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11 Seiten

Der letzte Soldat

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Auf der staubigen Asphaltstraße, deren Belag schon an vielen Stellen verletzt worden war, lag in einer kleinen Blutlache die Leiche eines braun-weißen Beagles, in dessen Rücken ein Beil steckte. Einen Meter entfernt davon lag ein menschlicher Körper dessen gesamter Hinterkopf verschwunden war. Wahrscheinlich hatte der Schuß, der zwischen den Augen eingetreten sein mußte, ihn samt dem Gehirn auf der Straße verstreut. Einige noch nicht verdunstete Tropfen Blut, welche die grau-weißen Gehirnpartikel umsäumten, glitzerten in der abendlichen Son-ne. Obwohl sie schon zu einem Viertel hinter dem Horizont verschwunden war, war es noch immer schwül und stickig. Die Beine der Person, deren Geschlecht man nicht mehr ermitteln konnte, waren ein Brei aus verkruste-tem, braunen Blut, Knochensplittern und Fleisch an dem sich einige grünschillernde Fliegen labten, in dem das Profil einer Panzerkette erkennbar wurde. Ob die Person vor oder nach ihrem Kopfschuß überfahren wurde war nicht zu erkennen.

Im Hintergrund, verschwand die Sonne nun ganz hinter dem Horizont und tauche die sonderliche Sze-ne, in ein immer dunkler werdendes Licht. Das niedergebrannte Haus, den verkohlten Baum, den plattgewaltz-den, ehemals grünen Lattenzaun, den zerborstenem Briefkasten. Alles schien friedlich. Die Natur schien nicht bemerkt zu haben, dass Krieg herrschte.

