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42 Seiten

Fisteip - Teil 15 (und Ende)

Romane/Serien · Spannendes
Die beiden Männer, die ihn aus dem auf dem Feld stehenden Wagen her beschossen, waren sich nur anfangs uneins darüber, wie sie vorzugehen hätten und Tommy verpasste den kurzen Moment, wo er ihnen noch hätte entwischen können. Er versuchte sie in Schach zu halten, schoss zurück, bis ihm klar wurde, dass die Falle zugeschnappt war. Er hatte noch einige Kugeln im Revolver, als er das Feuer nicht mehr erwiderte, sich hinter dem Wagen verschanzte und wartete. Sie würden von zwei Seiten auf ihn zukommen, darum pokern, wer rechts und wer links herum, erwartend, dass er schießen würde. Tommy hielt seinen blutenden Kopf, den er sich irgendwo im Wagen angeschlagen hatte, vielleicht hatte ihn auch ein Streifschuss erwischt, er wartete, bis Tweedle-Dim vor ihm stand, die Pistole im Anschlag, Tweedle-Dum ihm von hinten die Lampen ausschlug. Er wurde wach, saß in einem abgedunkelten Raum an einen Stuhl gefesselt und wusste, was auf ihn zukam. Sie hatten nicht darauf gewartet, dass er wieder zu Bewusstsein kam, nur um ihn dann zu erschießen – sie würden ihre Fragen stellen und Antworten hören wollen. Tweedle-Dim schlug ihm auf das rechte Ohr, beugte sich zu ihm herunter und zischte: „Hast du Angst, Tommy?“
Er kicherte. Er kicherte tatsächlich und das war genau der Moment, an dem Tommy wirklich Angst bekam. Der, den er in Gedanken nur Tweedle-Dim nannte, um nicht weiter darüber nachzudenken, dass er ein Mensch mit Familie zu Hause war, die keine Ahnung von seinem wahren Gesicht hatten, machte ihm fürchterliche Angst. Er hatte viele Verhöre durchgemacht, und war fast jedes Mal hart behandelt worden, aber nur ganz selten hatte er jemanden erlebt, der so viel Freude daran hatte. Tweedle-Dim war ein Sadist und Tommy hatte allen Grund, Angst vor ihm zu haben, aber noch mehr Gründe, es ihm nicht zu zeigen. Das würde ihn nur noch anspornen. Auf Tweedle-Dims Frage antwortete er nicht. Er machte sich bereit auf das, was unweigerlich kommen würde. Als er später mit Tweedle-Dim allein in dem Raum war, den massiven Herzanfall vortäuschte und ihn dazu brachte, unvorsichtig zu werden und ihn vom Stuhl loszumachen, rächte er sich an ihm. Es war härter als das, was er Raymond vor dem Pub angetan hatte – es war mehr als ein paar gebrochene Finger und die einhergehende Demütigung. Ihm war zum kotzen schlecht, als er Tweedle-Dim erledigte, wurde vor Schmerzen fast ohnmächtig dabei und als es vorbei war, kroch er in die Ecke unter das verhängte Fenster. Seine genagelte Hand war die Hölle, er versuchte das Blut zu stillen, wickelte sich ein Stück zerrissenes Hemd um die Hand, hoffte dann nur noch, dass er genug Zeit hatte, sich zu erholen, bevor Tweedle-Dum zurückkam.
„Gibt es die Chance, dass die beiden gefunden werden? Wenn die nachfolgenden Männer nach ihnen suchen?“
Tommy drängte die Erinnerung an Dim und Dum beiseite.
„Die Wälder sind tief und einsam“, sagte er, „und es gibt viele wilde Tiere. Vielleicht findet man mal einen Knochen wieder, aber selbst das kommt selten vor. Ich würde davon ausgehen, dass sie niemand mehr zu Gesicht bekommt. Würde mich jemand nach meiner persönlichen Meinung fragen, würde ich antworten, dass die beiden sich einfach verlaufen haben und leider in den Wäldern umgekommen sind. Sowas passiert.“
Soldaten mussten mit so etwas zurechtkommen und Terry schien damit kein Problem zu haben; er machte ein zufriedenes Gesicht. Dahinter fand Tommy etwas anderes und er fragte: „Wieso bist du wirklich hier?“
Jelly beans, dachte er, wo kamen die jelly beans her?
„Ich will dir eine letzte Chance geben. Wenn du mir verrätst, wo wir die drei Toten finden können, werde ich alles tun, um dich aus der Sache raus zu halten. Sie werden dich in Ruhe lassen. Sag mir, wie wir die Toten finden können.“
Es war ein netter Versuch, für den Tommy fast dankbar gewesen wäre, hätte er in irgendeiner Form der Bitte nachkommen können.
„Ihr könnt dort am Lough Fad alles umgraben, was sich umgraben lässt und vielleicht findet ihr dabei etwas, aber ich kann euch nicht sagen, wo ihr suchen sollt. Dazu ist es zu lange her und ich bin nie wieder dort gewesen. Ich würde nicht einmal mehr den See ohne Hilfe wieder finden. Wenn es dem alten Harney so verdammt wichtig ist, soll er dort alles umgraben lassen und hoffen, dass er die Abzeichen findet, die er braucht. Soll er sie verschwinden lassen. Aber wenn er auf meine Hilfe hofft, muss ich ihm leider eine Abfuhr erteilen. Er wird den Druck allein aushalten müssen.“
Terry tat es nicht aus Freundschaft – er hatte nur versucht, aus dieser Sache, die schief gelaufen war, einen letzten eigenen Nutzen zu ziehen. Er wollte mit der Beute nach Hause kommen.
Es wird verdammt schwierig werden, dachte Tommy, aber das bin ich gewöhnt. Ich muss nur auf Lea aufpassen. Und ich muss sie auf alles vorbereiten, was kommen kann.
Er sah Terry nicht wieder, hatte später von ihm nur noch in Erinnerung, dass er ein gradliniger Mann war, der versuchte, ein guter Soldat zu sein.
Wir waren verdammt gute Soldaten, dachte Tommy, und ich wünschte Kieran wäre noch am Leben. Er hätte es verdient, ein paar Jahre mehr in Frieden leben zu können.

Montreal zeigte sich in den nächsten Tagen von seiner guten Seite, es war kalt aber trocken und er konnte einige wichtige Dinge erledigen. Niemand stellte ihm nach, niemand schenkte ihm Aufmerksamkeit und er fühlte sich sicher. Hier sprach jeder Englisch mit einem Akzent und er fiel nicht weiter auf, hielt noch immer an der Geschichte mit der kranken Tante fest.
Irgendwann wird es schwieriger werden, dachte er, wenn uns das Geld ausgeht und wir irgendwo auf der Straße sitzen. Ich sollte es allein durchziehen. Ich sollte ihr das nicht antun.
Es war einfach. Er brauchte nur die Stadt zu verlassen, sich nicht mit ihr am vereinbarten Ort zu treffen. Sie würde wieder nach Hause fahren, ihn verfluchen und irgendwann vergessen. Aber es meldete sich auch eine andere Stimme, die ihm einflüsterte, dass sie sich bereits entschieden hatte in zu begleiten und sie jetzt sitzen zu lassen sehr unfair wäre.
Sie weiß, was auf sie zukommt, sagte diese andere Stimme, du hast es ihr oft genug gesagt und trotzdem lässt sie sich nicht davon abschrecken. Ihr gehört zusammen. Auf Biegen und brechen.
Er schlief schlecht. Nach drei Stunden wachte er auf, konnte nicht mehr einschlafen, lag in dem ungemütlichen Bett und rauchte zwei Zigaretten, bis er sich dazu entschließen konnte, sich anzuziehen und das Hotelzimmer zu verlassen. Er lief dann durch die einsamen Straßen, landete einmal vor einem Museum, wo er sich moderne Kunst ansah und einen Sinn dahinter zu erkennen versuchte. Plötzlich war ihm bewusst, wie einsam er war. Er wollte Lea wieder bei sich haben, wollte ihr Gesicht sehen und ihre Stimme hören. Für sie würde es keinen Ersatz geben können, er brauchte sie. Als ihm as klar wurde, wusste er auch, was er tun würde.

Er schickte eine anonyme E-mail über einen kostenlosen Anbieter an die Mailbox der beiden jüngeren Brüder von Kieran, die ein kleines B&B in Donegal betrieben, und hatte eine Rückantwort in seiner Box, als er am nächsten Tag das Internetcafé aufsuchte. Er hätte nicht damit gerechnet.
Pol hatte geantwortet, auf gälisch und sehr kurz angebunden, aber was er schrieb, ließ Tommy aufatmen.
Darren ist wieder zu Hause, las er, er wollte nicht sagen, was passiert ist, meinte nur, er sei ein großer Junge und sei uns keine Rechenschaft schuldig. Hat sich das Haar gefärbt. Wir sind mit ihm in den Pub gegangen, aber auch besoffen haben wir nichts aus ihm herausbekommen.
Er ist zu Hause, dachte Tommy, Mariamuttergottes, er ist zu Hause. Hat die Brits an der Nase herumgeführt, ist ihnen entkommen und nach Hause geflogen. Sollte mich nicht wundern, wenn Sean oder einer der anderen ihm das Ticket besorgt hat.
Er war so erleichtert, dass er fast darauf einen getrunken hätte. Er löschte die Mail, benutzte diese Adresse nie mehr wieder. Seine Hand begann zu jucken, sagte unter dem Gips, dass sie zu heilen begann und bald wieder ihre Arbeit aufnehmen würde.
Bitte lass mich etwas tun, sagte sie. Du hast mit meiner Hilfe zwei Männer getötet, obwohl ich verletzt war, ich hatte eine Pause und jetzt möchte ich wieder was tun.
Zur vereinbarten Stunde und am vereinbarten Ort saß Tommy in der Hotellounge, durfte dort nicht rauchen, kaute deshalb Kaugummi und behielt die Eingangstüren im Blick. Zwischen seinen Füßen lag eine dunkelblaue Reisetasche, der Rest seiner Sachen lag im Kofferraum des geparkten Wagens. Noch eine halbe Stunde würde er warten, dann würde er seine Tasche nehmen und durch die Tür nach draußen gehen. Tauchte sie rechtzeitig auf, nahm er sie mit. Musste er allein verschwinden, würde er es auch tun.
Sie werden mich so schnell nicht finden, dachte er, noch sind sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Harney, ehemaliger Nordirlandminister und Mitglied des Oberhauses, war vor zwanzig Stunden zurückgetreten. Er hatte die zunehmenden Vorwürfe gegen seine Person nicht entkräften können und dann sollen angeblich noch Beweise dafür aufgetaucht sein, dass er während seiner Amtszeit britische Soldaten auf die republikanische Seite der Grenze geschickt hatte, um dort ihre Aufgaben zu erledigen. Solche Gerüchte hatte es schon seit Jahrzehnten gegeben, aber jetzt kam jemand und behauptete, man könne es beweisen. Man habe während Harneys USA-Aufenthalts eine verlässliche Quelle aufgetan.
Tommy fühlte keinen Triumph, aber er war zufrieden über das Resultat. Er war nicht dumm; er glaubte nicht, dass die Jagd auf ihn dadurch abgeblasen war – nur ausgesetzt, um später wieder aufgenommen zu werden. Harney hatte noch immer genug Kontakte, genügend Reserven, um Männer auf seine Spuren zu schicken.
Er hat das Handtuch geworfen, dachte er, aber er wird mich dafür bezahlen lassen.
Er schloss die Augen, konzentrierte sich darauf, französische Satzfragmente aus dem Stimmengewirr herauszuhören und zu übersetzen; ein paar einfache Dinge verstand er problemlos, versuchte das Gehörte möglichst fehlerfrei in Gedanken nachzusprechen. Das war ein reiner Zeitvertreib, denn es war nicht geplant, im französisch-sprachigen Raum zu bleiben, es lenkte ihn ab und entspannte ihn so sehr, dass er fast einzuschlafen schien. Er setzte sich in dem glatten Schalensessel zurecht, machte dabei eine falsche Bewegung und wurde mit einem stechenden Schmerz in der Seite bestraft, quittierte es mit einem kleinen Gesichtverziehen. Er lauschte den nasalen und weitgehend unbekannten Lauten um sich herum, den quäkenden Geräuschen, den Rufen nach Kindern, die sich zu weit von ihren Eltern fortbewegt hatten. Die ganze Zeit versuchte er nicht daran zu denken, wie die Chancen standen, dass Lea wirklich auftauchte. Zu viele Unbekannte ein der Rechnung. Möglich, sie vertraute sich jemanden an, der ihr die Sache ausredete (Was vermutlich jeder tun würde, den sie in ihr Vorhaben einweihte). Selbst Joe würde sie nicht gehen lassen. Noch während sie versuchte, jemanden für das Café zu finden, könnte sie zu der Überzeugung gelangen, dass sie ihr Leben nicht hinter sich lassen konnte und wenn es nur an den Katzen lag.
Die werde selbst ich vermissen, dachte er, aber auf so einen ungewissen Trip kann man nicht einmal einen Hund mitnehmen. Taucht sie auf, werde ich ihr noch immer sehr viel erklären müssen. Dreht sie sich dann um und geht, muss ich auch damit leben.
Für eine Sekunde öffnete er die Augen, blinzelte umher und warf einen Blick auf die Uhr. Er war nur jemand, der auf seine Verabredung wartete, der jemanden abholte. Und als er an Terrys Worte dachte, wie einfach es sein könnte, würde er sich nur an den Ort der Leichen erinnern, kicherte er in sich hinein. Das hätte er fragen sollen. Er hätte die Toten nach dem Ort ihrer Knochen fragen sollen anstatt sich über Darren Sorgen zu machen. Welchen Taschenspielertrick er sich dann wohl ausgedacht hätte. Zufall oder Fügung, was immer er geglaubt hatte im Radio zu hören, bei längerem Nachdenken konnte er es in jede Richtung auslegen. Taschenspielertricks. Und er war drauf reingefallen. Und trotz aller Zweifel – er würde diesen Mann kein zweites Mal aufsuchen und riskieren, dass er etwas aus seinem Leben aus dem Hut zauberte, was niemand wissen konnte. Wenn es eine Geisterwelt um sie herumgab, wollte er davon nichts wissen, denn er hatte zu viele Leben auf dem Gewissen, als dass sie ihn hätten ruhig schlafen lassen.
Leas Zeit tickte langsam aber unaufhaltsam voran und als er dachte, das sie nicht mehr kommen würde, dass sie das Ultimatum verstreichen lassen würde, setzte sich jemand neben ihn auf den freien Platz und noch bevor er die Augen öffnete, hörte er: „Entschuldigen sie, aber ich glaube, sie sitzen auf meinem Platz.“


