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4 Seiten

Lilly (Kapitel 16)

Romane/Serien · Spannendes
Nachdenklich lag Lilly in ihrem Bett im Krankenhaus. Was mit ihr passieren sollte, lag noch immer im Verborgenen, ließ sich nicht klar erfassen, aber es wurde von Tag zu Tag, ja sogar von Stunde zu Stunde immer fassbarer. Sie machte nicht nur ihren Eltern Angst, auch sich selbst. Ihr Zustand ließ sich nicht erklären, nicht mal sich selber konnte sie irgendetwas davon erklären. Dieser Ort, dieses Krankenhaus war nur der absolut falsche Ort, weitere Details zu erfahren, das spürte Lilly deutlich.
„Spaghetti carbonara mit Parmesan auf Wunsch“, erklang eine Stimme im Raum und riss Lilly aus ihren Gedanken. Sie fuhr erschrocken rum und erblickte Mario, den Zivildienstleistenden.
„Das heutige Mittagessen wird dir bestimmt schmecken. Spaghetti mögen alle Kinder, hab ich Recht?“
Mario stellte das Tablett auf den kleinen Tisch und rollte ihn dann so nahe ans Bett, dass Lilly problemlos im Liegen hätte essen können.
„Ja, ich liebe Spaghetti“, gestand Lilly und musste lächeln. Mario wurde ernst und blickte sie aus mitleidigen Augen an.
„Ist alles in Ordnung mit dir?“
„Ja, natürlich“, antwortete sie verwirrt. „Wieso denn?“
„Ich hörte etwas über den Unfall oder was auch immer das war. Vorhin im CT.“
Lilly wölbte fragend eine Braue. Sie konnte mit der Abkürzung ‚CT’ nicht viel anfangen.
„Na, die Röhre, in der du warst.“
Sie erinnerte sich. Ein eisiger Schauer überkam sie, da sie nicht gerne an den Vorfall erinnert wurde. Es war erst weniger als zwei Stunden her und noch immer so präsent, als hätte ihre Mutter sie eben erst an den Füßen herausgezogen.
„Mir geht’s wieder gut“, sagte sie knapp und ebenfalls sehr ernst.
„Hör mal, ich will dir nicht zu nahe treten, aber wenn du reden willst, dann tu das. Ich höre dir gerne zu.“ Mario fühlte sich total unbehaglich. Einerseits mochte er ihr sehr gerne helfen, da Lilly auf ihn hilfebedürftig wirkte, auch wenn sie nach außen hin ganz selbstständig wirken wollte. Auf der anderen Seite war Mario nicht im mindestens damit vertraut, wie man in einer solchen Situation mit einem traumatisierten Kind spricht. Am liebsten würde er noch mal zurückspulen und den Anfang des Gesprächs anders gestalten. Die Stimme in seinem Geist war nur leider der Meinung, dass er unbedingt mit dem Mädchen reden sollte, auch wenn sie ihm nicht sagen konnte, wieso. Ein Instinkt verriet ihm bloß, dass nicht nur das Kind jemanden zum reden brauchte, sondern ein solches Gespräch auch für ihn sinnvoll wäre.
„Was soll ich denn sagen?“ meinte Lilly unbeholfen. Sie war ein Häufchen Elend, das am liebsten die Vergangenheit hinter sich lassen würde.
„Ich weiß nicht. Vielleicht warum der Apparat verrückt spielte oder wie es dir ganz allgemein geht. Ich kann dir nicht sagen wieso, aber irgendwie glaube ich, dass es dir ganz und gar nicht gut geht.“
Lilly setzte sich etwas auf um eine angenehmere Position zum Reden zu haben. Marios Worte schienen zu bedeuten, dass er wusste, was Lilly tat. Irgendwie hatte er mitbekommen, dass sie für den Ausfall der Maschine verantwortlich war. Was wusste er noch?
„Ich fühle mich auch nicht gut. Ich will hier unbedingt raus. Und das mit eurem Ding tut mir leid, ich wollte es nicht kaputt machen.“
„Wie meinst du das?“ Mario nahm sich einen Stuhl und nahm Platz. „Du wolltest was nicht?“
„Ich wollte nicht den Apparat kaputt machen, aber ich hatte Angst und wollte da raus. Also dachte ich ganz fest daran und auf einmal war es vorbei.“ Lilly lief eine Träne über die Wange, aber sie weinte nicht wirklich. Sie war nur so erregt, weil die Angstgefühle, die sie in der Röhre verspürte wieder zum Greifen nahe waren.
„Soll das etwa heißen, du hast die Röhre absichtlich kaputt gemacht?“
„Es tut mir so leid, aber ich hatte solche Angst!“
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, aber du hast es wirklich kaputt gemacht? Wie?“
