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23 Seiten

Gefallener Engel

Romane/Serien · Fantastisches
Kapitel 1:
Der gefallene Engel


Joanna öffnete die Augen. Um sie herum war es dunkel und kalt. Sie spürte keinen Schmerz, doch überall war Blut. Sie konnte sich an die Schreie und Rufe erinnern, doch wo war sie? Es gab eine Schlacht zwischen den Engeln und den Dämonen, sie war im Kampf gefallen. Ein Dämon hatte mit seinem Schwert ihr Herz durchbohrt. War sie tot? Sie musste tot sein, keine Kreatur kann ohne Herz leben, auch kein Engel. Aber sie lag am Boden und atmete...wie war das möglich? Ihre weiß-goldenen Federn waren durchnässt und scharlachrot. Ihr Körper war taub, sie konnte sich nicht bewegen. Aber sie konnte sehen. Und was sie sah, war grauenvoll. Tränen liefen ihr über das Gesicht. Alle Krieger ihres Volkes waren tot. Brutal ermordet von Dämonen. Sie wusste was mit Engeln geschieht, die von Dämonen getötet werden, ihre Seelen werden böse und ihre Körper werden unrein, also werden sie selbst zu Dämonen. Doch was würde mit ihr geschehen? Sie war nicht tot, aber schwer verwundet. Was passierte mit Engeln wie ihr? Sie hatte es einst von ihrer Mutter erfahren, doch sie konnte sich nicht erinnern, es war zu lange her. Jetzt lag sie im Dunklen und kannte ihr nahes Schicksal nicht. Panik packte sie, und doch konnte sie nicht schreien, denn etwas zog ihre Kehle zu und ließ sie keinen Laut herausbringen. Auf einmal hörte sie eine Stimme aus dem Nichts. Eine tiefe, ruhige Stimme.
War das die Stimme Gottes?
Ehe sie weiterdenken konnte, erstarrte sie. Die Stimme verkündete ihr Schicksal. Und dieses war nicht rosig:
"Weder Dämon noch Engel wirst du sein,
Was du bist weißt nur du ganz allein,
Zwei Seelen und ein wandelnder Körper,
Dein Schicksal wird dein ewiger Kerker,
Ein Heilmittel das gibt es nicht,
Diese Zweite Seele wohnt in dir, und dass EWIGLICH!"
Joanna hatte Angst. Ihr Schicksal ihr ewiger Kerker... das konnte nicht sein, und doch war es so. Sie war verzweifelt. Es war schrecklich. Sie würde weder Dämon noch Engel sein...sie würde immer allein sein. Bis in alle Ewigkeit. Sie schloss die Augen und hoffte inständig, sie würde in ihrem Bett aufwachen und alles wäre nur ein Traum gewesen, ihre Mutter würde sie wie jeden Morgen wecken und zur Alchemie-Lehre schicken. Als sie die Augen wieder öffnete, traute sie ihnen nicht. Ihre Wunden waren geheilt und ihre Flügel wieder leicht und strahlend. Doch als sie aufstehen wollte, fiel ein schrecklicher Schmerz über sie her. Er raubte ihr fast den Verstand. Es fühlte sich an als würde ihr Herz mit der bloßen Hand aus ihrer Brust gerissen und als ob stumpfe Messer in jeden Teil ihres Körpers gerammt würden. Sie öffnete den Mund um zu Schreien, doch wieder entglitt kein Laut ihrer Kehle. Diese Schmerzen waren unerträglich, würden sie je wieder aufhören? Doch auf einmal kam ein Wind auf, der Schmerz verschwand. Ihr goldenes Haar wehte um ihren Kopf und sie stand aufrecht. Wie war das passiert? Wie war sie auf die Füße gekommen? Ihre Flügel flatterten im Wind, doch sie waren nicht mehr mit weiß-goldenen Federn besetzt, sondern pechschwarz und ledrig. Dämonenflügel! Die Verwandlung fing an. Doch das durfte nicht geschehen, sie wollte nicht. Ihr Haar, vorher golden und glatt, wurde schwarz und lockig. Ihre strahlend blauen Augen, wurden Dämonengrün und...ihr Herz, ihr Herz, so fühlte es sich an, gefror zu smaragdgrünem Eis. Sie wurde zum Dämon, boshaft und unrein. Was würde nun geschehen? Ihre Sinne schweiften ab. Sie war umhüllt von Nebel. Alles drehte sich. Dann hörte sie ein Lachen, es war ein böses Lachen und es kam aus ihrer Kehle. Doch sie war es nicht, die lachte. Es war die Dämonin, jetzt verstand sie auch den Satz "Zwei Seelen und ein wandelnder Körper". Sie musste sich mit der Bestie einen Körper teilen. Jetzt kam ein Bruchstück dessen, was ihre Mutter ihr erzählt hatte, in den Sinn. Bei Tag ein Engel, bei Nacht eine Bestie. Das war alles. Alles woran sie sich von den Erzählungen ihrer Mutter erinnern konnte. Doch in dem Moment riss ein Ruck sie aus ihren Gedanken. Die Andere war losgeflogen. Sie flog zum Dämonenberg. Hinter sich hörte sie das Rascheln hunderter Flügelpaare von gefallenen Engeln. Sobald Engel zu Dämonen wurden, flogen sie instinktiv zum Berg. Doch sie selbst durfte nicht dort hin, im Morgengrauen würde sie sich zurückverwandeln, dann würde der Dämonenkaiser sie töten und sie würde voll und ganz zum Dämon werden. Das durfte nicht geschehen!
Sie schrie: „Halt an! Wir fliegen nicht zum Berg! HALT AN!!!“
Wieder ein Ruck, die Dämonin stürzte ab und fing sich an einem Baum ab.
„Was machst du in meinem Kopf?“ Fragte sie stoßweise. „Wer bist du? Was soll das?“
Joanna war überrascht, von einem Dämon hätte sie einen solchen Schock nicht erwartet.
„Antworte mir!“ Kreischte die Dämonin.
„Ich bin die, der dieser Körper ursprünglich gehört. Es gibt dich, weil ich im Kampf gefallen bin! Wundere dich nicht, dass ich noch da bin, aber ich war nicht tot, sondern schwer verletzt. Du teilst einen Körper mit mir.“ Beantwortete Joanna ihre Frage. “Und schrei nicht so, ich höre dich sehr gut.“
Die Dämonin entgegnete nur: „Aha.“
Joanna wurde es zu bunt, was sollte das? Die Dämonin hatte eben erfahren, dass sie ihren Körper mit ihrem Todfeind, einem Engel, teilen würde und entgegnete nichts weiter als "aha“? Das konnte einfach nicht sein.
Plötzlich sprach die Dämonin weiter: „Du hast Recht Engel,
so können wir nicht zum Berg fliegen. Sie würden dich sofort an mir riechen und mich töten, also auch dich. Ich tue das nicht für dich, sondern um mein eigenes Leben zu schützen.“
Damit hatte Joanna nicht gerechnet, soviel Vernunft hatte sie bei einem Dämon nicht erwartet. Sie hatte Kreischen, Brüllen oder sonst was erwartet, aber keine vernünftige Antwort. Hatte sie sich vielleicht ein falsches Bild von Dämonen gemacht?
„ Wir müssen zum Wald fliegen, hier ist es für uns zu gefährlich. Irgendwann werden sie bemerken, dass in mir ein Engel steckt.“
Schon wieder wurde Joanna von dieser Welle des Erstaunens überrollt, die sie überkam, als sie hörte wie vernünftig diese Dämonin war. Ein Ruck holte sie aus ihrer Überlegung. Die Dämonin hatte ihre Flügel gespannt und war losgeflogen. Joanna sah durch die Augen der Dämonin, sie hörte durch ihre Ohren, sie roch durch die Nase der Dämonin. Es war unglaublich. Sie waren eins, und dennoch ein so krasser Kontrast wie Tag und Nacht. Doch als sich Joanna genau umblickte, erkannte sie den Weg nicht mehr. Die Bäume waren dunkel und gespenstisch, die Erde war smaragdgrün und es war keine Kreatur weit und breit zu sehen.
„Das ist nicht der Weg zum Feenwald.“ Sagte Joanna zu der Dämonin.
Der Feenwald war hell und wunderschön. Saftig grüne Wiesen und Bäume. Bunte Blumen, rauschende Bäche und kleine strahlende Feen, die überall umherflogen. Es war der Treffpunkt der Engel, um auszuspannen und zu picknicken.
„Ich habe nicht vor zum Feenwald zu fliegen und mich den Engeln auszuliefern.
Wir fliegen zum Wald des Schreckens. Und das ist nun mal der Weg dort hin.“ Sagte die Dämonin seelenruhig.
„WAS?! Das darf doch wohl nicht wahr sein! Ich bin ein Engel, mir ist es verboten, diesen Wald zu betreten! Dreh um! Ich bitte dich! Dreh um! So dreh doch um!“
Doch die Dämonin scherte sich nicht darum ob es Engeln nun verboten war, den Wald des Schreckens zu betreten oder nicht. Sie hasste Engel. Sie hatten ihr damals alles genommen. Ihre Familie, ihre Freunde und schließlich auch ihr Leben. Sie wurde wiedergeboren und musste sich ihren neuen Körper mit einem Engel teilen, trotzdem würde sie ihr Betteln ignorieren und sich nicht darum scheren ob sie zum Wald des Schreckens wollte oder nicht. Der Hass zu den Engeln saß zu tief, als dass sie jetzt hätte nachgeben können. Dieser dumme Engel dachte tatsächlich sie hätte Angst um ihr Leben gehabt und das der Grund dieser Route wäre, doch es war vollkommen anders. In Wirklichkeit wollte sie nicht im Wald Unterschlupf suchen, sondern ihn nur durchqueren. Sie wusste wo sie hinwollte, dieser Engel hatte nämlich eine falsche Meinung. Sie musste dorthin, um dem Engel das Gegenteil zu beweisen, wenn sie es ihr nur sagen würde, würde sie es nicht glauben. Sie stutzte.
„Sag mal Engel, wie heißt du eigentlich?“
„Joanna. Und wie ist dein Name Dämon?“
„Alira.“
Joanna überlegte. Alira…sie hatte einmal das Wort Alire gehört, doch sie konnte sich nicht an seine Bedeutung erinnern. Die Dämonin wandte sich nach unten und landete elegant auf dem mit grauem Moos bewachsenen Boden. Es war tiefe Nacht. Im Morgengrauen würde Johanna wieder die Kontrolle über den Körper übernehmen. Doch bis dahin war sie noch viele Stunden dem Willen Aliras schutzlos ausgesetzt. Sie konnte zwar protestieren, aber nichts unternehmen, Alira würde sie sowieso ignorieren. Plötzlich schaute Alira auf und Joanna erstarrte. Vor ihnen lag ein dichter, schwarzer Wald.
„Das ist er, der Wald des Schreckens!“ Sagte Alira.