Er hatte gerade ein kleines Dorf verlassen, als er anhielt um sich ein wenig die Beine zu vertreten. Im-mer wieder mußte er an das Dorf mit seinen zierlichen Häuschen denken. Und obwohl einige von ihnen zerstört waren, die Vorgärten nieder gebrannt, die Fensterscheiben zerschlagen waren und die Scherben den Garten über-säten, die Mauern vom Brand geschwärzt und nicht wenige Häuser bis auf ihre Grundmauern abgebrannt waren, hatte er das Flair gespürt, dass auch die Dorfbewohner gespürt haben mußten, bevor sie den Ort verlassen hatten. Er dachte an die Bäume, die eine kleine Allee am Anfang des Ortes gebildet hatten. Es waren wundervolle, alte Kastanienbäume gewesen. Er hatte es an den paar Blättern die noch an den Ästen hingen erkannt. Doch nicht der Herbst, der noch einige Zeit auf seinen Auftritt warten mußte hatte sie welkten und von vorzeitig von den Ästen fallen lassen. Nein es waren die dichten Rauchschwaden gewesen, die er schon von Ferne gesehen hatte die diesen Baum beleidigt hatten. Das Haus das gleich neben den Bäumen stand war in Flammen gestanden – er hatte die Flammen schon aus der Weite gesehen, was für ihn sicher auch ein Grund war hierher zu fahren um nach Überlebenden zu suchen – und der schwarze, qualmende Rauch war durch die Blätter gezogen wie der Sensenmann durch ein reifes Getreidefeld pflügt. Als er jedoch ankam, war es zu spät. Das Haus war bereits bis auf seine Grundmauern abgebrannt und nur noch schwelende Reste zeugte von dem einst stolzen Bau. Der Sol-dat hatte sein Gefährt, einen stattlichen Panzer, vor der Ruine geparkt und hatte aus seiner Luke zuerst die Um-gebung nach potentiellen Feinden abgesucht. Dann hatte er einige vorsichtige Blicke aus seiner Luke gewagt. Jedoch zeugte hier nichts mehr von den einst reichen Bewohnern. Sie hatten den Ort schon vor Tagen verlassen und der Soldat glaubte nicht, dass sie in nächster Zeit wieder zurück kehren würden.
Dann hatte er sich in seinen Panzer zurückgezogen, die Luke hinter sich geschlossen und sich ein wenig ausgerastet. Er war lange unterwegs gewesen und obwohl er die Einsamkeit gewohnt war, liebte er sie nicht. Zu Beginn seiner Mission waren sie fünf gewesen. Zwei Frauen und drei Männer. Den ersten Kameraden hatten sie verloren, als sie auf eine kleine Partisanengruppe getroffen waren. Der Kamerad, sein Name war Josef gewesen, hatte in der vorderen Koje gestanden. Seine Aufgabe war es mit einem Maschinengewehr den Weg von mögli-chen Hindernissen frei zu räumen. Doch eines dieser „Hindernisse“ hatte sich gewehrt. Der Soldat schätzte, dass Josef nicht mehr viel gespürt hatte, nachdem ihn die Kugel in den Mund getroffen hatte. Es war ganz schnell gegangen. Zuerst hatte der Soldat nicht einmal gemerkt, dass etwas nicht in Ordnung war, doch erst als der den leblosen Körper seines Kollegen schlaff aus deiner Koje hängen sah, wußte er dass er getroffen worden war. Nachdem sie die Partisanen – es waren sechs an der Zahl – allesamt beseitigt hatten, setzten sie ihren Freund unter einem Baum neben einem Kreuz an der Straße bei. Sie steckten seine entladene Waffe in mit dem Lauf voran in den blutgetränkten Boden und befestigten seinen Stahlhelm darauf. Betroffen waren sie um das Grab eines Freundes gestanden, den keiner von ihnen wirklich gut gekannt hatte.
Nach Kriegsbeginn war alles so schnell gegangen. Sie waren einberufen worden und ohne, dass sie je-mand gefragt hatte wurden sie kurz unterrichtet und dann in bunt zusammen gewürfelten Gruppen ins Einsatzge-biet gebracht. Der Soldat wußte nicht einmal den Familiennamen des Kameraden der damals einen halben Meter unter seinen Füßen, mit zerschmettertem Kopf legen hatte.
Er hatte nie daran gezweifelt, dass er überleben würde, wenngleich er wußte wie schlecht seine Chancen in diesem Krieg standen. Der Soldat hatte das Feindbild, das ihm seine Vorgesetzten präsentiert hatten immer weiter entwickelt und mit jeder Nachricht von einem weiteren Massaker war die Fratze des Feindes bösartiger geworden, bis er sich sicher war, dass er nicht mehr gegen Menschen kämpfte. Es waren Tiere. Bösartige, blut-rünstige Raubtiere ohne Moral und Anstand die es galt von dem Antlitz diese Planeten zu verdrängen – auszulö-schen. Er blickte zurück auf den Tag an dem er den Anruf bekommen hatte. Er sah das Gesicht seiner Eltern, die beide zu Tode betrübt schienen – er hatte es damals nicht verstanden – denn schließlich war es für ihn eine Ehre, das Land der Verbündete von diesen Monstren zu befreien. Er war ein Held, noch bevor er die Kaserne erreichte. Und als er den Wagen seines Vaters verließ – seine Mutter hatte es nicht über ihr Herz gebracht, bei dem Ab-schied dabei zu sein – hatte ihm dieser einen Rat gegeben, der das ganze Vertrauen in seine Erzieher von Grund auf erschütterte: „Mein Sohn. Wenn du einmal die Gelegenheit hast, all das hinter dir zu lassen“ – Sein Vater hatte ihn dabei sehr ernst angesehen und sein Sohn, der Soldat, wußte, dass es ihm sehr schwer gefallen war dies zu sagen – „Dann versuche nicht den Helden zu spielen. Es hat keinen Sinn. Lauf einfach davon. Es gibt keine Helden.“
Wütend, mit einer Mischung aus Trauer und Inakzeptanz hatte er sich umgedreht und war festen Schrittes in die Kaserne gegangen. Wie konnte sein Vater nur so etwas sage. Natürlich gab es Helden. Sein Großvater war zum Beispiel ein Held gewesen. Er hatte so viele Feinde niedergemetzelt, dass er dafür ausgezeichnet worden war. War er kein Held gewesen? Wenn nicht was war er dann? Ein Mörder der kaltblütig Unschuldige abgeschlachtet hatte? Nein. Das hätte er gewußt. Sein Großvater war ein Held gewesen. Seine Name war mit auf der Liste, die in den Marmorsockel des Kriegerdenkmales eingelassen waren. Und das war im Namen des Volkes passiert. Und ein ganzes Volk konnte nicht irren.

