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8 Seiten

Ein Dialog

Nachdenkliches · Experimentelles
© locksmith
(Abtrünniger sitzt in der ersten Reihe einer Kirche, vornüber gebeugt, die Hände wie zum Gebet geschlossen, doch die Augen weit geöffnet und auf den Boden starrend. Priester kommt von hinten. Als er den Abtrünnigen entdeckt, erscheint ein zufriedenes Grinsen auf seinem Gesicht. Er setzt sich neben ihn, zum Gebet. Der Abtrünnige sieht zur Seite und den Priester an, wie dieser betet. Schließlich bekreuzigt sich der Priester und sieht den Abtrünnigen an.)

Priester: Guten Abend, mein lieber Sohn. Was führt dich zu so später Stunde noch in unser altes Gotteshaus? Bestimmt möchtest du etwas beichten?
Abtrünniger: Ich habe nichts zu beichten.
P: Jeder hat etwas zu beichten, denn keiner von uns ist frei von Sünde, selbst ich nicht.
A: Was ist denn Sünde?
P: Mein Sohn, wie sprichst du?
A: Ist Sünde nicht eine Erfindung von euch Priestern, um uns Menschen zu unterdrücken?
P: (seufzt) Also ist es wahr, was sich die Leute in unserer Gemeinde erzählen. Also bist du tatsächlich vom wahren Glauben abgefallen.
A: Was ist schon der wahre Glaube? Was ist Wahrheit?
P: Mein Sohn, wie lange schon trägst du diese Zweifel in deinem Herzen? Du kannst offen zu mir sprechen.
A: Und ich möchte auch ganz offen sein. Seht her, als ich zum Glauben kam, war ich nicht alleine, sondern eine Frau, die sehr gläubig war, hat mich zum Glauben hingeführt. Diese Frau - ich hoffe, Ihr verzeiht mir, aber ich wollte offen zu euch sein - diese Frau erschien mir wahrhaft wie ein Engel.
P: Und nun hat dich diese Frau verlassen, und mit ihr auch all dein Glaube? Hast du denn darüber gebetet, was der Grund gewesen sein mag? Du weißt, kein Leid ist umsonst…
A: Oh ja, und ob ich gebetet habe, aber es ist nur noch schlimmer geworden. Alsbald hatte ich das Gefühl, dass Gott mir nicht mehr zuhört.
P: Gott hört uns immer zu. Und wenn du wahrhaft suchst, dann wirst du auch finden.
A: Oh, ich habe gesucht, und zuerst auch gefunden.
P: Also, was hat Gott dir gesagt?
A: Gott sagte mir, dass ich voller Sünde wäre.
P: Also was hast du getan?
A: Ich habe Buße getan, bin zu ihm zurückgekehrt, und einige Zeit lief es gut.
P: Was ist dann passiert?
A: Dann habe ich wieder gesündigt, und wieder Buße getan, und wieder gesündigt…
P: Nun, das ist das Schicksal von uns Gläubigen, das ist der Kampf, den wir tagtäglich führen müssen. Glaub mir, mein Sohn, ich kann dir ein Liedchen davon singen.
A: Aber ich bin dieses Kampfes längst überdrüssig! Ich habe den Eindruck, dass sich nichts in meinem Leben ändert, sondern im Gegenteil alles schlimmer wird. Ich habe mein Vertrauen in Gott verloren. (Abtrünniger weint bitterlich.)
(Priester legt seinen Arm um ihn.)
P: Oh, das ist nichts Außergewöhnliches. Wir alle verlieren ab und an unser Vertrauen in Gott. Es ist nicht gut, aber es ist nun mal so. Denk doch an Hiob! Wie viel er gelitten hat! Mit welchen Worten er gegen Gott aufbegehrt hat!
A: Ja, ich denke sogar sehr oft an Hiob.
P: Siehst du, bestimmst durchlebst du diese Phase nicht umsonst. Wer weiß, vielleicht will Gott dich einfach prüfen, und deinen Glauben. Vielleicht möchte er sehen, wie viel dein Glaube aushalten kann.
A: Ich habe lange genug gelitten, es ist nun schon beinahe ein volles Jahr.
P: Und du glaubst, dass es ohne Gott besser wäre?
A: Ich weiß, dass es ohne Gott nicht besser wäre, sondern hundertmal schlimmer.
P: Also?
A: Aber ich habe dieses ständige Hin und Her satt. Glauben, nicht glauben, sündigen, Buße tun, Gott fluchen, Gott lobpreisen und so weiter und so fort. Ich möchte einmal bei einer Sache bleiben, ich möchte mich einmal endgültig entscheiden, und dann den Rest meines Lebens in dieser Weise verbringen. Ich möchte mein Gewissen zurückgewinnen, mein unschuldiges Gewissen.
P: Was redest du von deinem Gewissen?