Kapitel 2:
Der Wald des Schreckens


Ein zweites Mal während einer Stunde ergriff Panik von Joanna Besitz. Um keinen Preis der Welt wollte sie in diesen Wald. Den Wald des Schreckens zu betreten war für Engel das Brechen von einem ihrer höchsten Gebote. Ihre restlichen Verwandten, die keine Krieger waren und somit überlebt hatten, würden sie verstoßen und sie nie wieder sehen wollen…doch plötzlich ging ihr etwas durch den Kopf. Sie war ein halber Dämon, sie konnte nicht zu ihrem verbliebenen Volk zurück, um ihnen mitzuteilen, dass sie als einzige überlebt hatte. Sie konnte ihnen nicht sagen, dass alle Krieger, auf die das Volk all seine Hoffnung gesetzt hatte, zu Dämonen geworden waren und sie zur Hälfte. Das konnte sie einfach nicht. Sie würden sie töten, ehe sie zu Ende gesprochen hätte. Sie hätten kein Mitleid mit ihr, sondern würden sich fragen, wie sie es wagen konnte, ihnen mit solch einer Nachricht unter die Augen zu treten. Also war es egal. Es war völlig egal, ob sie das Gebot nun brach oder nicht. Sie würde sowieso verstoßen werden. Nein, sie war schon eine Verstoßene. Sie konnte nie wieder zurück.
„Was ist mit dir? Ich höre ja gar keinen Potest mehr. Wie gefällt er dir, der für Engel verbotene Wald, der Wald des Schreckens?“
Joanna erschrak. Ihr war nicht aufgefallen, dass Alira schon in den Wald hineingeflogen war. Und dass Alira mit ihr sprach, erstaunte Johanna noch mehr. Sie blickte sich um. Dieser Wald machte seinem Namen wirklich alle Ehre. Die Bäume waren mindestens 60m hoch und ihre Blätter pechschwarz. Der Boden war einer Farbe von kaltem Grau und mit grau-silbernem Moos bedeckt. Hier und da waren Sümpfe, die mit grünem Schlamm und grauem Wasser gefüllt waren und bedrohlich brodelten. Unter manchen Bäumen lagen Knochen von Tieren und anderen Geschöpfen. Vermutlich auch von Engeln. Es gab auch Knochen, die denen der Engel glichen. Doch sie hatten eine Abwandlung. Sie waren etwas dicker und vermutlich schwerer.
„Was…“ Fing Joanna an.
„ Menschenknochen.“ Antwortete Alira bevor Joanna auch nur ihre Frage gestellt hatte.
„Hier kommen Menschen her?“ Fragte Joanna.
„ Ja, die Frage ist nur ob sie es freiwillig tun.“ Antwortete Alira.
„Ob sie es freiwillig tun?“ Fragte Johanna verwundert.
Dieser Engel wusste wirklich von nichts außerhalb des Feenwaldes.
„Sie kommen zum Beispiel nicht freiwillig her, wenn sie entführt werden. Hier gibt es genug Kreaturen, die Menschen fressen. Genauso viele wie von denen, die euch Engel jagen.“
Joanna hatte keine Lust mehr, mit Alira zu sprechen. Sie fühlte sich ausgelaugt und leer. Sie hatte sich noch nicht vollkommen von der Schlacht erholt. Körperlich schon, aber seelisch nicht. Sie war müde. Alles verschwamm vor ihren Augen. Zurück blieb nur die Dunkelheit.
Albträume schüttelten sie. Sie sah Bilder der Schlacht. Dämonen und Engel kämpften auf der Erde und in der Luft.
Schreie erklangen und Blut spritzte. Das meiste war von Engeln. Das Schlachtfeld war flammendrot und ein Engel nach dem anderen viel zu Boden. Dann kam sie an die Reihe. Mit ihrem Schwert stürzte sie sich auf den Dämon der ihre Mutter umgebracht hatte, und tötete ihn. Doch dann, wie aus dem Nichts, durchbrach eine Klinge ihre Brust. Ein Dämon, der seinen Freund rächen wollte, hatte ihr von hinten sein Schwert in den Rücken gerammt und es war vorne durch ihre Brust wieder herausgekommen. Von der Spitze, auf die sie hinabstarrte, floss ihr scharlachrotes, heißes Blut in Strömen hinunter. Dann zog der Dämon das Schwert wieder heraus. In Joannas Brust blieb ein durchgehendes Loch zum Rücken zurück. Ihre Rüstung, die sie über ihrem Gewand trug, wurde ihr heruntergerissen und mitgenommen. Ihr strahlend weißes Gewand färbte sich rot und sie lag am Boden. Sie hatte nicht vernommen, wann sie heruntergefallen war. Der Schmerz hatte von ihr Besitz ergriffen, doch nicht lange und er wich einer Dunkelheit, von der ihre Sinne und Gedanken verschlungen wurden.
Joanna riss die Augen auf. Sie lag auf einer Lichtung an einem Abhang. Dunkles Gras umgab sie und in der Ferne plätscherte ein Bach. Sie hatte sich zurückverwandelt.
„Na, ausgeschlafen?“ Tönte Aliras Stimme aus ihrem Kopf.
„Äh... ja danke. Wo sind wir?“ Fragte Joanna verwirrt.
„Auf einem Berg, wir haben den Wald letzte Nacht passiert. Ich wollte dir noch sagen, dass wir hier rasten, aber du hast ja schon seelenruhig geschlafen.“
Von wegen seelenruhig, dachte sich Joanna. Sie hatte die ganze Nacht die Schlacht noch einmal durchlebt.
„Und wohin jetzt?“ Fragte sie Alira stattdessen.
„Du verfolgst ja anscheinend ein bestimmtes Ziel, auch wenn du es mir nicht preisgeben willst Alira.“
Erwischt, dachte sich Alira. Verdammt, was mussten Engel auch so scharfsinnig sein.
„Jaah, das tun wir. Wir müssen als nächstes über den Bergpass laufen bis wir zum roten Wasserfall kommen. Also, ich bin gestern Nacht durch diesen verfluchten Wald geflogen und du gehst jetzt über den Bergpass. Wenn du zweimal rastest um zu trinken ist es ein Tagesmarsch bis zum Wasserfall.“ Sprach Alira munter drauf los.
„WAS?? Ich darf nur zweimal am Tag etwas trinken? Spinnst du? Ich laufe im grellen Sonnenlicht.“ Regte sich Joanna auf.
„Du kannst doch sicher auch beim Laufen trinken. Ihr Engel seid doch so toll in Allem.“
„Ist ja schon gut Alira, ich mache es ja.“
„Na also Joanna, warte mal. Joanna, das klingt so lang und langweilig. Wie wäre es mit einem Spitznamen? Hmm... aber was für einer? Joanna…Joa... Anna…Das ist es ! Ich nenne dich ab jetzt Anna Engelchen.“
Joanna resignierte.
„Dann nenne mich halt Anna ist mir egal.“
Alira war erstaunt darüber, dass ihr Wille kommentarlos akzeptiert wurde, aber bitte sehr, sie würde sich garantiert nicht darüber beschweren.
„Na dann lauf mal los Anna.“
Vor ihnen lag der Bergpass. Widerwillig lief sie los. Es war schrecklich heiß und die Sonne brannte auf ihren Rücken, während sie Kilometer um Kilometer über den schmalen Pass lief. Die Vögel zwitscherten und der Himmel war strahlend blau und klar. Doch plötzlich zerriss ein gellender Schrei die Idylle. Eine Gestalt viel von dem oberen Wipfel des Berges hinab. Joanna breitete die Flügel aus und schnappte beim Fliegen die Gestalt. Es war eine Frau. Sie war etwa in Joannas Alter und trug einen schwarzen Umhang. Vermutlich eine Hexe, dachte sie. Das Gesicht der Hexe war schmerzverzerrt und sie wimmerte. Die Ursache war ein Pfeil, der in ihrer Schulter steckte, und dass ziemlich tief. Joanna war schon zu weit gelaufen, als dass sie zu der Lichtung, an der sie losgelaufen war, zurückkehren konnte. Also musste sie die Fremde wohl oder übel solange auf dem Rücken tragen, bis sie die nächste Lichtung erreichen würden. Sie wollte nicht fliegen, da diese Tätigkeit mit einer Last mehr Kraft kostete als laufen. Vorher war sie nicht geflogen, weil sie in dieser tristen, grauen Landschaft mit ihren weißen Flügeln sofort aufgefallen wäre. Ihr Gewand viel nicht mehr auf, es hatte sich von der Erde auf dem Schlachtfeld grau-braun gefärbt, also war sie gut angepasst, da die Farbe mit der der Felswand übereinstimmte und sie ihre Flügel in ihren Rücken einziehen konnte und sie somit nicht vorhanden waren. Die Fremde auf ihrem Rücken würde eigentlich auch nicht sonderlich auffallen, da sie schwarz trug, aber da war diese winzige Kleinigkeit, die sie etwas auffallen lies, nämlich ihr langes, flammend rotes Haar, das man bestimmt noch auf 2 km Entfernung sehen konnte. Naja, sie würden das schon irgendwie schaffen. Dann schaltete sich Alira ein. Das hatte Joanna gerade noch gefehlt.
„Wirf sie von der Klippe, sie wird alle Aufmerksamkeit auf dich lenken Anna.“
„Nein, das werde ich nicht tun.“
„Warum?“
„Alira ich kann sie nicht einfach runterwerfen, sie ist verletzt.“
„Komm schon Anna, die Dämonen sind uns auf den Fersen, wir können es uns nicht leisten, Zeit zu verlieren.“
„Alira, sei still. Ich weiß schon was ich tue. Ich werde sie versorgen und auf der nächsten Lichtung zurücklassen. Ist das jetzt klar?“
„JA doch.“ Antwortete die Dämonin gereizt.
Dieser Engel war sowas von stur. Aber was konnte sie schon unternehmen. Na warte, wenn die Nacht erst einbricht Engelchen. Dachte Alira und ließ Joanna in Ruhe.
Der Weg war anstrengend und das zusätzliche Gewicht am Rücken half Joanna auch nicht gerade dabei, ihren Tag in vollen Zügen zu genießen. Das Gegenteil war der Fall. Sie schleppte sich ab und der Schweiß rann in Sturzbächen von ihrer Stirn. Das war ja mal wieder ganz toll.
„Tja, du hättest sie eben doch von der Klippe werfen sollen Anna, stattdessen hast du es vorgezogen sie zu tragen. Das ist ja widerwärtig wie hilfsbereit ihr Engel seid. Hoffentlich bezahlen die ‚armen, hilflosen’ Opfer ordentlich für den Samariterdienst.“
„Wir Engel helfen nicht gegen Bezahlung, wir tun es umsonst und aus freien Stücken.“
„Was!? Ihr macht das umsonst? Ihr seid ja wirklich noch blöder als Trolle! Und das will was heißen! Sogar Trolle wissen, wie man sich selbst einen Gefallen tun kann…also ihr Engel seid echt….“
„Alira das reicht jetzt.“
„Ich meine ja nur…“
„HALT DEN RAND!!!! Es reicht mir langsam mit deinen Beleidigungen, was soll der Mist überhaupt?“
„Das sind keine Beleidigungen, das sind Feststellungen.“
„Sei still !“ Joannas Stimme klang so flehentlich, dass Alira tatsächlich aufhörte. Wunder!

Als sie an der nächsten Lichtung ankamen war es schon später Nachmittag. Bis zum roten Wasserfall waren es nur noch einige Kilometer, da sie bis jetzt noch nicht gerastet hatte, konnte Joanna sich genug Zeit nehmen, um die Wunde der Hexe zu behandeln und um Heilkräuter und Nahrung zu suchen.

