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4 Seiten

Mademoiselle und Mister X

Amüsantes/Satirisches · Experimentelles
© Meggie
Es handelte sich um eine französische Schönheit. Sie war groß, schlank und sehr elegant. Der amerikanische Spion Gail Naither saß im Empfangssaal des teuren Hotels und beobachtete, wie Mademoiselle quer durch die Halle schritt. Überraschender Weise hatte sie die Treppe dem Aufzug heute vorgezogen. Gail observierte sie nun schon seit geraumer Zeit und er bedauerte es, ihr nicht unter anderen Umständen begegnet zu sein. Doch persönliche Empfindungen hatte hinten anzustehen. Es galt einen Auftrag zu erfüllen und da ging es um mehr als nur um sie. Und davon abgesehen: wer sagte ihm denn, dass Mademoiselle sich nicht kooperativ zeigen würde?
Als Mademoiselle das Hotel durch die Drehtür verlassen und sich schließlich seinem Blickfeld entzogen hatte, erhob Gail sich von seinem Platz auf dem Sofa und ging zurück zum Aufzug. „Siebte Etage“, wies er den Portier an und die stählernen Türen des Aufzugs schlossen sich hinter ihm wie die riesigen Fangen eines Haifisches.
737 war die Nummer ihres Apartments. Gail kramte den Schlüssel aus seiner Tasche, sah sich kurz um, öffnete dann die Tür. Innen roch es nach Parfum. Bis auf diesen auffällig starken Duft schien das Appartement nahezu unbewohnt. War es Pingeligkeit? Oder hatte sie wirklich nichts dabei? Gail hoffte auf Pingeligkeit. Allerdings hoffte er falsch. Nachdem er sämtliche Schubladen und Schranktüren geöffnet hatte, musste er feststellen, dass Mademoiselle anscheinend nicht so dumm wie hübsch war. Schübe und Schränke waren leer. Gut, dachte sich Gail, wenn sie nicht dumm ist, wird sie kooperieren. Und setzte sich und wartete.

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Jeanne nahm wider ihrer Gewohnheit die Treppe. Eine Maßnahme, die sie ergriff, um nicht sogleich von seinem Blick erfasst zu werden, wenn sie in die Eingangshalle trat. Und tatsächlich; da saß er, wie jeden Tag. Den Blick stur auf den Aufzug gerichtet wartete er scheinbar nur auf ihr Erscheinen. Als Mister X sie sah, hatte sie ihren Blick schon längst wieder von ihm abgewandt, ihn stattdessen dem Ausgang zugewandt, dessen Richtung sie nun eingeschlagen hatte. Mister X ahnte nicht, dass sie ahnte, dass er sie beobachtete. Hoffte sie zumindest. War er so dumm wie er aussah, dann wusste er von nichts. Katzengleich schob sie sich durch die Drehtür ohne sich noch nach ihm umzusehen. Sie wusste: jetzt, da sie das Hotel verlassen hatte, würde Mister X in ihr leeres Appartement eindringen, er würde ihre Sachen durchsuchen wollen und enttäuscht feststellen müssen, dass es keine Sachen gab, die er durchsuchen konnte.
Und in der Zwischenzeit würde sie ihre Vorbereitungen treffen.

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Gut drei ein halb Stunden, zwei Gläser Scotch und wer-weiß-wieviele Zigaretten später kam Mademoiselle endlich von ihrem Bummel zurück. Als sie das Appartement betrat, saß Gail da, in dem eleganten Designersessel mit einem Glas Scotch in der Hand, die Beine lässig übereinander geschlagen, lächelte ihr cool und wissend entgegen – ganz in alter James-Bond-Manier. Allerdings schien diese ihre Wirkung zu verfehlen, denn Mademoiselles markanten Gesichtszüge blieben ungerührt. Nun war er an der Reihe überrascht dreinzublicken, jedoch fasste er sich, noch bevor sie es merken konnte.
Zunächst würde er versuchen mit ihr zu verhandeln. Dann endlich würde sich herausstellen, wieviel Ahnung Mademoiselle wirklich hatte. Und wenn sie keine Dummheiten machte, würde sie vielleicht sogar überleben.