Der Weg nach New Mexico
Sie gewöhnte sich schnell an ihren neuen Namen, an den Namen ihres Mannes und die geänderten Daten. Aus Lea wurde Lee, einen Namen, den sie bei Bedarf mit einer zusätzlichen Kurzform kombinierte. Als Erklärung hatte sie immer eine kleine Geschichte parat, ihre Glaubwürdigkeit lebte durch kleinen Anekdoten. Sie waren noch immer in Alaska, weil sie auf die Reparatur des Station Wagons warteten. Lea hatte einen Job als Kellnerin angenommen. Sie kam jeden Abend mit schmerzenden Füßen nach Hause, zog sich um, wusch ihre Strumpfhosen im Waschbecken aus und hängte sie zum trocknen über die gespannte Leine zwischen Fenster und Wand. Vor dem Haus, in dem sie ein Zimmer angemietet hatten, setzte sie sich in die alte Hollywoodschaukel, legte ihr Füße hoch. Tommy kam zu ihr, schob ihre Füße beiseite, setzte sich und legte ihre Füße in seinen Schoß.
„Wie ist es gelaufen?“ fragte er und sie sagte: „Gut.“
Sie erzählte ihm nicht, dass der Hilfskoch ihr ständig unter den Rock packte und sie von zwei männlichen Gästen ein eindeutiges Angebot bekommen hatte. Damit kam sie klar.
„Ich hab heute Mücken gesehen“, sagte Tommy, „hätte im Leben nicht gedacht, dass die irgendwo so groß werden können.“
Er hielt die Hände vor sich auseinander. Zurzeit arbeitete er in den Wäldern und er hatte Lea von seinem unguten Gefühl dort erzählt.
„Ich möchte dort nicht graben“, sagte er und sie verstand ihn sehr gut, „Bäume fällen ist Okay, aber ich schmeiß es hin, wenn ich graben soll.“
Als sie ihre Reise in Laval angetreten hatten, hatte Lea ihm berichtet, was sich in den zwei Wochen in Lewiston getan hatte. Joe hatte großen Ärger mit seinem Sohn bekommen und vermutlich würde es sehr lange dauern, bis sie wieder normal miteinander umgehen konnten, denn Douglas hatte erfahren, dass sein eigener Vater Tommy Tips gegeben hatte, wie er sich einer Verhaftung entziehen konnte. Tommys Aussage Lieutenant Landry gegenüber war ins Protokoll aufgenommen worden und auch, dass er behauptet hatte, er könne David McCann finden, ließe man ihm freie Hand. Mittlerweile hatte man aber herausgefunden, dass sowohl Tommy Gallagher als auch David McCann nur falsche Identitäten waren.
Im College löste es eine Schockwelle aus, die bei weitem größer war als damals, als die Professorin wegen Drogenhehlerei festgenommen worden war. Diesmal wurde niemand festgenommen – es war nur jemand verschwunden und hatte eine Menge Fragen hinterlassen. Stimmte das alles, was man über Tommy im Nachhinein hörte? Was war wirklich mit ihm geschehen, als er fünf Tage lang verschwunden gewesen war? Viele seiner ehemaligen Kollegen waren der Meinung, es sei verdammt noch mal egal, was er irgendwann einmal getan hatte. Man hätte es dahin weiterführen können, dass er nur ein so guter Security Angestellter gewesen war, weil er diese Vergangenheit hatte, aber laut wagte das niemand zu sagen. Und je mehr ans Tageslicht kam, großzügig gestreut von Chief Blake, umso seltener wurden die Stimmen, die sich noch für Tommy eingesetzt hätten. Spike hielt sehr lange still, bis ihm ein paar Männer auffielen, die Monate nach Tommys Verschwinden auf dem Campus Fragen stellten. Das Thema Nordirland hatte er vollkommen ignoriert, aber trotzdem fühlte er sich am Bates nicht mehr sicher und wechselte das College. An seiner Pinnwand hinterließ er eine Notiz, die sehr knapp besagte, dass er das, was er wusste und jeden Tag sah, nicht länger für sich behalten könne. Das war alles.
Seine Freunde rätselten sehr lange, was zum Geier er gemeint haben könnte.
Lea fand es einfacher, alles hinter sich zu lassen und zu gehen, als weiter in Lewiston mit der Erinnerung zu leben. Wenn sie allein war, weinte sie häufig, beweinte, was sie verloren, aber nicht die Entscheidung, die sie getroffen hatte. Das Leben und das Überleben waren hart geworden, aber wenn das hatte sie vorher gewusst und sie hatte die Entscheidung getroffen. Wenn sie nicht viel miteinander sprachen, reichten Blickkontakte aus, um zu wissen, wie es dem anderen gerade ging und wenn in einer Stadt alles gut lief, blieben sie länger als die üblichen Monate. Dabei war es Lea fast lieber, sie zogen schnell weiter, bevor sie in Versuchung kam, Freundschaften zu schließen. Häufig suchte nur Tommy einen Job und sie kamen gerade so über die Runden, aber es kam auch vor, dass sie irgendwo landeten, wo es keine Jobs und keine Unterkunft gab. Es war Leas Albtraum, mit einem kaputten Wagen irgendwo zu landen, wo sie verraten und verkauft festhängen würden, ohne Jobs und ohne die Möglichkeit, dort wieder wegzukommen. Dieser Albtraum war sogar noch größer als der Gedanke, an die Männer, vor denen sie davonliefen. Es waren unsichtbare Verfolger – noch hatten sie niemanden zu Gesicht bekommen und Lea war mittlerweile trainiert im Erkennen möglicher Verfolger. Tommy hatte ihr alles beigebracht, was er wusste und sie hatte sich verteufelte Mühe gegeben, es zu lernen. Es war schwieriger gewesen als eine komplizierte fremde Sprache zu lernen und am Anfang dachte sie, sie würde es nie schaffen, sie wäre nicht fähig dazu, ein ständiges Misstrauen zu behalten und nach außen freundlich zu wirken. Sie fürchtete sich davor, ein unechtes Leben zu führen, nur noch unechte Gefühle zeigen zu dürfen.
„Darum geht es nicht“, sagte Tommy, „wir müssen nur vorsichtig sein.“
„Warst du in Lewiston auch nur vorsichtig, wenn alle dachten, du bist ein netter Kerl?“
„Ich versuche immer, ein netter Kerl zu sein, das hat nichts damit zu tun, dass ich überall vorsichtig war. So sind wir groß geworden und haben überlebt. Manchmal kann man es sich nicht leisten, jedem Fremden gegenüber freundlich zu sein.“
Lea hatte Probleme damit, bis sie selbst auf eine Frau hereinfiel, die sich ihr gegenüber freundlich zeigte, als sie sich im Supermarkt trafen und schon eine halbe Stunde später bei der Polizei anrief, weil mit dem Mädchen etwas nicht stimme.
Wir müssen überleben, dachte sie, und wenn es nur so geht, ist das einfach so. Vielleicht ändert es sich aber auch so schnell, dass ich nie wieder einen Gedanken daran verschwenden werde. Vielleicht wird es sogar noch schlimmer.
Sie verließen Alaska zwei Wochen später ohne klares Ziel. Die meiste Zeit saß Tommy hinter dem Steuer, sie redeten nicht viel. Wenn sie durch eine Ortschaft kamen, versuchte Lea herauszufinden, ob sie dort unauffällig untertauchen könnten und sie mieden grundsätzlich Orte, die zu ordentlich aussahen.
„Es muss mindestens ein streunender Hund nach was zu fressen suchen in den Mülleimern hinter dem Diner und einen Pennbruder davor“, sagte Tommy, „dann können wir davon ausgehen, dass wir nicht weiter auffallen werden.“
„Alaska hat mir gefallen“, sagte Lea, „auf jeden Fall besser als Kanada.“
Sie wühlte in der Tasche, die an ihren Füßen stand.
„Ich muss noch die Hose umnähen, dazu bin ich die ganze Zeit nicht gekommen.“
„Da war doch irgendwas mit dem Koch.“
Lea sah nach vorn auf die Straße. Es gab nicht viel Abwechslung auf dieser Strecke, entweder fuhren sie durch endlose dichte Wälder oder die zweispurige Straße führte durch Weizen –und Maisfelder so groß, das sie stundenlang kein Ende zu nehmen schienen.
„Was meinst du?“ erwiderte sie, sah weiterhin nach vorn auf die Straße, die sich durch den Weizen zog. Die breiten Standstreifen rechts und links waren fast unbewachsenen und staubig. Fuhr man dort drüber, zog man eine eindrucksvolle Staubwolke hinter sich her.
„Du bist ihm immer aus dem Weg gegangen und deshalb hab ich ihn beobachtet. Möchte gar nicht wissen, was in seinem Kopf vorgegangen ist.“
„Er hat versucht mich anzumachen“, sagte Lea, „aber das war kein Problem.“
Mit Sicherheit hatte der Koch sich schon den nächsten Rock ausgesucht.
„Kein Problem, aber wenn du’s bemerkt hast“, fuhr sie fort, „wieso hast du nichts gesagt?“
Tommy registrierte das schiefhängende und von Schrotkugeln durchlöcherte Ortseingangsschild, das inmitten der leeren Einöde stand. Population 1300. Fast zu klein, um ein Ort für sie zu sein, vor allem, wenn es dort nur verstreut liegende Farmen gab.
„Hätte alles noch schlimmer gemacht“, sagte Tommy, „er hätte ekeliges mit deinen Burgern angestellt. Du hättest es ausgebadet.“
„Fahren wir weiter oder versuchen wir’s hier?“
„Wir sehen es uns mal an.“
„Ich werde nicht wieder als Bedienung arbeiten“, sagte Lea, steckte mit Nadeln den breiten Saum der Hose fest, den sie sorgfältig umgeschlagen hatte. Tommy überging die letzte Bemerkung. Sie wusste sehr genau, dass es nicht nötig war, dass sie sich auch einen Job suchte, meist tat sie es nur, um ein wenig Geld für sich zur Verfügung zu haben und außerdem war es gut gegen die aufkommende Langweile. Sie wollte es nicht soweit kommen lassen untätig herumzusitzen und auf dumme Ideen zu kommen. Schon einige Male hatte sie mit dem Gedanken gespielt, ihre Mutter anzurufen und ihr zu sagen, dass alles in Ordnung sei, aber bisher konnte sie es noch immer unterdrücken. Ihre Mutter glaubte sicher, sie sei verschleppt worden und in einer Sekte gelandet. Die Wahrheit konnte sie ihr nicht sagen, und sie wusste, dass es deshalb besser war, nicht anzurufen. Außerdem würde Tommy ausflippen, sollte er dahinter kommen.
Es stellte sich heraus, dass Ridgewood kein schlechter Ort war, um dort eine Weile zu bleiben. Auf der ersten Farm, an der sie vorbeikamen und nach Wasser für den Kühler fragten, erfuhren sie, dass der Nachbar noch Hilfskräfte für seine Rinderfarm suchte. Dort angekommen bekam Lea sofort das Angebot in der Erntekolonne zu helfen, während Tommy sich um die Sauberkeit der Rinderunterkünfte kümmern sollte. So nannte es der Mann, der sich um die Hilfskräfte kümmerte und sich als Vorarbeiter vorstelle.
„Frauen und Männer arbeiten bei uns nicht zusammen“, sagte er, „das gibt nur unnötigen Ärger. Wenn ihr ein Problem damit habt, solltet ihr es gleich sagen.“
Tommy warf Lea einen kurzen Seiteblick zu. Sie zeigte keine Reaktion.
„Nee, in Ordnung“, sagte er.
„Seid ihr verheiratet?“ Der Vorarbeiter mit dem Gesicht wie eine Stiefelsohle stellte sich als John-Henry vor, war ursprünglich Rodeoreiter, hatte sich dabei den Rücken ruiniert.
„Gut für euch“, sagte er, „Paare bekommen gemeinsame Unterkünfte. Die sind zwar kleiner, aber man kann die Tür hinter sich zumachen.“
Was er nicht sagte war, dass man den Raum mit einem anderen Pärchen teilen musste. Als Lea das entdeckte, war ihr zum heulen zumute. Aber Philipe und seine Frau Nancy waren freundlich und auf dem ersten Blick unkompliziert und sie saßen am ersten Abend zusammen vor den Baracken und tranken Dosenbier.
„Ich trinke lieber nichts“, sagte Tommy, „wo ich noch nicht weiß, was morgen früh auf mich zukommt.“
Lea nippte an einer halben Dose, unterhielt sich mit Nancy und stellte ihr so viele Fragen, dass die Frau nicht dazu kam, selber Fragen zu stellen. Nancy war etwa dreißig Jahre alt und arbeitete seit ihrer Kindheit in der Landwirtschaft, ihr schwarzes Haar war von grauen Strähnen durchzogen. Sie hatte die Angewohnheit, sich beim Lachen die Hand vor den Mund zu halten und obwohl ihr Leben kein Zuckerschlecken war, lachte sie oft und gerne. Lea bekam am ersten Abend mit, dass Philipe sie mit der flachen Hand schlug, weil sie ihm nicht schnell genug die neue Bierdose rüberreichte und obwohl es eine schmerzhafte Erniedrigung für sie war, reichte sie ihrem Mann die Dose und lachte, als habe er nur einen Scherz gemacht. Lea dachte, Nancy sei einfach nur eine Frohnatur und hart im Nehmen, aber als sie mit Tommy darüber sprach, sagte er, dass das wohl nicht der wahre Grund sei.
Später, als Nancy und Lea sich zum Schlafengehen fertig machten, über ihre grundverschiedene Nachtwäsche kicherten, fragte Lea spontan: „Schlägt er dich oft?“
Nancy machte eine kurze Bewegung mit der offenen Handfläche auf ihr Gesicht zu. Sie ahmte Philipes Schläge nach, sagte: „Wenn ich etwas falsch mache, ermahnt er mich mit der flachen Hand. Ich vergesse oft irgendwas. Wenn ich weine, weil er mich ermahnt, wird er sehr wütend und dann schlägt er mich wirklich.“
Sie ballte ihre knochige Hand zu einer Faust, an der die Sehnen hervortraten, zeigte dabei ein so ausdrucksloses Gesicht, dass Lea sofort wusste, was sie hinter ihrem Lachen verbarg. Sie lachte lieber, als jemanden sehen zu lassen, dass sie zu keiner emotionalen Regung mehr fähig war.
Kein großer Sprung von meiner Situation bis zu ihrer, dachte Lea, aber wenn Tommy anfängt, mir in die Kniekehlen zu treten, nur weil ich ihm nicht schnell genug in den Wagen steige, sollte ich sehen, dass ich verschwinde. Und wenn ich zu Fuß nach Maine zurück muss.
Sie sagte zu Nancy, sie solle die Ohren steif halten und aus allem das Beste machen und wenn sie Probleme habe, könne sie zu ihr kommen.
„Wir können es hinbiegen“, sagte sie, „egal, was es ist.“
Die erste Nacht in der gemeinsamen Unterkunft gestaltete sich schwierig. Tommy und Lea räumten die wenigen Sachen, die sie brauchten, in einen kleinen Schrank neben dem Bett, das sie benutzen durften, den Rest ließen sie im Wagen.
„Wir müssen bei nächster Gelegenheit den Wagen wechseln“, sagte Tommy, „ich hoffe, du hängst nicht an der alten Bodenschleuder.“
„Mein Herz hängt nicht an einem Auto“, sagte Lea, „aber wir werden draufzahlen müssen, damit uns das Ding jemand abnimmt.“
Das Bett bestand aus einem Metallgestell, einer dünnen Matratze und ein paar Wolldecken, die Lea ordentlich zusammenlegte und die eigenen aus dem Wagen holte. Morgens um fünf wurden sie so unsanft wie möglich geweckt – so, wie es sich anhörte, schlug draußen jemand mit einem Hammer in einem Zinkeimer herum, ging damit von Tür zu Tür und brüllte die Uhrzeit. Tommy ließ Lea zuerst aufstehen, weil sein Rücken protestierte und er mehr Platz brauchte, um sich hochzuquälen. Sein Rücken war steif und schmerzte bei jeder Bewegung, die er versuchte.
Es blieb keine Zeit für ein Frühstück oder einer Dusche, die Frauen wurden auf offenen Lastwagen zu den Feldern hinausgefahren. Lea trug eine dunkelblaue Baseballkappe und hatte sich eine PET-Flasche Wasser mitgenommen. Sie machte ein Victory-Zeichen in Tommys Richtung, als der Lastwagen an ihm vorbeifuhr. Tommy hob die Hand und machte es zurück. Sie würden diese Tage schon irgendwie überstehen. Tommy bekam die Aufgabe, die Ställe der Mastrinder sauberzumachen und sie stellten ihm dazu gerade mal eine große zweirädrige Schubkarre, eine Schaufel und eine Mistgabel zur Verfügung.
„Du schaufelst die Scheiße auf die Karre, schiebst die Karre nach draußen und lädst dort alles auf den Haufen, der schon da liegt. Verstreu es nicht, Okay? Wenn alles sauber ist, nimmst du das Stroh dort hinten aus der Ecke und verteilst es in alle Stände. Nimm nicht zu viel davon. Sei bis Mittags fertig, dann kommen die neuen Rinder. Alles klar soweit?“
„Sollte ja nicht schwierig sein.“ Die Hand mit der Nagelverletzung war noch immer nicht ganz in Ordnung, aber es würde schon gehen. Er fragte sich allerdings, weshalb nicht einfach die ganze Scheiße aus den schmalen Boxen auf die breite Stallgasse geschoben wurde, um dann mit einem Schaufellader alles nach draußen zu schieben. Tatsache war wohl, dass das Benzin teurer war als die Arbeitskraft eines Mannes. Und der Mann war schnell und einfach ersetzbar, während Maschinen gewartet werden mussten.
Hier werde ich froh sein, wenn ich das Geld nehmen und verschwinden kann, dachte er und machte sich an die Arbeit.
Es war unglaublich, wie schwer die Scheiße wurde nach der dritten Karre und sein Rücken war eine einzige Hölle nach der vierten. Er ging dazu über, die komplette Scheiße aus den Boxen auf die Stallgasse zu schieben und von dort auf die Karre zu laden. Der Gestank hätte mit der Zeit erträglicher werden müssen, aber selbst, als Tommy nur noch durch den Mund atmete, glaubte er irgendwann zu ersticken.
Mach dir jetzt eine Zigarette an und du fliegst bis New Mexico, dachte er.
Er schaffte es nicht, bis zur geforderten Zeit fertig zu werden. Die stinkende Scheiße, flüssig und an manchen Stellen klumpig, vermischt mit altem Stroh und Erde, türmte sich vor der Tür auf und drohte zu seinem Albtraum zu werden. Immigrant Paul, der eigentlich Pavel hieß, half ihm aus der Misere. Er holte eine zweite Karre und packte mit an, ohne viel Worte darüber zu verlieren und gerade, als die Lastwagen mit den neuen Rindern ankamen, waren sie mit dem Einstreuen fertig. Sie hatten überall die Spelzen stecken, in den Haaren, in den Hosenbeinen und im Kragen.
„Ich hätte es geschafft, wenn mein Rücken nicht gewesen wäre“, sagte Tommy. Er hatte das dringende Bedürfnis sich zu rechtfertigen. Pavel betrachtete den Strom der Rinder, die in die sauberen Boxen getrieben wurden, um dort noch einmal ordentlich an Gewicht zuzulegen, sah Tommy an und sagte: „Das ist normalerweise ein Job für drei Mann. Allein hat das bisher noch niemand geschafft. Es gibt ein paar Tricks dabei.“
Erst bei Sonnenuntergang kamen die Frauen von den Feldern zurück und es gab für alle eine gemeinsame Mahlzeit, bestehend aus Chili con carne und so viel Grillfleisch, dass Tommy dachte, sie könnten mindestens zwanzig Bullen verdrückt haben. Lea und er saßen auf einem dicken Baumstamm, die Teller auf den Knien, aßen stumm und gierig.
„Ich hab noch nie so viel Hunger gehabt“, sagte sie. Sie aß so viel Fleisch, frisch vom Grill und mindestens auf einer Seite verbrannt, dass sie sich kaum noch bewegen konnte.
„Wie war’s auf dem Feld?“ fragte Tommy und sie bückte sich und zog ihr rechtes Hosenbein hoch, zeigte ihm ihre zerstochenen Wade.
„Das geht alles durch den Hosenstoff“, sagte sie, „Insekten, Stacheln, Dornen. Aber die Frauen sind Okay, wir quatschen die ganze Zeit und die Mexikanerinnen singen ihre Lieder aus der Heimat. Ich hab versucht mitzusingen, aber Nancy hat gesagt, ich solle mir lieber eine andere Beschäftigung suchen.“
„Du stehst es also noch ein paar Tage durch?“
Sie nickte, nahm sich noch einen Löffel Chili und entschloss sich endlich satt zu sein.
Tommys Rücken wurde auch in den Ruhestunden nicht besser und als er sich nicht einmal mehr hinlegen konnte, ohne vor Schmerzen die Luft anzuhalten, gab Lea ihm zwei der Schmerztabletten und massierte ihm die verspannten Schultern.
„Und du riechst noch immer nach Kuh“, sagte sie.
Tommy lag bäuchlings auf dem Bett, hatte die Arme seitlich weggestreckt und Lea kniete über ihm, bearbeitete seine Schultern und dachte darüber nach, dass sie keinen einzigen Folksong kannte.
„Ich kann nicht singen“, sagte sie und Tommy erwiderte brummend, das Gesicht in das Kissen gedrückt: „Da erzählst du mir nichts neues.“
„Ich kenne kein einziges Lied, was ich während der Arbeit singen könnte“, sagte sie, „ist das nicht komisch? Man sollte meinen, ich hätte irgendetwas behalten von der ganzen Musikberieselung.“
„Umh“, machte Tommy, entspannte sich langsam und war schon eingeschlafen, noch bevor er den Gedanken zu Ende dachte. Er wollte Lea sagen, dass sie sich einfach an die Kinderlieder erinnern sollte, aber dazu kam es nicht mehr.
Als sie ihn fragte, ob er sich besser fühlte, schlief er bereits. In dem schmalen Bett blieb für sie nicht mehr viel Platz, sie drückte sich an die Wand, legte sich auf die Seite und schloss die Augen. Die kleinen Wunden und Stiche an ihren Beinen brannten noch immer, als wäre sie mit nackten Beinen durch Brennnesseln gelaufen. Sie wurde wach, als Philipe und Nancy den Raum betraten, sich im Dunkeln auszogen und ebenfalls schlafen gingen.
Tommy flüsterte etwas in seiner Sprache im Schlaf, drehte sich und ließ Lea endlich mehr Platz. Es war heiß in dem Zimmer, obwohl sie das Fenster geöffnet hatten und Lea zog die Decke von ihren Beinen, legte einen Arm über Tommys Rücken. Sie träumte sehr verschwommen von ihrem langen Arbeitstag auf dem Feld, wo sie mit den anderen Frauen in den Reihen der Zuckerrüben dem Traktor gefolgt war. Ein langer heißer Tag angefüllt mit rückenzermarternder Arbeit. Manche der Frauen waren über fünfzig gewesen und Lea fragte sich jetzt noch, wie man solche Arbeit ein Leben lang durchhalten konnte. Die Antwort dazu kam ihr im Traum, als sie die ausgezehrten gebückten Frauen wieder vor sich sah: Man hielt es durch, wenn einem nichts anderes übrig blieb.
Sie wurde von einem Geräusch geweckt, legte sich gemütlicher hin und versuchte dabei, Tommy etwas weiter zur Seite zu schieben. Er erwachte ebenfalls, machte ein fragend-brummendes Geräusch und drehte sich zu ihr herum. Durch das offene Fenster kam schwacher Mondschein, tauchte das Zimmer in ein graues milchiges Licht.
„Was macht dein Rücken?“ wisperte sie, hörte wieder ein ersticktes Geräusch von der anderen Seite des Raumes.
„Besser“, sagte Tommy.
Sie lächelte darüber, dass sein Akzent so stark durchschlug, wenn er noch halb schlief.
„Morgen müsste alles wieder in Ordnung sein.“ Sie rückte näher an ihn heran. „Die beiden sind auch wach“, bemerkte sie, sprach so leise, dass sie sicher war, nur von Tommy gehört zu werden.
„Möchte wissen, was die da machen.“
„Nach was hört es sich denn an?“
Sie lauschten beide.
„Wirf doch mal einen Blick rüber.“
„Mach du doch“, sagte Tommy, „ich will mir das nicht ansehen.“
„Ich glaube, die haben Sex.“
„Glaub ich auch.“
„Dann sieh doch einfach mal nach.“
„Ich will mich aber nicht extra umdrehen.“
Lea stützte sich auf den Ellebogen und flüsterte kichernd: „Wer hätte gedacht, dass old irish so verklemmt daherkommen kann.“
Sie riskierte endlich einen Blick, sah genauer hin, verfolgte die undeutlichen Bewegungen, die kaum unterdrückten Geräusche. Schließlich sagte sie: „Wenn du mich fragst, hat er Sex, aber sie nicht.“
„He?“ machte Tommy. Lea machte saugende Geräusche an seinem Hals und erklärte: „Sie lutscht an ihm.“
„Oh. Okay.“
Sie schwiegen, versuchten die verräterischen Geräusche zu ignorieren, wagten sich nicht zu bewegen, um nicht zu verraten, dass sie wach waren und alles mitbekamen. Plötzlich rutschte Tommy näher an Lea heran und flüsterte so leise, dass sie ihn kaum verstand: „Wie kommst du darauf, dass das kein Sex ist?“
„Definitionsmäßig. Sex ist das, wovon man schwanger wird. Einem Jungen einen blasen ist ein Partyspiel. Das hat nichts zu bedeuten.“
„Es wäre auch nicht einmal fremdgehen?“
Lea überlegte und antwortete: „Nein, nicht für mich.“
Noch vor einem halben Jahr hatten sie solche Diskussionen nicht geführt. Sie hatten anfangs über vieles gesprochen, aber als sie glaubten, jeder kenne den anderen, hatten sie damit aufgehört. Und plötzlich stellten sie fest, dass sie sich doch nicht so in-und auswendig kannten, wie sie gedacht hatten. Er bekam Angst, dass sie sich unmerklich voneinander wegbewegen könnten, weil das Überleben alles andere verdrängte.
Wir brauchen etwas gemeinsames, dachte er, woran wir uns immer wieder festklammern können.
„Wenn das so ist, kann ich dich ja in der nächsten Stadt auf den Strich schicken“, flüsterte er und Lea antwortete mit einem mühsam unterdrückten Kichern, was aus ihr herausplatzte, als Tommy ihr zuraunte: „Hör auf zu lachen, ich meine das ernst.“
Auf der anderen Seite des Zimmers wurde ihr Gekicher registriert, die rhythmischen Bewegungen hörten abrupt auf und Lea musste sich die Hand auf den Mund drücken, um nicht laut herauszuplatzen. Sie stellte sich vor, Nancys nasse Lippen würden ein ploppendes Geräusch machen, wenn Philipe sie gewaltsam von seinem Schwanz wegzog. Als würde man den Finger aus einem Flaschenhals ziehen.
„Hör auf“, flüsterte Tommy, selbst unterdrückt lachend, „stell dir vor, wir würden heimlich vögeln und plötzlich fängt da jemand an zu lachen.“
Lea versuchte sich später bei Nancy für ihren Anfall zu entschuldigen, aber als sie am nächsten Morgen gemeinsam den Lastwagen bestiegen, war Nancy sehr zurückhaltend und versuchte, den dunkelroten Fleck an ihrem Hals zu verbergen. Ein kleiner Liebesgruß von Philipe, eine liebevolle Ermahnung an ihr Benehmen. Lea ließ es darauf beruhen, sie wollte nicht noch mehr Ärger für Nancy. Sie wurden wieder auf den Rübenacker gefahren, wo sie Unkraut aus den Reihen zupften, Stunden um Stunden gebückt arbeiten mussten und kaum eine Pause einlegen konnten. Es wurde ein langer harter Tag und Lea war nicht mehr nach singen zumute. Noch gestern hatte sie geglaubt, es sei alles halb so schlimm, aber heute hatte auch sie Rückenschmerzen, ihr Kopf pochte vom Bücken und ihr wurde schwindelig. Sie hielt verbissen durch, trank so viel Wasser wie möglich und verschwand deshalb öfters in die Büsche zum pinkeln als die anderen. Die ganze Zeit dachte sie an Tommy und nahm sich vor, ihn zu fragen, ob sie nicht weiterziehen konnten. Sie wollte mehr Zeit mit ihm verbringen, denn das war der Grund, weshalb sie mit ihm mitgegangen war.
Das hier ist nichts für mich, dachte sie, ich kann mir noch so sehr einbilden, ich wäre hart und könnte das alles durchstehen, aber warum sollte ich das tun? Es muss noch andere Wege geben, um unterwegs zu überleben.
Tommys Arbeitstag war ähnlich anstrengend, zwar musste er nicht mehr die Ställe ausmisten, aber er war mit einem Mann, Aaron, auf den Viehweiden unterwegs und kontrollierte die Drahtzäune. Sie fuhren gemeinsam in einem alten Jeep, mussten lockere Holzpfähle austauschen, neue mühsam einschlagen, Drähte spannen und dabei versuchen, sich nicht am Stacheldraht die Arme aufzureißen. Es erinnerte Tommy an die heimatlichen Straßensperren, aber es erfüllte ihn nicht gerade mit nostalgischer Sehnsucht. Er musste lange Strecken laufen, jeden einzelnen Pfahl kontrollieren, während sein Kollege Aaron im Jeep neben ihm herfuhr und eine Zigarette nach der anderen rauchte. Tommy übte sich in engelhafter Geduld, wartete den ganzen mühsamen Vormittag, dass sie die Seiten tauschen würden und als nichts dergleichen passierte, stellte er einen Fuß auf den Vorderreißen der Fahrerseite und sagte: „Wie wär’s, wenn du mich mal für eine Weile fahren lässt?“
„Darf ich nicht“, bekam Tommy zur Antwort, „du bist erst zwei Tage hier.“
Aaron arbeitete seit Jahren auf der Farm, er hatte eine Statur, die vermuten ließ, dass er Mastochsen mit der geballten Faust ins Jenseits befordern konnte. Seine Haut war an den freien Stellen, Gesicht, Hals, Arme und Hände ledrig braun, durchzogen von Narben, besonders an den Händen. Tommy dachte an seine blasse Haut und an den verteufelten Sonnenbrand, den er sich in seinem ersten Sommer an der Ostküste geholt hatte. Er hätte Verständnis dafür gehabt, dass Aaron es leid war, sich die Hände am Stacheldraht aufzureißen, aber nicht auf seine Kosten. Er verfolgte den Flug eines kleinen Raubvogels und setzte sich so schwungvoll auf die Motorhaube, als wolle er dort die nächsten zwei Monate aushaaren. Aaron runzelte die Stirn, starrte auf Tommys Rücken und rief: „Mach dass du da runterkommst. Beweg dich. Wir haben noch die halbe Strecke vor uns.“
Tommy überhörte seine Anweisungen, wartete darauf, dass Aaron sich vom Fahrersitz erhob und die Schritte am Wagen vorbei auf ihn zumachte. Er ließ ihm keine Zeit, seine Anweisungen zu wiederholen, brachte ihn mit wenig aber effizientem Körpereinsatz zu Fall, nagelte ihn auf dem Rücken fest und schlug ihm mit der guten Faust dreimal ins Gesicht. Aaron glotzte ihn an, atmete schwerfällig und brachte ein „Wuah?“ heraus.
„Nicht einmal der heilige Vater sieht uns hier, mein Freund“, sagte Tommy freundlich, „also lässt du mich bitte die nächsten zwei Stunden fahren, während du ein wenig die Zäune kontrollierst. Meine alten Knochen brauchen eine Pause. Wenn nicht, werde ich dafür sorgen, dass du einen Unfall mit den Bullen hast, die ich auf dem letzten Abschnitt gesehen habe. Glaub mir, es würde mir nichts ausmachen. In ein paar Wochen würde mir nicht einmal mehr dein Name einfallen. Du solltest ein wenig mehr Respekt vor anderen hart arbeitenden Männern haben. Dürfte ich dich jetzt bitten, mir die Erlaubnis zugeben, den Jeep fahren zu dürfen.“
„Du hast sie“, sagte Aaron. Seine Nase und seine Stirn fühlten sich an wie mit Gelee gefüllt. Er betastete die Stellen vorsichtig, wurde mit einem dumpfen Schmerz belohnt. Die ganze Zeit war er davon überzeugt, sein Gesicht sei total entstellt und jeder auf der Farm würde ihm sofort ansehen, dass er eines auf den Kolben bekommen hatte, aber als sie zurückfuhren, Tommy auf dem Beifahrersitz, als sei nichts geschehen, sagte niemand etwas. Aaron inspizierte sich im Waschraum und konnte es kaum glauben. Er entdeckte nur eine schwache Verfärbung, die ebenso von zu viel Sonne hätte herrühren können. Die Schwellung schien nur nach innen gegangen zu sein.
Verfluchtes Arschloch, dachte er, starrte in den Spiegel, glaub mir, dass ich dir das Leben hier zu einem Albtraum werden lasse.

