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7 Seiten

neue existenzen 5

Romane/Serien · Nachdenkliches
Nach dem Schlüssel kramen, ins Schloß stecken, die zwei Sekunden für die DNA-Erkennung der Finger, die den Schlüssel halten, die Überprüfung der Vitalfunktionen und des Streßfaktors abwarten. Kurz bevor das Beleuchtungsprogramm anläuft, ist das Licht vom Gang der einzige Gast im Raum. Gleich einem seidigen Fluß streicht es über den glatten, weißen Teppich. Es erforscht Teile der Durchreiche zwischen der schmalen Küche und dem Esstisch. Kugelschreiber auf ihm blitzen auf, Stapel von Papier und einzelne Memos verschlucken das Licht in die Verschwommenheit und Vielfalt der Buchstaben. Klar, Writepads sind praktischer, vor allem ersetzt ein Pad die gesamte Zettelwirtschaft eine Büros, aber in diesem Punkt war sie altmodisch und bevorzugte die scheinbare Übersichtlichkeit von Papier. Sie schritt durch die Tür und wäre fast wegen der automatischen Aktivierung der Wohnung aus ihrer versunkenen Stimmung gerissen worden.
überall Licht.
"Hallo" zirpte die Wohnung.
Lieblingsmusik erscholl.
Schnell deaktivierte sie alles und machte sich gedankenversunken an die Bereitung einer Kleinigkeit zu essen.
Sie stellte Wasser für Tee auf den Herd und begann mit Aufschneiden von Wurst und einer Tomate. Es waren Beschäftigungen wie diese, bei denen sie ihren Geist zwischen der Aufmerksamkeit auf die Sache und gedanklicher Unterbeschäftigung baumeln ließ. Ein produktives Mittelding aus Nichtstun und befriedigender, sinnvoller Bewegung. Sie hätte auch Laufen gehen können, aber schließlich war sie gerade eben nach Hause gekommen, und die Faulheit war stärker als ein schlechtes Gewissen.
Ihre Gedanken sprangen vom Bild des Gesichts von ihm, den sie vom Dach ins Leben geholt hatte, zu dem was er gesagt hatte und dem Brief von vor zwölf Jahren. Geschichten, Ursachen, Zusammenhänge waren soweit sie sie kannte gleich, und hätte sie ihn nicht angesprochen, wäre das Ende auch das gleiche gewesen. Aber egal wie sie die Fakten drehte und wendete, so ergaben sie kein Bild für sie, welches sie weitergebracht hätte.
Mittlerweile saß sie schon vor dem Fernseher auf der Couch mit drei Sandwiches und einer Tasse Schwarztee. Die Ellbogen auf die Knie gestützt hielt sie ein Sandwich und ließ ihren Verstand mit seinen Gedanken freien Lauf, starrte das Essen in ihren Händen an und wußte eigentlich nicht so recht, was sie damit tun sollte. Es war ihre Aufgabe ihm zu helfen und durch die Befassung damit vergaß sie, daß sie etwas in der Hand hatte.
Nach zehn Minuten unterbrach sie selbst mit einem Ruck den Kreis der Gedanken, und drehte den Fernseher auf. Eigentlich war es erstaunlich, daß es in einer Zeit der hochentwickelten virtuellen Realität noch immer die Mattscheibe gab. Es wurden zwar alle Programme sowohl in dreidimensionalen als auch in zweidimensionalen Format ausgesandt, doch legte sie ihr Headset entscheidend seltener an, als einfach nur den Fernseher einzuschalten.
Zwischen den scheinbar zahllosen Serien, Computerspiel-Wettkämpfen, Komödien, Liebes- und Sexfilmen, Dokumentationen, Verkaufssendern und all dem anderen Dargebotenen stieß sie auf einen Kanal, der Fernreiseziele vorstellte.


Der Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es schon die dritte Stunde nach dem verlassen des Kaffees war, die er schon durch Wien auf der Suche nach irgendeinem Ziel ging. Er war schon in drei Geschäften gewesen, doch letztendlich hatte er bekommen wonach er gesucht hatte. Jetzt setzte er seinen Spaziergang in einem Park an der Straßenbahnlinie fort. Er wurde von einem regulierten Fluss durchschnitten. Sein Bett lag in drei Metern Tiefe, eingeschlossen von scheinbar endlosen Wänden und gesäumt von Parkbänken.
Er ließ sich auf einer Bank dicht am Geländer der Regulierung nieder und begann damit eine Zigarette zu drehen. Als erfertig war, legte er sie beiseite, lehnte sich zurück und zündete sich eine Chesterfield an. Er wollte noch Nachdenken und seine Gedanken ordnen. Auf das stetig, doch ruhig fließende Wasser blickend zog er seinen Brief aus dem Rucksack und entfaltete ihn. Sein Blick blieb noch einige Augenblicke auf einer stehenden Gischt haften. Dann begann er zu lesen.

