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6 Seiten

Keine Zeit mehr

Schauriges · Kurzgeschichten
Langsam beginnt das Fett zu prasseln, als sich die Flammen des alten Gasherdes sanft an die eiserne Unterseite der Pfanne schmiegen. Markus, ein kleiner, eher schmächtiger Mann, steht unruhig neben dem Herd und wartet darauf die graue, puddingartige Substanz vom Teller in die heiße Pfanne gleiten zu lassen. Die Ungeduld, die ihn in den letzten Monaten heimsucht, wie ein ihm ständig folgender dunkler Schatten lässt Markus angespannt von einem Fuß auf den anderen treten.
Als wäre es eine Erlösung gleitet die faustgroße Masse in die Pfanne. Kurz aber energisch spritzt das Fett zu allen Seiten und Markus hantiert am Drehknauf des Herdes, um die Flammen herabzuregeln.
Unter der einwirkenden Hitze schrumpft der Inhalt der Pfanne schnell zusammen. Markus zieht leicht die Augenbrauen nach oben und murmelt leise: „Das sieht aber mal wieder verdammt wenig aus für eine 500 Euro teure Mahlzeit.“
Mit einem Messer stochert er in der doch eher unappetitlich wirkenden Masse herum. Der Geruch von siedendem Fett mischt sich langsam mit einem undefinierbaren Aroma, welches von seiner ungewöhnlichen Mahlzeit auszugehen scheint.
Gedankenverunken starrt Markus auf den Herd. Erst als seine Augen trocken werden und sich ein zarter Tränenfilm auf seine Hornhaut legt, blinzelt er.
„Ok, das muss reichen.“
Mit geübten Griffen befördert er sein, durch das ausgekochte Wasser zusammengeschrumpftes, Abendessen, von der Pfanne zurück auf den Teller. Seine Mahlzeit sieht seltsam aus, irgendwie verstörend, hat sich im heißen Fett gewunden wie ein sterbendes Tier. Ein treffender Vergleich zu seiner Situation.
Markus nimmt am Tisch platz. Das wird das letzte Mal sein, denkt er sich, sticht mit der Gabel in die Mitte des Klumpens und schneidet sich ein Stück davon ab. Bevor er es in den Mund steckt, hält er inne. Wenn etwas nicht funktioniert, muss man eben was anderes versuchen, sagt er zu sich selbst. Er starrt weiter wie gebannt auf die Gabel Das letzte Mal war es mühsam zu kauen und schmeckte bitter, aber Markus wagt es nicht es zu würzen.
Das könnte alles kaputt machen. Aber was solls? Es funktioniert auf diese Weise wohl eh nicht.Ohne einen Bissen zu nehmen legt er die Gabel zurück auf den Teller.
Plötzlich ein leises Wimmern. Markus sieht auf, der Frau, die ihm gegenüber sitzt, direkt ins Gesicht. Ihre langes schwarzes Haar, hängt locker über ihre Schultern und als sie die Augen öffnet, erkennt er deutlich die Verwirrung in ihrem Blick.
Sagen kann sie nichts. Der dicke Knebel in ihrem Mund hindert sie daran zu sprechen. Erst als sie spürt, dass ihre Hände und Füße gefesselt sind, wandelt sich der Ausdruck in ihren Augen von Verwirrung zu Angst.
„Also ich hoffe das ist nicht zu unbequem für dich“, merkt Markus an.
„Aber es geht leider nicht anders, ist sonst nicht meine Art.“ Ein unsicheres Grinsen verwandelt seinen Gesichtsausdruck in eine Grimasse. Für Maria ist es das Grinsen des Bösen. Was ist los? Wie bin ich hier hergekommen? Und was will dieser Typ von mir? Dutzenden Fragen brennen wie Flammen in ihrem Kopf, aber das Stück Stoff in ihrem Mund hindert sie daran ihre Gedanken zu artikulieren.
Markus ist nervös, auch für ihn ist diese Situation neu.