Sie legte die Verletzte auf den Boden der Lichtung und ging in den Wald hinein. Obwohl sie schon einmal hindurch geflogen waren, lief ihr in Schauer über den Rücken. Der Wald des Schreckens erstreckte sich noch immer über die Berge und Lichtungen, und es war immerhin der für Engel verbotene Wald. Aber es hatte nun keine Bedeutung mehr ob sie Regeln brechen würde oder nicht. Sie war ja sowieso schon eine Verstoßene. Jedenfalls ging sie tiefer in den Wald hinein und suchte nach Kräutern. Sie fand Limis Azuris, ein Bakterien tötendes Kraut, Wero Zikis, ein Kraut, das Wunden schneller heilen lässt, und Sivio Karute, ein Schlafkraut. Sie ging zurück zur Lichtung, um die Hexe zu behandeln. Sie hockte sich neben die Hexe ins Gras und fragte:
„Wie heißt du?“
„L-Lana.“ Presste sie zwischen den Lippen hervor.
„Ich bin Joanna. Ich werde jetzt den Pfeil aus deiner Schulter ziehen und dann die Wunde behandeln. Das könnte jetzt etwas wehtun aber dann bist du das Ding wenigstens los.“
Lana antwortete mit einem stummen Kopfnicken.
Joanna packte den Pfeil an seinem runden Ende und zog fest daran. Die Hexe schrie auf. Der Pfeil löste sich aus ihrer Schulter und hinterließ eine hässliche Wunde. Joanna drückte die Blüten des Limis Azuris aus und träufelte den Saft auf die Wunde. Die Hexe wimmerte. Dann träufelte sie etwas Wero Zikis Saft auf die Wunde. Anschließend riss sie einen Streifen ihres Gewandes ab, begoss ihn mit Wasser aus dem Bach, beträufelte ihn mit etwas Limis Saft und wickelte ihn um Lanas Wunde. Dann zerrieb sie einige Blätter des Sivio Karute und strich die daraus entstandene, aromatische Masse unter Lanas Nase, sodass diese den Geruch geradewegs einatmete. Während Lana einschlief, saß Joanna im Gras und spielte mit dem Pfeil, der in Lanas Schulter gesteckt hatte, herum. Er hatte eine silberne Spitze, die in einen diamantenen, schimmernden Stab hinüberging. Das Ende des Pfeils machte eine goldene Kugel aus, die mit einigen Edelsteinen besetzt war. Joanna erstarrte und riss ungläubig die blauen Augen auf. Dies war ein Engelspfeil. Aber wie konnte er in Lanas Schulter stecken? Hatte etwa ein Engel einen Pfeil auf dieses süße Mädchen abgeschossen? Das konnte nicht wahr sein. Doch es musste so sein. In der großen Schlacht hatten sie keine Pfeile benutzt, und somit konnten keine anderen Geschöpfe an sie herangekommen sein. Also hatte ein Engel Lana verletzt. Doch warum? Sie konnte sich keinen Reim darauf machen, was das zu bedeuten hatte.
„Das bedeutet, dass Engel miese kleine Ekel sind, die Heilige spielen, obwohl sie keine sind und dich so um den Finger wickeln, und wenn du dich dann von ihnen abwendest rammen sie dir ein Messer in den Rücken.“
„Danke für diese wundervolle Predigt Alira. Das habe ich jetzt unbedingt gebraucht.“
„Gern geschehen Anna.“ Gab Alira zuckersüß zurück.
>So eine Heuchlerin! < Dachte Joanna wutentbrannt. >Die will sich bloß wieder über mich lustig machen. Miese Kuh!<
Sie ging zum Bächlein, das sich immer noch dahinschlängelte. Sie nahm den Pfeil mit um darauf einige Fische aufzuspießen. Als sie zwei Fische hatte, ging sie zu Lana zurück. Diese schlief ruhig. Joanna holte Holz vom Waldrand und legte es auf einen Haufen. Dann legte sie Steine um diese Stelle herum. Sie nahm noch zwei Steine und schlug sie gegeneinander, bis einige Funken auf das Holz herübersprangen. Kurz darauf prasselte ein fröhliches Feuer. Joanna steckte zwei gegabelte Äste in den Boden zu beiden Seiten des Feuers. Anschließend spießte sie die Fische auf einen anderen Stock, den sie mit dem Pfeil zugespitzt hatte, und legte ihn in die Astgabelungen. Von den Fischen, die nun langsam rösteten, stieg ein Geruch auf, der nicht ganz so herrlich war wie der, der aufstieg als ihre Mutter zuhause gekocht hatte. Um die Wahrheit zu sagen, roch es eher nach… verbranntem Gummi.
>Naja, wenigstens ist es etwas Essbares. < Dachte sie sich.
„Ich weiß nicht so recht, meinst du wirklich es ist essbar jetzt wo du es angepackt hast?“
„Ja, Alira, ich denke schon.“ Sagte Joanna kühl. „Ich mache das wohl besser als du, du würdest sie von der Klippe werfen, du gefühlsloser Klotz!“
„Es hat seine Gründe, dass ich gefühllos bin Anna.“ Erwiderte sie. In ihrer Stimme war ein leichter Hauch von Gefahr zu vernehmen. „Dann kann mich nichts verletzten, wenn mir nichts etwas bedeutet. Mir ist das nämlich schon zu oft passiert.“ Fügte sie hinzu. „Also kann ich nichts dabei verlieren, vor allem verschwende ich keine wertvolle Zeit mit alberner Gefühlsduselei.“ Sagte sie scharf. Sie spielte wohl auf Joannas Hilfe für die Hexe an.
>Arme Alira< Dachte Joanna. >Jemand muss sie einmal sehr verletzt haben, wenn sie sich so verschließt. <
>Wenn die wüsste. < Sagte sich Alira. >Wenn die wüsste…. <.

Kapitel 3:
Der rote Wasserfall


Nach einer unbequemen Nacht auf dem bemoosten Boden der Lichtung öffnete Joanna die Augen. Ihr ganzer Körper schmerzte und sie fühlte sich wie gerädert. Sie sah sich um. Sie war allein. Wo war die Hexe Lana? Sie war gestern so erschöpft gewesen das sie gar nicht bemerkt hatte wann sie sich verwandelt hatte. Sie hatte es doch nicht geschafft an einem Tag zum roten Wasserfall zu kommen. Soviel zu Aliras Berechnungen. Dann stutzte sie. Sie überlegte. Sie hatte sich verwandelt, Alira hatte Ausgang, die Hexe war weg….Oh Gott!
>Sie hat doch nicht…sie kann doch nicht…. <
„Keine Sorge ich habe sie nicht in den Abgrund gestoßen. Sie ist in den frühen Morgenstunden gegangen und hat etwas neben dir im Gras liegenlassen.“ Sagte Alira gelangweilt.
Wie hatte sie das schon wieder geschafft? Joanna hatte geschlafen und Alira hatte trotzdem alles mitgekriegt was geschehen war.
„Tja, ich bin eben ein Naturtalent.“ Sagte Alira ironisch.
Statt weiter auf Aliras Sticheleien einzugehen sah sich Joanna das Bündel an, das Lana zurückgelassen hatte. Darin waren ein kleiner Beutel mit Menschengeld, ein Fläschchen mit durchscheinender, schimmernder, sattgrüner Flüssigkeit und ein Stück Pergament. Joanna nahm das Blatt zur Hand. Es war eine Botschaft von Lana.

Ich verdanke dir mein Leben Joanna, ich wäre ohne deine Hilfe sicher zu Tode gestürzt. Ich bin froh, dass du anders bist als die anderen deiner Rasse. Ich weiß, dass ich dir meine Rettung nicht zurückzahlen kann, aber ich hoffe, dieses Universal-Gegengift und das Geld werden dir bei deiner Mission helfen. Dir, und deinem anderen Ich. Wahrscheinlich bist du deswegen so anders als die Anderen. Du hast eine gespaltene Persönlichkeit und ein gespaltenes Leben. Ich wünsche euch viel Glück bei eurer Mission und hoffe, dass ihr euer Ziel erreicht. Alira hat mir erzählt wo es hingeht. Es wird eine lange, schwere Reise werden. Viel Glück und noch einmal: Danke für die Rettung.
Habt eine gesegnete Reise!
Lana