Der Soldat nahm öffnete seinen Rucksack und nahm das letzte Stück Proviant heraus. Es war ein hartes, trockenes Stück Brot, dass er bei seinem letzten Aufenthalt gefunden in einem verlassenen Haus, in einer kleinen Stadt unweit von seinem jetzigen Standpunkt gefunden hatte. Er betrachtete das Brot in seinen dunklen, mit Narben übersäten Händen. Waren das die Hände eines Mörders? Eines Mannes der Unschuldige ermordete, weil er seinen Auftrag verfehlte? Das Brot lag angenehm in seinen Händen. Er konnte den trockenen Geschmack, der sich in ein wohlwollendes, hungerstillendes Gefühl wandeln würde, wenn das Brot aß, förmlich spüren obwohl er es noch immer in seiner Hand hielt. Was würde sein Vater jetzt zu ihm sagen? Würde er immer noch sagen, dass er davon laufen solle? Jetzt hatte er die Gelegenheit. All seine Kameraden waren tot, er hatte die Verbin-dung mit seinem Vorgesetzten verloren und Feinde hatte er schon seit einer halben Woche nicht mehr gesehen. Doch wohin sollte er laufen. Er wußte ja nicht einmal ob er sich auf feindlichem oder freundlichem Boden be-fand. Was machte das auch für einen Unterschied. Auf beiden Seiten waren die Städte und Dörfer nieder ge-brannt, die Leute waren auf beiden Seiten Hals über Kopf geflohen und auf beiden Seiten herrschte jetzt Stille.

In diese Stille hinein hörte er ein Kratzen an einer Luke. Zuerst dachte er, dass es der Wind sei der eini-ge der verbrannten Äste von den Bäumen auf den Panzer fallen ließ – ein stummer Protest der Natur gegen die menschlichen Widerspenstigkeit – , doch als er genauer hinhörte, bemerkte er dass es ein zu regelmäßiges Krat-zen war, als dass Äste es hätten verursachen können. Er legte das Brot wieder zurück in den Rucksack, nahm statt dessen seine geladene Waffe und ging um die Quelle des Geräusches zu finden.

