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Winterreifen für Schubkarren

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten · Winter/Weihnachten/Silvester
Der Wetterdienst hatte es vorhergesagt. Schwerer Schneefall bei Temperaturen um den Gefrierpunkt inklusive Straßenglätte.
Als ich morgens aus dem Fenster sehe, ist bereits alles dick eingeschneit und ich lege mich wieder hin. Keine Chance, das Rad zu benutzen, um in den Stall zu fahren, ich muss den Bus nehmen. Der fährt allerdings sonntags erst ab zwölf Uhr, wenn er überhaupt fährt bei dem Wetter.
Im dichten Schneetreiben stapfe ich dick eingepackt zur Bushaltestelle und der Bus kommt mit nur fünf Minuten Verspätung. Die Tür öffnet sich, wir steigen ein und der Fahrer ruft uns gut gelaunt entgegen: „Kommt ruhig alle rein, mal sehen, wie weit wir kommen.“
Im Bus ist es einigermaßen warm, es riecht nach nassen Jacken und überall knirscht das Streusalz. An der nächsten Haltestelle steigt eine Mutter mit einem kleinen Jungen zu, der erst beim Einsteigen seinen Schneeball wegwirft. Der Busfahrer greift nach den kleinen Händen und sagt: „Die sind ja ganz kalt“. „Ja“, sagt der Junge und kichert. Die Mutter setzt sich mit ihm auf den Platz hinter den Fahrer und nimmt den Jungen auf den Schoß. Beim Anfahren drehen die Reifen durch und der Busfahrer muss ein Stück zurücksetzen, um aus der Schneewehe herauszukommen.
„Du musst dir neue Reifen kaufen“, ruft der Junge nach vorn.
An meiner Haltestelle, bereits jenseits der letzten Häuser, bremst der Bus. Und bremst. Und bremst. Und bremst. Längst sind wir an der Haltestelle vorbei und ich wechsel einen fragenden Blick mit dem Fahrer, der nur laut lacht und mit den Schultern zuckt.
Fährt der vielleicht mit Sommerreifen?
Ich steige aus dem Bus, lande mit beiden Schuhen in nassem Schnee und stapfe den Feldweg zum Stall hinüber. Dort angekommen sind meine Socken nass, auf der Kapuze liegt ein Schneehäubchen und Carli steht auf seinem Paddock und ist ebenfalls eingeschneit. Er kommt in den Stall, weil es dort immer etwas zu fressen gibt, wenn ich komme, und bollert schon mal mit einem Fuß gegen die Tür.
Er bekommt eine Lage Stroh und ist zufrieden. Ich mache seine Box sauber, versuche, den Schnee von seinem Paddock zu schieben, hole für die Pferdeäpfel eine der Schubkarren, die vor der Scheune abgestellt sind. Ich bekomme sie kaum durch den tiefen Schnee geschoben. Auf dem Innenhof ist der Schnee durch die Traktorreifen platt und matschig, aber Carlis Box liegt außerhalb und dort fährt weder Traktor noch irgendwas anderes. Die Schubkarre rutscht hin und her, bleibt ständig stecken und ich rutsche mit den Schuhen weg.
Es müsste Winterreifen für Schubkarren geben, denke ich, aber wenn schon die Busse auf dem Land mit Sommerreifen fahren, ist das wohl zu viel verlangt…

Ich bringe Carli für eine Stunde auf die Weide, auf dem Weg dorthin erstarrt er, kaum dass wir den Gang zwischen den Weiden erreicht haben. Er starrt dieses Ding an, es ist knallrot und bewegt sich mit lauten knarzenden Geräuschen durch den Schnee.
„Komm weiter“, sage ich, lege die flache Hand auf seinen Hals, meine Hand verschwindet in seinem dicken Winterfell, „das ist nur Heike mit einer Mistkarre.“
Aber er starrt zu Heike in ihrer roten Winterjacke hinüber, und dann rast er plötzlich los, ich kann ihn nicht mehr halten und mit wehendem Strick verschwindet er auf die Weide. Ich stapfe hinter ihm her, schimpfe vor mich hin, schließe das offene Gatter und muss hinter ihm herlaufen, um den Strick vom Halfter zu lösen. Inzwischen hat Carli sich schnaubend davon überzeugt, dass Heike ihn nicht anspringt und fressen wird, und wühlt ein Loch in den Schnee.

Auf dem Rückweg kommt der Bus gar nicht erst und so laufe ich die Strecke nach Hause. Der Rad-und Wanderweg ist nicht geräumt, meine Füße sind nass, dann meine Hosenbeine und das Leder der Jodhpurs wird immer schwerer und schlabbert um meine Knöchel.
Bis auf die vorbeifahrenden Autos ist es so still, dass ich hören kann, wie die schweren Schneeflocken auf meine Kapuze fallen. Sie schmelzen, tropfen am Rand herab und landen ab und zu auf meiner Nase.
Auf halbem Wege werde ich vom verspäteten Bus überholt. Er fährt wie auf Eiern, kommt kaum die Steigung durch den Pother Bruch hoch. Da geh ich lieber zu Fuß, und wenn man einmal eine halbe Stunde unterwegs ist, ist es auch nicht mehr kalt.
 
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Kommentare  

Du schilderst sehr plastisch, was wir alle jetzt durchmachen müssen - welch ein Schnee, welch ein Matsch! Und wir müssen da durch! Schöne anheimelnde Schneepferdeschichte. Sehr gelungen.

doska (22.12.2010)

Schön geschrieben. Mann stapft buchstäblich mit dir mit durch den feuchten Schnee. Und dein Gaul ist einfach süß!

Petra (07.12.2010)

Eine Story mit viel Charme. Du nimmst alle winterliche Unbilden mit Humor und das verschafft dem Leser Gemütlichkeit, da er ja in der warmen Bude sitzt und er muss schmunzeln, weil er oft Ähnliches erlebte. Schöner Schreibstil amüsante kleine Wintergeschichte.

Jochen (07.12.2010)

Hallo Pia,

eine sehr schöne, eine humorvoll geschriebene Wintergeschichte.
In meiner Heimat herrschen zurzeit ähnliche Verhältnisse.
Schlimm, wenn man als Fußgänger vom verspäteten Bus überholt wird, mit dem man gar nicht mehr gerechnet hat.
LG. Michael


Michael Brushwood (06.12.2010)

ist blöd, wenn man an den haltestellen einfach vorbeirutscht, und carli scheint viel phantasie zu haben. ;)

Ingrid Alias I (06.12.2010)

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