„Ihr erzählst du wo es hingeht und mir nicht?“ Empörte sich Joanna. „Ich soll ja schließlich mit!“
„Tja, sie wirkt eben vertrauenserweckender.“ Sagte Alira frech.
„Aha.“ Sagte Joanna knapp. „Dann ist das ja geklärt.“
Sie würde sich nicht provozieren lassen. Diesmal nicht. Alira forderte die Zankerei jedes Mal geradezu zynisch heraus. Sie beschloss den Kommentar einfach zurückzuhalten und stattdessen weiterzuziehen.
„Ist es eigentlich noch weit bis zum roten Wasserfall?“ Fragte sie.
„Naja, eigentlich nur noch einige Kilometer. Das schaffst du doch oder Anna?“
„Jaah….ich werde mich bemühen. Engel sind eben keine Läufer sondern Flieger. Meinst du wirklich ich würde so sehr auffallen?“ Fragte Joanna mit einem Hoffnungsschimmer.
Natürlich zertrampelte und vernichtete Alira diesen Schimmer indem sie sagte: „ Hmm…lass uns mal überlegen…du hast perlweiße, golden schimmernde Flügel und fliegst damit vor einem Felskamm der grau ist…Nein, das fällt doch nie im Leben jemandem auf. Wie kommst du bloß auf sowas?“
„Schon gut, schon gut. War ja nur eine Frage.“ Entgegnete Joanna geknickt.
„Gut, da das jetzt geklärt ist können wir ja weiterziehen. Los, lauf!“
Mürrisch lief Joanna von der Lichtung davon. Sie konnte es einfach nicht fassen. Diese herrschsüchtige Dämonin kommandierte sie herum wie eine Bedienstete. Und sie tat auch noch was sie sagte. Andererseits war Joanna sehr neugierig wo es denn hingehe. Wahrscheinlich befolgte sie deshalb Aliras Befehle (fast) ohne Widerrede. Sie musste unbedingt ihre Geduld behalten. Ansonsten würde sie nur immerzu mit Alira streiten. Und Streit würde sie jedenfalls ganz sicher nicht weiterbringen. Der Bergpass war steinig und staubig. Die Sonne prallte wie auch am vorigen Tag auf ihren Kopf und ihren Nacken. Zum Glück hatte sie auf der Lichtung genug getrunken sonst würde sie jetzt sage und schreibe vertrocknen. Außerdem war es furchtbar drückend. Nach solch einer unerträglichen Schwüle würde ganz bestimmt ein furchtbares Himmeldonnerwetter aufziehen. Da konnten sie sich ja schon mal auf etwas freuen. Hoffentlich gab es am roten Wasserfall eine Höhle.
„Natürlich gibt es dort eine Höhle. Gleich hinter dem Wasserfall. Der bedeckt den Eingang und dieser ist somit praktisch unsichtbar. Zumindest von weitem.“ Das war klar. Alira trieb sich wieder in Joannas Gedanken herum.
„Warum liest du immer meine Gedanken Alira? Ich bleibe deinen doch auch fern.“
„Keine Ahnung. Macht einfach Spaß dich zu ärgern.“ Man konnte das Grinsen aus dem Tonfall von Aliras Stimme förmlich herausspringen hören. Joanna versuchte mühsam ihre Wut zu unterdrücken. Sie ging ohne ein Wort zu sagen weiter. Sie wollte ihre Nervensubstanz nicht an Streitigkeiten mit Alira verschwenden. Sonst müsste sie wohl oder übel in einigen Tagen vor Nervenaufreibung eine Klippe hinunterspringen müssen. Soweit durfte es nicht kommen. Außerdem würde sie auch Alira in den Tod mitnehmen, oder? Wenn ihr Körper am Boden zerschellen würde, könnte er sich nicht verwandeln und auch Aliras Seele hätte keinen Wirt mehr. Doch Joanna würde sich nicht die Schuld an Aliras Tod aufhalsen. Und eigentlich wollte sie selbst auch nicht sterben. Was sollten eigentlich die trüben Gedanken? Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Sie schüttelte energisch den Kopf und konzentrierte sich aufs Gehen. Nach Stunden eisernen Gehens rann ihr der Scheiß in Strömen über Gesicht und Rücken. Sie fragte, ob sie kurz stehen bleiben dürfe, doch Alira meinte, sie solle sich nicht so anstellen, es seien schließlich nur noch ein oder zwei Kilometer. Joannas Füße protestierten angesichts dieser neuen, ungewohnten Anstrengung doch es blieb ihr ja doch nichts anderes übrig. Na toll! Nicht einmal ihre Mutter hatte sie zu etwas gezwungen und dieses Trotzweib tat das, als sei es das Natürlichste auf der Welt andere Menschen herumzukommandieren. Obwohl Engel aus Nächstenliebe niemandem die Krätze an den Hals wünschen sollten, weil sich das nicht gehörte, so wünschte sie sich doch in diesem Augenblick irgendein anderer Engel hätte Aliras Seele in seinem Körper…wenn sie genau darüber nachdachte, jeder außer sie. Sie schämte sich noch nicht einmal deswegen, es war eben ein natürlicher Impuls, dass, wenn man selbst mit abgrundtiefem Pech geschlagen war, wünschte, es wäre bei irgendeinem anderen so. So fühlte sie sich jetzt. Nur das sie beides hatte. Pech UND die Krätze am Hals. Das war ja mal wieder so verdammt typisch. Aber was konnte sie schon dagegen unternehmen? Richtig! Gar nichts. Sie seufzte. Plötzlich spürte sie etwas Nasses an ihrem Busen und hörte Aliras aufgebrachte Stimme.
„Was soll das? Willst du uns umbringen?“ Fragte sie gereizt.
„Nein, was…“ Sie verstummte.
Vor ihr tat sich eine gewaltige Schlucht auf. Sie sah nach oben. Grollend fielen scharlachrote Wassermassen in diese Schlucht hinab. Das musste der rote Wasserfall sein. Der Gedanke, dass sie beinahe in die Schlucht gelaufen wäre, erschreckte sie. Sie hätte sich und Alira umgebracht. Naja! Da war ihr Großmaul doch endlich zu etwas nutze gewesen. Das Wasser war rot, aber nicht durchsichtig wie normales Wasser. Sie fragte Alira was das für eine Substanz sei, bereute dies aber sofort als sie die Antwort hörte. Sie hatte nur vier Buchstaben, doch trotzdem war sie nicht weniger schockierend. Blut. Es war reines Blut, welches von dieser Klippe in die Schlucht stürzte, und einen donnernden Lärm machte. Doch der Wasserfall war doch immer da. Er floss immer. Woher kam also dieses viele Blut? Diese Frage brannte ihr auf der Zunge, doch sie traute sich nicht, sie zu stellen. Sie spürte, dass die Antwort ihr