Vorsichtig blickte er durch die Periskope, die neben der Luke angebracht waren und spähte nach drau-ßen. Nichts. Ebenso vorsichtig öffnete er die Luke, doch noch immer sah er nichts. Hatte er sich das alles nur eingebildet? Von seinem Großvater der einmal, wenn auch nur für zwei Wochen, Heimaturlaub bekommen hat-te, erzählte seine Großmutter einmal, dass er in der Nacht laut aufgeschrien habe, weil er so von Alpträumen geplagt gewesen war. Auch am Tag hatte er hinter jeder Ecke einen Feind gesehen. Hatte auch er schon Halluzi-nationen wie sein Großvater, der Kriegsheld? Als er seinen Kopf ganz durch die Öffnung in die schwüle Som-merluft gesteckt hatte sah er den Verursacher, des Geräusches. Es war ein kleiner halbverhungerter Hund, der neben der Luke in einem Winkel in dem man ihm durch das Periskop nicht sehen konnte, lag. Das Fell straffte sich über seinen Rippen, so dass seine Brust aussah als trüge er an jeder Seite eine kleine Leiter unter seinem Pelz. Hin und her gerissen von diesem amüsanten Gedankengang und der traurigen Tatsache, dass ein halbtotes Lebewesen ihn um Hilfe anzuflehen schien, sah er den Hund an. Es war ein kleiner Beagle, wie er sie schon des öfteren gesehen hatte, als er noch in jener kleine Stadt gewohnt hatte, die er vor vier Monaten verlassen mußte. Der Anblick weckte in ihm das Gefühl, des tiefsten Mitleides für diese Kreatur. Er hob sie mit beiden Händen und nahm ihn mit in den Panzer. Dann nahm er das Stück Brot aus seinem Rucksack, betrachtete es eingehend und brach es auseinander. Obwohl er wußte, dass er keine Garantie hatte, dass er auch am nächsten Tag wieder etwas zu Essen finden würde, nahm er die eine Hälfte und legte sie dem fast reglos daliegenden Hund vor die Schnauze. Dieser schnüffelte neugierig daran und schnappte dann schlaff danach um es, auf den Geschmack gekommen, gierig hinunter zu würgen. Den verbleibenden Rest des Brotes brach er noch einmal auseinander. Eine Hälfte davon aß er selbst, die andere legte er zurück in den Rucksack, den er sicherheitshalber verschloß. Dann nahm er den Hund und wollte ihn durch die hintere Luke des Panzers wieder hinaus in die Freiheit entlas-sen. Zuerst ließ es der Hund mit sich geschehen, doch als der Soldat ihn auf den staubigen Asphalt der zerrisse-nen Straße setzte, begann er jämmerlich zu winseln. Der Soldat aber wollte sich nicht erweichen lassen und schloß die Türen hinter sich. Kurz danach setzte er seine Fahr durch den Ort fort.

In der Mitte, desselben stand ein seltsamer Turm, von dem ein Teil zu fehlen schien, mitten auf der Kreuzung. Der fehlende Teil des Turmes schien aus Holz gewesen zu sein, denn er sah noch die verkohlten Res-te auf dem Betonfundament hängen. Wozu hatte er wohl gedient, dieser Turm mitten in der Kreuzung? Es gab jedoch keinen der ihm diese Frage beantworten konnte. Auch nicht der Hund der ihm jaulend gefolgt war und den er vor lauter Mitleid wieder in das Innere des Panzers verfrachtete hatte. Nachdem er die Gegend gründlich gemustert hatte und noch einmal, wie auch an den vorhergehenden Tagen versuchte, Kontakt mit dem Haupt-quartier aufzunehmen, ohne wie auch an den anderen Tagen, eine Rückmeldung zu erhalten, stieg er wieder in den Panzer und setze seine Reise fort.

Streckenweise kam er sich vor, als wäre er auf einem anderen Planeten gelandet, den dessen Bewohner fluchtartig verlassen hatte und die er jetzt zu finden hatte. Dann, als er das letzte Drittel des Ortes, wo die Straße von verkohlen Autowracks umsäumt war, durchfuhr dachte er zurück an den Einsatz bei dem sie zwei weiter Kameraden verloren hatten. Eine der Frauen, deren Namen nur einmal kurz erwähnt worden war und den er zu seinem eigenen Entsetzen schon bald vergessen hatte, und der Lenker des Panzers, sein Name war Mario gewe-sen, waren dabei ums Leben gekommen. Ein harmloser kleiner Feldweg war es gewesen an dem sie nach ein-stimmigen Beschluß gehalten hatten um sich ein wenig die Beine zu vertreten. Das Hauptquartier hatte zwar feindliche Aktivitäten gemeldet, doch erst einige Kilometer weit entfernt. Für die Heckenschützen muß es so gewesen sein, als würden sie auf zahme Lämmer schießen, dachte der Soldat. Es waren zwei maximal drei Se-kunden und beide seiner Kameraden waren tödlich getroffen worden. Sie hatte einen Schutz in die Kehle abge-kommen und Mario einen glatten Herzdurchschuss. Sie hatten nicht einmal mehr Zeit gehabt sie zu begraben, sondern waren einfach in den Panzer geflüchtet und hatten die Heckenschützen von dort unter Beschuß genom-men. Zwar hatten sie mindestens einen von ihnen getötet, doch bei Heckenschützen weiß man nie genau, wie viele es sind. Gut getarnt und unauffällig verhaltend, sind sie schwer zu finden und damals hatten sie nicht die Zeit Katz und Maus mit ihnen zu spielen, denn eine kleine feindliche Panzerdivision nahm laut Hauptquartier auf sie Kurs.