„Wenn es sie gibt, so will ich mich bei den Leuten entschuldigen, die mich ob meines Verstandes geliebt oder gemocht haben. Ich habe euren eventuellen Schmerz bei meiner Entscheidung diesen Schritt zu tun nicht außer Acht gelassen, doch konnte mir niemand das Gefühl geben in einem Leben eine Rolle zu spielen. Alle wart ihr zu sehr beschäftigt mit eurem Leben, um mich und das, was ich euch zu zeigen versuchte, zu verstehen. Ich mach e niemandem irgendwelche Vorwürfe denn es heißt doch:
Jeder muss mit seinem Leben selber fertig werden.
Ich weis nicht warum das so ist, aber ich habe wohl versagt, wenn es eine Grundregel der Gesellschaft ist.
Und genau wie dieses Versagen fürchte ich weitere. In dieser Gesellschaft ist kein Platz für mich und das, was ich kann. Vielleicht habe ich den selben Fehler gemacht, den uns die Geschichte von Adam erzählt. Ob es die verbotene Frucht der Erkenntnis, von der ich geleckt habe , und die mich dann in unheilvolle Fluten gestoßen hat oder ein bloßes Ungleichgewicht der Chemie in meinem Hirn oder vielleicht doch die Folgen von psychoaktiven Drogen war wage ich nicht zu sagen. Eigentlich ist es auch egal. In meinem Leben habe ich jedenfalls viel darüber nachgedacht, was das, was alle Menschen machen ist.

Ich denke, sie schauen einfach weg von dem Warum, kochen Reisfleisch und gehen zur Arbeit. Auch ich würde das gerne tun, doch kann ich es nicht. Das Wissen, das ich mir angeeignet habe und das, was ich ersann bildet einen Gesang von Sirenen. Ich kann es nicht beiseite schieben und weiterhin unter einem Horizont leben, der nur mein Leben im speziellen betrifft.

Ich möchte mit andere Menschen die Natur der Menschheit und ihren Gesellschaften ergründen um mit ihnen zu erkennen was falsch läuft. Doch niemand will das hören, und so werde ich zum Parasiten der nichts tut, außer nutzloses Gewäsch von sich zu geben. Wenn ich versage, so wird dem Faulheit zu Grunde gelegt und wenn ich Fehler mache, so sind sie Absicht. Niemand hat sich Gedanken gemacht warum dem so ist, sondern ich wurde beschimpft ein arbeitsscheues, asoziales Element zu sein. Wenn ihr so denkt, kann ich nichts dagegen tun. Wenn mein Bestes der Gesellschaft nicht genügt, so befreie ich sie vom Klotz am Bein.
Betrachtet mich als Feigling wenn ihr wollt. Auch dagegen kann ich nichts tun, doch vielleicht schafft ihr es dieses eine mal um euretwillen über eurem eigenen Schatten zu springen, mich, meine Angst vor der Zukunft, die wie ein Pfad, verschleiert durch ein schwarzes Band, vor mir lag und zu mich sprach, um mir das Verderben meiner Existenz und die Steine des Versagens, des Leides das mir vorherbestimmt war zu prophezeien. Nun bin ich eingetaucht in das Band, lasse mich von ihm Liebkosen und lausche seinem Gesängen die mir ein Leben jenseits aller meiner Erfahrungen verheißen. Ich bin auf der Suche nach dem Schönen. Vielleicht finde ich im Tod. Finde das, dessen Wonne mir eure Welt nicht geben konnte.

Bei euch, die ihr mir geholfen habt, will ich mich entschuldigen und bedanken. Ihr habt mir geholfen so weit zu kommen. Nichts war vergebens, denn ihr habt mir die schönen Seiten des Lebens gezeigt, doch war ihr Reiz nicht lang von Dauer und so verging mein Lebenswille. Ich war eine leere Hülle, durchstoßen von dem Spitzen des Zweifels und der Fragen. Ihr habt es geschafft mich scheinbar Ewigkeiten am Leben zu erhalten. Ich bitte euch um eines noch. Schenkt mir noch ein wenig Kraft für diese letzte Reise.“


