72


4 Seiten

Beim Schwedenkreuz

Fantastisches · Kurzgeschichten · Herbst/Halloween
© Arnika
Sie war so oft durch die Wälder gestreift, hatte niemals Weg und Richtung verloren. Doch heute Abend war die Dunkelheit zu rasch hereingebrochen. Mit dem Licht verschwand die Wirklichkeit. Sie wusste, dass es keine Gruben oder Fallen gab. Sie musste sich auch vor niemanden fürchten. Es lag verdammt noch mal an ihr. Sie hatte nicht auf die Zeit geachtet. Sie hatte eine Abkürzung genommen, die sie noch nie gegangen war. Dem Gefühl nach, war sie geradeaus gelaufen, aber die Finsternis hatte sie jeder Orientierung beraubt. Zwischen den Baumkronen tauchten einzelne Sterne auf. Was nutzte ihr das. Sie kannte den Großen Wagen, sonst nichts. Als der Wald vor ihr lichter wurde, hoffte sie, in der Nähe des Weges zu sein, der bergab zu dem einzelnen Bauernhof führte. Der Abhang lag da, bewachsen und viel zu steil. Hier konnte sie nicht herunter. Auch gab es in der Ferne kein Haus, kein Fenster, das erleuchtet war. Sie musste im Kreis gelaufen sein. So steil war es nur an der Ley, dem blanken Felsen, gefährlich steil. Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand? War nicht etwas vom Ah-Bach zu hören? Der floss an der Ley, mäandernd, zwischen Gebüsch. Es war still, kein Wind, kein Rascheln, kein Glucksen. Die Familie würde sich sorgen, wenn sie nicht pünktlich kam. Jetzt zurück in den Wald, den Weg finden und beeilen. Der war breit, so breit wie ein Fuhrwerk, eben nicht zu verfehlen und der einzige Fahrweg im Wald. Jenseits, hinter dem Schwedenkreuz wurde das Unterholz so dicht, dass man nicht weiter konnte. Also befand sie sich noch auf der richtigen Seite, war nicht zu weit abgekommen. Der Weg wird sie entweder nach hause oder zur Stadt zurückführen. Von dort ging es den Bach entlang, das würde länger dauern, aber sie käme sicher zum Hof. Plötzlich witterte sie Rauch. Der musste von der Stadt herüberziehen, daheim wurde nicht geräuchert. Irgendwie duftete es nach Speck. Ging sie also auf den Rauch zu. Sie hörte Stimmen. Das war kein Eifler Dialekt, Deutsch schon und manchmal etwas Fremdes. Da züngelte ein Lagerfeuer zwischen den Bäumen. Wer traut sich das im Wald? Sie erkannte die dunklen Umrisse von Männern. Einige saßen, hielten Spieße ins Feuer, andere standen herum. Mit einem Male rannten sie hin und her, lachten, grölten. Es gefiel ihr nicht. Die Männer waren betrunken. Dann zerrten sie jemanden herbei. Ein furchtbarer Schrei gellte durch die Finsternis. Das war eine Frau in höchster Not. Sie riss sich los und verschwand. Der Schrei war Warnung genug. Gleich huschte sie hinter einen Stamm, duckte sich, grub sich ins Dickicht hinein. Sie beobachtete, wie die Männer ausschweiften. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Das mussten furchtbare Menschen sein. Sie kämpfte gegen die Angst, zwang sich rückwärts zu schauen, zu suchen, wie sie unentdeckt fortkommen könnte. Sie erschrak. Eine junge Frau, dicht hinter ihr, legte ihr hastig die Hand auf die Lippen. Kaum konnte sie ihre Augen sehen. Einen Moment rührte sich nichts. Es war wie damals, als die Schlange nach ihr stieß und doch nicht biss. Sie verharrte und alles ging gut. Sie musste sich mit der Frau verständigen, machte Zeichen, dass sie zurück wolle, vom Feuer und den Männern weg. Die Fremde nickte bedächtig, zog einen Zweig beiseite, wartete, um ihr den Vortritt zu lassen. Jetzt gab es nur noch eines, ohne Geräusch vom Feuer und den Betrunkenen weg. Sie tasteten sich Schritt für Schritt zwischen den Bäumen hindurch. Zum Glück lag nur wenig altes Laub auf dem Boden und die Nadeln dämpften jedes Geräusch. Die Männer lärmten, dass man sie weithin hören konnte, trotzdem schlichen die Frauen mit hellwachen Sinnen davon. Erst als die Stimmen kaum noch zu vernehmbar waren, hielten sie an. Die Vordere beugte sich zum Ohr der Fremden, hauchte „Margarete“, zeigte auf sich. “Rosina“, flüsterte die Unbekannte, legte die Hand ihrer Führerin auf eine kleine Rosette, die sie an einem Band um den Hals trug. Rosina war seltsame gekleidet, weiter Rock und Tücher über den mageren Schultern. Woher sie wohl kam? Man müsste es später klären. Margarete wollte so tun, als