nicht behagen würde, sie möglicherweise sogar zutiefst erschrecken und schockieren würde. Deswegen hielt sie den Mund. Alira biss sich auf die Zunge. Rein platonisch natürlich. Sie durfte es ihr nicht sagen. Dieser kleine, naive Engel würde es sowieso nicht glauben. Sie war derart unschuldig das es fast wehtat. Zum Glück hatte Alira selbst nur wenig bis überhaupt keine Skrupel, diese Unschuld zu vernichten. Es würde ihr ein Vergnügen sein, sie von ihrer rosaroten Wolke herunterzuziehen und ihr die knallharte, unabänderliche Wahrheit ins Gesicht schlagen zu können. Aber es war noch nicht so weit. Egal. Am Tempel würde sie schon informiert werden. Den Rest würde sie selbst ihr erzählen, dachte Alira. Ihre Zeit der Vergeltung würde schon kommen, auch wenn es nur seelisch war. Doch die Wahrheit hinterlässt manchmal tiefere Wunden als das schärfste Schwert. Das war ihr sehr wohl bewusst. Also würde sie ihre wohlverdiente Rache doch noch bekommen. Nach all den langen Jahren.
„Was wollen wir eigentlich hier?“ Fragte Joanna unsicher.
„Wohl kaum die bezaubernde Umgebung bewundern.“ Sagte Alira mit vor Sarkasmus triefender Stimme.
„Jaja, ist ja okay, kannst du bitte trotzdem antworten?“
„Wir verbringen die Nacht hier, Engelchen. Ich habe keine Lust während dieses Unwetters zu laufen.“
„Aber wenn ich in brütender Mittagshitze laufe ist das okay, ja?“
„Na logisch!“ Damit war das Gespräch für Alira beendet. „Also, los! Geh in die Höhle.“ Befahl Alira.
Joanna ging auf die Felswand zu. Sie presste sich dagegen und erkannte einen schmalen Durchgang, der freigegeben war, weil das Blut in einem bestimmten Winkel fiel. Sie ging durch und kam in die Höhle. Es war möglich, obwohl man nicht von außen hineinsehen konnte, von innen herauszublicken. Der Himmel war jetzt noch dunkler geworden. Dicke Regentropfen fielen jetzt vom Himmel und vermischten sich mit dem Blut.
„Hol die Sachen da hinten.“ Sagte Alira. „Die werden wir brauchen.“
Und tatsächlich. Joanna ging zu einem Häufchen Sachen hinüber, das an der Höhlenwand lehnte. Dort fand sie zwei Wasserbeutel aus Leder, eine Landkarte, einen Kompass, eine Decke und eine Reisetasche, die zwei Träger hatte, damit man sie auf dem Rücken tragen konnte.
„Woher wusstest du… dass diese Sachen hier sein werden?“ Fragte Joanna verwundert.
„Weil ich sie selbst hier abgelegt habe.“
„Was? Aber wann?“ Fragte Joanna verwirrt.
„In meinem letzten Leben… habe ich diese Höhle als Versteck genutzt, wenn ich die anderen nicht sehen wollte, und da wollte ich natürlich nicht ohne Ausrüstung dastehen.“
„In deinem letzten Leben? Aber… warum sind die Sachen dann noch hier?
„Weil es noch nicht so lange her ist, seit ich gestorben bin.“
„Aber du bist doch noch so jung!“
„Das hat meine Mörder nicht gestört.“
Das hatte Joanna nicht erwartet. Alira war ermordet worden? Ihr brannte auf der Zunge, zu fragen, was genau geschehen war, doch sie wollte keine alten Wunden wieder aufreißen und somit alten Schmerz erwecken.
Also nahm sie alle Sachen und verstaute sie im Rucksack. Danach rollte sie die Decke aus. Sie wollte morgen aufbruchbereit sein. Dann legte sie sich hin. Es würde noch ein paar Stunden dauern, bis es Nacht wurde. Doch das Gewitter war jetzt schon voll im Gange.
Gewaltige schwarze Wolken türmten sich im Himmel auf und der Donner knallte lauter denn je. Blitze zuckten und beleuchteten den tosenden Sturm. Der Wind fegte über das Land und wurde zum orkanartigen Wirbelsturm. Man sah Tiere, die von ihm mitgerissen worden waren, verzweifelt einen Halt suchen. Der Regen überschwemmte die Erde und Geschöpfe der Nacht, die ihre Jagd nach Nahrung abgebrochen hatten, schwammen zu ihren Behausungen um ihren Nachwuchs zu retten. Vögel versuchten verzweifelt, mit dem Wind ringend, ihre Nester zu behüten. Der Regen ging in faustgroße Hagelkörner über, die alles zerschmetterten, was ihren freien Fall behinderte. Der Sturm machte einem Weltuntergang Konkurrenz. Dann, das Spektakel. Ein gewaltiger, vibrierender Blitz schlug in einen riesigen Baum ein. Der Baum wurde in der Mitte gespalten und stand in lodernden Flammen. Und in diesem Moment, völlig unerwartet, befiel Joana ein schrecklicher Schmerz. Es war sogar schlimmer als nach der Schlacht. Sie fing an zu schreien. Jede Faser ihres Körpers wurde von grauenvollem Schmerz durchpeitscht. Doch auch in ihrem Innern hörte sie Schreie. Auch Alira stieß Schmerzensschreie aus. Joanna sackte keuchend auf die Knie. Sie wurde fast wahnsinnig, doch die Qual schien kein Ende zu nehmen. Dann fiel ihr Blick wieder auf den brennenden Baum. Sie riss die Augen auf. Ein gespaltenes Wesen, in züngelnden Flammen. Es war ein Spiegel, ein Spiegel ihres Selbst. Sie war ein gespaltener Geist. Dies war eine Botschaft. Dass sie ihr Volk verraten hatte, und jetzt in seinem Zorn schwelgte. Doch es bedeutete noch etwas. Ihr Volk vermochte nicht über genügend Macht, so eine Botschaft zu senden. Sie hatte durch ihren Verrat auch Gott verraten. Und Gott schickte jetzt all seinen Zorn über sie. Dass hatte sie begriffen, als sie den Baum gesehen hat. Der Donner sandte Gottes grollenden Zorn. Sie hatte somit eins ihrer wichtigsten Gesetze gebrochen. Sie hatte den Himmel verraten.
Alira polterte zu Boden. Sie hatten sich verwandelt, noch während der Schmerz sie eingeschlossen hielt. Das war ein Zeichen. Joanna dachte vielleicht, die Engel hätten dieses Zeichen nicht schicken können und Gott hätte es getan. Doch Alira wusste es besser. Dies war kein Zeichen Gottes. Die Engel hatten gezeigt, dass sie ihnen folgten und sie vernichten würden. Sie hatte nichts anderes erwartet. Sie mussten auf ihrem Weg Verbündete finden, sonst würden sie untergehen. Der brennende Baum war eine Kriegserklärung, und sie mussten sich dem Kampf stellen.
Das Wetter beruhigte sich langsam und der Regen, der jetzt wieder fiel, hatte den Baum gelöscht. Auch der Schmerz war versiegt. Alira lag auf ihrer Decke. Jetzt strömten die Erinnerungen wieder auf sie ein. Diese eine Nacht würde sie nie vergessen. Die Nacht, in der man ihr das Leben nahm.

