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5 Seiten

Traveling (1)

Romane/Serien · Nachdenkliches · Sommer/Urlaub/Reise
„Charles, das meinst du doch nicht ernst. Bitte, bitte sag mir, dass du das nicht ernst meinst“, heulte mir meine beste Freundin Nic ins Telefon.
„Ach komm schon! Ich will doch nur für drei, vier Monate weg von hier. Ich habe genug Geld gespart und wollte es schon immer mal tun. Und dass ich meine Job jetzt an den Nagel gehängt habe kommt mir auch zugute!“
Das stimmte. Vor zwei Tagen war ich ins Büro meines Chefs gegangen und sagte zu ihm: „Ich kündige, du Arschloch.“ Entschuldigung, das war gelogen. Ich bin zu ihm gegangen und habe gesagt, dass es mir sehr Leid tue, aber dass dieser Job mich unglücklich machen würde und dass ich niemandem zur Last fallen wollt etc… Mein Boss wusste allerdings genau, warum ich nicht mehr dort arbeiten wollte und lächelte nur.
„Charlize Susanna Thompson! DU. WIRST. NICHT. FÜR. EIN. PAAR. MONATE. NACH. AMERIKA. GEHEN, ist das klar“, jedes ihrer Worte kam abgehackt aus ihrem Mund, und drang durch mein uraltes Handy in mein Ohr.
„Ich ruf dich an, bye Nic.“
„Nein, du legst nicht…“, doch ich hatte ihren Anruf schon weggeklickt.
Vor langer Zeit hatte mir ein guter Freund mal gesagt, dass er mich selbst nach der langen Zeit die er mich kannte mich niemals durchschauen konnte, denn ich wäre ein zu geheimnisvoller Mensch. Inzwischen denke ich, dass er Recht hatte. Ich habe ihn übrigens seit gut elf Jahren nicht mehr gesehen oder mit ihm gesprochen. Ich glaube aber, dass er in meinem eigentlichen Heimatland wohnt und seine große Liebe geheiratet hat und inzwischen Vater ist. Aber wie gesagt, ich weiß nichts davon.
Ich sah mich um in meiner Wohnung. Sie war klein, unaufgeräumt (genau wie es meine Mutter vorhergesagt hatte), dunkel und unfreundlich. Ich liebte es. Nicht weil es so ein trauriges Flair ist, sondern weil es die erste Wohnung war, die ich in London gefunden hatte, nachdem ich hierher gekommen war. Und außerdem war sie billig, obwohl ich mir von meinem Gehalt als Hotelmanagerin ein sehr viel größeres Apartment hätte leisten können.
Ich liebte auch meine Nachbarn. Da hätten wir Mr. Tyler über mir, der sich immer darüber beschwerte, unter mir Mr. Und Mrs. Jameson die immer alles mit Schmuck präparierten (zu Weihnachten mit Weihnachtsschmuck, zu Sylvester mit Sylvesterschmuck, zu Ostern mit Osterschmuck, zu Halloween mit Halloweenschmuck, zu Thanksgiving mit Truthahnaufklebern, usw.), und mit mir im selben Stock Miss Owen, die mir manchmal vorkam wie ein weiblicher Mafiaboss…
So sehr ich auch meine Wohngegend liebte, im Moment erdrückte mich alles. Deswegen hatte ich beschlossen Urlaub zu machen. Am besten war sehr weit weg von hier, und da fiel mir meine beste Freundin aus Schulzeiten ein: Tim! Sie wohnte in San Francisco, womit sie sich einen Lebenstraum erfüllt hatte. Also hatte ich ihr eine E-Mail geschickt (Gott ich liebe diesen Ausdruck: E-Mail! Es klingt so professionell, und dass, obwohl ich schon ewig E-Mails versandte, schon seit meinem vierzehnten Lebensjahr), und sie gefragt, ob ich bei ihr für zwei oder auch drei Monate bei ihr wohnen könnte. Sie hatte zu meiner Überraschung und großen Erleichterung mit >Ja, natürlich. Liebe Grüße, Tim< geantwortet. Damit konnte ich jede Menge Geld sparen, und musste nur den Flug bezahlen. Das wiederum würde bedeuten, dass ich, wenn ich zurückkam, noch immer jede Menge Geld auf dem Konto hatte, wenn ich nicht sofort wieder einen Job bekommen würde („Sofort“ ist hier ein relativer Ausdruck und bedeutet länger als fünf Monate). Zu meiner Erleichterung galt ich als eine der besten Hotelmanager in London und würde hoffentlich keine Probleme damit haben.
Das Nic gegen meine Idee war, wusste ich schon, bevor ich es ihr erzählt hatte. Sie hegte Groll gegen alle Amerikaner und alles Amerikanisches, ich weiß allerdings nicht warum.
Auch wenn meine Wohnung als >schäbig< zu bezeichnen war, auf drei Dinge konnte ich absolut nicht verzichten:

1.)Einen riesengroßen Fernseher mit Kabelanschluss (ich würde sterben ohne, das meine ich ernst),
2.) Einen Laptop mit Internetanschluss (das World Wide Web ist nicht nur für meinen Job wichtig, ohne meine geliebten E-Mails ging das Leben nicht weiter)
3.) Meine Matratze, die sündhaft teuer war, aber eigentlich unbezahlbar ist (nach dem Visa – Motto)

Jedenfalls ging ich weiter durch meine Wohnung, ich war auf Jagd! Alles was mich an Ben erinnerte sollte weggeschmissen werden! Ich war eben ein Mensch dieser Art, der auch bei einer noch so kurzen Beziehung seine Trauerphase hat, und meine letzte Beziehung – eben die mit Ben, dem Arsch – habe ich vor genau drei Tagen beendet. Besser gesagt er hat sie beendet. Nein, das stimmt auch nicht ganz. Eigentlich wurde sie beendet.
Meine Vergangenheit spielt dabei eine große Rolle. Als ich sechs war und gerade in die Schule kam, war ich ein wenig später als die andern Kinder gekommen und so war ich die letzte, die sich einen Platz suchen musste. Soweit ich mich erinnere waren noch mehrere frei, aber ich setzte mich zu einem braunhaarigen Mädchen, dessen Name Sara war, und schon nach kurzer Zeit freundete ich mich mit ihr an. Eigentlich eine rührende Geschichte, soweit. Aber leider war ich damals ziemlich willensschwach und war wie ein treuer Hund, der seinem Herrchen überallhin folgt. Ich bin nicht stolz darauf, aber Sara war der bestimmende Part in dieser Freundschaft, und sie kostete es voll aus. Eines Tages setzte ich mich zur Wehr: Wir machten in der vierten Klasse einen Ausflug zum Eislaufplatz und sie wollte unbedingt Eishockey spielen, während ich mich als „Eiskunstläuferin“ probieren wollte. Früher war es normal, dass wir zwei als beste Freundinnen IMMER dasselbe machten. Wir stritten uns und plötzlich stand ich allein da. Meine Loyalität ich gegenüber hatte es mir verboten anderer Freundschaften zu schließen und so stand ich vollkommen verlassen da, während sie sich zu den Zicken Isa und Kathrin gesellte. Ich war damals am Boden zerstört, und wusste nicht was ich tun sollte. Das war der Zeitpunkt, an dem ich lernte, dass nicht alles mir gehören konnte. Und als ich mich mit anderen Mädchen anfreundete kam Sara zurück mit der Erklärung, dass es ihr nur darum gegangen war, Jungs zu beeindrucken. Auch wenn ich sie an dem Zeitpunkt hasste war ich heilfroh gewesen, dass sie sich entschied zu mir zurückzukommen und erneut wurden wir beste Freundinnen. Als wir jedoch ins Gymnasium kamen machte ich denselben Fehler nicht noch mal. Ich suchte mir auch andere Freunde. Sara wurde eifersüchtig und suchte sich eine neue beste Freundin. Ich trauerte ihr nicht nach, aber ab dem Zeitpunkt waren wir Erzfeindinnen. Eineinhalb Jahre später zog ich mit meiner Mutter in eine andere Stadt und ich hörte fast vierzehn Jahre lang nichts mehr von Sara. Und dann – wie ein Erdbeben – war sie plötzlich in London! Die Rivalitäten hatten sich nicht beruhigt und sie hatte es geschafft mir meinen Freund, Ben, innerhalb von zwei Wochen auszuspannen.

Ich fand auf meine Jagd noch zwei Hemden von Ben und ein gerahmtes Bild, auf dem ich und er (knutschend) inmitten einer Menge von vorbeiziehender Menschen von Nic fotografiert worden sind.
Jetzt mal ehrlich: das ist doch ein schönes Motiv! Ich konnte nicht widerstehen und hatte das Foto gerahmt. Danach hatte ich es allerdings als mein Geheimnis bewahrt, denn Ben war der Aufreißertyp und mochte solchen „Romantik – Kitsch“ wie er es nannte nicht. Ich eigentlich auch nicht. Ich nahm das Bild in die Hand und ging zu meinem Bett mit der viel zu teuren Matratze und legte mich hin. Ich hatte bis jetzt eigentlich keine Zeit gefunden um mich schlecht zu fühlen. Und als ich dieses Foto so betrachtete wurde mir übel. In meinen Ohren dröhnte Dido´s Here with me und ich legte mich hin und dachte nach. Ich bin einer der Menschen, die es hassen heulen zu müssen, aber ich hatte dieses üble Gefühl im Bauch, und das störte mich noch mehr. Was ich aber noch mehr hasste war, dass es jemanden gibt, der dieses Gefühl in mir auslöst und plötzlich war ich wütend. Ich stand auf, das Bild in der Hand, und ging zum Fenster, das ich öffnete und dieses Scheiß –Bild mit voller Wucht auf den Betonboden unter dem Fenster schmetterte. Der Rahmen zersprang aber das Bild blieb unbeschadet. Und plötzlich ergriff mich tiefe Verzweiflung und ich begann zu packen, denn meine Tränen wollte ich nicht für diesen Flachwichser rollen lassen.