Aber soweit kam es nicht. Beim gemeinsamen Essen, als Lea nicht wusste, wie sie sich setzen sollte, um keine Rückenschmerzen zu haben, fragte sie, was er davon hielte, wenn sie sich den Wochenlohn abholten und weiter zögen.
„Ich halte das vielleicht noch eine Woche durch“, sagte sie, „aber länger bestimmt nicht. Dazu sind wir doch nicht unterwegs, Tommy, dass wir vierzehn Stunden getrennt voneinander schuften und danach kaum noch genug Energie haben, um uns zu unterhalten. Wir sind untergetaucht“, sagte sie sehr leise, „aber das heißt nicht, das wir uns zu armen Teufeln entwickeln.“
„Du hast recht“, sagte Tommy, „und wir verschwinden direkt morgen froh.“
„Das ist nicht das, was...“
„Keine Widerrede. Ich verpasse dir eine Rückenmassage, wir schlafen aus und dann ziehen wir weiter. Wir sind auf das Geld nicht angewiesen.“
„Ich weiß schon. Deine heimliche Reserve. Aber die war für den Notfall gedacht.“
„Nennen wir das hier unseren ersten Notfall.“
Er erzählte ihr erst später, dass er Aaron eins auf die Nase gegeben hatte und auch deshalb die Arbeit auf der Farm danach nicht mehr lustig sein würde. Sie packten ihre Sachen und verschwanden unbemerkt, da alle auf den Feldern und Weiden unterwegs waren, in Tommy Tasche das hart verdiente Geld, das sie fröhlich im nächsten Diner auf den Kopf hauen konnten.
„Woher kommt dieser Notgroschen?“ fragte Lea, als sie zwischen Bellevue und Twin Falls waren. Kurz vor der Grenze nach Nevada. Das Land wurde trockener, sie fuhren Richtung Wüste und würden nur noch vereinzelt auf Ortschaften treffen. In Twin Falls würde Tommy sich Geld schicken lassen.
„Wie konntest du in der alten Heimat Geld auf die hohe Kante legen?“
Tommy lenkte den Wagen mit einer Hand weiter, knuffte ihr mit der freien Hand auf den Oberschenkel.
„Schrecklich, wenn ich dir nichts mehr vormachen kann“, sagte er, „das Geld ist aus dem Auf-der-Flucht-Fond. Kieran hat ihn für mich angelegt, als er mich nach New York und dann nach Boston geholt hat. Ich hab’s nicht mit Arbeit verdient, ganz klar, aber ich habe dafür auch keine Bank überfallen. Es ist altes Geld, auf einem unbekannten Konto und ich hoffe, dass uns darüber niemand auf die Schliche kommt.“
Sie werden sich an uns erinnern auf der Farm, dachte er, wenn jemand kommt und nach einem Pärchen fragt, was auffällig versucht unauffällig zu sein, wird jeder dort sofort an uns denken. Wir können nur versuchen, so weit wie möglich weg zu kommen.
„Wir müssen nicht an das Konto“, sagte Lea. Sie rieb an ihren zerkratzten Unterarmen. Nie im Leben hatte sie eine solche Sonnenbräune entwickelt. Sie war bestens präpariert für Nevada.
„Lass uns kein Motel nehmen. Schlafen wir irgendwo unterm freien Himmel und sparen das Geld.“
Nach Nevada folgten Arizona und New Mexico, wo sie über Monate blieben. Die ganze Zeit hatten sie das Gefühl, in Sicherheit zu sein, sie kamen bei einem alten Ehepaar unter, bei denen Lea den Haushalt machte und Tommy sich um das Haus und das Land kümmerte. Er reparierte die Scheune, brachte das Dach in Ordnung, ersetzte gesprungene Fenster. Vor New Mexico hatten sie zweimal den Wagen gewechselt, fuhren jetzt einen alten Sedan. Das alte Ehepaar, Stephen und Alma Sebastian, waren seit fünfzig Jahren verheiratet, behandelten sich mit Respekt, weil sie wussten, dass sie nie wieder jemanden finden würden, den sie so in- und auswendig kannten. Bei einer gemeinsamen Arbeit bemerkte Stephen die blassen Narben an Tommys Hand.
„Durchgenagelt“, sagte Tommy, bewegte das noch immer steife Handgelenk. Stephen grunzte, murmelte, es habe schon seltsame Unfälle gegeben und dann arbeiteten sie schweigend weiter.
Lea fütterte die Hühner hinter dem Haus, trug ein langes geblümtes Kleid, das ihr zwei Nummern zu groß war und sie mit Sicherheitsnadeln am Rückenteil enger gesteckt hatte. Ihr Haar war lang geworden und sie hätte es gern wieder kurz geschnitten, aber sie wollte nicht wieder mehr Ähnlichkeit zu der alten Lea entwickeln. In der Bibliothek des Ortes, einem dunklen und muffigen Gebäude, angefüllt mit alten Büchern und Jahrzehnten alten Zeitschriften, mit einer traurigen kleinen Abteilung mit Kinderbüchern, gab es erstaunlicherweise einen PC mit Internetanschluss. Lea wagte, die Seite des Sun Journals zu öffnen, las dort die Überschriften der tagesaktuellen Berichte, und wurde von Heimweh überwältigt. Selbst die Ankündigungen, welche Straßen wegen Fahrbahnausbesserungen gesperrt sein würden, brachte sie zum weinen. Sie wagte nicht, weiter zu forschen oder sich ins Archiv zu klicken. Vermutlich musste man sich dafür als Benutzer registrieren lassen und das Risiko konnte sie nicht eingehen. Sie waren zufrieden bei den Sebastians, konnten sich über nichts beklagen und hofften, auch den Winter über bleiben zu können.
„Manchmal würde ich gerne jemanden anrufen“, flüsterte Lea eines Abends, als sie noch draußen vor dem Haus saßen, „nur ganz kurz und nur um zu sagen, dass es uns gut geht. Aber selbst Entführte und vom Tode bedrohte würden sagen ‚Es geht mir gut, Mom, mach dir keine Sorgen um mich’, und ich würde sofort weinen. Wen würdest du anrufen wollen?“
Tommy musste nicht lange überlegen. Hätte er die Möglichkeit, gäbe es nur eine Person, die er anrufen würde, um sich zu entschuldigen und es zu erklären. So viel zu erklären, dass er Monate dazu gebraucht hätte.
„Meinen Dad“, sagte er, „ich würde ihm gern eine Menge erklären. Ihn um Verzeihung bitten.“
„Hat er nichts von all dem gewusst?“
„Ich habe es ihm nie erzählt, aber ich bin sicher, dass er es wusste. In den Pubs wurde immer viel geredet, besonders nach der Polizeistunde, wenn vorne abgeschlossen wurde. Über diese Dinge haben wir nie gesprochen. Ich würde ihm sagen, wie leid mir das alles tut, was passiert ist.“
Er hatte Lea davon nichts erzählt, es war eines seiner letzten großen Geheimnisse. Der Umstand, unter dem sein Vater und sein älterer Bruder Aidan ums Leben gekommen waren.