Doch am schlimmsten hatte ihn der Tod der Panzergrenadierin getroffen die mit ihm als letzte übrig-geblieben war. Ihren Namen hatte er sich gemerkt: Tanja. Zwar wußte er auch ihren Familiennamen nicht, doch dafür kannte er sie am besten. Schon bei seinem ersten Tag in der Kaserne, hatte er sich insgeheim gewünscht mit ihr in eine Gruppe verlegt zu werden. Und als die Gruppenaufteilung dann verlautbart wurde, hatte er inner-lich laut aufgeschrien vor Freude. Dazu hatte nicht nur die herzergreifende Rede ihres Kommandanten, von einer Erhaltung der Werte und der Sicherheit der Union sprach, beigetragen.
Es war früh morgens gewesen. Sie war schon wach als er gerade aufstand. Der Soldat sah sie gerade noch, als sie eine Melodie pfeifend den Panzer verließ. Er mußte sich nicht anziehen, da er immer in voller Mon-tur schließ, schlief – schließlich herrschte Krieg und bei einem Angriff konnte er sich nicht mit den Suchen sei-ner Hosen beschäftigen. Krieg. Er sah diese Wort wie es über seiner Kameradin, die er so ins Herz geschlossen hatte, wie ein Damokles Schwert schwebte und sie dann langsam aufspießte.

Anfangs hatte er gedacht, dass die Explosion durch eine Granate die von einem schweren Artilleriege-schütz, in der Absicht den Panzer zu treffen abgefeuert wurde, dort erzeugte wurde wo sie stand. Später war er sich sicher, dass es eine Mine gewesen war, da keine weiteren Explosionen mehr folgten. Das letzte was er von ihr sah, war ihr Arm der meterweit in die Höhe flog bis er mit einem häßlichen Laut auf der Straße aufschlug und sich eine kleine Blutlache um ihn bildete. Starr vor Schreck hatte er nicht gewußt wie er reagieren sollte und in der festen Überzeugung, dass es das beste sei mit ihr zu sterben war er dann bewußt stehen geblieben. Viel-leicht eine halbe Minute vielleicht eine halbe Stunde, er wußte es selbst nicht mehr so genau. Als er dann in den Panzer stieg schien es als hätte das Leben seinen Sinn verloren. An diesem Abend hatte er den letzten Funkkon-takt mit dem Hauptquartier, dass ihm riet so schnell als möglich versuchen sollte zu einer ihrer Basen zu finden, da er wertvolles kriegswichtiges Material bei sich habe. Über die Gefallenen verloren sie nur die standardisierten und oberflächlichen Formeln des Beileids ohne auch nur den Hauch von Mitgefühl zu hegen.
In jener Nacht konnte er nicht schlafen und nicht nur einmal dachte er daran den Stift aus der Granate neben sich zu ziehen und einfach nur zu warten.

