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Eindrücke

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
© Aphril
Ich wandte den Kopf nach rechts und sah den Tod kommen – in Gestalt eines roten VW Golfs.

Ich saß mit Nico in seinem neuen Auto; gerade hatte er sich einen gebrauchten BMW gekauft und mich zu einer ersten Spritztour eingeladen. „Zur Einweihung“, hatte er lachend gesagt. Als wir an dieser Kreuzung in der Ehrenbacherstraße - nur ein paar Straßen von meinem Haus entfernt, bei dem Bäcker, bei dem ich jeden Sonntag meine Brötchen holen gehe – abbogen, nahm der Fahrer uns die Vorfahrt.

Ich hatte immer ein kleines, etwas langweiliges, aber doch recht beschauliches Leben; es war nicht sehr spektakulär, ich hatte die Welt noch nie verändert, war noch niemandem in besonderer Weise aufgefallen. Hätte ich vielleicht ab und zu mal ein bisschen Geld spenden sollen? Hätte das meinen Tod erträglicher gemacht? Oder hätte ich vielleicht diesen scherzhaften Gedanken, den jeder einmal hegt, einmal eine Bank zu überfallen, in die Tat umsetzen sollen? Dann säßen Nico und ich jetzt in meinem Ferrari und nicht hier in diesem dem Tode geweihten Wagen…
Ich war nicht berüchtigt, hatte es versäumt, berühmt zu werden; um mich würden nur einige Freunde trauern. Meine Eltern waren schon vor einigen Jahren verstorben, Geschwister hatte ich keine. Jetzt bereute ich all dies … aber im gleichen Moment war es fast tröstend zu wissen, dass wenigstens ein solcher Tod mein Lebensende nicht mehr so durchschnittlich erscheinen lassen würde.

Nico hatte keine Schuld. Er sah es nicht einmal, bemerkte es erst, als die beiden Wagen fast
völlig ungebremst mit einem ohrenbetäubenden, schmerzhaften Lärm ineinander krachten. Das Metall der Karosserie bog sich widerwillig kreischend unter der Wucht des Aufpralls nach innen, die scharfen Metallteile, die aus dem Ganzen heraus brachen, glitten durch unser Fleisch als ob es aus Papier wäre.
Der stahlblaue BMW, Nicos ganzer Stolz, sollte sich nicht als außergewöhnlich stabil, nicht als unser Lebensretter erweisen.

Nach dem gewaltigen Krach brach plötzlich eine ebenso schreckliche Stille über uns herein. Die beiden Fahrzeuge waren zum Stehen gekommen, fast bis zur Unkenntlichkeit verformt. Dem Fahrer des roten Golfs schien es nicht viel besser zu ergehen als uns; auch sein Auto war kaum noch als ein solches zu identifizieren. Geschah ihm recht!

Die Schmerzen in meinem Körper hatten sich bis zu einer unermesslichen Qual gesteigert; ich sehnte mich danach, in die erlösende Ohnmacht zu fallen, aber noch spürte ich alles um mich herum so befremdend intensiv wie noch nie zuvor. Ich roch den Geruch meines eigenen Blutes und den Nicos, und es benebelte meine Sinne wie im Rausch; eine ungeheure Scharfsinnigkeit, so glaubte ich, ließ mich die beiden Gerüche voneinander trennen. Ich fühlte angenehm warmes Blut meine Stirn herab rinnen. In meinem Mund schmeckte ich plötzlich wieder die letzten feinen Spuren einer schön fruchtigen Erdbeere, die ich noch kurz vor dem Unfall mit großem Genuss gegessen hatte. Dazwischen mischte sich ein übelkeiterregender Geschmack von Blut und Schmutz.
Ich sah Nico bewegungslos neben mir; seine rechte Hand war abgetrennt, ich konnte sie zwischen dem, was ehemals Gas – und Bremspedal gesehen war, liegen sehen. Ich musste würgen vor Ekel und Abscheu.

Es schienen nur Augenblicke dieser bedrückenden Stille vergangen zu sein, als heulende Sirenen sich schnell näherten. Sie waren das letzte, was ich noch wahrnahm. Bald umfing mich die befreiende Ohnmacht, die mich alles vergessen ließ.
 
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Kommentare  

Ich muss Lena recht geben. Ziemlich trocken.
Für die letzten Gedanken einer Sterbenden sind da erstaunlich wenig Emotionen drin.


Chris Stone (15.02.2005)

Ehrlich gesagt finde ich das fast zu sachlich geschrieben für so ein Thema...
Aber die Idee ist gut und recht gut umgesetzt. Nur der Abstand zum Geschehen stört mich eben etwas.
Ansonsten meinst du "Stille" wo "Stimme" steht, glaube ich.


Lena N. (09.02.2005)

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