Er war wie so oft unterwegs, hatte sich mit Kieran getroffen und wollte jetzt nur noch nach Hause und ein paar Stunden schlafen. Er hatte eine Zimmerecke bei einer großen Familie bekommen, dort stand ein schmales Bett mit zwei karierten Decken und einem Karton neben dem Kopfende, in dem er seine Klamotten sammelte. Es genügte für eine Weile. Kieran hatte ihm angeboten, bei ihm unterzukommen, aber das Angebot wollte er nicht annehmen. Er konnte sich nicht zwischen Moira und Kieran drängen, die noch immer frisch verliebt waren und ständig aneinander hingen. Um schlafen gehen zu können, musste Tommy zwei der Kinder aus seinem Bett schmeißen, die sich immer wieder dort hineinschlichen und unter den Decken versteckten. Die zwei Jungs mit den schwarzen Lockenköpfen und den ewig verschmierten Gesichtern ließen sich nur widerwillig aus dem Bett werfen, schubsten sich gegenseitig aus dem Raum, bis sie in ihre eigenen Kojen zurückfanden. In dem Raum schliefen außer ihm noch zwei der älteren Söhne und der Schäferhund der Familie. Es hatte Tommy einige Bestechungsaktionen mit Wurstresten gekostet, bis der Hund ihn ohne laut anzuschlagen dort schlafen ließ.
Die Familie wusste, worauf sie sich einließ, ihn bei sich übernachten zu lassen. Sie lebten seit Jahren mit Feuerlöschern und Baseballschlägern neben den Betten. Es kam häufig zu Überfällen der Protestanten, sie versuchten in die Häuser einzudringen, warfen Steine durch die Fenster.
„Du kannst bei uns bleiben, so lange du willst“, hatte das Familienoberhaupt gesagt, eine Großmutter von vierzig Jahren, die neun Kinder zur Welt gebracht hatte, als Näherin arbeitete und kaum lesen und schreiben konnte. Sie hielt die Familie zusammen. Und sie war diejenige, die sagte, sie würde jedem protestantischen Arschloch, das es wagte, in ihr Haus zu kommen, höchstpersönlich die Zwillingsbrüder abschneiden. Ihre Söhne sagten daraufhin üblicherweise: „Und wir halten ihn für dich fest, Mom.“
In dieser Nacht blieb es ruhig, bis auf die Militärfahrzeuge, die durch die Straßen patrouillierten und einen Hubschrauber. Tommy hatte einen leichten Schlaf, besonders, seit er nicht mehr trank, stand früh auf, weil der Hund ihn weckte, der zum pinkeln nach draußen wollte und versuchte dann etwas zum Frühstück zu kaufen. Beim Metzger traf er seinen Bruder Aidan, der mit Einkaufskorb in der Schlange stand. Sie gingen auf eine Zigarette nach draußen.
„Scheiße, was hast du denn gemacht?“
Aidan grinste, strich sich über den kurzgeschnittenen Stoppelkopf.
„Anna hat versucht, mir die Haare zu schneiden und das ist dabei raus gekommen. Ich fürchte, sie wird die Prüfung nächste Woche in den Sand setzen.“
„Wie geht’s euch? Alles in Ordnung?“
„Du könntest mal wieder vorbeikommen.“
„Ich werd's versuchen.“
Aber Aidan wusste, dass Tommy nicht vorbeikommen würde, um seine Familie zu besuchen. Er hatte Angst, sie in seine Sache mit hineinzuziehen, wenn er die Aufmerksamkeit der Truppen auf seine Familie richtete.
„Wir könnten uns mal wieder im Pub treffen. Dad hat seinen Job verloren, aber er würde bestimmt mitkommen. Er erzählt so oft von dir.“
Tommy wollte wissen, was seine Schwestern machten, erfuhr, dass Bronagh, gerade mal sechzehn, vermutlich schwanger war, es aber den Eltern noch nicht gesagt hatte.
„Er ist ihr davongelaufen“, sagte Aidan, „hatte wohl Schiss vor der Heirat. Ich hätte ihn zurückgeholt, aber das wollte sie nicht. Sie meinte, sie nimmt lieber irgendjemanden zum Mann, wenn es sein müsste, als diese Lusche wieder zu sehen.“
Schnell arrangierte Hochzeiten waren gar nicht selten, und wurden ebenso ausschweifend und fröhlich gefeiert wie reine Liebeshochzeiten. Die letzte Hochzeitsfeier, an der Tommy teilgenommen hatte, hatte zwei Tage gedauert und er konnte sich noch undeutlich daran erinnern, dass er in einer Ecke gesessen hatte, mit einer Flasche Whiskey im Arm und den Resten des rosa Hochzeitskuchen auf dem Pappteller auf dem Schoß. Irgendjemand hatte einen Esel in den Saal gezogen, versuchte die Braut auf das graue zottige Vieh zu setzen, wovon beide nicht begeistert waren. Die Aktion endete damit, dass Tommy dem Esel den Kuchen ins Maul stopfte, um ihn abzulenken, damit die kreischende Braut sich endlich auf seinen Rücken setzen konnte. Zwei Jungs in schlecht sitzenden Anzügen, rot gesoffenen Gesichtern und Zigaretten in den Mundwinkeln schafften es, die Braut auf das Vieh zu hieven, jemand machte Fotos davon, worauf der Esel sich vor dem Blitzlicht erschreckte, die Braut herunterbockte und rutschend durch den Saal galoppierte. Hochzeiten waren etwas Feines.
Er brauchte eine unauffällige Gelegenheit wie eine Hochzeit, um seine Familie zu sehen. Er war seit Jahren nicht zu Hause gewesen, obwohl sie noch immer in dem gleichen Viertel lebten.
„Lass dein Haar wieder wachsen“, sagte Tommy, fuhr seinem Bruder über den Kopf, hielt ihn einen Moment im Nacken fest und sagte: „Ihr passt auf euch auf, Okay?“
„Wir passen auf uns auf“, sagte Aidan.