Sie hatte in ihrem Bett geschlafen, als Schreie ertönten. Als sie die Augen aufgeschlagen hatte, stand alles in
Flammen. Ihre Mutter lag am Fußende ihres Bettes, sie war tot. Ihr Körper war blutüberströmt und in ihren Augen lag
der Ausdruck blanken Entsetzens. Die Tür ihres Zimmers war aufgerissen worden und ihr Vater lag, mit einer Klinge
in der Brust , in der Türöffnung. Dann, ohne Vorwarnung, stürzte ein Kämpfer herein. Der Anführer. Er stieg langsam über die Leichen ihrer Eltern und kam auf sie zu. Sie starrte ihn an. Unverhohlenes Entsetzen lag in ihren Augen und der Krieger ergötzte sich an ihrer Angst. Dann legte er sich auf sie. Sie schrie und er presste die Hand auf ihren Mund. Sie starrte ihn an. Er nahm die Hand weg und presste statt ihrer seinen Mund auf ihren. Sie schlug nach ihm aus, doch er war stärker. Dann vergewaltigte er sie. Als er sich erhoben wieder angezogen hatte, nahm er sein Schwert und rammte es in ihre Brust. Sie würde Arians Gesicht nie vergessen. Er hatte sie nicht nur entehrt und erniedrigt, sondern sie danach auch noch getötet. Sie hasste ihn. Sie würde sich an ihm rächen. Sich und ihre Eltern.

Irgendwann hörte sie auf zu denken und schlief ein. Furchtbare Alpträume über ihre Todesnacht durchzogen ihren Schlummer. Immer wieder sah sie im Traum sein Gesicht. Die violetten, blitzenden Augen und das dichte, silberblonde Haar. Und sein Lachen. Er hatte sie die ganze Zeit vor und während ihres Todes ausgelacht, wobei er seine perlweißen Zähne entblößt hat. Alle Engel, sowohl die Männer als auch die Frauen, waren wunderschön. Mit der mondhellen Haut, blonden Haaren und weißen Zähnen sahen sie sowieso fast alle gleich aus. Nur eines
unterschied sie. Die Augen. Da gab es keine bestimmte Farbe. Es gab auch keine dicken Engel. Männer waren groß und schlank, doch die Frauen waren unterschiedlicher Größe. Doch alle Frauen hatten eine atemberaubende Figur. Doch zu viele ließen sich durch ihre Schönheit ablenken. Sie erkannten nicht das wahre Gesicht der Engel, denn dieses würde jeden schockieren. Von außen der Himmel, von innen die Hölle.
Alira wachte auf. Es war noch tiefe Nacht, doch sie wollte weiter. Jetzt, nachdem sie sein Gesicht wieder im Traum gesehen hatte, konnte sie es nicht erwarten zum Tempel zu kommen. Sie rollte die Decke zusammen und stopfte sie in den Rucksack. Dann nahm sie ihn auf den Rücken und spannte ihre Flügel auf. Der Rucksack passte bequem dazwischen. Sie flog los. Nicht durch den Tunnel, sondern durch den Fall von wasservermischtem Blut.
„Warum darfst du eigentlich fliegen und ich nicht?“ Fragte Joanna müde.
„Weil ich in der Dunkelheit getarnt und somit praktisch unsichtbar bin. Du hast nicht zufällig gemerkt dass meine Flügel schwarz sind, oder Anna?“
Es stimmte. Alira verschmolz mit der Dunkelheit.
„Okay, okay du hast ja Recht, vergib mir.“
„Na gut.“ Meinte Alira gleichmütig.
Sie schlug schnell mit ihren Flügeln und flog durch die rabenschwarze Nacht. Sie war entschlossener als je zuvor. Sie wollte Klarheit schaffen. Sie wollte sich rächen. Sie wollte Arian vernichten. Doch vorher musste sie die ganze Welt davon in Kenntnis setzten, wie de Engel wirklich waren.
>Ich werde es schaffen< Dachte sie. >Selbst wenn es das Letzte ist was ich tue! <