Zwei Tage später fuhr mich Nic zum Flughafen.
„Du weißt, dass ich dagegen bin, oder“, sagte sie.
„Ja, natürlich. Aber ich kann nicht hier bleiben.“
„Aber du lässt sie gewinnen!“
„Sara ist mir egal. Nicht sie war Schuld, denn wäre ich an ihrer Stelle gewesen…“
„Du bist nicht sauer auf sie?“
„Nein, aber auf Ben. Aber er wird schon merken, was er da angestellt hat, denn sie wird ihn fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Er bekommt schon noch, was er verdient“, schloss ich, dann kehrte Stille ins Auto und ich drehte den Radio an.
Am Flughafen angekommen verabschiedete ich mich von Nic und stieg ins Flugzeug. Ohne Tränen ohne lange Reden.

Kaum im Flugzeug eingestiegen verirrte ich mich auch schon und eine der hübschen, blonden Stewardessen musste mir auf meinen Platz helfen. Kaum zu glauben, aber ich hatte alles Nötige in EINEN Koffer quetschen können, plus Handgepäck. Ich dachte noch ein wenig darüber nach, ob ich auch wirklich alles eingepackt hatte, aber mir fiel absolut nichts ein, was ich noch brauchen könnte. Und da ich nach Kalifornien flog würde ich auch nicht allzu viele Jacken brauchen wie im kalten England.
In meinem Handgepäck hatte ich meinen tragbaren CD – Player mitgenommen und ein paar CDs dazugesteckt. Nach kurzem Zögern entschied ich mich für meine Lieblingsband: Die Goo Goo Dolls. CD rein, Kopfhörer auf. Dabei war das Flugzeug noch nicht mal gestartet.
Ich merkte kaum etwas, bis mir plötzlich jemand auf die Schulter tippte. Ich sah auf und blickte einem Typen ins Gesicht. Ich setzte meine Kopfhörer ab und er fragte: „Entschuldigen Sie, aber würden Sie bitte mit mir Plätze tauschen? Ich sitze nur ungern am Gang.“
Mir fielen zwei Merkmale auf: Dass der Typ 1.) einen sehr komischen Akzent hatte, meinem sehr ähnlich (ich sprach das meiste in britischen Englisch, aber ich hatte obwohl ich nie in Amerika gewesen war einen amerikanischen Akzent, was bedeutete, dass ich >can`t< und >stand< mit „ä“ statt mit „a“ aussprach) und 2.) kam er mir irgendwie bekannt vor.
„Ja, klar. Kein Problem“, antwortete ich.
Also stand ich auf, der Typ setzte sich auf den Fensterplatz und ich mich auf den Gangplatz. Ich musste zugeben, dass der Typ wirklich gut aussah. Er hatte einen schönen Teint, nicht so bleich wie ein normaler Engländer. Er hatte nussbraunes Haar, das jedoch von einem blaugrauen Tuch verdeckt wurde. Das Tuch betonte sein schönes Gesicht. Er hatte fast schwarze Augen. Auf Oberlippe und auf dem Kinn wuchs ein brauner Bart, der Rest war allerdings glattrasiert. Und auch, wenn er nicht volle Lippen hatte waren sie doch verführerisch. Er trug ein einfaches schwarzes Shirt und eine Levis Jeans. An den Füßen fielen mir Converse auf. Anscheinend merkte er, dass ich ihn musterte, denn er lächelte verschwörerisch. Ich wollte ihn schon fragen, woher er kam, aber er kam mir zuvor: „Sagen Sie mal, woher kommen Sie? Sie haben einen seltsamen Akzent“, seine Stimme war wundervoll.
Ich zögerte einen Moment, denn ich hatte das Gefühl, ihn irgendwie zu kennen, konnte ihn aber nicht einordnen.
„Aus Österreich“, lachte ich, „das ist ein kleines Land südlich von Deutschland und östlich zur Schweiz.“
„Na so was“, antwortete er auf Deutsch, „ich auch!“
 
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