Leere nahm ihren Kopf ein. Sie starrte auf den Bildschirm und tat ab und zu einen Bissen von ihrem Sandwich. Plötzlich trieb ein Name in ihren Kopf. Trenton. Edward Trenton. Seit geraumer Zeit schuldete er ihr etwas. Wobei „etwas“ stark untertrieben war. Ein leicht schadenfrohes Grinsen durchstieß ihre Lippen, wenn sie daran dachte, dass ihm seine Frau bei der Scheidung vermutlich das letzte Hemd ausgezogen, wäre einer ihrer Kunden nicht ein Anwalt, der jetzt noch über die Ungereimtheiten in der Verteidigung und die noch größere Unfähigkeit der Kläger im O.J.Simpson-Prozess wetterte. Er war Verleger und sie würde ihn mit Leichtigkeit dazu bringen zumindest ein Buch von diesem Burschen zu veröffentlichen, und wenn es das Verlustgeschäft seines Lebens werden würde.
„Computer. Telefongespräch. Suche Nummer von Edward Trenton. Der Raum war erfüllt von den Vibrationen aus unzähligen Lautsprechern. Telefonnummer von Edward Trenton gefunden“
„Wählen“
„Soll das Gespräch auf dem derzeit aktivierten Sichtschirm angezeigt werden?“
„Ja“
Das Bild von einigen tanzenden Tunesiern verschwand unter einer Schwärze auf der die Worte „Verbinden zu Edward Trenton“ zu lesen waren. Kurz darauf war auf einem Himmelhintergrund das Bild eines adrett angezogenen, jungen Mannes zu sehen.
„Guten Tag. Ich bin der interaktive Anrufbeantworter von Edward Trenton. Wie kann ich Ihnen helfen?“
Trotz perfekter Animation und hochentwickelter Reaktionslogik erkannte man interaktive Anrufbeantworter immer noch sofort. Die Augen verrieten nicht die geringste Menschlichkeit. Doch war das vielleicht ihr großer Vorteil. Selbst wenn man sich in die Menschlichkeit der Antworten verlor, so wusste man dennoch, womit man es zu tun hatte. Mit einem Programm. Selbst wenn man von ihnen Informationen bezog, so war es doch nichts anderes, als sich Wissens von einer Datenbank oder einem Buch aneignete.
„Wo ist Trenton“ fragte sie dennoch barsch, aus Unmut ihn nicht direkt erwischt zu haben
„Edward Trenton befindet sich für die nächsten zwei Monate auf Urlaubsreise“, gab das Programm sanft zu Antwort.
> Typisch Oberboss. Die scheinbar einzigen Menschen, die es sich erlauben konnten zwei Monate in Urlaub zu fahren und andere ihren Job tun zu lassen. Was soll’s <
dachte sie sich > Er hat die Firma gegründet und ich muss mich damit abfinden <
„Wo hält er sich auf?“
„Diese Information kann nicht weitergeben werden.“
Trotzdem platzte ihr jetzt der Kragen.
„Jetzt hör mal zu du mistiges Programm ich will jetzt verdammt noch mal wissen wo der Typ steckt. Er schuldet mir verdammt noch mal sehr viel.“
Das Computerprogramm starrte ihr weiterhin unbewegt, stumpfsinnig lächelnd von der anderen Seite der Scheibe entgegen, Ihre Augen waren Flammen und aus einem schieren, menschlichen Instinkt heraus fixierte sie seine Augen, um ihn einzuschüchtern. Doch zum selben Zeitpunkt, als sie seine Augen sah, wurde ihr wieder bewusst, dass er nicht dachte, sondern nur ein Produkt von Bits und Bytes war. Es waren nicht einmal tiergleiche Augen, denn diese mittelten dem Betrachter zumindest Instinkte und eine Art Neugier. Dieser interaktive Anrufbeantworter war lediglich von einer Unzahl von Technikern von 'Communication intermasters' entwickelt und programmiert und von einem Endverbraucher konfiguriert worden. Ein Endverbraucher der jetzt nicht da war „Arsch“.
Da fiel ihr ein, dass Trentons Version wahrscheinlich noch einige Sonderfunktionen auf dem Kasten haben sollte.
„Ich bin Julia Kremper. Hat Edward Trenton eine Nachricht für mich hinterlassen?“
„Einen Moment bitte.“
Das Programm erhob plötzlich seinen linken Arm und tippte mit dem Finger auf eine Stelle im Himmelhintergrund neben seinem Kopf. Eine bisher unsichtbare Klappe schob sich weg, riss ein Loch in den Himmel und gab den Blick auf einen Stapel von Briefen in einer kleinen schwarzen Kammer frei. Der Quasi-Sekretär von Trendton nahm den obersten Brief vom Stapel und entfaltete ihn.
„Folgende Nachricht wurde für Julia Kremper hinterlassen.“
Es folgte eine Wiedergabe mit Trentons Stimme „Hi Julia. Wie du wahrscheinlich von meinem virtuellen Sekretär weißt, bin ich mal auf Erholungsreise gefahren. Wenn’s was dringendes gibt bin ich in Rom im Imperial Seasons Hotel erreichbar.“