Kapitel 4:
Der Verbündete der Nacht


Die Dunkelheit der Nacht war undurchdringlich. Nicht das kleinste Geräusch war zu hören, nichts, außer dem Rauschen des Windes. Doch es war eine sehr intensive Aura zu spüren. Die Aura von Gefahr, von Wut. Diese Aura pulsierte über dem Wald, über den sie hinwegflogen, dem Wald des Schreckens. Was sie an dem ersten Tag ihrer Wiedergeburt passiert hatten, war nur ein Teil gewesen. Der gesamte Wald erstreckte sich über das ganze Land. Doch über diesem Teil war diese Aura zu spüren, ja, man konnte sie fast greifen. Alira kannte diesen Teil. Es war die Heimat der Werwölfe. Doch es war kein Wunder, wenn man hier Wut spürte, dieses Hybridenvolk stritt und kämpfte ununterbrochen, also dachte sich Alira nichts dabei und flog darüber weg. Sie flog ohne Unterbrechung weiter, bis zu einem Seeufer am Rand des Waldes. Das Wasser glitzerte blau-golden in der Morgendämmerung. Sie atmete tief ein. Die Luft roch nach frisch erblühten Blumen und saftigem Gras, vermischt mit dem Geruch des Wassers. Der dunkelblaue Himmel verfärbte sich hellblau und rosa- und goldfarbene Bänder durchzogen ihn. Die Sonne, erst ein schmaler Streif am Horizont, erhob sich und ließ ihre ganze feurig-orangene Pracht erstrahlen. Alira verwandelte sich.
Ihr lockiges, schwarzes Haar wurde zu goldener Seide, ihre leuchtend grünen Augen zu meerblauen Kristallen. Ihre Haut wurde hell wie das Leuchten des Vollmondes. Sie wurde kleiner, zierlicher. Ihre schwarzen, ledrigen Flügel wurden leicht und weißgoldene Federn sprossen daraus hervor. Sie wurde zum Engel.
„Was für ein wunderschöner Morgen.“ Sagte Joanna.
„Wenn du meinst.“
„Ach Alira, du bist ja wieder supergut drauf. Warum bist du immer so mürrisch?“
„Angeboren.“
Das stimmte nicht ganz. Früher war Alira lebensfroh gewesen, doch nun, wo sie auch noch ihren Körper mit einem Engel teilte und außer besagtem Zeitgenossen niemanden hatte, war sie eben mürrisch. Konnte man es ihr verdenken? War es tatsächlich so unverständlich?
„Naja, egal Anna. Du hast keine Zeit die Landschaft zu bewundern, geh weiter.“
„Aber Alira…“
„Kein aber!“
Joanna setzte sich in Bewegung. Sie atmete die frische Luft ein und die Sonne schien über ihr. Sie wollte sich hinlegen und sich sonnen. Sie wollte wieder ihr eigenes Leben haben. Sie wollte nicht an jemand anderen gekettet sein und die ganze Zeit mit diesem Jemand zusammen sein und alle Gedanken teilen zu müssen. Sie wollte ihre Privatsphäre und hatte keine Lust, sich von jemandem herumkommandieren zu lassen. Leider war das unmöglich. Sie musste sich ihrem Schicksal beugen, sie hatte keine Wahl, auch wenn ihr das überhaupt nicht gefiel. Warum musste ausgerechnet ihr das passieren? Warum? Lieber Tod als diese gespaltene Seele.
„Glaub mir ich finde es auch nicht gerade super mit dir zusammen in einem Körper eingesperrt zu sein!“ Erzürnte sich Alira.
„Was? Oh, ich hab vergessen, dass du alles hören kannst…. Tut mir Leid. Bitte…. Ich hab das nicht so gemeint…. Ich…“ Stotterte Joanna.
„Ist schon gut… Ich…ich bin es gewöhnt, dass mich alle… ach, nicht so wichtig.“ Entgegnete Alira, doch ihre Stimme und ihr Tonfall hatten sich verändert. Sie klangen nicht mehr forsch, angriffslustig und selbstbewusst, sondern leise, traurig und bedrückt. So hatte Joanna sie noch nie erlebt.
>Ich habe ihre Gefühle verletzt… das wollte ich nicht…. < Dachte Joanna.
„Ich brauche deine Entschuldigungen nicht Engel, ich hasse dich und dein Volk. Ich brauche kein Mitleid!“
Joanna musste erst einmal die Wucht dieser Worte verdauen. Sie waren wieder ganz am Anfang. Alira nannte sie wieder nur Engel und sie klang wieder wütend, unnahbar und aggressiv.
„Alira, bitte….“
Doch Alira antwortete nicht. Sie kamen wieder zurück. Die Erinnerungen an ihr Leben. Wie sie in die Höhle hinter dem roten Wasserfall geflohen ist, als ihre Eltern sie angeschrieen und geschlagen hatten, als die anderen sie ausgeschlossen hatten, als ihr Freund sie hintergangen hatte, als ihre einzige Freundin ihr gestanden hatte, dass sie Alira die ganze Zeit gehasst hatte… All das strömte wieder auf sie ein, doch sie wollte sich nicht erinnern, sie wollte sich nicht an den Schmerz, die Qual, die Pein und die Einsamkeit ihres Lebens erinnern. Ihre Welt war ein Trümmerhaufen gewesen, doch sie hatte ihre Eltern, ihren Freund, ihre Freundin und ihre Bekannten geliebt. Egal, wie sehr sie alle ihr Weh getan hatten, sie hatte sie geliebt. Auch ich Volk hatte sie geliebt, obwohl sie immer eine Außenseiterin war. Da sie Adoptiveltern gehabt hatte, war sie ohne gesellschaftlichen Rang gewesen. Ihr Vater wurde ein halbes Jahr vor Aliras Geburt getötet und ihre Mutter starb bei deren Geburt. Sie hatte ihr keinen Namen mehr geben können. Der damals amtierende Bürgermeister war ein halber Engel gewesen und war der Ansicht gewesen, dass man das elternlose Kind hätte ertränken sollen. Später kam heraus, dass er ein Spion der Engel war und so den letzten Spross der Familie von größten Gegnern der Engel, des Nocturne-Clans, beseitigen wollte. Doch er war gescheitert. Das Kind wurde von den Suasums adoptiert und wuchs zu einer ebenso großen Kriegerin auf, wie ihre Eltern gewesen waren. Der Bürgermeister wurde enttarnt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Den Namen Alira hatten ihr die Suasums gegeben, abgeleitet vom Wort ’alire’, was übersetzt verlassen heißt. Alira, ’die Verlassene’.
Gegen Mittag schien die Sonne sehr grell und es wurde drückend und schwül. Joanna schwitzte und sie sehnte sich nach Wasser. Sie lief über Wiesen und Wege, wobei der Wald immer in Sicht war. Der Wald des Schreckens war eben gigantisch. Sie hoffte auf einen Bach, einen See, einen Teich oder wenigstens eine Pfütze, in die sie ihre Füße einen Moment lang tauchen konnte. Alira hüllte sich immer noch in Schweigen also war das Laufen eine ziemlich dröge Angelegenheit. Ob Alira wohl immer noch böse war? Naja, sie war ständig böse, aber nicht sauer. Ob sie fragen sollte? Nein, besser nicht. Wahrscheinlich würde sie nur doch wieder rumschreien und sie zurückweisen. Also flüchtete sich Joanna auch in ihre Gedanken. Ob die Reise mit Alira wohl lange dauern würde? Und was würde danach passieren? Ihrer beider Leben würde wohl nie wieder so werden wie vorher. Wie würden sie das schaffen? Würden sie es überhaupt schaffen? Wo würden sie leben? Was w-
