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6 Seiten

SensoGlück

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
© ISA
Unruhig mit dem Fuß zappelnd betrachtete Matthias die Bilder an den Wänden. Glücklich strahlende Paare lächelten auf ihn herab. ›Nie wieder Streit!‹ ›Der Weg zu Harmonie und häuslichem Segen!‹ ›Wofür körperliche Gewalt und ewiger Streit, wenn ein Schluck Orangensaft die Lösung bringt!‹
Er seufzte, mehr aus Gewissensbissen als aus Ungeduld. Schließlich war er der letzte ›Kunde‹ hier bei ›Divine Solutions‹, das Wartezimmer leer.
Nein, es war doch irgendwie nicht recht… oder?
Doch! Sie wollte ihn verlassen, wollte vier Jahre einfach wegschmeißen, einfach gehen.
›Ich bin also zu langweilig. Nicht romantisch genug. Einfallslos im Bett‹, dachte er, was wieder von neuem die Wut in ihm entzündete.
Sie ließ ihm keine andere Wahl. Sie war es selber schuld. Selber schuld, wenn er diese letzte Möglichkeit ergriff.
›Aber… ist Ulrike dann noch sie selber? Was, wenn es Nebenwirkungen hat? Ich will sie so, wie sie ist. Nur, dass sie mich eben wieder liebt. Es soll so sein wie früher. Meine Güte, wie konnte es nur soweit kommen? ‹
Nein. Nicht so! Nicht auf diese Art…
Er atmete tief durch, die Hände auf dem Schoß. ›Ich werde aufstehen und gehen. Und dann rufe ich sie an und-‹
» Herr Reichenwald? Dr. Adam erwartet Sie nun. «
Die bildhübsche brünette Sekretärin lächelte ihn warmherzig an und wies einladend aus dem Zimmer.
Matthias starrte sie noch drei Sekunden unschlüssig an. Dann erhob er sich.
› Anhören kann ich es mir ja… ‹, entschied er und ließ sich von ihr in das Sprechzimmer führen.
Dr. Adam saß hinter seinem riesigen Schreibtisch, lässig, souverän und entspannt. Er hatte einen gepflegten dunkeln Bart und Lachfältchen um die brauen Augen – ein Mann im besten Alter, eine imposante Erscheinung. Seine Stimme war tief, genau artikuliert und erweckte Vertrauen.
» Herr Reichenwald, willkommen in unserem Institut.« Er schüttelte Matthias kraftvoll die Hände und hieß ihn auf dem bequemen roten Sessel vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen.
» Sie sind übrigens exakt unser 100.000 Kunde – und hoffentlich bald auch der 100.000ste zufriedene Nutzer von SensoGlück. «
» Ähm… ich müsste natürlich ein wenig mehr darüber wissen, Dr. Adam«, begann Matthias unsicher.
» Natürlich. Ich werde Ihnen gleich ausführlich die Möglichkeiten von SensoGlück beschreiben. Niemand kauft bei uns die Katze im Sack, oh nein. Ich sehe Ihnen an, dass Sie Zweifel plagen. Das ist nur natürlich. Und ich stimme Ihnen zu – es ist eine schwerwiegende Entscheidung, die wirklich nur eine charakterfeste Person fällen sollte, die sich ihrer Verantwortung klar ist. Wir haben schon etliche Bewerber nach Auswertung des Fragebogens aussortiert. Aggressive, asoziale Elemente haben keine Chance bei uns, genau wie Päderasten, Homosexuelle und dergleichen. Wir sind eine christo-islamische Organisation, die sich gegen die zunehmende Auflösung der moralischen Werte unserer Gesellschaft stemmt. Die schlechten Einflüsse nehmen zu und gerade Frauen sind leider Gottes dafür so empfänglich. Die Emanzipation hat niemandem etwas Gutes gebracht, am allerwenigsten den Frauen. «
Und bevor Matthias den Mund aufmachen konnte, war Dr. Adam schon aufgestanden und machte den riesigen Flachbildschirm an, der seitlich des Schreibtisches stand.
Es erschien die Computer-Tomographie eines menschlichen Hirns.
» SensoGlück ist die Lösung und der Weg zum Erhalt der Familien. Es ist ein winziger Sender, der auf verschiedenste Hirnregionen wirkt. Mit Flüssigkeit kann er von der Zielperson unbemerkt eingenommen werden und findet –einmal im Körper- innerhalb von zehn Minuten den Weg in die Mitte des Großhirns. Wie Sie sehen, eine völlig schmerzlose Angelegenheit. «
»Aha.« Matthias wusste nicht, was er sagen sollte. Ein Sender in Ulrikes Hirn! Was für eine abstoßende Angelegenheit…