Den Abend verbrachten Kieran, Ian und Tommy im Pub, hatten sich einen Teil neben der Theke für sich gerettet und da Tommy der größte von ihnen war, war es seine Aufgabe, dem Kellner auf der anderen Seite die leeren Gläser zu reichen und die vollen entgegenzunehmen. Während die anderen sich ausgelassen unterhielten, sich beinahe über Gaelic Football in die Haare bekamen, rauchte Tommy ohne Unterlass, ließ sie reden und entdeckte Una, die sich durch die Menge der Gäste einen Weg nach draußen bahnte. Er stellte sein Glas Orangensaft ab, drängte sich mit einer Schulter voran ihr hinterher. Kieran sah ihm neugierig nach. Kurz vor der Tür fing Tommy sie ab, sprach sie an und sie drehte sich zu ihm herum.
„Una“, sagte er, „Hi. Kannst du mir einen Gefallen tun? Dauert nur einen Moment. Hast du Zeit?“
„Was willst du denn von mir, Tommy?“
Er tat so, als könne er es nicht vor so vielen neugierigen Ohren sagen, zog sie ein Stück in die Ecke, beugte sich zu ihr herunter. Wenn er wollte, konnte er groß und unbeholfen wirken; allerdings wusste jeder, der sich schon einmal mit ihm angelegt hatte, wie weit er gehen konnte, und dass es dann für gewöhnlich mit der Unbeholfenheit vorbei war.
„Aidan hat in einer Woche Geburtstag und wir wollen ihn überraschen. Du machst doch...“
„Ich mach das nicht mehr, Tommy.“
Er sah sie gekonnt ahnungslos an. „Was machst du nicht mehr?“
Bevor sie sauer werden konnte, setzte er hinzu: „Du arbeitest doch in diesem Geschenkladen.“
„Ich lasse nichts für euch mitgehen.“
„Aber du kriegst die Sachen billiger. Wir brauchen Papiergirlanden und den ganzen Kram, um das Haus zu schmücken. Du weißt schon, er kommt nach Hause und alle springen aus den Ecken und rufen ‚Ü-ber-ra-schung’. Du bist übrigens auch eingeladen.“
„Das ist nett. Bin ich das einzige Mädchen auf dieser seltsamen Party?“
„Wir laden alle ein, die nicht schnell genug weglaufen können.“
„Okay, ich sehe, was ich mitbringen kann.“
„Ich komme die Tage mal im Laden vorbei, wenn du nichts dagegen hast. “
Sie schlängelte sich an ihm vorbei zur Schwingtür hinaus, drehte sich um und sagte: „Glaubst du, ich weiß nicht, wann Aidan Geburtstag hat?“
Reinfall, dachte Tommy, aber wenigstens hat sie nicht gesagt, ‚ich weiß doch genau, dass du seit Jahren nicht mehr zu Hause warst, Tommy’.
Kieran brüllte ihm durch die laute Musik ins Ohr, als er wieder bei ihm stand: „Was war das denn?“ und er zeigt ihm nur das Victory-Zeichen.
Im Pub wurde es immer lauter und voller und da Tommy der einzige war, der noch nüchtern war, zog es ihn bald hinaus vor die Tür. Ian kam ihm nach, zwei Glas stout in den Händen, in einem Glas hatte er zwei Finger stecken, um es nicht wegrutschen zu lassen. Tommy saß auf dem Bordstein, bis ein Wagen vor ihm hielt und aus dem Fenster eine winkende Hand im Fenster erschien.
„Sag Sean, er soll meine Rechnung mit bezahlen“, sagte Tommy, Ian hob die Hand, überschüttete sich mit dem Bier, kehrte in den Pub zurück, ohne nachzusehen, mit wem Tommy wegfuhr.

Bronagh’s Hochzeitsfeier fand statt, aber ohne Tommy, der nicht einmal in der Stadt war und auch keine Zeit fand, ein Geschenk zu kaufen. Er wusste nicht einmal, wer der auserwählte Gatte war und ob er ihn kannte. Zu der Zeit war er mal wieder auf dem Land unterwegs, sorgte dafür, dass sich die Jungs auf Verhöre vorbereiten konnten. Wieder zurück in Belfast, in dem katholischen Viertel und den alten bekannten Straßen, machte er mit Kieran und den anderen Jungs Jagd auf unvorsichtige Soldaten, sie sorgten für ein groß angelegten Ablenkungsmanöver, um eine Aktion am anderen Ende der Stadt zu sichern. Bei solchen Aktionen hörte man die britischen Zentralen förmlich summen, innerhalb von Stunden wurden Truppen zusammengezogen und die katholischen Mütter holten ihre Kinder von der Straße und die Wäsche von den Leinen. Ein leeres Haus, eine alte Bäckerei, wurde gestürmt und die Blendgranaten und Rauchbomben ließen alle Nachbarn erzittern, während auf der anderen Seite, vor einem Gebäude der DUP, ein Wagen geparkt wurde, unter dessen fleckigen Sitzpolstern genug Semtex versteckt war, um fünf Stunden später einen tiefen Krater in die Straße zu reißen. Eine Stunde vor der Detonation wurde ein Warnanruf beim Radiosender gemacht und obwohl die Straße geräumt wurde, kamen in dem DUP-Büro zwei Männer ums Leben. Sie hatten Unterlagen retten wollen, behaupteten, es sei ein Hoax und ihre Einzelteile wurden zusammen mit den Parteiunterlagen, Büroeinrichtungen und Mauerwerk auf die Straße geblasen. Tommy pflegte häufig nach dem Radius zu fragen, in dem die Fensterscheiben zu Bruch gegangen waren – seine Art von Einschätzung der Effektivität. Sie hatten mal wieder die Schlagzeilen und Londons Aufmerksamkeit war ihnen sicher. Der politische Flügel sprach sein Bedauern über die beiden Opfer aus, übte ein wenig Kritik, zweifelte aber niemals an der Notwendigkeit dieser Aktionen. Tommy entging nur knapp der Verhaftung, lief fast den Red Hands in die Arme und packte mal wieder seinen Tasche. Er sah Una einige Male, sie schien knapp davor zu sein, sich von ihm zum Essen einladen zu lassen, aber dann blieb es doch nur wieder dabei, dass er sie nach Hause begleitete, vor der Tür absetzte und wieder zurück in den Pub schlenderte. Vielleicht war es auch besser so, die Zeiten waren einfach zu unsicher und wenn er Ablenkung brauchte, sah er sich ein Rugbyspiel an oder ging auf eine Runde Sparring in das Gemeindezentrum. Seit er nicht mehr trank, konnte er endlich sein Gewicht halten und langsam zulegen.
Es war ein Mittwoch, als er aus einem Außenbezirk zurückkam. Er hatte dort ein paar Läden auf der Suche nach einem bestimmten Paar Schuhe abgeklappert, obwohl er nicht das nötige Kleingeld hatte, um Klamotten zu kaufen. Ohne neue Schuhe kehrte er um, kaufte an jeder Ecke etwas zu essen, besser gesagt, er wurde dazu eingeladen, wenn er sich nur lange genug mit den Verkäufern unterhielt. Er schnorrte sich schon lange so durch die Gegend. Um in seinen Stadtteil zurück zu kommen, musste er an einigen Checkpoints vorbei, was immer eine heikle Sache war, aber er nutzte für gewöhnlich die Nachmittags-Stoßzeiten, um in der Fußgängermenge aus Hausfrauen, Pendlern und Schulkindern unterzugehen. Die Soldaten standen an dem Übergang, der mit Betonwänden und Stacheldrahtbarrieren am Eingang der schmalen Straße errichtet worden war, ab und zu drehten sie Einkaufstaschen um, aber meist wollten sie nur die Ausweise sehen. Tommy hatte gefälschte Papiere dabei, die ihm einen falschen Namen gaben und die ihn bis jetzt immer gut durch die Kontrollen gebracht hatten. Er zeigte sie dem bewaffneten Soldaten, machte ein möglichst normales Gesicht und betrat das heimische Territorium. Die Graffitis der IRA, groß aufgezogen an Häuserwänden und die irischen Farben am Bordstein empfingen ihn. An den meisten Hauswänden waren die üblichen politischen Parolen zu lesen, die Tommy für gewöhnlich ignorierte, es sei denn, sie waren besonders ausgefallen. Er selbst hatte nie gepinselt, er hatte lieber Steine geworfen als Jugendlicher. Für den Abend hatte er sich mit Kieran verabredet, deshalb versuchte er noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen. Ein Freund hatte ihm einen Schlafplatz auf seinem Dachboden besorgt und der Vorteil daran war, dass er über die Feuerleiter durch die Luke einsteigen konnte und so niemand von ihm gestört wurde.
Der Dachboden war weder dicht gegen Regen und Wind, noch warm oder gemütlich. Er war voll gestellt mit Gerümpel, alten Möbeln und Säcken mit Abfall. In einer Ecke fand Tommy eine nackte Schaufensterpuppe ohne Haare und mit nur einem Arm, sie lehnte an einem Stapel Holzpaletten und erschreckte ihn das erste Mal fast zu Tode. Er glaubte, es habe sich dort oben jemand umgebracht und wäre keine Minute länger geblieben. Mit Ratten und Käfern konnte er leben, aber nicht mit dem Geist einer Selbstmörderin.
Nachdem er sah, dass es sich um eine Puppe handelte, mit nur angedeuteten Ohrmuscheln und aufgemalten Augenbrauen und Wimpern, nannte er sie seine stumme Freundin und versuchte ihren fehlenden Arm zu finden. Kieran und er trafen sich in dem verfallenen Hinterhof eines Kohlehändlers, der ab und zu mit seinem Wagen Waffen und Munition nach Belfast hereinschmuggelte.