Die Zigarette war bereits erloschen bis zum Filter abgebrannt. Auf dem Weg zum Rauch hatte sie nur noch eine kleine, zwei Zentimeter lange Aschesäule hinterlassen. Es ließ die Reste fallen, nahm die Selbstgedreht zwischen die Finger und ließ seinen Blick zum Mond schweifen. Er konnte einen kleinen schwarzen Fleck darauf ausmachen.
„Challangersiedlungen“ sprach er gedankenverloren in den Himmel. Der Fluss ließ durch sein unermüdliches Schwappen ein Murmeln vernehmen.
„Warum bist du noch hier?“
„Ich weis es nicht antwortete er der Nacht Du hattest ein Ziel, doch hast du es wegen dieser Frau aufgegeben. Warum“
„Sie ist der erste Mensch dem ich begegne, der anscheinend etwas weis.“
„Bist du sicher?“
„Nein.“
„du bist ein Schwächling“
Die Worte schwebten in seinem Kopf und suchte Widerstand. Gleich einem rastendes Schwarm Vögel hatte sich seine Persönlichkeit im Zentrum seines Schädels niedergelassen, doch nicht einer stob auf als die Beleidigung, nach Zerstörung suchend durch das Ganze, das Viele war, raste. Er wusste es schon.
„Warum willst du das ich sterbe?“
„Du gehörst hier nicht her. Wie oft habe ich es dir schon gezeigt, und du hast es verstanden. Sieh dich doch nur an. Weder hast du ein Heim noch Liebe. Sitzt nur hier, und lässt in deinen Blutkreisen was nicht real ist, bloß damit die Zeit schneller vergeht. Die Realität ist dir zu stark und u versteckst dich vor ihr um auf den Tod zu warten. Leid wird das einzige sein, was du auf deinem Weg finden wirst.“
„es gibt mehr auf dieser Welt als Leid“
Der Schwarm ruhte immer noch und in seinem Ruhen verschmolz er zu einer Masse und vereinigter Kraft. Doch so unvermittelt er zu wachsen begonnen hatte, so plötzlich hielt er in seinem verletzlichsten Stadium stehen, denn die Ungewissheit durchtrieb alles.
„erzähl mir davon“
„Das kann ich nicht. Ich kenne es nicht, doch werde ich ihr meinen Schwarm schenken. Ich habe das Gefühl, dass sie ihn leiten wird.“
„Denkst du sie kann das? Weis sie überhaupt wohin? Weißt du überhaupt wohin?“
„Nach Hause“
Das Murmeln wurde wieder zu einem gleichgültigen Teil der Natur. Des Chaos. Er entzündete die kleine Säule aus Papier, Tabak und Pflanze. Die Ungewissheit hatte Frieden mit dem Schwarm geschlossen und nun hatte er sich vereinigt, war zu einer Kraft geworden. Dennoch war sie immer noch umgeben von der Ungewissheit und Angst, die darauf warteten erneut anzugreifen und den Scharm zu vernichten.
Er behielt sich noch das Bild der mysteriösen Frau, dachte darüber nach warum sie das tat und wie es ihr gelingen könnte. Alles Gefühle und Bilder die sich selbst im Reigen jagten, dach bald wurden sie langsamer und verblassten unter der Lust auf seinen guten, klassischen Hamburger, bis er kauernd vor der Tür einer guten Freundin stand.
„Hast du `ne Ecke für mich oder willst du Pommes Frittes und noch Burger?“
Als er ihr so, mit durchweichtem Essen, nassen Kleidern und Sonnenbrille, gegenüberstand konnte nicht anders als Lächeln.“
„Beides. Den Regen hast du wohl nicht bemerkt.“
Im Vorübergehen meinte er: „Oh ja. Der war toll“
 
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Kommentare  

ich würde so gerne einen Kommentar abgeben... doch mir fehlt das Wort, das diese Geschichte treffend beschreibt.
Eine Mischung aus verwirrend und poetisch...


christine (30.08.2001)

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