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2 Seiten

FREI

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Nur langsam erwachte Anja aus der Starre, die sie überkommen hatte, ohne das sie etwas dagegen hätte tun können. Mühsam kämpften sich ihre Gedanken den Weg zurück an die Oberfläche ihres Denkens. Ließen das Dunkel hinter sich, wie einen langen, leidvollen Tag. Anja öffnete die Augen. Es war ein guter Tag. Ohne die Blick auf einen Punkt zu fixieren, starrte sie an die Decke. Morgen ist Donnerstag, da werde ich mal wieder in die Stadt gehen, dass hab ich schon lange nicht mehr gemacht, kam ihr in den Sinn, während sie sich langsam erhob.

Der Weg in das Bad war reine Routine, auch mit geschlossenen Augen könnte sie ihn gehen. Zaghaft öffnete sie den Wasserhahn und hielt ihre Hände unter den angenehm kühlenden Strahl. Ihr Blick fiel in den Spiegel. Die Person, die sie dort sah, war nicht mehr sie selbst, nicht mehr ihr altes Ich. Etwas war geschehen. Ohne zu blinzeln, betrachtete sie ihre Augen, ihre Wangen und die Konturen ihrer Lippen. Sie war es und sie war es nicht. Kurz schloss Anja die Augen und fühlte sich zurückversetzt in eine Zeit, die sie schon fast vergessen glaubte. Es war der Heilig Abend, vor 10 Jahren.

Voller Vorfreunde war sie morgens aus dem Bett gesprungen. Schneeflocken wirbelten vor ihrem Fenster und luden sie ein, mit ihnen in den neuen Morgen zu tanzen. Schnell waren die Sachen übergestreift und der dicken Schal um den Hals geschlungen. Eigentlich war ihr selten kalt, wenn sie draußen herumtobte, aber der Schal diente noch einem anderen Zweck. Er verdeckte die kleinen blauen Flecken auf ihrer Haut. Auch wenn sie schon fast wieder verschwunden waren, scheute sie sich noch immer, ohne den, vor fragenden Blicken schützenden, Schal vor die Tür zu gehen.

Eisiger Wind schlug ihr ins Gesicht und fuhr über ihre Haut, wie die kalte Hand ihrer Mutter, als sie noch lebte. Es war ein guter Tag, denn heute Nacht war ihr Vater nicht zu ihr gekommen und hatte sich neben sie gelegt. Diese Nacht musste sie nicht seine Nähe ertragen. Den vom Alkohol und Nikotin geschwängerten Atem, den sie sonst, wie einen unheilbringenden Luftzug, auf ihrer Haut spürte. Seine fleischigen Hände überall auf ihrem Körper. Oft hatte sie versucht sich zu wehren, aber selbst wenn sie still hielt und all dies über sich ergehen lies, würgte er sich manchmal. Es machte ihm Spaß.

Anja formte mit den Händen einen Schneeball, als sich hinter ihr die Tür öffnete. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, als sie die gesäuselten Worte ihres Vaters vernahm: "Guten Morgen mein kleiner Engel." Unfähig sich zu bewegen, blieb sie wie angewurzelt stehen. Sie kannte diese Worte. "Komm doch rein zu mir, ich möchte dir etwas zeigen, mein Engel."

Ein Blitz durchzuckte Anjas Gedanken und stellte Augenblicklich die Verbindung zur Gegenwart wieder her. Ihr Gesicht war gealtert. Auch wenn sie erst 22 war, sah sie doch aus wie 30. Das Wasser im Waschbecken hatte sich rot verfärbt und floss nur langsam ab. Es dauerte Minuten bis sie ihre Hände von all der Last befreit hatte.

Kurz hielt Anja inne, bevor sie zurück in das Wohnzimmer ging. Die Blutlache auf dem Parkettboden hatten inzwischen den Tisch erreicht. Langsam schlängelte sie sich weiter, wie ein unaufhaltsamer Strom von Sünde und Schuld. Vater saß noch immer in seinem Sessel, seinem Lieblingssessel. So kannte sie ihn. Vor dem Fernseher sitzend, mit einer Flasche Bier in der Hand. Ja es war ein stereotypes Bild, ein Bild wie es die Medien von den Menschen zeichneten, die ihre eigenen Kinder missbrauchten. Für Anja war es kein Vorurteil, keine Beschreibung in einem der zahlreichen Boulevardmagazine, für sie war es die Realität. Eine 13 Jahre währende, nie enden wollenden, Realität.

Anja schüttelte den Kopf, als könnte sie damit all die Gedanken vertreiben, die sie seit Jahren quälten und keinen Schlaf finden ließen. Er sieht so friedlich aus, dachte sie. Der Schnitt, der seine Kehle im Schlaf durchtrennt hatte, war tief und ließ ihn schnell ohnmächtig werden. Wahrscheinlich spürte er nicht einmal etwas. Ich werde morgen nicht einkaufen gehen, beschloss Anja, bevor sie den Hörer in die Hand nahm.

Einigen Stunden später hatten die beiden Polizisten vom Morddezernat ihre erste Befragung beendet. Anja schritt in Handschellen einen tristen Gang entlang, bis sie an einer kargen, weiß angestrichenen, Zelle Halt machten. Ein Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab. Während die schwere Eisentür ins Schloss fiel und sich die Pforte zur Freiheit hinter ihr schloss, wurde ihr eines bewusst - Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie Frei!
 
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Kommentare  

Ein paar Kleinigkeiten gefallen mir an deiner Geschichte nicht, vielleicht bin ich aber auch zu spitzfindig. Urteile selbst.
Du schreibst im Vierten Absatz: 'Oft hatte sie versucht sich zu wehren, aber selbst wenn sie stillhielt und all dies über sich ergehen ließ, würgte er sie manchmal.'
Das klingt so, als ob das Würgen das Schlimmste an der Sache wäre. Das ist es garantiert nicht!
Im letzten Satz solltest du den Satzteil 'die Pforte zur Freiheit schloss sich hinter ihr' weglassen. Aus folgendem Grund: Du möchtest doch den Unterschied zwischen physischer und psychischer Freiheit deutlich machen. Indem du die Metapher 'Pforte zur Freiheit' benutzt, erzeugst du in der physischen Ebene eine Verbindung zur Psyche (Oder zur Seele). Das ist nicht sinnvoll.


Chris Stone (25.01.2005)

Schwülstiges Geschwafel in - teilweise - sehr schlechtem Deutsch verfasst.

Huber (28.12.2004)

Also erst mal ein Lob! Die Geschichte wurde, meiner Meinung nach, wirklich spannend aufgebaut, da nicht alles gleich offen gelegt wurde. Was mir aber überhaupt nicht gefallen hat ist der Titel. Damit soll zwar das letztendlich, befreiende Gefühl der Hauptperson unterstrichen werden, dennoch finde ich ist mit diesem 'einfachen' Wort der genaue Gefühlszustand nicht gut beschrieben. (die Geschichte erhielt den Titel erst nachdem sie fertig war, nicht wahr?)

gassenpoetin (23.12.2004)

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