Doch Dr. Adam drückte bereits eine Taste auf der Fernsteuerung, worauf sich ein Teil des Gehirn auf dem Bildschirm rot färbte. » Der Sender wird durch Sensoren gesteuert, die der Steuerungsperson in ihre Fingerkuppen implantiert wird. Durch harmlose, unauffällige Handbewegungen macht die Zielperson genau das, was Sie möchten. Natürlich nur moralisch vertretbare Handlungen, in dieser Hinsicht haben wir die Funktionen von SensoGlück beschränkt. Sie können die Zielperson nicht zu Selbstmord drängen oder zur Selbstverletzung. Doch ansonsten… können Sie sich das Paradies auf Erden erschaffen! Kein Streit mehr, keine hässlichen Worte… und die ehelichen Pflichten werden auch nie mehr vernachlässigt. «
Und bevor Matthias seine Bedenken aussprechen konnte, rief Dr. Adam die hübsche Sekretärin herein.
» Angela, die zweite meiner drei Frauen. Wie Sie wissen, dürfen wir Christo-Islamisten sieben Frauen heiraten. Polygamie entspricht der Natur des Mannes, eine wissenschaftlich bewiesene Tatsache. Angela, meine Liebe, ich habe da ein wenig Staub auf den Regalen hier entdeckt… könntest du…? « Dr. Adam machte eine winzige, wischende Bewegung, die erneut ein warmherziges Lächeln in Angelas Gesicht zauberte. Sie rollte entschuldigend mit den Augen, giggelte und sagte dann gutgelaunt:» Das muss ich übersehen haben, Daniel! Ich mache es sofort weg, entschuldige! «
» Aber bringe doch Herrn Reichenwald erst einmal eine Tasse Kaffee. « Er rührte mit dem Zeigefinger in der Luft.
» Natürlich!« Angela trat näher an Daniel heran und beugte sich mit ihren duftigen glatten Haaren zu ihm herunter. » Oder möchten Sie lieber einen Mokka? Einen Espresso? Latte Machiatto? Irish Coffee? Ich könnte aber auch natürlich gerne einen Cocktail für Sie zubereiten, oder wie wäre es mit-«
» Wo wir beim Thema sind…Es ist gleich sieben Uhr abends, Angela, meine Liebe… und mein Magen knurrt. « Dr. Adam rieb sich seinen Bauch.
Angela schrak hoch und sah ihren Gatten voller Mitleid an. » Oh, Liebster, entschuldige! Worauf hast du Hunger? Wie wäre es mit Roastbeef? Oder Sushi? Ich könnte natürlich aber auch wieder einmal Spanisch kochen! Ha! Paella! Genau! Oder?«
» Sushi ist in Ordnung, meine Liebe. Lass dich umarmen, meine Hübsche«. Dr. Adam breitete lächelnd die Arme aus – und Angela flog direkt hinein, schmiegte sich selig seufzend an die starke, breite Brust – gleich einem Kind, das endlich den liebevollen Schutz seiner Mutter genießen durfte.
Sachte strich Dr. Adam über ihr Haar. »Und heute Nacht darfst du in meinem Zimmer schlafen. Mach dich bitte hübsch zurecht. So wie ich es gerne habe, nicht wahr, das tust du, meine Hübsche? «
Glückselig sah Angela zu ihm auf. » Oh ja, Daniel. Natürlich… meine alte Schuluniform und die weiße Strumpfhose. Und Zöpfchen.« Sie kicherte und errötete ganz entzückend.
Dr. Adam räusperte sich und schob sie ein wenig ungehalten fort. » Gut. Einen Kaffee für Herrn Reichenwald. Aber mach vorher die Abrechnung für diesen Monat fertig. Und die Statistik. Und setz vorher den Brief an meinen Rechtsanwalt auf. «
Und durch eine kleine scheuchende Handbewegung rauschte Angela davon, umweht von ihrem blumigen Duft.
» Kein Streit, keine Eifersüchteleien… der Frieden ist mit SensoGlück in meine Familie eingekehrt. «, sagte Dr. Adam schmunzelnd. » Meine Frauen kümmern sich rührend um meine Kinder, sie halten gemeinsam das Haus sauber – wir brauchen keine Putzfrau. Sie wechseln sich mit Kochen ab – es gibt jeden Tag die erlesensten Speisen. Und nicht zu erwähnen meine abwechslungsreichen Nächte. Es gibt nicht einmal Streit, wer wann bei mir bleiben darf. Ich bin der Herr im Haus. Ich bin der glücklichste Mann auf Erden, das können Sie mir glauben. «
» Aber sind Ihre Frauen denn auch glücklich, ich meine…« Matthias sah zweifelnd auf den Bildschirm.