„Ich versuche ein Auge auf die Red Hands zu werfen“, sagte Tommy, „als ich in Portadown war, sind mir zwei von denen über den Weg gelaufen.“
„Pass bloß auf dich auf“, sagte Kieran.
Er selber hielt sich bei den Red Hands lieber zurück, er wusste, dass das ein durchgeknallter Haufen war und er selbst bei einer Begegnung mit ihnen den kürzeren ziehen würde. Tommy dagegen hatte keine solchen Probleme. Man kannte sich untereinander und nahm sich gegenseitig aufs Korn, wenn man auch vermied, in die jeweiligen Hochburgen einzudringen.
„Vielleicht krieg ich raus, wo sie arbeiten, dann kann ich sie einzeln packen.“
„Du hast Nerven“, sagte Kieran, „lass uns doch lieber für ein paar Tage aufs Land fahren. Bis sich die Lage nach der Bombe wieder etwas beruhigt hat.“
„Das ist genau das, was sie erwarten. Deshalb will ich jetzt zuschlagen.“
Sie klopften an die Hintertür der Bäckerei, die auf dem Weg lag, kauften sich dort Sodabrot, das so frisch war, dass es noch warm war. Sie ließen es sich in dicke Scheiben schneiden und mit gesalzener Butter bestreichen.
„Gibt nichts, was besser schmeckt“, sagte Kieran.
Sie gingen gemeinsam in den Stützpunkt, wo Tommy einen Blick auf ein paar neue Freiwillige warf. Er bekam wieder die Aufgabe, mit ihnen das Training zu absolvieren, und er konnte den Plan, einen Red Hand zu erwischen, vergessen.
„Fahren wir nach Leitrim“, sagte er zu Kieran. Er wusste, dass Kieran Moira mitnehmen würde, aber das war in Ordnung. Moira war ein nettes Mädchen.
In Leitrim verbrachten sie einige ruhige Tage mit Fischen, viel Schlaf und ausgelassenen Abenden in den Pubs bei Musik bis in den frühen Morgen. Belfast war kein Thema in dieser Zeit, Tommy lieh sich ein Motorrad und tuckerte auf den Feldwegen herum, immer auf der Suche nach einer ruhigen Ecke, wo er sich hinsetzen und eine Zigarette rauchen konnte. Die meiste Zeit regnete es, aber das waren sie gewöhnt, trockneten ihre nassen Klamotten am offenen Torffeuer. Sie fuhren nach dem Wochenende getrennt zurück, weil es unauffälliger war, Moira und Kieran nahmen den Wagen, während Tommy sich mit den Überlandbussen durch die Gegend schaukeln ließ. Auf einer Strecke hatte er zwei Stunden lang ein dickes Kaninchen auf dem Schoß, war anschließend übersät mit den feinen Haaren. Die Busse fuhren nur bis in die Belfaster Innenstadt, aber nicht bis in die Randbezirke, schon gar nicht in die Enklaven. Er ging den Rest der Strecke zu Fuß. Es war Montagmittag, Kieran und Moira waren sicher schon lange zu Hause. Vor dem Erreichen des Kontrollpunktes kam ihm einer der Jungs entgegen, fing ihn ab. Es war Declan, er zappelte um ihn herum und bevor er auch nur einen vollständigen Satz herausbekommen hatte, wusste Tommy schon, dass etwas passiert war. Einen von den Jungs musste es erwischt haben.
„Nimm nicht den Übergang“, sagte Declan, „wir gehen durch die Hinterhöfe.“
„Was ist los?“ fragte Tommy. Sie standen auf der matschigen Wiese, auf der knöcheltief das Wasser stand und auf der die Kinder trotzdem Fußball spielten, allerdings heute nicht. Er sah zu dem Grenzübergang hinüber, dort standen viele Soldaten, Passanten in vorsichtigem Abstand, im Hintergrund ein Notarztwagen und ein alter Volkswagen mit offenen Türen. Selbst auf die Entfernung waren Anspannung und Hektik zu spüren. Ein Mann in Uniform ging herum und schoss Fotos. Er fotographierte etwas, was nahe der Barriere auf dem Boden lag. Zwei Männer, Nachbarn seiner Eltern, kamen auf ihn zu, Declan hielt ihn fest, sagte: „Ich bring ihn von hier weg.“
Declan versuchte ihn wegzuziehen, aber er wehrte sich, fragte immer wieder, was dort passiert war, wen es dort erwischt hatte und er verstummte endlich, als Declan sagte: „Es ist dein Daid, Tommy. Und Aidan.“ Er drehte sich um, als von der Häuserreihe hinter ihnen ein weiterer Mann angelaufen kam. „Du verschwindest besser, bevor sie dich erkennen.“
Und er wusste, was passiert war. Sie hatten nach ihm gesucht, und sie hatten Aidan mit ihm verwechselt. Daid und Aidan waren von der Arbeit gekommen oder sie hatten Freunde besucht und wollten nur nach Hause.
Sie haben sie erschossen, weil sie mich erwischen wollten, dachte er, ich bin schuld. Niemals sind sie unvorsichtig gewesen. Sie hatten mit der Sache niemals etwas zu tun gehabt.
Declan und die anderen Männer brachten ihn auf Schleichwegen ins Hauptquartier, wo sie auf ihn aufpassten und ihm vorsichtig beibrachten, was geschehen war. Sie alle hatten Angst, er könnte Amok laufen nach dieser Sache. Kieran kam zu ihm, als er hörte, was passiert war, sie redeten stundenlang, wenn Tommy reden wollte und nur ganz langsam schien er zu begreifen, was passiert war. Sein Vater hatte ein überraschendes Jobangebot bekommen und Aidan hatte sich angeboten, ihn zu fahren. Es machte einen besseren Eindruck, wenn man nicht den Bus nahm und möglicherweise zu spät kam. Er lieh sich den Wagen eines Nachbarn und sie fuhren gemeinsam nach Newtown Abbey. Auf dem Rückweg waren sie gutgelaunt gewesen, hatten an der Straßenkontrolle darauf gewartet, durchgelassen zu werden. Zeugen hatten gesagt, dass sie zum Aussteigen aufgefordert worden waren. Keiner der Augenzeugen hatte sich daran erinnern können, weshalb der Soldat das Feuer eröffnet hatte. Tommys Dad hatte versucht, sich vor seinen Sohn zu stellen, die Hände erhoben. Wahrscheinlich hatte er noch etwas zu rufen versucht, aber es war im Gewehrfeuer untergegangen.
„Ich weiß, weshalb“, sagte Tommy, „sie haben Aidan mit mir verwechselt. Sie haben gedacht, sie hätten mich erwischt. Hol mir was zu trinken, Kieran.“
„Aidan hat dir nicht mal ähnlich gesehen.“
„Er hat sich das Haar kurz geschnitten“, sagte Tommy, „er sah nicht mehr aus wie ein dämlicher Discotrottel. Was wird Anna machen? Wer kümmert sich um Mom? Hol mir zwei Flaschen Whiskey und eine Flasche Orangensaft.“
„Du machst es damit noch schlimmer, Tommy.“
„Ich hab das verdammte Gefühl, dass es noch schlimmer wird, egal, was ich tue.“
Er hatte recht damit. Eine Woche später bekamen sie die Nachricht, dass Tommy jüngerer Bruder Kavan von der RUC erschossen worden war, angeblich habe er versucht, sich der Verhaftung zu entziehen. Als Kieran ihm die Nachricht brachte, war er noch immer vollkommen betrunken und vermutlich kurz vor einem Leberversagen.
„Ich kann nicht zur Beerdigung“, sagte Tommy, „ich kann niemandem in die Augen sehen. Es ist alles meine Schuld. Ich hätte ihnen sagen sollen, dass sie nach der Bombe besonders vorsichtig sein müssen. Ich bin schuld, dass sie gestorben sind.“
Kavan hatte einen guten Job als Dachdecker, war fünfundzwanzig, als er beerdigt wurde. Sie setzten ihn neben den frischen Gräbern seines Vaters Arthur und seines Bruders Aidan bei, und bei der Beerdigung fragte Bronagh, frisch verheiratet und von morgendlichen Kotzorgien geplagt, ob jemand Tommy gesehen hätte. Sie hatte gehofft, dass er sich heimlich unter die Trauernden mischen würde, aber Aiofe, die ihren Belgier zu Hause gelassen hatte, sagte, er solle sich besser nicht blicken lassen. Obwohl sie sehr ungnädig mit ihm war in diesem Moment, war sie es, die sich um Tommy kümmerte, als er knapp ein Jahr später mit Schusswunden im Koma lag.
Tommy brauchte den Alkohol als Entscheidungshilfe. Er trank bis er kotzte, trank danach weiter und versuchte das Unglück zu vergessen, was er über seine Familie gebracht hatte. Nachdem der Whiskey aus war und Kieran keinen neuen besorgen wollte, brachte er seine Erscheinung wieder in Ordnung und ging wieder an die Arbeit. Auch weiterhin missachtete er die Army-Richtlinie, die besagte, dass Volunteers nur reagieren, aber nicht agieren sollten, er schaffte einige Situationen, die es ihm ermöglichten, britische Soldaten ins Fadenkreuz zu nehmen.
„Ich bringe niemanden in Gefahr“, sagte er, als Sean maulte, er solle die Alleingänge lassen, „wenn’s mich erwischt, ist das mein eigenes Risiko.“

„Das ist furchtbar“, sagte Lea. Sie saßen vor dem Sebastian-Haus, Lea eine Stufe unter ihm, umklammert von seinen Beinen, gegen ihn gelehnt. „Wie konntest du das alles so lange aushalten?“
„Ich hab’s beendet, als ich aus Long Kesh ausgebrochen bin.“ Seine Stimme war leise. „Das ganze Leben ist ein Kampf, oder? Man steht es durch oder man gibt es auf.“
„Du hättest es mir viel früher erzählen müssen“, sagte Lea. Ihrer Stimme war nicht anzuhören, dass sie geweint hatte. In der Zeit, in der sie unterwegs waren, hatte Lea gelernt, ihre Gefühle zu verbergen, selbst ihm gegenüber. „Ich hätte einige Dinge nicht gesagt, wenn ich es gewusst hätte.“
Tommy drückte sie an sich und ersparte ihnen beiden eine Antwort. Das war etwas, was sich nicht ändern ließ.
„Möchtest du gerne hier bleiben?“ fragte Tommy irgendwann, „magst du New Mexico?“
„Klar mag ich es hier. Ich mag die Sebastians, ich mag die Arbeit hier und auch das Land und das Klima. Ich könnte es hier lange aushalten. Weshalb fragst du?“
Er konnte ihr den genauen Grund nicht nennen, es hatte mit der seltsamen Begegnung mit dem Fälscher zu tun und dem, was er über New Mexico gesagt hatte.
„Ich würde auch gerne hier bleiben“, sagte er, „und deshalb bete ich, dass sie uns nicht auf die Schliche kommen.“
Sie verbrachten fast sechs Monate bei den Sebastians, lebten unauffällig, erledigten die anfallenden Arbeiten und taten alles, um sich unentbehrlich zu machen. Ihr Tagesablauf war geregelt, vom Wetter abhängig und trotzdem hatten sie immer die freie Entscheidung, alles nach dem eigenen Ermessen zu tun. Niemand diktierte ihnen etwas.
„Ich bin so glücklich hier“, sagte Lea, als sie mit der alten Alma Sebastian in der gefliesten Küche saß und Erbsen aus den Schalen pulte. Ihre nackten schmutzigen Füße hielten die Plastikschüssel auf dem Boden eingeklemmt, dort lagen die Schoten, die sie im Garten gepflückt hatten.
„Die ganze Zeit denke ich daran, wie wir hier gelandet sind und was für ein Glück wir hatten. Ich kann mir nichts anderes mehr vorstellen.“
„Es war für uns auch ein Glück“, sagte Alma, „ihr nehmt uns so viel Arbeit ab. Und ihr seid anders als die Wanderarbeiter, die nach einer Saison wieder weiter wollen.“
„Früher hab ich mich immer vor der Gartenarbeit gedrückt.“
Beim wöchentlichen Großeinkauf in Apache Creek brachte Alma einen Stapel Zeitungen mit, die nicht mehr aktuell waren, aber wenn man in einer Gegend lebte, die zehn Jahre hinterherhinkte, waren selbst alte Informationen neu.
Sie frühstückten nicht gemeinsam mit den Sebastians, denn Tommy und Lea standen früher auf, um die Arbeit vor der einsetzenden Mittagshitze erledigt zu haben, Lea machte Eier und Speck in der schweren gusseisernen Pfanne, versuchte die Toastscheiben nicht anbrennen zu lassen. Sie trank schwarzen Tee mit etwas Milch, Tommy zuliebe. Er pickte sich eine Zeitung vom Stapel, blätterte sie durch, sippte den Tee, während Lea noch damit beschäftigt war, den Speck knusprig zu bekommen. Sie hatte sich nur sehr zögernd an den urzeitlichen Gasofen gewöhnen können, fürchtete noch immer, das ganze Haus durch eine falsche Handhabe in die Luft zu jagen.
„Kümmerst du dich heute um den Mais?“ fragte sie, drehte sich um, als sie von Tommy keine Antwort bekam. Er hatte die Fingerspitzen der rechten Hand an die Stirn gelegt, starrte auf die aufgeblätterte Zeitung vor sich und reagierte auch nicht, als Lea sich neben ihn setzte. Sie stellte die Pfanne auf der Tischmitte ab.
„Was ist los?“ fragte sie, „schlechte Nachrichten?“
Doch nicht aus einer Zeitung, die Monate alt ist, dachte sie, so kann es doch nicht laufen.
Tommy schob ihr die Zeitung entgegen. Der Artikel war klein und unscheinbar, die abgebildeten Fotos waren schlecht und bis zur Unkenntlichkeit verkleinert, aber Lea erkannte sich sofort wieder. Ihre Mom hatte keines ihrer privaten Fotos herausgerückt, sie musste energisch und standhaft geblieben sein und hatte den Lügen, dass sie gekidnappt worden sein könnte, nicht geglaubt. Das Foto stammte aus dem High School Jahrbuch und zeigte sie mit kurzem Haar, strahlendem Lächeln und einem Gesichtsausdruck, an dem jeder ablesen konnte, das sie glaubte, die Welt läge ihr zu Füßen und sie könnte alles tun, was sie sich wünschte. Und das schreckliche daran war, dass sie es damals geglaubt hatte. Tommy war vermutlich schon auf dem Originalabzug kaum erkennbar, aber das hatten die Presseleute nicht daran gehindert, es abzudrucken.
„Sie haben nicht mal ein ordentliches Foto von mir gefunden“, sagte Tommy, „wäre ich allein unterwegs, würde mich so etwas nicht nervös machen. Jetzt siehst du, weshalb ich mich so ungern vor die Linse gestellt habe.“
„Nimmst du mich gerade auf den Arm?“ Lea zog sich einen Stuhl heran, setzte sich neben ihn.
„Müssen wir hier weg, nur wegen der Fotos? Die wissen nicht einmal, wo wir sind und wie wir heißen. Das ist nur eine dieser Meldungen, die im ganzen Land verbreitet werden.“
„Aber vielleicht weiß da jemand mehr, als er schreiben durfte“, sagte Tommy. Er faltete die Zeitung zusammen, legte sie zurück auf den Stapel zu den anderen. Lea beobachtete seine Bewegungen, hinderte ihn daran, seinen Tee zu trinken.
„Was werden wir tun?“ fragte sie.
Tommy seufzte. „Setz dich an deinen Platz und iss weiter“, sagte er, „wenn die beiden herein kommen, soll alles normal aussehen. Ich habe schon sehr viel früher mit solchen Artikeln gerechnet, aber vielleicht haben wir sie auch nur übersehen. Das ist nicht das, was mich beunruhigt. Sie schreiben dort kein Wort zu den verschwundenen Agenten, aber ich bin mir sicher, dass ihr Verschwinden längst publik gemacht wurde. Jeder, der den Artikel liest, wird denken, dass es eine Bonney und Clyde-Geschichte ist und dass wir vermutlich die Läden in Kleinstädten überfallen, um uns über Wasser zu halten.“
„Es fehlt die politische Seite“, sagte Lea.
„Es ist einfacher, eine Geschichte auf eine Aussage zu reduzieren. Ich denke nicht, dass dich jemand nach diesem Foto erkennen wird, aber es werden sich viele an diese besondere Konstellation erinnern. Alter Sack und junges Mädchen. Das macht mir Sorgen.“
„Ich werde die Hautcreme weglassen“, sagte Lea, „ich werde alles tun, um älter auszusehen. Bitte sag mir, dass wir nicht von hier weg müssen.“ Sie aß tapfer die Eier und den Speck, wartete auf eine Antwort. Es lag nur an ihm. Wenn er sagte, dass sie sofort packen und verschwinden müssten, würde sie gehorchen. Bevor er sich entscheiden konnte, kam Alma Sebastian in ihre Küche geschlurft, das weiße dünne Haar so sorgfältig frisiert wie jeden Morgen, auf dem Gesicht ein zufriedenes Lächeln, auch das zeigte sie jeden Morgen.
„Bevor ihr beiden euch etwas vornehmt für den Vormittag“, sagte sie, „müssen wir den Hühnerstall in Ordnung bringen. Ich habe diese Nacht den Fuchs gehört.“
„Ich hab nichts anderes vor“, sagte Tommy.