wisse sie, wo es lang geht. Mit einer Hand tastete sie nach Ästen, mit der anderen zog sie Rosina hinter sich her. Auf einmal war da der Weg, vertraut unter ihren Füßen. Sie gingen am Rand, für den Fall, dass doch noch einer der Männer auftauchte. Bald waren sie am Kreuz, der höchsten Stelle des Berges. Bis dahin sollen die Schweden gekommen sein, damals im Dreißigjährigen Krieg. Nur noch ein kurzes Stück, dann führte der Weg aus dem Wald, weiter bergab durch Wiese und Feld bis zum Hof. Vom Waldrand aus konnte sie schemenhaft das Haus erkennen. Im freien Gelände war es heller. „Dort wohne ich“ flüsterte sie Rosina zu. Sie wollte mit der Fremden hinunter, doch die sperrte sich. Margarete zeigte nochmals, dass Rosina mit ihr nach hause solle. Man muss telefonieren, sie wären in Sicherheit. Rosina schüttelte den Kopf, senkte ihn. Margarete schaute sie bewusst freundlich an, deutete nochmals auf sie, auf sich, auf das Haus, zeigte Essen und Schlafen. Rosina zog die Hand aus der ihrigen, legte sie Margarete auf die Schulter, drückte sie in Richtung Hof. Margarete verstand es nicht. Was wollte die Fremde? Sie brauchte Hilfe und Schutz. Wohin wollte sie bei der Dunkelheit? Doch Rosina hockte sich an den Waldesrand, winkte ihr dringend zu gehen. Was blieb Margarete übrig? Die Frau konnte ihr folgen, wenn sie es sich noch anders überlegte. Sie würde sowieso die Polizei anrufen. Einige Male sah sie sich um und wartete. Noch vor dem Hauseingang sah sie zum Wald hoch, konnte aber außer der schwarzen Wand nichts erkennen. Man hatte sie nicht vermisst. Ohne die Eltern zu beunruhigen, sagte sie, Fremde lagerten im Wald, hätten sogar Feuer gemacht. Über Rosina wollte sie allein mit den Beamten reden. Der Vater zog sich die Jacke über, um selber nach dem Rechten zu sehen. Sie hielt ihn zurück, sagte, dass die Leute sehr seltsam waren, sich wohl nichts vorschreiben ließen. Sie aß ein paar Happen. Schon fuhr die Polizei auf den Hof, gleich danach zwei Männer von der Feuerwehr. In etwa beschrieb sie die Stelle, wo sie die Männer vermutete, warnte vorsichtig zu sein, weil es mehrere sind, betrunken; deutete an, dass dort eine Frau sei, vielleicht in Gefahr. Mehr wollte sie zu Rosina nicht sagen. Vielleicht war sie illegal, jemand, der abgeschoben wird oder auf Trebe. Spät kam die Polizei zurück. Sie hatten nichts finden können, auch kein Feuer und keinen Rauch bemerkt. Sie blickten die Eltern an, die nahmen Margarete in Schutz. Sie war kein verschrecktes Mädchen, das im Dunkeln Gespenster sieht. Die Männer wollten morgen, bei Licht, mit dem Förster den Wald durchsuchen. Margarete sollte sie begleiten. Die Eltern sagten, sie wollen sehen, wie es am Morgen ist, verabschiedeten die Polizei. Sie blieb noch ein bisschen im Wohnzimmer sitzen. Beiläufig fragte sie, was Rosina für ein Name sei. Spanisch, meinte die Mutter, schlesisch, der Vater, Auf jeden Fall ein Name von früher, aus Urgroßmutters Zeit. Nein, noch älter. 1647, das steht auf dem Stein und im Kirchenbuch. Margarete wollte nicht wieder vom Wald erzählen, fragte nur irritiert nach dem Stein? Dann fiel es ihr ein. An der Kapelle im Dorf befand sich ein alter Stein. Als Kind hatte sie mit den Fingern die Gravur der Rosette nachgezeichnet. Es hieß, die Bauern hätten eine halbverhungerte Fremde aus dem Dorf gejagt. Das war damals im Dreißigjährigen Krieg, als jeder Angst vor allem Möglichen hatte. Am Tag, bevor man die Protestanten schlug, war sie aufgetaucht. Mit Steinen hatte man nach ihr geworfen. Dann hatte man die Frau ermordet an der Stelle gefunden, wo man nachher das Schwedenkreuz errichtete. „Aus Schuldgefühl“, hatte der Vater einmal gemurmelt, das hatte Margarete nicht deuten können. Achtjährig war sie jeden Sonntag in den Wald gegangen, hatte eine Blume für Rosina vor das düstere Kreuz gelegt. Längst vergessene Kinderallüren, heute verstand sie es. Aber was war jetzt im Wald? Würden sie morgen eine Feuerstelle finden? Was auch immer dort war, sie wird weiterhin Blumen zum Schwedenkreuz bringen und ein Bündel für Rosina mit Kleidung und Brot.
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Gefällt mir. Ist doch eine tolle Story mit dem Mädchen aus der Vergangenheit.