Warum fragte er denn immer wieder nach, ob sie es auch wirklich war? Lilly dachte gerade noch, er wüsste, dass sie die Röhre Kraft ihres Willens außer Gefecht gesetzt hatte. Wusste er es doch nicht? In diesem Falle hätte sie sich gerade verraten und dabei hatte ihrer Mama ihr eingeschärft, unbedingt vorsichtig zu sein, was sie diesem Mario anvertraute. Aber Mario war so nett und so sehr darum bemüht, Lilly zu trösten, er würde sie bestimmt niemals verraten. Dessen war sich Lilly sicher und auf eines verließ sich das Mädchen zurzeit am allermeisten: ihr Bauchgefühl. Gerade verriet es ihr, dass Mario Recht hatte in dem was er zweifelsfrei vorhatte. Er wollte einfach nur reden um ihr zu helfen und sie brauchte dringend Hilfe. Sie brauchte dringend einen Freund.
„Ich wollte da raus und dann konnte ich das Ding kaputt machen, weil ich es so wollte. Ich kann so was eben.“
Mario musste erstmal sortieren, was sie meinte. Sie zerstörte die Röhre weil sie es wollte, also per Gedankenkraft. Oh Mann, wie in einem Science-Fiction-Film, dachte Mario und fühlte sich an diverse Episoden von „Outer Limits“ und dergleichen erinnert. Niemals hätte er sich träumen lassen, dass es telekinetisch begabte Menschen in Wirklichkeit gäbe und jetzt sprach er mit einem.
„Aber wenn du so was kannst, mit deinem Willen Dinge kaputt machen, wieso bist du dann hier?“
„Weil mein Papa mich herbrachte.“ Natürlich, du Dummkopf, schalt sich Mario selbst. Welche Antwort hätte sie ihm sonst geben sollen. Sie krampfte stark, aber wieso denn nur?
„Ich weiß, aber du hattest ja diesen Anfall. War das wegen deiner Kraft?“
„Keine Ahnung. Ich weiß es selbst noch nicht.“
„Noch nicht? Soll das heißen, du wirst es bald wissen?“
„Ja.“
Mario fasste sich an den Kopf. Er war total verwirrt, weil er keine Ahnung hatte, was in diesem kleinen Kind vorging. Schlimmer noch war, dass sie anscheinend selber nicht wusste, was mit ihr geschah. Natürlich blieb noch die Möglichkeit, dass die Kleine ihn belog, aber er glaubte, das spüren zu können, wenn ein Kind ihm einen Bären aufband. Bei Lilly spürte er absolute Aufrichtigkeit in jedem Wort. Wenn sie ihm etwas nicht sagen wollte, würde sie eher schweigen, als Dinge zu erfinden, damit er Ruhe gab.
„Ich kann nicht sagen, was es ist“, sagte Lilly als sie Marios Verwirrung bemerkte. „Ich darf es auch nicht. Meine Mama und mein Papa wollen nicht, dass andere es wissen, weil ich dann wegkomme.“
„Wieso denn wegkommen?“
„Sie glauben, ich darf dann nicht mehr zu Hause sein.“
„Aber wieso sollte man dich ihnen wegnehmen?“
Lilly schwieg. Sie legte ihre Stirn in Falten und versuchte Worte zu finden, aber sie wusste nicht, was sie hätte sagen sollen. Sie war wirklich sehr hilflos, total verzweifelt.
„Es ist noch nicht vorbei“, flüsterte sie einige Momente später.
„Was ist noch nicht vorbei?“ Mario tat ihr das Flüstern gleich und beugte sich dazu weit nach vorne.
„Die Veränderung. Irgendwas passiert mit mir und es hat gerade erst angefangen.“
Mario sah sie aus großen Augen an. Jetzt konnte er ihre Angst und ihre Verzweifelung deutlich spüren, weil auch er diese Gefühle empfand.
„Eigentlich hat es schon vor einiger Zeit angefangen, aber jetzt ist es nicht mehr zu stoppen.“
Er bekam richtige Angst um sie, weil sie jetzt plötzlich ganz anders zu ihm sprach. Jeden Moment würde er erwachen und feststellen, dass er sich dieses kleine Mädchen und ihre Geistergeschichten von einer Veränderung, die nicht zu stoppen war, nur einbildete. Es war nur kein Traum, sondern bittere Realität und Mario fühlte sich mindestens so hilflos wie Lilly, denn an diesem Punkt konnte er nichts für sie tun. Wer weiß, ob überhaupt irgendjemand etwas tun könnte, geschweige denn die Eltern.
„W… w… was hat denn angefangen?“
„Na, diese Kräfte und so. Pssst……“ Lilly beugte sich auch sehr weit vor. Sie wollte wohl keine weiteren Zuhörer. Mario kam auch etwas näher, sodass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten.
„Ich verrat’s dir, aber mach bitte die Tür zu. Das darf niemand hören, okay?!“
Mario sprang auf und tat was ihm gesagt wurde. Als er wieder neben ihr Platz nahm, rutschte er mit seinem Stuhl so weit nach vorne, dass er sie problemlos hören konnte, wenn sie mit ihrem Engelsstimmchen flüsterte. Lilly sog tief Luft ein und konzentrierte sich auf einen ganz bestimmten Punkt in ihrer Vergangenheit, als ihr das erste Mal so richtig bewusst wurde, dass sie über Fähigkeiten verfügte, wie keine Zweite. Es war vor ungefähr drei Wochen im Kindergarten, als ihre Mutter und ihr Vater früher als üblich kamen um sie abzuholen...
 
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