Stephen und Tommy reparierten den Hühnerdraht, flickten die Löcher, die der Fuchs als Einstieg zu den Hennen hätte nutzen können, redeten dabei nicht sehr viel.
„Du machst dir nichts aus Hühnern“ bemerkte Stephen und Tommy erwiderte: „Ich hatte nicht viel mit ihnen zu tun. Vögel, die nicht wirklich fliegen, können nicht wirklich glücklich sein.“
„Sie sind zu dumm, um den Unterschied zu merken.“
Stephen richtete sich auf, sah zu Tommy hinüber, der den Rest des Hühnerdrahtes zusammenrollte.
„Wenn du willst, halte ich Wache diese Nacht, um zu sehen, ob der Fuchs wiederkommt.“
„Du brauchst deinen Schlaf.“
Sie sammelten das Werkzeug zusammen, teilten sich eine Zigarette, und überlegten, was als nächstes auf der Farm zu tun war. Es war noch immer viel zu reparieren und auszubessern, die Tiere mussten versorgt werden, und selbst das nahm für zwei Männer den ganzen Tag in Anspruch.
„Wir haben nie wirklich darüber gesprochen, wie lange wir bei euch bleiben können“, sagte Tommy, „wenn wir irgendwann nicht mehr willkommen sind, kannst du mir es sagen. Wir werden keinen Ärger machen.“
„Wie kommst du auf so eine Idee? Eure Arbeit kann gar nicht ersetzt werden.“
Stephen trat die Zigarette sorgfältig im Staub aus, benutzte dazu den Absatz seines Stiefels. Er machte eine Kopfbewegung zur Scheune hinüber und Tommy folgte ihm.
„Es geht nicht um die Arbeit, nicht wahr? Ihr seid mit einem klapperigen Wagen und so wenig Hausstand angekommen, dass ich nur vermuten konnte, weswegen ihr unterwegs seid. Ihr beiden seid keine normalen Wanderarbeiter. Anne kann sich über so viele Dinge unterhalten, sie ist lange auf eine gute Schule gegangen. Aber es ist nicht meine Art, nach Hintergründen zu fragen, wenn man nicht darüber sprechen will.“
„Du hast den Artikel gelesen?“
Stephen Sebastian schnaufte.
„Ich gebe nichts auf die Zeitungen und auf Fernsehen, aber ja, ich habe ihn gelesen. Anne ist ein so hübsches Mädchen, dass man sie auch mit einer anderen Frisur wieder erkennt. Stimmt es, weswegen ihr auf der Flucht seid?“
Tommy dachte darüber nach, weswegen sie auf der Flucht waren. Lief man lange genug vor etwas davon, konzentrierte man sich nur noch auf die Bewegung und vergaß den Hintergrund, den Auslöser.
„Ich bin auf der Flucht vor der Justiz“, sagte er, „das ist das einzige, was wirklich zutrifft. Sollten wir von jetzt auf gleich verschwinden müssen, ist es besser, wenn ihr nur sagen könnt, dass wir eine Weile für euch gearbeitet haben.“
Sie ließen das halbe Dutzend Milchkühe auf die Weide, sie hatten im Stall übernachtet, waren früh morgens gemolken worden und hatten Kraftfutter bekommen. Auf den trockenen Weiden würden sie nicht viel zu fressen finden. Die Sebastians hielten sie aus reiner Nostalgie.
„Ihr könnt bleiben, solange ihr wollt“, sagte Stephen, „in Apache Creek hat bisher niemand von euch gesprochen. Du hast Anne, wenn sie so heißt, nicht gezwungen, an irgendetwas teilzunehmen, oder mit dir mitzukommen?“
„Sie hat mit all dem nichts zu tun und sie hat mich gezwungen, sie mitzunehmen. Ohne sie wäre ich besser unterwegs.“ Er machte eine kleine absegnende Geste, die besagte, dass es Dinge gab, die man hinnahm und mit denen man leben musste.
„Was nicht heißt, dass ich mir wünsche, sie wäre nicht bei mir. Wenn ich sie nicht getroffen hätte, hätte ich schon vor Jahren Schluss gemacht.“
Stephen blickte über seine Kühe, über die abgeernteten Felder und betrachtete lange den alten zu Schrott gerosteten Traktor, der mitten auf der Wiese neben der Scheune stand.
„Wenn du mir das alles erzählst, bedeutet das wohl, dass ihr nicht mehr lange bleiben werdet.“
„Nicht unbedingt wegen des Artikels, oder weil du Anne erkannt hast.“ Er blieb bei Anne, bei Leas falschem Namen. „Ich fürchte, die Männer, die hinter mir her sind, könnten dieser schwachen Spur folgen. Beim geringsten Verdacht werden wir verschwinden.“
„Ich werde Alma nichts davon sagen. Sie hat sich so sehr an Anne gewöhnt, dass sie mittlerweile von ihr öfter spricht als von ihren eigenen Töchtern. Es ist besser, wenn sie nicht weiß, was los ist.“
„Es tut mir leid“, sagte Tommy.
Es dauerte dann doch noch zwei Monate, die sie auf der Farm verbrachten, ihre täglichen Arbeiten machten und das Gelände nicht verließen. Lea fuhr nicht mehr mit zum Einkauf in den Ort und die Sebastians konnten die beiden nur mühsam überreden, am Thanksgivingfest teilzunehmen. Tommy stimmte zu, weil er einsah, dass ein Fortbleiben mehr auffallen würde als wenn sie sich für zwei Stunden unter das Volk mischten. Bei dem fröhlichen Volksfest, in dessen Wirren ein Käfig mit Hühnern zwei Hunden zum Opfer fiel und sich einer der Ackergäule auf dem Parkplatz auf die Motorhaube eines neuen Oldsmobile setzte, weil er der Meinung war, irgendwann sei es mal genug mit der übertriebenen Feierei, hielten Tommy und Lea Abstand zueinander. Sie mischten sich getrennt unter das Volk und während Tommy herumwanderte, beobachtete und auf Zeichen achtete, ließ Lea sich munter gehen, plauderte mit den Leuten, spielte mit den Kindern und ließ sich sogar zur Teilnahme an einem seltsamen Wettbewerb überreden, der sich Schweinewettrennen nannte. Dieser Nachmittag entschädigte sie für vieles und Tommy mochte es sie zu sehen, dass sie wieder jung und sorglos zu werden schien. Die Dämmerung zog viel zu schnell herauf. Tommy hatte so viele verschiedene Gerichte gegessen, dass es vermutlich nicht gut schlafen würde, wanderte in dem gestreiften Zelt zwischen den Bankreihen und Tischen herum, auf der Suche nach Lea, um endlich nach Hause zu fahren. Er entdeckte sie an einem Tisch und im Gespräch mit einem Mädchen, das einige Jahre jünger war als sie und wie ein dickes Mauerblümchen aussah, obwohl Lea es war, die das figurfressende Kleid trug und das Haar in Zöpfen gescheitelt trug. Tommy setzte sich an einen der Tische, beobachtete sie. Es schien ihm noch nicht der passende Augenblick, um sie aus dem Gespräch zu reißen, selbst wenn sie sich nur über Wimperntusche und Empfängnisverhütung unterhielten. Das Zelt war erfüllt mit Stimmen, Gelächter und lauten Streitgesprächen und der Ruf vom Eingang her tönte über alles hinweg. Jemand rief: „Lea?“ und aus dem angeregten Gespräch heraus sah Lea auf. Sie war seit Monaten Anne, aber ohne Vorwarnung den eigenen Namen zu hören, ließ sie reagieren. Tommy lief es sekundenlang eiskalt den Rücken herunter, er sah es vor seinem inneren Auge, dass Lea sich zu erkennen gab und sich sofort Männer auf sie stürzten. Es war ein unlogischer Gedanke (warum sollten sie auf den Zugriff warten, bis sie sich in einer unübersichtlichen Menschenmenge befanden) aber er war erschreckend. Aber Lea reagierte anders; sie hob den Kopf, wie einige andere auch, drehte sich dann in die Runde um. Sie wollte sehen, nach wem gerufen worden war und wer sich zu erkennen geben würde. Das ganze dauerte nur wenige Sekunden, wenige Atemzüge lang, dann wandte Lea sich wieder dem Mädchen zu und sie unterhielten sich weiter.
Ist sie nur gut trainiert? dachte Tommy, oder hat sie sich in die Rolle eingefunden, dass sie weiß, dass sie für alle Außenstehenden nicht mehr Lea ist?
Der Mann, der den Namen gerufen hatte, war ein Betrunkener, der bereits wieder auf dem Weg nach draußen war, schwer von rechts nach links schwankend und Tommy hatte schon Zweifel darüber, dass er überhaupt „Lea“ gerufen hatte.
Ich kann stolz auf sie sein, dachte Tommy, sie beweist mir immer wieder, dass sie härter ist, als es ihr irgendjemand zugetraut hätte.
Er setzte sich zu ihr und sie verließen das Thanksgivingfest gemeinsam.
„Hast du dich amüsiert?“ fragte Lea und er sagte, dass er es vermisst hatte, sich unbeschwert unter Menschen zu bewegen.
Drei Tage später machte er während der Arbeit auf dem Feld, das an der Zufahrtsstraße lag, die Beobachtung, dass ein fremdes Auto vorbeifuhr, kurz anhielt und Richtung Zentrum verschwand. Obwohl er das Nummernschild nicht erkannt hatte, geschweige denn den Fahrer, war er davon überzeugt, dass sie nach ihm Ausschau gehalten hatten. Er zögerte nicht, er versucht sich nicht in Ausflüchte zu stürzten. Das Werkzeug, das er zur Reparatur des Heuwenders benutzt hatte, räumte er sorgfältig in die Tasche zurück, trug die Tasche ins Haus zurück.
Stephen Sebastian sah ihm entgegen, fragte: „Schon fertig?“ und als er nicht antwortete, warf er seiner Frau einen kurzen Seitenblick zu. Sie war damit beschäftigt, Brotteig zu kneten und war abgelenkt. Lea neben ihr hatte Beeren gewaschen, sah von der Glasschüssel auf und ohne dass Tommy etwas sagte, wusch sie sich in der Spüle die Hände, nahm die Schürze ab und legte sieh sorgfältig zusammen. Durch die Hintertür verschwand sie die Treppe nach oben in das Zimmer, in dem sie für so viele Monate glücklich gewesen war.
Zumindest haben wir es versucht, dachte sie.
Sie begann zu packen.
Tommy musste nicht erklären, weshalb gerade jetzt, weshalb ohne Ankündigung und ohne Rechtfertigung. Er musste es nicht erklären. Lea fühlte sich leer, sie war ohne jedes Gefühl und das einzige, was sich endlos in ihrem Kopf wiederholte, war ein Singsang, den sie zunächst nicht einmal identifizieren konnte. Dann erinnerte sie sich an Danny Boy, das melodramatische Lied, das Tommy ab und zu während der Arbeit summte. Es schien unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen, sie agierte ohne darüber nachzudenken und vielleicht war das der Grund, dass sie so gefasst war. Sie wollte Magdalena nicht verlassen, egal, in welche Richtung.
Am Wochenende war sie mit Tommy im Cibola National Forest gewesen, sie hatten eine Wanderung unternommen und anschließend auf einem umgestürzten Baumstall sitzend gepicknickt.
Es war ein schöner ruhiger Tag gewesen, vollkommen unberührt von der Vergangenheit und den Gedanken an die unsichere Zukunft. Lea hätte von diesem Ort gerne Fotos gemacht, hätte diesen Moment gerne festgehalten, aber das war unmöglich. Es hätte bedeutet, dass sie so deutliche Spuren hinterlassen hätte, dass sie auch eine persönliche Einladung an alle Verfolger hätte verschicken können. Trotzdem behielten sie solche Tage in Erinnerung, konnten sie jederzeit abrufen und entwickelten ungeahnte Gedächtnisfähigkeiten. Lea war erstaunt darüber, dass sie nicht nur, wie zuvor, in der Lage war, sich Arbeitsabläufe oder fünf verschiedene Bestellungen auf einmal zu merken, sondern auch Ereignisse in chronologischer Reihenfolge und den Daten zuzuordnen.
Sie brauchte keinen Kalender mehr. Wäre Tommy nicht vorbelastet gewesen, hätten sie Wein getrunken, aber so blieb es bei Weintrauben, Kürbis, Käse, kaltem Braten und Sodabrot. Im Schatten der Bäume war die Hitze erträglich, sie entdeckten einige Wildtiere, die sich heranwagten, als sie schweigend beieinander saßen. Tommy flüsterte, dass er sich unter normalen Umständen ein Häuschen in so einer Gegend hätte vorstellen können.
„Und wenn es nur ein winziges eingeschossiges Holzhaus wäre. Was ganz einfaches. Wenn es nur in einer solchen Umgebung wäre.“
Selbst, wenn es kein Dach hätte“, sagte Lea. Sie saßen eng beieinander, hatten die Beine überkreuzt, die Schuhe ausgezogen und Tommy hatte die Hosenbeine aufgekrempelt.
„Wenn mir etwas ins Hosenbein kriecht und mich sticht, wirst du mich retten müssen“, sagte er, worauf sie bemerkte, dass sie besser lutschen als saugen könne, und Tommy erst prüfende Blicke um sich warf, bevor er sie sich griff.