doska (29.10.2009)

Hallo Oheim, danke für deinen anregenden Kommentar. Die Geschichte spielt tatsächlich in zwei Zeiten, die sich für die Hauptperson im Wald ineinanderschieben. Mein Stil ist absichtlich kurz, dh. aber nicht hektisch, und nicht in der Pause zusammengeschrieben. Es macht viel Arbeit, Unwichtiges heraus zu streichen. Ich weiß, dass es vielen Zeitgenossen angenehmer ist, wenn sie Denken und Fühlen vorgesetzt bekommen. Aber genau das will ich nicht. Ich möchte, dass der Leser aktiv wird. Dass ich selbst an meiner Methode noch heftig zu arbeiten habe, ist mir bewusst.

Arnika (16.11.2008)

Du schreibst im Telegrammstil, schnell ruck zuck mal eben in der Pause eine Storie schreiben.
Der Inhalt ansich ist gut.
Wo befinden wir uns? In Zeiten von Pferdefuhrwerken und Wegelagerern in dunklen Nächten ohne Wegbeleuchtung? Zumindest nimmt man das an. Zum Schluss jedoch kommt ein Telefon ins Spiel, plötzlich Neuzeit.
Das verwirrt irgendwie.
Leider gibt es nur den gut und schlecht Button, mein Empfinden liegt dazwischen. Habe also weder Grün noch Rot angeklickt, Orange hätte ich zur Bewertung genommen.


OHEIM (16.11.2008)

Stimmt, Rolf!
Ich hab auch den Eindruck, dass ich noch mächtig dran arbeiten muss. Danke, für deine Hinweise. LG, Arnika


anonym (22.04.2008)

Hey Arnika!
Der Anfang dieser Geschichte liest sich sehr gut. Man ist wahnsinnig gespannt, auf das, was noch kommen wird, dann möchte man jedoch sehr bald wissen, wer deine Protagonistin ist, wie sie heißt und ob sich die Geschichte in der Gegenwart oder in der Vergangenheit oder gar in der Zukunft abspielt. Als die junge Frau dann das Lagerfeuer tief im Wald entdeckt, vermisse ich die Anzahl der Männer, die sich um dieses Feuer gescharrt haben. Es wird auch nicht klar, was sie dort wollen. Wie weit sind die Mädchen vom Feuer entfernt, dass die ( wenn auch betrunkenen) nach dem Mädchen suchenden Männer - sie nicht finden können. Jetzt wird erst verraten, wie die Flüchtlinge heißen und ich brachte (deshalb?) ihre Namen zunächst durcheinander. Die Geschichte wird dann sehr gestrafft, was ich Schade finde, denn so kommt nicht genügend Atmosphäre herüber. Dennoch ist die die kleine Geschichte nicht schlecht, darum "grün" für dich. Gute Idee und ich bin gespannt, was noch die anderen Leser dazu sagen werden.
l.g. Rolf


anonym (22.04.2008)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Das Honigkerzlein  
Mottolalia  
Fridolin verschläft  
Oktober  
Ladenschluss-Rap  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De