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4 Seiten

Der goldene Ring

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Als ich noch ein sehr kleines Mädchen war, lernte ich beim Spielen und Herumstreunen eine alte Dame kennen. Sie wohnte am Rande des Parks und war immer sehr nett zu uns Kindern. Meist lehnte sie am Fenster und schaute bei unseren Spielen zu. Eines Tages, ich weiß gar nicht mehr aus welchem Anlass, lud sie mich auf ein Häferl (=Tasse) Kakao ein. Nachdem ich die Erlaubnis meiner Mutter eingeholt hab, besuchte ich sie tags darauf.

Ihre Wohnung war sehr klein, aber gemütlich und es roch nach Bodenwachs, altem Holz und Lavendel. Ich versuchte ein braves Kind zu sein und benahm mich sehr erwachsen, denn ich war ja ganz allein auf Besuch bei der alten Dame. Während ich meinen Kakao schlürfte, erzählte sie mir Geschichten und fragte mich hin und wieder etwas über meine Familie und was ich einmal werden möchte.
Ich wollte damals Tempeltänzerin in Bali werden, aber sie lachte mich deswegen nicht aus, sondern sie zeigte mir ihre Schätze in der Vitrine. Da standen lauter interessante Figuren und ich drückte meine kleine Nase am Glas platt. In der nächsten Zeit besuchte ich sie öfter und ich bekam immer ein Häferl Kakao und manchmal einen Kuchen dazu.

Sie konnte sehr gut Geschichten erzählen, auch wenn ich nicht alles verstand, war es immer sehr aufregend. Der Besuch bei der alten Dame wurde ein fester Bestandteil in meinem alltäglichen Rundlauf durch die mir damals bekannte Welt. Einmal fragte ich sie, wo denn ihre Kinder sind und ob sie einen Mann habe.

Da wurde sie ganz traurig und drehte an einem sehr zierlichen Ring an ihrem Finger. Ich bemerkte es und fragte in meiner kindlichen Art, ob dies ein Zauberring sei. Sie lächelte und meinte: "Vielleicht?" Und dann erzählte sie mir, daß sie früher, als sie noch ganz jung war, einen Verlobten hatte, der in den Krieg musste. Doch bevor er wegging, hat er ihr diesen Ring geschenkt. Ich verstand nicht. Was war das, ein Krieg?
"Das ist schon sehr lange her, aber wenn Du in die Schule kommst wirst Du schon früh genug vom Ersten Weltkrieg lernen." erklärte sie mir.

Irgendwann einmal zog sie den Ring vom Finger und legte ihn in meine kleine Hand.
Meine Kinderhände untersuchten das zierliche Schmuckstück und ich bewunderte das Glänzen des Goldes im Licht. Ich hatte ja noch nie vorher Gold in meiner Hand.
"Darf ich den Zauberring anstecken?" fragte ich ehrfürchtig.
Sie nickte, und gleich darauf hatte ich ihn am Daumen stecken. "Oh ja, schau mal wie mir der passt!" rief ich.
"Sie lachte und dann wurde sie plötzlich ganz ernst und fragte mich: "Willst du diesen Ring?"
Ich erschauerte. "So einen schönen Ring?" fragte ich ungläubig. Sie sagte: "Schau, ich hab doch keine Kinder und wenn ich sterbe, dann kommt der Ring irgendwohin und niemand weiß, was es mit diesem Ring auf sich hat. Es wäre mir recht, wenn Du ihn behältst, ich schenke ihn dir. Dann weiß ich ihn in guten Händen."
Ich nickte verständig, obwohl ich nur die Hälfte verstand und versprach ihr, ihn jeden Tag zu tragen und auf ihn sehr, sehr gut aufzupassen.

Als ich wieder nach Hause kam, zeigte ich meinen Eltern meinen kostbaren Schatz und sprang vor Freude über den Zauberring im Zimmer herum. Meine Eltern wollten, daß ich ihnen den Ring gleich gebe, denn sie meinten, ein so wildes Kind wie ich würde diesen Ring bald verlieren.
Doch ich gab ihn nicht her und verweigerte jegliche Herausgabe. Jedesmal, wenn ich die alte Dame besuchte, hatte ich "unseren" Ring dabei.
Sehr bald darauf kam ich in die Schule. Der Ring hatte einen festen Platz am Vorzimmerkästchen. Wenn ich in die Schule ging, steckte ich ihn an und wenn ich nach Hause kam, legte ich ihn wieder dorthin zurück.

Doch eines Morgens lag der Ring nicht auf seinem Platz und ich suchte erfolglos das Vorzimmer ab. Dann rief ich nach meiner Mutter. Der Ring war weg. Meine Mutter fragte, wo ich ihn das letzte Mal gesehen oder angesteckt hätte. Ich wusste es nicht mehr. Unruhe machte sich breit in mir und fast schon verzweifelt begann ich die ganze Wohnung umzudrehen. Meine Mutter versprach, den Ring zu suchen, wenn nur jetzt in die Schule ginge, es war schon Zeit.
In allen Unterrichtsstunden konnte ich an nichts anderes denken, als an diesen Ring. Mir wurde gleichzeitig heiß und kalt bei dem Gedanken, ich könnte ihn verloren haben. Nach der Schule lief ich gleich nach Hause, meine Mutter sagte, sie hätte ihn nicht gefunden. Dann lief ich zu meiner Großmutter, grußlos riss ich die Tür auf und fragte atemlos: "Hast Du meinen Ring gesehn???"