Er hatte sich ein wenig von dem Panzer entfernt und betrachtete ihn genauer. Es war eine mächtige Erscheinung. Die lehmverschmierten Ketten, die ihm bis knapp unter die Hüften reichten, das Abschußrohr, dass mit der Ab-schusskanzel verschmolzen war und den Charakter des Gefährtes stark mitprägte, die olivgüne Lackierung die schon an einigen Stellen Rost angesetzt hatte und unter dem öligen Schmutz kaum noch zu erkennen war, die Ersatzkettenglieder die am hinteren Ende befestigt waren und viele Details, die ihm erst jetzt vor Augen führten welches Monster militärisch-technischer Evolution ihn seit Wochen beherbergte. Es war eine Maschine. Eine Maschine die nur zu dem Zweck gebaut worden war zu töten und zu vernichten. Jahrtausende hatte es gedauert, bis der Mensch die Technologie in seine verspielten Hände bekommen hatte um sie bauen zu können. Jahrzehnte hatte es gedauert, bis das Konzept ausgereift war. Jahre hatte es gedauert bis es geplant, gebaut und angeboten werden konnte. Monate hatte es gedauert bis sie von der Regierung erworben wurden und dann waren sie zu einem mächtigen Werkzeug in der Hand ihrer Regierenden geworden, das trotz modernster Bomber und alterna-tiven Kriegsführungsmethoden noch immer nicht ganz von seinem Podest des Schreckens gedrängt worden war. Und der Soldat dachte an all die vielen Utensilien, die diesem Krieg seinen Charakter verliehen. Die Uniformen die alle Soldaten gleich erschienen ließ, die Gewehre und Pistolen die in den Halftern der Soldaten steckten und sie zu Mördern machen konnten, die Granaten mit denen sie sich ihren Willen erzwingen konnte, was immer sich ihnen in den Weg stellte, die Panzer mit denen sie sich ihren Weg durch alle Zäune der Welt preschten, die Bomberschwadronen die ganze Landstriche verbrannten, die Satelliten die hoch über ihren Köpfen das Gesche-hen auf der Erde beobachtete – wie Engel, dachte der Soldat – und den Strategen auf der Erde die feindlichen Schwachstellen zeigten, die Kreuzer und Flugzeugträger die es ihnen ermöglichten Tag und Nacht Dauereinsätze zu fliegen um den Feind zu zermürben. Dem Soldaten fielen noch Tausende andere Dinge ein, doch wollte er nicht mehr daran denken. Früher war er stolz darauf gewesen ein Teil dieser Maschinerie zu sein, die vorgab ein Land zu verteidigen, doch heute war er sich nicht mehr so sicher ob er vor vier Monaten die richtige Entschei-dung getroffen hatte.

Der Soldat hockte sich nieder um den Hund, der schwanzwedelnd neben ihm saß, im Nacken zu krau-len. Wahrscheinlich erwartete der Hund ein weiteres Stück Brot. Nachdem sie schweigend nebeneinander geses-sen hatten, beschloß der Soldat zurück in seinen Panzer zu kehren um sich ein wenig nieder zu legen. Der Hund machte Anstalten ihm zu folgen, doch als er erkannte, was der Mensch vorhatte blieb er stehen. Ihm war nicht nach geschlossenen Räumen. So schloß der Soldat die Luke hinter sich und bettete sein müdes Haupt auf seinen Rucksack.

