaf raubte, trotz der geographischen Oberflächlichkeit, oder sogar gerade deswegen, tiefsinnig und profund.
Ich räkelte mich sogleich aus meinen Laken und schlurfte, in gespannter Erwartung, kaum meinen Träumen entrückt, zu meinem Schreibtisch, dem Platz an dem mein Schaffen ist.
Mir war, während ich über den Perser schlurfte, als wäre dieser Gedanke, dem ich einen Namen gab - ich nannte ihn Dieter -, mit der Schwerkraft gesunken und würde in meinem Schädel kesseln, wie Quecksilbertröpfchen, ziellos über dem Rachenraum.
Ich setzte mich auf meinen Schemel und führte meine Hände zum Kopf, ich legte meine Mittel- und Zeigefinger auf die Schläfen, massierte sie und versuchte, mit größter Konzentration, eine Verbindung zu Dieter herzustellen.
Ich bemächtigte mich meiner Atmung, atmete meditativ, wollte Dieter zur Ruhe bewegen, wollte ihn so mit einer Zärtlichkeit locken, die man verwirrten Säuglingen zukommen läßt, ihn umgarnen wollte ich, ihn dazu bewegen, sich meiner zu offenbaren.
Ich dachte aus zu Dieter, dachte an farbenprächtige Sonnenuntergänge, Fruchttorten, dachte bescheidene, glückliche Philosophie, gedichtet in wohlklingenden Versen, doch Dieter ließ sich nicht betören.
Das Quecksilbertröpfchen kesselte, kesselte mir weiter zu, in meinem Schädel; mir war, als würde er in subtilen Gedanken verwaschen schwimmen und mir zu hauchen - : „Fang mich doch, wenn du kannst.“
Zu Zeiten schien es, als würde mir Dieter entrinnen wollen, als hätte er sich ein Plätzchen in meinem Unterbewußten gesucht, um mich von dort aus zu necken, doch dann wagte er sich wieder weit hervor, sprang mich direkt an, und als ich dachte, ihn fast schon begriffen zu haben, verzog er sich. Mir wurde bewußt, daß Dieter, wohl doch er ein prachtvoller Knabe, zugleich auch ein gehässiger war, nicht bloß verspielt, sondern gehässig, an meinem Leiden, das er wußte in mir zu schüren, entzückt, an meiner Leidenschaft schürte er, an meiner Leidenschaft für Dieter, für junge Knaben, an meiner Sehnsucht.
„Dieter! Quäle mich doch nicht!“, rief ich aus und rammte einen Dolch in die frühmorgentliche Stille.
Meine Frau wälzte sich im Bett und grunzte, doch Dieter schwieg.
Ich wühlte in meinen Gedanken, kramte verkrampft nach einem leisen Hauch. Die Äste der Weide vor meinem Fenster neigten sich zu mir herab, so als würde der Baum von meinen Qualen angezogen....- auch er spottete mir.
Ich las Dieter vor, aus meinem Manuskript, ich erzählte ihm die Geschichte, die ich webte, erzählte ihm von meinen Wünschen, von meinen Gelüsten, und ich sang ihm ein Lied -, doch als die letzte Note verklungen war, war Dieter fort, nur mehr eine Leere, eine Wunde pochte in meinen Gedanken, wo ich Dieter zu umstellen mich fähig gedacht hatte.
„Bärlein, was machst du denn?“
Meine Frau war erwacht.
‚Es ist nichts, er ist fort‘, dachte ich.
„Bärlein...?“
Nein, er spielte mit mir! – Er war noch da, ich wußte er war da, ja das war er, er war da, und er raunte mir durch meinen Schädel, immerfort raunte er und kesselte er, in meinem Schädel.
Ich war aufgesprungen, war durch die Türen getaumelt, hatte mit Dieter durch die Wohnung getanzt, hatte ihn angeschrien, angefleht, sich meiner nicht zu versagen, war vor dem Wandspiegel im Flur zusammen gesackt, ermattet, und hatte nach ihm gestarrt, durch meine verweinten Augen, nach ihm gestarrt, wissend, daß er sich dort irgendwo unnahbar in mir verhüllte und sich an meinem Verlangen ergötzte.
„Dieter! So quäle mich doch nicht! Quäle mich nicht!“, rief ich, meine Lippen am Spiegelglas.
„Dieter.“, hauchte ich und schrieb seinen Namen ins Kondensat, doch er lachte in mir, irgendwo, tief in mir verborgen, da wußte ich, lachte er.
„Bärlein!?“
Meine Frau stand am Ende des Flurs, verwirrt, verwirrt war ich, verwirrt und von Dieter betrogen, Dieter hatte mich betrogen.
„Bärlein! Was ist...!?“
‚In meiner Erinnerung!‘, kam es mir, da hatte er sich verschanzt. Er hatte versucht mich auszutricksen, sich vergessen machen, in meiner Erinnerung, das hatte er gewollt, mich ausgetrickst, hatte er, der elendige Wicht, der wunderbare.
Er türmte in meiner Erinnerung, ganz groß, unfaßbar riesig und schielte verächtlich auf mich herab, mit einem breiten Lachen, mit einem düsteren Lachen, mit seinen Zähnen und mit seinen Augen, mit seinen tiefen Augen, seinen wahren, tiefen Augen.
„Dieter, für dich tue ich’s, nur für dich, siehst du, nur für dich, Dieter!“, wimmerte ich um seine Beachtung.
Mir blieb nichts. Nichts ohne ihn. Ich tat es für Dieter. Ich liebte meine Frau, sie war eine Seele von Person, aber für Dieter tat ich es, schnell, daß sie nicht leiden mußte, und sie litt nicht.
In der Überraschung sah ich zuletzt einen Anflug von Verständnis, während Dieter sein Opfer geschmeichelt zur Kenntnis nahm.
Ich würde alles für Dieter tun...- wie ich wünschte er hätte mich doch niemals entdeckt, er hätte mich niemals berührt, mir niemals von seiner Existenz eine Ahnung gegeben.
Er will nicht von mir gehen... - hätte ich ihn nur einmal erblickt, mit meinen Händen sanft streicheln dürfen, sein Günstling wäre ich gewesen, ein Tempel wäre ich ihm geworden.

 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

man spürt quasi den dieter im Kopf und die bärlein-rufende Eheliebste ist auch sehr schön. Skurril -gut!

nele (27.10.2003)

Alleine für den sazu: etwas Unbestimmbares nestelte in meinem Kopf' eine herrliche Geschichte. Eine von der Art, die man nicht ganz versteht und die einen trotzdem nachdenklich stimmt.

christine (27.05.2002)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Scharfe Denker  
Alte Perser  
Die Verwirrungen eines notorischen Saftsäufers  
Timos Leiden mit den Damen – erste Ehe  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De