Alles nahm ein schnelles und überhastetes Ende. Tommy packte die Sachen in den Wagen, Lea verabschiedete sich von Alma, sagte, sie könne es nicht erklären, aber sie müssten verschwinden. Alma sorgte dafür, dass ihr langes Haar ordentlich aussah, machte ihr einen ordentlichen Zopf und tätschelte ihr in Großmutterart das Gesicht.
„Du weißt, dass du nicht bei ihm bleiben musst“, sagte sie, „hier ist ein Platz für dich und niemand würde etwas erfahren.“
„Ich kann ihn nicht allein lassen“, sagte Lea, nach diesem gut gemeinten Vorschlag den Tränen nahe, „ich muss bei ihm bleiben. Wir haben es gemeinsam angefangen und wir bringen es gemeinsam zu Ende.“
Sie erzählte Tommy nichts davon. Er fuhr den Wagen auf die 180 Richtung Silver City und Lea fragte, ob sie in New Mexico bleiben würden. Er war sich noch immer nicht sicher, wer die Verfolger waren, aber er fühlte, dass sie näher kamen. Sie hatten die Spur aufgenommen und holten auf.
„Wir bleiben in New Mexico“, sagte er, „wir kaufen im nächsten Laden genug Lebensmittel, dass wir untertauchen können. Wir bleiben irgendwo in den Bergen.“
„Oh Gott, ich hoffe, du weißt, was du mir damit antust.“ Sie versuchte, es nicht ernst klingen zu lassen, aber Tommy griff zu ihr hinüber und griff nach ihrer Hand.
„Ich hoffe, sie verlieren unsere Spur wieder. Oder ich bekomme zumindest die Chance, herauszufinden, wer es ist. Vielleicht der Ticktockmann“, setzte er sehr leise hinzu und Lea erwiderte sofort: „Get stuffed.“
Sie brachte ihn zum lachen und plötzlich waren sie auf der Flucht und unterhielten sich dabei über diese kleine Geschichte vom Harlequin und dem Ticktockmann.
„Ich wollte damals an der High School ein Referat darüber schreiben, aber das Thema wurde abgelehnt, weil es zu subversiv sei. Das heb ich jedem im Kurs erzählt und danach haben alle das Buch gelesen und wir haben stundenlang darüber gesprochen. Der Harlequin hatte sich mal wieder durchgesetzt.“
Sie kauften Konserven, Campingausrüstung und zwei Schlafsäcke, fuhren den Station Wagon einen Bergpfad hinauf und von dort aus so weit, wie das Gelände es zuließ. Sie waren inmitten im dichten Mischwald, die Bäume über ihnen waren hoch und dicht, sie schliefen im Wagen, weil Lea Angst vor Berglöwen hatte.
„Wie lange müssen wir hier ausharren?“ fragte sie flüsternd. Tommy blieb ihr die Antwort schuldig. Er konnte ihr nicht sagen, dass er sich nur auf sein Gefühl verlassen konnte, ob die Luft rein war.
„Gibt es eine Alternative?“
„Es gibt immer Auswege“, sagte Tommy, „wir können in der Großstadt untertauchen, in irgendeinem Wohnsilo, wo sich niemand dafür interessiert, wer kommt und wer geht. Aber ich möchte mich nirgendwo verstecken, wo ich nur vom atmen Hepatitis bekomme und wegen den Junkies Angst um dich haben muss. Hier kann ich die Situation kontrollieren. Wir hören auf Meilen jedes Auto kommen.“
„Und wenn sie zu Fuß sind?“
„Ich werde Vorkehrungen treffen“.
Sie drängte sich eng an ihn, er legte einen Arm über ihre Körpermitte. Es war Spätsommer, aber die Nächte wurden kalt in den Bergen und fast hätte man schon an Schnee denken können. Lea schlief tief und ruhig, fühlte sich sicher in Tommys Nähe und es machte ihr nichts aus, sich in der Enge nicht einmal umdrehen zu können. Als sie aufwachte, wurde es gerade hell, und sie sah nur Interessenhalber auf ihre Armbanduhr. Sie saßen in einem einsamen Wald fest, wo sie nichts weiter tun konnten, als schlafen, essen, verdauen und ausscheiden, was spielte es da für eine Rolle, was man um wie viel Uhr tat.
Wir werden ohne Ende meditieren können, dachte Lea.
Sie wühlte sich aus den Decken und dem offenen Schlafsack, drückte Tommy einen Kuss auf die Stirn, als er brummend aufwachte. Sie wollte ein Frühstück machen, scheiterte aber bereits an der Tatsache, dass sie ohne Feuer keinen Kaffee kochen konnte.
„Kein Feuer“, sagte Tommy, hinkte erbärmlich auf sie zu und setzte sich sofort auf einen Baumstumpf, rieb seinen Oberschenkel. „Wir essen nur einmal am Tag etwas warmes und benutzen dazu den Gaskocher.“
„Was ist mit Kaffee?“
„Wir müssen das Trinkwasser sparen.“
Sie hatten Gallonenkanister Wasser gekauft, verteilt in mehreren Läden, um nicht aufzufallen. Das Trinkwasser war das größte Problem. Zum Frühstück öffnete Lea zwei Konservendosen und reichte Tommy einen Löffel. Sie arbeiteten stundenlang an einer Vorrichtung aus Plastikplane, Metallstäben und Kabelbindern, um darunter sitzen und über die Plane ablaufendes Regenwasser sammeln zu können.
„Wie bist du den Männern aus der Hütte entkommen?“ fragte Lea. Der Zeitpunkt war perfekt für eine dieser Fragen – sie waren allein und Tommy konnte ihr kaum davonlaufen. Er erzählte es ihr, nüchtern und ohne es zu beschönigen.
„Es war Notwehr“, sagte Lea, „sie hätten dich umgebracht, wenn du’s nicht getan hättest.“
„Es wäre Notwehr gewesen, wenn ich an dem Punkt halt gemacht hätte, als ich ohne Probleme hätte weglaufen können. Aber ich bin dort geblieben und habe es zu Ende gebracht. Auf den zweiten Mann habe ich gewartet, weil ich mich an ihm rächen wollte. Was ich genau getan habe, wirst du nicht wissen wollen. Ich glaube nicht, dass das irgendein Gericht der Welt als Notwehr durchgehen lässt. Ich habe zuviel getan, als dass jemand noch Rücksicht auf mich nehmen würde.“
„Aber du warst ein Opfer der Umstände, unter denen du aufgewachsen bist.“
„Ich war ein williges Opfer. Es gibt sehr viele, die nicht den Weg genommen haben, obwohl sie schlimmeres erlebt haben als ich.“
Sie saßen unter dem Segel, geschützt vor der Sonne, warteten auf den Abend, horchten den Geräuschen aus der Umgebung und hofften auf ein wenig Regen. Sie wollten sich nicht ständig unterhalten, sie wollten nicht Gefahr laufen, sich plötzlich zu streiten oder schlimmer noch – sich nichts mehr zu sagen zu haben. Lea unternahm kurze Ausflüge, kam mit Steinen, kleinen Knochen zurück, die sie auf dem Waldboden anordnete. Sie erstellte einen Steinzeitkalender, ohne über den Sinn darüber nachzudenken. Tommy unternahm ebenfalls Ausflüge, er beobachtete die schmale steinige Zufahrtsstraße, aber sie waren allein in diesem Gebiet, soweit er es beurteilen konnte.
„Ich hoffe auf Regen“, sagte er, „dann halten wir es hier noch länger aus.“
„Was heißt länger?“
„Solange wir können.“
Sie wissen, dass sie uns aufgescheucht haben, dachte er, aber sie wissen nicht, wo wir sind.
Nachts schliefen sie im Wagen, Tommy wachte auf, als Lea im Schlaf zu weinen begann, er drückte sie an sich und machte sich Vorwürfe, in was er sie hineingezogen hatte.
Sie blieben zwei Wochen in der Einsamkeit, dann sagte Tommy, er würde davon ausgehen, dass sie die Verfolger abgehängt hätten und sie brachen das Lager ab. Sie hatten kein Ziel danach, Lea wollte nur noch in ein Motel und duschen, ihre Haare waschen und etwas anderes trinken als abgestandenes Wasser. Sie war genervt, dünnhäutig und stellte trotzdem die Entscheidung nicht in Frage. Sie diskutierten nicht darüber. Während sie sehr lange duschte, bewegungslos unter dem prasselnden Wasser stand und keinen klaren Gedanken fassen konnte, brachte Tommy den Wagen weg, kaufte einen anderen Station Wagon, der Nummernschilder aus Texas hatte.


Plan B
Das Motel war eine Zumutung, aber in ihrer Situation konnten sie sich nichts besseres aussuchen und auch für den kleinen Luxus waren sie dankbar. Als Lea aus dem dampferfüllten Bad kam, und Tommy nicht finden konnte, reagierte sie eine Sekunde panisch.
Er hat mich sitzen gelassen, dachte sie, oh Gott, er ist alleine abgehauen.
Es schlug sehr schnell in den Gedanken um: Endlich ist es vorbei, endlich nicht mehr davonlaufen. Ich kann nach Hause gehen und ein ganz normales Leben führen.
Seine Sachen waren noch da.
Ich bin stark genug, es weiter durchzustehen, dachte sie, schob diese anderen Gedanken beiseite, als seien es nicht ihre eigenen gewesen. Nur eine kleine unbedeutende Stimme aus dem Hintergrund.
Als Tommy zurückkam, saß sie auf dem Bett neben seinen Sachen, als wolle sie darauf aufpassen oder den Augenblick seiner Abreise nicht verpassen.
„Was ist los?“ fragte er, „Spinnen im Badezimmer?“
„Ich hatte nur einen kurzen schwachen Moment.“
„Wenn du es nicht mehr durchstehst, hören wir auf.“
„Nein, kein Problem.“
Nach drei Tagen, früh am Morgen, als Lea vor der Tür saß und das beginnende Leben auf der Straße beobachtete, rollte ein dunkler viertüriger Wagen an dem Motel vorbei, das Fenster auf der Rückbank war heruntergekurbelt und Lea sah nicht wirklich den Lauf des Gewehres, aber sie spürte ihn. Sie spürte, dass etwas nicht stimmte, deshalb wollte sie aufstehen und ins Zimmer zurückgehen, aber sie wollte dem Wagen nicht den Rücken zudrehen. Sie fühlte sich wie in einem Albtraum, in dem man spüren konnte, dass etwas schief lief. Dass gleich das Monster kommen würde. Die Schüsse wurden in ihre Richtung abgegeben. Sie schossen auf sie, obwohl Tommy nicht einmal in der Nähe war. Er war auf der anderen Seite des Motels, wo er versuchte, einen Job zu bekommen für die Zeit, die sie hier bleiben wollten. Lea sprang auf, knickte mit dem rechten Knöchel um und rannte stolpernd hinter den Station Wagon, der versetzt vor der Tür geparkt war, krümmte sich dort zusammen und blieb am Boden. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Tommy über den Parkplatz gerannt kam, der die Schüsse gehört und mit nichts anderem harmlosen verwechselt hatte. Er erkannte Schüsse, wenn er sie hörte.

Er fand Lea halb unter den Station Wagon gekrochen, hatte den Wagen, aus dem die Schüsse gekommen waren, nicht einmal mehr gesehen.
Sie zitterte noch Stunden später. Tommy packte die Sachen zusammen, drückte sie in den Wagen und fuhr sie davon. Einen Teil ihrer Sachen hatte er im Motelzimmer gelassen, aber sie beide machten sich keine Gedanken darum.
„Warum schießen sie auf mich?“
„Sie wollen mich treffen damit“, sagte Tommy, „wenn sie mich hätten erwischen wollen, hätten sie’s geschafft. Aber das hat jetzt ein Ende.“
Er fuhr bis in den nächsten Ort, der groß genug für eine anständige Polizeistation war.
„Hast du dir das gut überlegt?“
„Schon seit Monaten“, sagte Tommy, „warte einfach im Wagen.“
„Nein, ich will mit reingehen.“
Tommy und Lea betraten die Polizeistation, während Lea sich auf eine der Bänke setzte, als warte sie auf jemanden, ging Tommy zum Diensthabenden Officer. Das Pult ging ihm fast bis zur Brust und er sprach mit dem Mann durch ein Gitterfenster. Es war, als würden die Gitter ein ‚willkommen daheim’ murmeln.
„Ich bin Tommy Gallagher“, sagte er, „ich will mich stellen.“
„Sir?“ antwortete der Officer.
„Ich bin ein illegaler Einwanderer und an der Ostküste liegt ein Haftbefehl gegen mich vor.“
„Wie ist ihr Name?“
„Tommy Gallagher. Aber vielleicht suchen sie mich auch unter meinem richtigen Namen. Caolán O'Ciaragáin.“
„Was liegt gegen sie vor, Sir?“ Der Officer glaubte ihm nicht. Er meinte, Tommy würde ihn auf den Arm nehmen wollen und er warf nicht einmal einen Blick in die Fahndungslisten. Deshalb griff Tommy in seinen Hosenbund, legte den Revolver mit einem lauten klackenden Geräusch auf den Tresen und sagte: „Würden sie mich bitte endlich festnehmen?“


beendet Montag, 12. März 2007
 
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Kommentare  

Aaaabsolut geniales Lesefutter!
Danke dafür!


Stefan Steinmetz (24.04.2009)

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