Es war ein von Schmerz und Qual erfülltes Jaulen, dass immer mehr dem Schrei eines Kindes glich, das ihn weckte. Er erschrak und setzte sich blitzschnell auf, während seine rechte Hand nach dem Gewehr tastete und es an sich riß. Er schleuderte den Lukendeckel auf ohne sich durch das Periskop zu versichern, wer den Lärm verursacht hatte. Wieder war nichts zu sehen. Der Soldat kroch aus dem Panzer und sprang von diesem auf den Boden. Nachdem er eine halbe Runde um ihn gezogen hatte, sah er den Verursacher. Es war der Hund ge-wesen. In dessen Rücken steckte ein kleines Beil und um den frisch geschlachteten Körper begann sich eine kleine Blutlache auszubreiten. Der Soldat wußte nicht wie ihm geschah. Wer hatte das einzige Wesen, dass ihm in dieser verlassenen Landschaft etwas bedeutete, so qualvoll zu Tode kommen lassen? Er nahm seine Waffe jetzt in beide Hände und ging einen Schritt weiter. Dann sah er den Schuldigen. Es war ein Kind, um die elf Jahre alt, dass an den Panzer gekauert saß und den Soldaten aus Tränen verschmierten Augen ansah. Doch noch etwas bemerkte er: Das Kind war kein normales Kind. Es trug eine Uniform. Aber nicht die seines Vaterlandes. Nein es war eine feindlicher Natur. Ein Feind hatte seinen einzigen Freund hier draußen getötet. Er fühlte wie in ihm der Zorn hochzusteigen begann und funkelte das Kind böse an. Er wollte wissen, warum es das getan hatte, doch es antwortete nicht gleich. Es zitterte am ganzen Körper und sah den Soldaten aus großen unschuldigen Augen an. Der Zorn in dem Soldaten stieg weiter, weil er wußte, dass dieses Kind den Hund ermordet hatte, egal wie unschuldig es ihn jetzt anschaute. Der Soldat bemerkte nicht, dass er mit der Waffe direkt auf den Kopf des Kindes zielte. „Warum!“, brüllte er. „Warum hast du das getan du kleines, verdammtes Stück Scheisse!!“, seine Stimme überschlug sich, sein Blutdruck stieg und sein Gesicht färbte sich dunkelrot. Das Kind antwortete etwas, doch der Soldat verstand es nicht. „Steh auf!“, auch das verstand das Kind nicht, aber als der Soldat ihm mit der Waffe eine unmißverständliche Geste machte, stand es auf. Beide Hände panisch in die Höhe gestreckt sah ihn der feindliche Soldat an. Die Uniform war an vielen Stellen zerrissen und ölbefleckt. Die Hände waren von Nar-ben überzogen und ebenfalls schmutzig. Das Gesicht, das von einer grünen Schirmkappe begrenzt wurde, unter der sich schwarze Haare verborgen wies einige große Brandflecken auf die davon zeugten, dass diese Kind ein unmittelbarer Beteiligter dieses Krieges war.

Der Soldat, innerlich aufgelöst vor Wut und Unzurechnungsfähigkeit sah dem feindlichen Soldat scharf in die Augen. Er dachte an den Hund. Er dachte an Josef, Mario und die eine Frau deren Namen er nicht gekannt hatte. Er dachte daran, dass er in diesen Krieg gezogen war, weil seine Regierung es für wichtig hielt, ihre Werte mit dem Blut ihrer Kinder zu verteidigen. Sie waren ausgezogen um einen Feind zu schlage. Zu ermorden. Aus-zulöschen. Sein schweißüberzogener Finger lag an dem Abzug, der Lauf der Waffe war jetzt direkt auf das Ge-sicht des anderen Soldaten gerichtet. Er sah seine Familie, die von feindlichen Truppen ihm Schlaf erschossen wurden. Er sah Kinder die Soldaten über Minenfelder den Weg wiesen und einige dabei ihr Leben lassen muss-ten. Er sah eine Armada von unterschiedlichsten Kriegsschiffen aus einem Hafen auslaufen, in dessen Nähe er immer seinen Sommerurlaub verbracht hatte. Er sah wie der Flughafen, von dem aus hunderttausende Passagiere jeden Sommer in die verschiedensten Urlaubsgebiete der Welt verfrachtet wurden, von Soldaten wie ihm, für die Öffentlichkeit gesperrt wurde und wie statt der mit bunten Logos verzierten Passagiermaschinen, die olivgrünen oder schwarzen Kampfjets und Bomber aufstiegen. Er mußte die Nationale Integrität seines Staates verteidigen, schoß es ihm durch den Kopf. Wie sein Großvater auch. Er mußte dafür sorgen, dass eine Enkel auf ihn Stolz sein konnten, wenn sie über ihn sprachen.