» Wenn ich glücklich bin, sind sie es auch. Die Harmonie ist perfekt und wirkt sich auf alle Beteiligten aus. Wahre Erfüllung findet eine Frau nur in ihrer Familie. « Dr. Adam drückte eine Taste, und eine andere Hirnregion leuchtete violett auf. » Hier wird durch SensoGlück das Brutpflegeverhalten stimuliert. Selbst wenn sich Ihre Partnerin bisher hartnäckig geweigert hat, ein Kind zu bekommen – ein sanftes Streicheln über ihren Bauch wird einen übermächtigen Kinderwunsch in ihr erzeugen. Oder hier:« Dr. Adam ließ einen grünen Bereich erstrahlen. » Hier wird fortwährend das Hirn dazu angeregt, Glückshormone auszuschütten – Ihre Partnerin wird für immer in Sie verliebt sein. Oder die blaue Region – stärkt den Ordnungssinn und das Reinlichkeitsverhalten. Durch SensoGlück wird aus der größten Schlampe ein Putzteufel! « Er lachte dröhnend, ganz begeistert von den Möglichkeiten seines Verkaufsschlagers. » Oder hier, gelb: Damit lassen sich aggressive Muster umstrukturieren. Statt in Gekeife oder Gezänk werden Aggressivität in sportliche Betätigung umgeleitet – dadurch beugt man natürlich auch dem typischen Gehen lassen der Frauen vor. Alle meine Frauen haben Idealgewicht!«
Matthias gefielen die Einsatzmöglichkeiten von SensoGlück jedoch immer weniger.
» Sie machen aus einem lebendigen Geschöpf, das wie wir alle mit Fehlern behaftet ist, einen willenlosen Roboter. «, grummelte er.
» Aber nein!« Dr. Adam sah ihn eindringlich an. » Jede Zielperson behält ihren angeborenen Charakter. Es werden lediglich störende Überreaktionen minimiert und harmoniefördernde Handlungen angeregt. Hier: noch einmal rot: Das Sexualzentrum wird angeregt. Oh, Sie können ja nicht ahnen, wie es ist, wenn eine Frau sich Ihnen vollkommen hingibt, sich ohne Hemmungen fallen lassen kann und Ihnen Ihre Wünsche von den Augen abliest. « Er seufzte verträumt.
» Aber das tut sie nur wegen dieses… dieses Dings. Nicht von sich aus.«
» Herr Reichenwald, schon immer hat der Mensch der Natur nachgeholfen. Und Sie wären einer der wenigen, die nicht die phantastischen Möglichkeiten von SensoGlück erkennen und zum eigenen Wohl und das Ihrer Familie nutzen wollen. Wir können endlich Frieden auf Erden schaffen! «
Matthias sprang auf. » Das kann sein. Aber ich sehe auch die Möglichkeiten abartigen Missbrauchs. Ich sehe willenlose Heere, die um Ressourcen kämpfen, ich sehe identische, von einer bestimmten Norm nicht mehr abweichende Menschen ohne eigene Bedürfnisse, die immer dem Führer zujubeln, der gerade an der Macht ist. Nein, ich mache da nicht mit. «
» Aber das ist doch Unsinn! Wir von Divine Solutions werden diesen Missbrauch niemals zulassen! Die Fragebögen! Die Auswahlkriterien! Sie haben sich als besonnen und charakterfest herausgestellt, und nur Leute wie Sie bekommen diese einzigartige Möglichkeit. «
» Nein, ich… kann das Ulrike nicht antun. « Matthias sah noch einen Moment nachdenklich auf den Bildschirm – dann stürmte er aus dem Sprechzimmer, vorbei an der hübschen, duftenden Angela mit der Kaffeetasse in der Hand.
» Sie können die Zukunft nicht aufhalten! Aufrichtige, charakterfeste Menschen werden diese Welt retten! «, rief Dr. Adam ihm noch hinterher.
Er lief ohne nachzudenken die zehn Stockwerke des Glaspalastes hinunter und hinaus ins Gewühl von Düsseldorf – hinein in die ahnungslosen Menschen. Diese unterschiedlichen, fehlerhaften, liebenswerten Menschen – normale Menschen mit eigenem Willen.
›Kein klar denkender Mensch kann das wollen.‹, dachte er, vollkommen erfüllt von dem Glücksgefühl, das einzig Richtige getan zu haben. ›Nein, das wird sich nicht durchsetzen. Männer, die ihre Frauen herumkommandieren wie orientalische Paschas! Wir leben im 21. Jahrhundert. Wir sind gleichberechtigt. Wir denken weiter. Die Mehrheit der Menschen wird das nicht zulassen.‹
Er zog entschlossen sein Handy aus der Tasche. » Ulrike? Ja, hier ist Matthias… können wir uns noch einmal sehen? Noch einmal- ja? Oh…gut. Oh ja, ich dich auch! Und wie! Dann, bis gleich. Ja, in unserem Lieblingsbistro.«
Sie hatte ihn vermisst! Oh, dieses verrückte, süße Geschöpf hatte noch Gefühle für ihn. Tränen brannten in seinen Augen.
Dankbar sah er in den abendlichen, wolkenverhangenen Himmel. › Wie konnte ich auch nur eine Minute so etwas wie SensoGlück in Erwägung ziehen. Niemals! Niemals werde ich ihr das antun. Ulrike, ich liebe dich, so wie du bist.‹