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Mister X erwartete sie schon, als sie das Appartement betrat. Sie stand bloß in der Tür und gab sich nicht die Mühe, ihm Verwunderung vorzuspielen. Amüsiert stellte sie fest, dass er dafür umso überraschter war und dies vergeblich zu verstecken versuchte.
Zunächst würde er versuchen zu kooperieren. Bei dem Versuch würde es auch bleiben, denn Jeanne war nicht an einem Handel interessiert; sie wollte Rache. Schließlich würde er zu „härteren Maßnahmen“ greifen.
War Mister X wirklich so berechenbar, dass ihre Rechnung aufging? Er musste es sein.

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„Mademoiselle“, begrüßte er sie galant, lächelnd, nahm noch einen Schluck Scotch bevor er das Glas abstellte und sich erhob. Sie nickte ihm zu. „Sie wissen, wer mich schickt. Auch wenn es Ihnen entgangen sein mag, aber unsere Organisation hat seit ihrem erfolglosem Verschwinden jeden Ihrer Schritte genauestens beobachtet, Ihre Gewohnheiten, Verhaltensmuster ermittelt und analysiert. Sie sind berechenbar. Wir wissen alles über Sie. Sie sitzen in der Falle.“ Stolz, zufrieden und selbstgefällig lächelte er sie an. Sie würde nicht die geringste Chance haben. Aber sie sagte nichts. Stattdessen kam sie langsam auf ihn zu, begann ihre Bluse aufzuknöpfen. Gail war nicht überrascht. Nicht wirklich. Die Vorstellung sie noch kurz vor ihrem Tod zu vögeln reizte ihn, war jedoch undenkbar, unmöglich, unrealisierbar. Während sie näher kam, stand er da, sah sie kalt und unbeeindruckt an. Wie viele Frauen hatten schon auf diese Weise versucht ihrer gerechten Strafe zu entgehen? Das war Bestechung. Aber er war ein Profi, sein Blick eiskalt.

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Mister X begrüßte sie mit einem billigen „Mademoiselle“ und bei seiner Offenbarung – einem Text, den er schon Wochen zuvor einstudiert haben musste – dachte sie nur an den guten Scotch, den sie nun hatte opfern müssen. Sowas aber auch. Jetzt fehlte nur noch, dass er begann, ihr ihre Rechte vorzutragen. Mister X war sich seiner Sache sicher – zu sicher. Seine Selbstsicherheit war seine stärkste Schwäche und Jeanne nutzte diese schamlos aus. Noch während er sprach begann sie ihre Bluse aufzuknöpfen, kam langsam auf ihn zu. Ihr Plan würde aufgehen – schließlich war er ein Mann. Ungerührt stand er da, sah sie unbeeindruckt an. Wenn das kein Amerikaner ist, dachte Jeanne. Sie schmiegte sich an ihn, strich mit den Händen über seinen Körper und fragte sich, wie lange sie wohl noch zu leben hatte.

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Mademoiselle schmiegte sich an ihn – was ihm zu verstehen gab, dass er sich seine Verhandlungen sparen konnte. Stumm ließ Gail die Liebkosungen über sich ergehen. Tatsächlich: sie war eine Schönheit. Wie gern würde er sich nun gehen lassen... Mademoiselle hob den Kopf um ihn zu küssen, ihr Gesicht näherte sich dem seinen und ihre Lippen waren nur Millimeter von den seinen entfernt – als er ihr lautlos eine Kugel in den Bauch jagte. Guter alter Schalldämpfer. Sie zuckte zusammen, ihr Körper begehrte noch ein letztes Mal auf. Gail spürte den letzten Hauch Atem, der ihrem Mund entwich, bevor er endgültig und für immer verebbte. Langsam ließ er sie zu Boden gleiten. Man wollte keine Aufmerksamkeit erregen. Zufrieden schaute er auf sie herab, tat so als würde er den imaginären Rauch wegblasen, der aus dem Schaft seiner Pistole emporstieg. „Mademoiselle, wir sprachen leider nicht dieselbe Sprache.“ Ganz wie in alter James-Bond-Manier. Dann steckte er die Pistole wieder ein und verließ das Appartement.
Als er den Zündschlüssel seines Wagens umdrehen wollte, klemmte dieser. Von seinem Erfolg euphorisch erfüllt und unbekümmert wie er war, machte er sich keine weiteren Gedanken und wenige Sekunden später explodierte die Bombe.
 
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Kommentare  

Das gefällt mir! Sie wußte, das sie sterben würde und hat ihn mitgerissen. Das zaubert mir doch ein sehr gemeines Grinsen auf die Lippen. :-) Sehr gut.

Metevelis (20.10.2003)

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