„Weißt du, ich will dir nicht weh tun, aber es gibt für mich im Moment keine andere Möglichkeit.“
Er schiebt den Teller von sich weg, „Siehst du“, mit seinen Augen deutet er auf den Tisch, „Das hier funktioniert leider nicht.“
Was willst du von mir, brüllt Maria in Gedanken.
„Ich will versuchen es dir zu erklären, du wirst sehen es ist ganz anders, als du denkst.“
Markus holt Luft und setzt dann zu einer Rechtfertigung an.
„Weißt du.... sie, also die Ärzte, sie wollten mir etwas stehlen... Die Zeit, sie wollten mir meine Zeit stehlen. Sie haben gesagt ich hätte einen Gehirntumor und der müsste behandelt werden.“ Mit einem verächtlichen Blick schüttelt Markus leicht den Kopf. „Das ganze übliche Gelabber. Sie stopfen Medikamente in dich rein. Medikamente, die dich müde machen, die dir jeden Handlungsspielraum nehmen, die dir die Möglichkeit nehmen, das zu tun, was du tun möchtest.“ Markus steht so abrupt auf, dass sein Stuhl nach hinten kippt.
„Aber nicht mit mir! Das hab ich ihnen ins Gesicht geschrien, hab ihnen gesagt, dass sie sich ihre Medikamente sonst wo hinstecken können!“
Markus hält inne, wird wieder ruhiger, macht eine Pause. Sekunden der Stille. Sekunden die Gelegenheit geben nachzudenken.
Maria versteht nicht genau, was er sagt, aber sie versteht, dass dieser Mensch sie nicht einfach so gehen lassen wird. Ihr Blick schweift kurz durch das Zimmer, während Markus tief in Gedanken versunken ins Nichts starrt.
Maria entdeckt ihre Handtasche, sie steht nur wenige Meter entfernt auf einem Stuhl an der Wand.
Mein Handy! Möglichst unauffällig versucht sie sich umzusehen, aber im ganzen Zimmer ist keine Uhr zu entdecken. Verdammt wie spät ist es? Wie lange war ich ohnmächtig?
Jedenfalls ist die Tasche da und mit ihr auch das Handy! Der erste zarte Funken Hoffnung keimt in Maria auf, als Markus den Stuhl aufrichtet und sich wieder setzt.
Maria ist eine eher ängstliche Person. An diesem Abend musste sie allein nach Haus, eine unheimliche Strecke mit vielen verwinkelten Gassen, die zur Abendzeit menschenleer sind. Wie immer bei solchen Gelegenheiten hatte sie eine Freundin gebeten ihr etwas Unterstützung zu geben. Wenn sich Maria bis 23 Uhr nicht bei ihr melden würde, würde ihre Freundin versuchen sie zu erreichen. Einmal, zweimal und auch noch ein drittes Mal. Wenn Maria bis 00 Uhr nicht an das Telefon geht, weiß ihr Freundin, dass etwas passiert sein muss. Nun, ich konnte nicht ans Telefon gehen, also wird Hilfe sicher schon unterwegs sein. Es war ein guter Plan, auch wenn andere sie oft für übertrieben ängstlich halten, zeigt diese Situation doch, wie recht sie hat. Erst seit einigen Monaten hat Maria eines dieser neuen Handys mit Ortungsfunktion. Tritt ein Notfall ein, kann es vom Serviceanbieter geortet werden und man findet recht schnell die gesuchte Person oder zumindest doch deren Handy. Also Zeit gewinnen! Es wird sicher nicht mehr lange dauern bis Hilfe kommt.
Markus hatte sich wieder gesammelt. Als sei keine Minute vergangen, sprach er weiter.