Meine Großmutter zog ärgerlich die Brauen zusammen und fragte mit ihrem unverkennbaren ungarischem Akzent:" Was für einen Ring?"
" Na den Ring, den Ring, meinen RING!" schrie ich und ohne die Antwort abzuwarten, drehte ich mich um und lief weiter zu anderen Stationen, die ich am Vortag besucht hab. Nirgendwo war er.
Meine Mutter schimpfte mich aus als ich heimkam und sagte mir, daß sie es mir eh prophezeit hat, daß ich ihn verlieren würde...und überhaupt seien goldene Ringe nichts für kleine Kinder!
Ich getraute mich an diesem Tag nicht zu der alten Dame, aus Scham, weil ich ihren kostbaren Zauberring verschlampt hatte.
Ich war zutiefst niedergeschlagen.
Ich ging zu Bett und fand keinen Schlaf.
Die Welt war nicht mehr in Ordnung.

In der nächsten Zeit vermied ich Besuche bei der alten Dame, weil ich Angst hatte, sie würde das Fehlen des Ringes bemerken. Noch schlimmer als diese Angst aber war für mich der Verlust des Geschenkes und das in mich gesetze Vertrauen. Ich hatte mein Versprechen, gut auf ihn aufzupassen aus irgendeinem Grund nicht einhalten können. Vielleicht würde sogar meine Erinnerung an die alte Dame und an ihren Liebsten irgendwann mal verblassen. Auch wenn ich nicht ganz verstand wieso, fühlte ich, daß dieser Ring doch irgendwie wichtig war.

Meine Besuche bei ihr waren zwar stetig, wurden aber immer spärlicher. Und ich hatte so ein schlechtes Gewissen, daß ich bei ihr ganz befangen war. Ich sagte ihr, daß ich in der Schule viel zu lernen hätte und machte die eine oder andere Aufgabe mit ihr zusammen.

Eines Tages stand ein Rettungsfahrzeug vor ihrem Haus und das Fenster, aus dem sie uns immer beim Spielen beobachtete blieb leer. Tage, Wochen....... Es dauerte mir schon zu lang und irgendwann ging ich zu ihrer Tür und klopfte an.
Fremde Leute öffneten, ich schnupperte kein Bodenwachs und kein Lavendel. Lack- und Kleistergeruch schlugen mir entgegen. Es wurde renoviert. Die alte Dame war gestorben.
Ich beschloss sie nicht zu vergessen.

Ich wurde größer und größer, viele neue Abenteuer drängten meine früheren Erlebnisse in den Hintergrund. Ich wurde erwachsen.


Fast zwei Jahrzehnte später, mit 24 oder 25, war ich so mit meinem Leben, mit Männern, Arbeit, Alltagskram und der Überwindung des Todes meiner Mutter beschäftigt, daß ich meine kindlichen Erinnerungen fast vergaß. Tief drinnen schlummerten sie aber doch noch.
Eines Tages suchte ich einen Zwirn in Mutters Nähkistchen. Ich fischte flink eine Spule mit blauen Faden heraus und da kullerte mir plötzlich etwas Glänzendes auf den Schoß.
Ich erkannte ihn sofort!
Ich nahm ihn auf und drehte ihn und sah ihn an wie damals. Er war es, ohne Zweifel!
Es war mein "Zauberring"!

Meine Mutter war eine sehr gute Mutter und sie hatte wirklich nicht viele Fehler gemacht. Aber das damals war einer der wenigen Fehler. Meine Mutter hatte es gut gemeint und war es auch durch eine Lüge. Sie wollte mir den Ring bewahren, damit ich ihn nicht doch irgendwann in der Schule oder sonstwo verliere.
Daß ich dadurch etwas anderes verloren hab (ich hatte an mir gezweifelt), hat sie gar nicht bedacht.

Doch ich hab es wiedergefunden :-)
 
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Kommentare  

Vielen Dank für Eure Kommentare, Chris Stone und Grainne!!
Ich nehme mir immer wieder vor, Erlebnisse und Geschichten niederzuschreiben, leider hab ich viel zu wenig Zeit dazu......
Ich hoffe, daß ich bald wieder mal dazukomme :-)


Niwi (22.08.2005)

Mir gefällt deine Geschichte. Lässt sich gut lesen und lässt einen nachdenken. Grainne

Grainne O'Malley (22.08.2005)

Eine wunderschöne Geschichte, nur das Ende klingt mir zu schulmeisterhaft.
Hast du noch mehr geschrieben? Ich würde mich über weitere Stories von dir freuen.


Chris Stone (06.02.2005)

Hi Marc Stephan,
vielen Dank für Deinen Kommentar!
Inwiefern soll ich die Geschichte überarbeiten? Hast Du einen Tip?
Silvia


Silvia (20.09.2004)

Schöne Geschichte, aber von der Schreibe her vielleicht noch ein bisschen überarbeiten?

Marc Stephan (18.09.2004)

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