Der feindliche Soldat stand jetzt knapp einen Schritt hinter der Leiche des Hundes – seines Freundes – und sah den Soldaten noch immer herzzerreißend an. Dann sagte es etwas in einer Sprache der er nicht mächtig war. Es waren Worte der Entschuldigung. Worte mit denen das Kind um sein Leben flehte, doch der Soldat wollte sie nicht mehr hören. Sein Vaterland erwartete von ihm, dass er jeden Feind für das richtete was dieser seinem Vaterland angetan hatte. Er sah das Kind mit einem wirren Blick an und wollte gerade seine Waffe sen-ken um es für seine Taten zu schlagen, als sich ein Schuß löste. Wie in Zeitlupe sah er wie das Kind zusammen brach. Zwischen seinen Augen hatte es ein hässliches, rotausgefranstes Loch und sein Hinterkopf war ver-schwunden. Als das Kind mit einem hässlichen, schmatzenden Geräusch auf dem harten Boden aufschlug, glaubte er für einen Moment das Gesicht von Tanja zu sehen, wie sie ihn anstrahlte, bevor sie den Panzer für immer verließ. Mechanisch und ohne sich als Mensch zu fühlen trottete er in den Panzer zurück, und machte sich nicht mehr die Mühe die Luke hinter sich zu schließen. Es war vorbei.
Dann schob er zurück, ohne zu merken, dass er über die Beine des Kindes gefahren war und drehte um. Er wollte nur mehr zurück. Er war jetzt kein Soldat mehr. Er war nur noch ein Mensch, der seine Taten bereute. Ein Mensch der nicht verstand was er die letzten Monate getan hatte. Ein Mensch der in sich selbst weniger Mensch als in dem Hund sah, der auf jener staubigen Straße von einem hungernden Kind aus Verzweiflung getötet worden war. Ein Mensch der erkannt hatte wie sinnlos und kontraproduktiv Krieg war.
Und während er mit seinem Panzer, dessen Luken jetzt alle geöffnet waren, zurückfuhr, dachte er daran, was wohl wäre, wenn er der letzte war der zu dieser Erkenntnis gekommen war – wenn er der letzte Soldat sei.

© MC Juli, 1999 für MB


 
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Kommentare  

Etwas zu viel Splatter und das Ende verstehe ich nicht. Einige der Ereignisse wie der Turm passen nicht. Eine Einheit, die ihre Namen nicht gegenseitig kennt, ist nicht realistisch. Ausserdem ein Panzer ist doch kein Tourenwagen.. Irgendwas stört mich an deier Story, sie klingt falsch.. Sorry, nur 2 Punkte

Susan (01.03.2004)

Schon die Anfangsszene läßt einem irgendwie verstummen... Wirklich eindrucksvoll beschrieben, der kleine Beagle, das Kind, die Gefühle des Soldaten, der selber ja fast noch ein Kind ist.
Allerdings stört die teilweise falsche Zeichensetzung den Lesefluss enorm, man muß sich die Sätze oft zwei-, dreimal durchlesen, um auf die richtige Struktur zu kommen. Das zerstört die ganze Gedankenlandschaft, die vorher schon aufgebaut wurde.
Ist aber nicht weiter schlimm, einmal durchkorrigieren (lassen) und die Geschichte ist ein beeindruckender Stimmungsmacher.


FrozenYak (18.08.2003)

An sich wirklich gut, ein wenig zu martialisch und konstruiert vielleicht, aber wirklich am Ende beeindruckend.

Panther (16.07.2002)

oh my gosh... ganz schoen erschreckend beschrieben...*sitz jetzt hier mit einer Gaensehaut*

werwoelfin (06.05.2002)

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