„AAARGH“ Joanna war einen Hügel hochgelaufen und fiel jetzt wieder herunter, geradewegs in einen See, aus dem es unheilvoll rauchte und der milchig weiß, spiegelglatt und undurchsichtig war. Als sie hereinfiel gab es kein Geräusch, kein Platschen. Es war furchtbar kalt, fühlte sich aber nicht wie Wasser, aber auch nicht wie Nebel an. Joanna fühlte sich merkwürdig. Sie konnte sich nicht bewegen und auf einmal ertönte eine schaurige Melodie. Es war Musik wie sie sie noch nie vernommen hatte und sie fühlte sich, als wäre sie hypnotisiert und sie sank immer tiefer auf den Grund zu. Um sie herum wurde es immer dunkler und die Musik immer lauter.
„Anna! ANNA! Mach dass du hier raus kommst! SCHNELL!!!“
Joanna kam wieder zu sich und riss die Augen auf. Mit schnellen Zügen schwamm sie an die Oberfläche und an das Ufer. Sie kroch aus dem Wasser. Ihr Herz schlug wie wild und sie war geschockt. Ihr Atem ging stoßweise. Ihr wurde bewusst dass sie beinahe gestorben wäre und Alira in diesem Fall mit ins Jenseits genommen hätte. Ein merkwürdiger See.
„Anna, du hättest uns beinahe umgebracht.“ Keuchte Alira. Sie klang sichtlich erschrocken.
„Es…es tut mir Leid… ich… ich war auf einmal wie in Trance. Ich… ich weiß nicht wie mir das passieren konnte… hättest du nicht geschrieen, wäre es jetzt…vorbei… danke.“
„Jaja ist ja schon gut. Ich musste immerhin meine Haut retten. Was soll’s, wahrscheinlich hast du jetzt einen Schock, aber es wird langsam dunkel meine Liebe, das heißt ICH bin dran.
Sie hatte Recht. Der Tag ging zur Neige, die Dämmerung brach an. Anna verschwand und Alira erschien. Sie streckte sich.
„Endlich bin ich wieder meines Körpers Herrin.“ Seufzte sie.
„Mach mal halblang! DAS ist MEIN Körper! DU hast dich darin eingenistet, nicht umgekehrt!“ Entrüstete sich Joanna.
„Ach halt doch die Klappe Anna.“
Sie fing an, trockenes Holz aufzusammeln und aufzustapeln. Dann suchte sie zwei Feuersteine und erzeugte einige Funken, die das Holz entflammen ließen. Sie setzte sich daneben.
„Dieser Körper muss sich ausruhen.“ Sagte sie.
„ WAS!? ICH muss den GANZEN HEIßEN Tag rennen und DU musst nichts tun sondern NUR hier herumsitzen??? WIE UNFAIR!!!“ Motzte Joanna.
„Nachts zu reisen bringt nichts, wir sind unbewaffnet und es gibt viele Feinde die sich nachts die Beine vertreten.“ Antwortete Alira gelangweilt. Verdammt, sie hatte SCHON WIEDER Recht. Sie saßen an einem Ausläufer des Waldes. Hinter den dichten, dunklen Bäumen raschelte es und es wehte ein rauer, kalter Wind. Warum war es so kalt und windig, wo doch tagsüber die Sonne gebrannt hat.
„Alira… das gefällt mir nicht…“
„Anna, das WEIß ich. Glaub mir auch wenn ich nicht du bin, bin ich nicht dumm. Da ist was faul…“
„Das hab ich nicht-…“
„Halt die Klappe…ich muss gut hören… Da ist was im Busch…“
In diesem Moment krachte es in den Bäumen und ein riesiger Werwolf stand auf der Wiese. Sein Fell war nachtschwarz und seine Klauen waren lang wie menschliche Finger. Seine Augen waren grün und strahlten durch die Dunkelheit, doch sie hatten keine Pupillen oder Iris. Sie waren leer. Sein Atem ging schnell und kondensierte in der kalten Luft. Sein Maul und seine Brust waren blutbefleckt. Er sah todbringend aus.
Alira starrte ihn an. Er sah aus als hätte er eben einige unschuldige Wesen abgeschlachtet. Er blickte wild zu ihr und fing an zu reden, er hatte eine tiefe, raue Stimme.
„Du da! Wenn du weiterleben willst, halt bloß dein Maul, ich will nicht gehört werden.“
„Dafür machst du im Unterholz einen ziemlichen Krach…wohl bei den Schleich- und Tarnübungen nich aufgepasst?“ Entgegnete Alira frech.
Sofort meldete sich Joanna, natürlich nur in Aliras Kopf, zu Wort.
„Alira bist du WAHNSINNIG!? Mach keine Faxen mit dem mit dem. Der reißt dich in Stücke und dann ist es vorbei! Bitte treib’s nicht zu weit.“
Der Werwolf schwieg. Er sah Alira nur Gedankenversunken an. Wahrscheinlich überlegte er gerade wie klein die Fetzen sein sollten, in die er sie zerreißen sollte.
„Du bist ein ganz schönes Großmaul du kleine Tussi.“ Sagte er grimmig.
„Pffff….“
„Ist ja auch egal. Du solltest ruhig sein wenn sie kommen, die werden dich sicherlich zerstückeln.“
„Wer…die?“ Fragte Alira etwas unruhig.
„Mein Rudel. Der Leitwolf ist ein Tyrann, deswegen bin ich gegangen. Aber er sucht mich…er und sein Gefolge. Deswegen muss ich verschwinden…vielleicht solltest du das auch tun….“
„Du…du hast Recht…Ich habe keine Waffen, erst Recht kein Silber.“
Der Wolf schlug sich wieder in die Bäume…Und was tat Alira? Genau. Sie heftete sich an seine Fersen wie ein besonders aufdringlicher Schatten.
„Was willst du?“ Fragte er barsch.
„Ich begleite dich! Was sonst!?“
„WAS genau soll das heißen, du begleitest mich?“
„Naja das heißt dass ich mit dir gehe…du bist mir symphatisch.“ Schleimte Alira.
„Du meinst ich habe riesige Klauen und Zähne um dich zu behüten?“
„JAAAH…DAS auch…“ Grinste sie.
„ Ich weiß nich warum…aber irgendwie…ach egal, komm mit….“
„JAAAAAAH!!!“
„KLAPPE!!!“
„Is ja schon gut du zu groß geratener Teppich!“
Er murrte nur, und dann liefen sie los.
 
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Kommentare  

Geile Story!!!

Gruß Andy


 (17.10.2006)

Ich liebe deine story immer noch!!!!Ich wusste gleich, als du angefangen hast rumzuwerkeln, dass diese Geschichte der Renner wird! HDGGGGGGGGDL!!!!!!!xD

Hanna (13.09.2005)

ich habs gelesen....ist sau cool!!hast du das geschrieben?...5 punkte

aleks maljevic (08.09.2005)

muhahaha...nochmal glück gehabt,was?ich hoffe nur,dass "der verbündete der nacht" bald auftaucht.was soll ich sagen,5 pkt.

Sara Schwaninger (06.09.2005)

hi, hab gestern diese story gelesen, sie hat mir inhaltlich gut gefallen. ein paar sachen hätten ausführlicher sein können, so dass der leser mehr zu überlegen hat und nicht so schnell auf die "geheimnisse" kommt. ich erwarte jetzt sehnsüchtig deine fortsetzung, denn ich glaube aus dieser story könnte echt etwas werden. lass mich bitte nicht so lange schmoren!

Nadine (11.08.2005)

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