„Also hab ich die Medikamente abgesetzt, hab sie einfach nicht mehr genommen. Diese Mittel haben mich in Fesseln gelegt, das konnte ich nicht mehr zulassen. Aber irgendwie legt einen alles Fesseln an! Der Gang zum Supermarkt, das Warten an jeder verschissenen roten Ampel, das Anstehen beim Arbeitsamt.“ Verzweiflung sprach aus seiner Stimme, „Aber die Zeit hab ich nicht mehr, deshalb geh ich kaum noch raus. Hier drinnen verlier ich keine Zeit, lasse mir alles bringen, erledige alle übers Telefon. Auch das hab ich mir bringen lassen.“
Wieder zeigt Markus auf den Teller. „Weißt du, was das ist?“
Maria versucht seinen Blicken auszuweichen, ihm nicht in die Augen zu sehen. Langsam schüttelt sie den Kopf.
„Nun es ist Gehirn...menschliches Gehirn, um genau zu sein.“
Ungläubig schaut Maria auf und blickt ihrem Peiniger dabei ungewollt in die tiefblauen Augen. Schnell wendet sie verängstigt ihren Blick wieder ab.
„Ja du hast richtig gehört. Gehirn. Hab irgendso einen dreckigen Drogensüchtigen dafür bezahlt, das er mir aus der Pathologie Gehirn besorgt. Hat mich wieder 500 Euro gekostet der Spaß.“
Resigniert schaut Markus zu Boden, „Geholfen hat es wohl nicht, in meinem Kopf hämmert es immer noch ohne Unterlass.“
Langsam steigt Panik in Maria auf. Dieser Typ ist krank. Isst das Gehirn einen Toten. Was wenn keine Hilfe kommt, wenn die Zeit nicht reicht?
Markus sieht Maria an, „Ok, ich sehe es dir an, du denkst ich bin verrückt.“
Maria schüttelt heftig den Kopf.
„Doch, doch, jemand der das Hirn eines Toten isst muss verrückt sein.“
Markus lächelt. „Aber ich verstehe das, hätte vor einigen Monaten auch nichts anderes gedacht.“
Markus blickt auf seine Fingernägel und beseitigt eher unbewusst Schmutzreste, die sich darunter gebildet hatten, während er weiterspricht.
„Weißt du was Zeit ist?“ Er wartet keine Reaktion ab, bevor er weiter spricht.
„Zeit ist eine Illusion! Eine Illusion die uns von unserem Gehirn, von chemischen Stoffen im Körper, vorgegaukelt wird. Sitzt du auf einem Zahnarztstuhl sind Minuten wie Stunden, bist du mit einer schönen Frau im Bett sind Stunden wie Minuten.“
In dieser grotesken Situation, von einem fremden, offensichtlich verrückten, Mann an einem Stuhl gefesselt, der was auch immer mit ihr vorhatte, ertappt sich Maria dabei, wie sie über seine Worte nachdenkt. Wie sie sich selber eingestehen muss, dass er zu einem gewissen Teil durchaus recht hat.
„Und was kann man dagegen tun? Du Ärzte haben mir gesagt ich hätte nur noch 5 Monate zu leben. Und warum? Weil mein Hirn meinem Körper sagt, das er nur noch 5 Monate zu leben hat, das er nicht mehr weiter kann, das er krank ist, das er keine Zeit mehr hat.“
Nervös spielt Markus nun mit einem Feuerzeug, das wie griffbereit auf dem Tisch liegt. Schnell lässt er es durch seine Finger gleiten, lässt die Flamme aufleuchten und wieder verlöschen.
„Aber ich werde mein Hirn besiegen! Man muss ihm klar machen, das die Zeit noch nicht abgelaufen ist!“, eine kurze Pause folgt. Maria zerrt an ihren festgebundenen Händen, aber die Wäscheleine mit der Markus sie an den Stuhl gefesselt hat schneidet sich nur noch tiefer ihn ihre Haut und schnürt die Blutzufuhr ab. Erst als ihre Hände zu kribbeln beginnen, ein Zeichen für schwache Durchblutung, gibt sie auf.
Markus stützt seinen Kopf auf die gefalteten Hände. „Aber wie macht man das?“
Lange hatte Markus darüber nachgedacht. Es war das Hirn das bestimmte, wieviel Zeit er noch hat und wenn sein Hirn meint, keine Zeit mehr zu haben, musste er eines finden das diese Zeit noch hatte.