Es wurde ein rührendes Wiedersehen. Ulrike flog ihm geradezu in die Arme und drückte ihn fest an sich.
Sie sprachen lange über ihre Beziehung und Ulrike sah alles ein, gestand ihre Fehler unter Tränen.
Sie sahen sich lange in die Augen, konnten sich kaum von einander lösen.
Sogar die wenigen Minuten, die er zwischendurch auf der Toilette verbringen musste, dehnten sich zur qualvollen Ewigkeit aus.
Und sie nahm danach seine Hand und streichelte sie nachdenklich.
Ihr Lächeln begleitete jeder seiner Bewegungen, selbst als er sein Bier trank, so als wäre es das Spannendste, das sie je gesehen hätte.
Und als eine halbe Stunde später eine alte Zigeunerin mit den unvermeidlichen Rosensträußen in dem Bistro auftauchte, wickelte Ulrike eine ihrer entzückenden blonden Locken um ihren Fingern und sah sehnsüchtig zu den Blumen.
» Ich weiß, du magst das nicht…«, wisperte sie leise und seufzte, noch entzückender.
» Aber Ulrike! Meine Liebe! «, hauchte er, geradezu schwach vor Glück und kaufte gleich alle zwölf Sträuße für das anbetungswürdige Geschöpf ihm gegenüber. Sie verdiente noch viel mehr, jawohl. Sie verdiente Gold, Pelze und Edelsteine!
Ulrike aber lächelte zufrieden, während sie dachte:
› Meine Güte, das fängt ja phänomenal an. Die von UltraFemme, Inc. haben wirklich nicht zuviel versprochen…‹
 
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Kommentare  

Wah, fand die Geschichte super..ich hab mich die ganze Zeit gefragt ob es das Ding auch für Frauen gibt, das Ende hat es ja bestätigt...Sehr schöne Pointe, kann man immer wieder lesen..Das ist wirklich nicht verbesserungwürdig

Zimtsternchen (26.06.2005)

Danke, Chris! Ja, Georg Schramm mit der dicken Brille. Mit einer der besten bei SW! Scheibenwischer gehört sowieso für mich zu den wenigen guten Sendungen im Fernsehen. Aber die Dritten Programme haben teilweise ein viel besseres Programm als ARD und ZDF. Von den privaten will ich mal gar nicht reden :P

ISA (02.03.2005)

Wahnsinn! Deine Geschichten sind einfach klasse! Ich habe Tränen gelacht. Da kann man nichts besser machen!
Übrigens, ja, Georg Schramm gehört zum Team vom Scheibenwischer.


Chris Stone (02.03.2005)

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