„Im Hirn sind bestimmte Botenstoffe, ich weiß nicht wie sie heißen mit all ihrem komplizierten lateinischen Namen, aber ich weiß, was sie bewirken. Einige dieser Stoffe fehlen meinem Hirn. Habe da im letzten Monat einen Bericht auf N24 gesehen, da haben sie genau sowas gesagt.“
Markus hat den starken inneren Drang sich zu erklären, zu beweisen das er nicht verrückt ist, aber der Ausdruck in Marias Gesicht gefällt ihm nicht. Er spürt, dass sie ihm nicht glaubt, trotzdem spricht er weiter.
„Also muss man die Stoffe des gesunden Hirns in sich aufnehmen, um diese dem eigenen Hirn zuzuführen. Dabei hab ich aber einen dummen Fehler gemacht. Natürlich funktioniert es nicht mit einem toten Hirn, denn da sind die Botenstoffe ebenfalls tot.“
Er stockte einen Moment.
„Ich brauche ein frisches, ein lebendes Hirn...“, seine Stimme versagt und er blickt fast schon verlegen zu Boden. Die Panik und Hilflosigkeit in Marias Blick entgeht ihm dabei. Wie ein engmaschiges Netz legt sich die Angst um ihren Brustkorb, schnürt ihn zusammen, nimmt ihr die Luft zum Atmen. Ihre Augen füllen sie mit Tränen. Sie will nicht weinen, will stark sein, aber ihr Körper gehorcht ihr nicht mehr. Ihre gefesselten Hände beginnen langsam zu zittern. Schweißperlen bilden sich auf ihrer Stirn, erst kaum sichtbar, dann deutlicher. Oh mein Gott, bitte hilf mir, ich brauche noch etwas Zeit, sie werden mich finden ganz bestimmt.
Markus steht auf und tritt an eine der Schubladen. Mit einem knarren öffnet sie sich. Das Messer, das zum Vorschein kommt, lässt Marias Atem stocken.
„Es muss frisch sein“, murmelte Markus leise, als er auf Maria zugeht.
„Es tut mir leid, ich will dir nicht weh tun, aber ich brauche mehr Zeit. Zeit, die du mir geben kannst.“
Plötzlich das Klingeln der Haustür. Markus schreckt zusammen. Wie erstarrt steht er direkt vor Maria, das Messer in der Hand, bereit es einzusetzen. Sekunden vergehen ohne eine Regung. Dann ein weiteres klingeln. Hastig legt Markus das Messer auf den Tisch, geht aus der Küche und schließt die Tür hinter sich.
Die Anspannung scheint Maria zu zerreißen. Hoffnung und Panik verbinden sich zu einem Gewirr von Gefühlen, die sie übermannen wie eine unbändige Naturgewalt. Sie hört leise Stimmen. Zwei Männer unterhalten sich. Alle Kraft zusammennehmend schreit Maria so laut es ihr mit dem Knebel im Mund möglich ist, versucht sich zu befreien. Ihre Bemühungen haben Erfolg. Die Tür öffnet sich und ein großgewachsener, muskulöser Mann betritt die Küche. Markus folgt ihm.
Überrascht starrt der Unbekannte in Marias Augen. Sekunden der Stille, auch Markus rührt sich nicht. Der Unbekannte sieht Markus an und ergreift das Wort.
„Verdammt Markus, du hast doch gesagt sie ist bewusstlos. Scheiße Mann, wenn sie jemand hört.“
„Ja, ja, ich weiß“, erwidert Markus genervt. „Warst du am Fluss?“, fragt Markus.
„Ja war ich. Ist untergegangen wie ein Stein. Schade um das Handy, war so ein Neues mit Ortungsanzeige.“
 
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Kommentare  

Ziemlich harter Tobak, aber der gemeine Schluss passte irgendwie.

Stefan Steinmetz (15.10.2006)

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