A: Ist es nicht so, als wir noch Kinder dieser Welt waren, folgten wir einzig unserem Gewissen. Unser Gewissen, also unser Herz, sagte uns was richtig und was falsch war, und wir sind diesem Ruf manchmal mehr, manchmal weniger konsequent gefolgt. Dann wurden wir gläubig, und damit hat sich unser Gewissen mit unserem Glauben so eng verschwistert, dass wir es nicht mehr vermögen, unserem Gewissen zu folgen, ohne zu glauben, sodass uns nur die Wahl bleibt: entweder zu glauben, oder gegen unser Gewissen zu arbeiten! Und das richtet uns zugrunde! Denn wer gegen sein Gewissen arbeitet, ist der nicht ein gespaltener Mensch? Aber ein gespaltener Mensch kann niemals glücklich werden, er kann auch niemals etwas tun, was ihm gelingt. Also ist er verdammt zu glauben, versteht Ihr, Priester, ich bin verdammt zu glauben!
P: Aber, mein Sohn, was sind denn das für Worte? Der Glaube soll doch ein Segen sein, und nicht Verdammnis!
A: Aber nicht, wenn man so tief gesehen hat, wie ich, Priester. Nicht, wenn man das Ausmaß seiner Sünde so tief ergründet hat, wie ich. Dann möchte man auch einmal vergessen dürfen, nur für den Moment leben dürfen. Aber diese Idee, dieser Gott verfolgt mich seither. Er ist wie ein Parasit, der sich an meiner Seele nährt.
(Der Priester schlägt die Hände über seinem Kopf zusammen und betet.)
P: Herr, vergib ihm seine Worte, denn er weiß nicht, was er da redet!
A: Oh doch, ich weiß sehr wohl, wovon ich rede. Ach, ihr Priester, ihr wollt andauernd nur die Welt verbessern! Überall seht ihr die Sünde, und wollt sie ausmerzen! Ihr wisst doch gar nicht, was es heißt, wahrhaft zu lieben, wo der Gegenstand der Liebe uns so sehr gefangen nimmt, dass wir nicht anders können, als ihrem Ruf zu folgen.
P: Und doch ist das genau die Liebe, mit der wir Gott lieben sollen. Sag, mein Sohn, liebst du Gott denn gar nicht mehr?
A: Kann ich denn etwas lieben, von dessen Existenz ich nicht mehr restlos überzeugt bin?
P: Und all die Lieder, die du ihm gesungen hast! All der Trost, den du bei ihm gefunden hast! Die Momente, in denen es dir schlecht gegangen ist, und er dich aufgerichtet hat! Die Siege, die du durch seine Hilfe errungen hast! - Ist denn das alles für immer vergessen? Erweist du deinem Herrn so deine Dankbarkeit?
A: Hätte ich ihm nicht Lieder gesungen, dann wäre mein Herz nicht so verweichlicht geworden. Hätte ich nicht bei ihm Trost gesucht, so hätte ich mir gute Freunde machen können. Hätte ich mich nicht von ihm aufrichten lassen, ich wäre irgendwann selbst aufgestanden, und hätte meine Stärke erkannt. Hätte ich die Siege nicht durch seine Hilfe errungen, hätte ich vielleicht aus meinen Niederlagen gelernt. - Oh, vergessen habe ich dies alles nicht. Aber allmählich beginne ich, zu sehen, das war alles ich, nicht mein Glaube, auch nicht Gott, sondern ich alleine.
(Priester seufzt traurig.)
P: Dein Ich also, dein Ego möchtest du zu deinem neuen Gott erheben. Ach, du verkehrte Welt!
A: Ihr irrt euch, mein Herr! Nichts möchte ich zu meinem Gott erheben, nichts als höchstens die Wahrheit selbst.
P: Und wenn Gott doch die Wahrheit ist?
A: Dann wird Gott meiner Prüfung standhalten!
P: Und wenn Gott eine Wahrheit ist, die nur durch Glauben erkannt werden kann? Sagte nicht schon Augustinus: “credo ut intellegam“ - ich glaube, damit ich erkennen kann?
A: Aber ist das nicht ein totaler Widersinn? Wo ich an das glaube, was ich zu erkennen mir vorgenommen habe, was brauche ich es dann noch zu erkennen? Wo ich Gott mir setze als Subjekt, als erste und unbedingte Bedingung, ist es da nicht einleuchtend, dass alles, was ich sehe derart von Gott bedingt sein wird? Ist ein gläubiger Mensch nicht wie einer, der sich eine rosarote Brille aufsetzt, und dann überzeugt ausruft: “Ach, diese Welt ist rosarot. Ihr möget das Gegenteil behaupten, aber durch diese Brille kann ich erkennen, dass diese Welt rosarot ist. Und wenn ihr diese Brille nicht aufsetzen wollt, so ist das nur zu eurem eigenen Nachteil, denn ohne sie werdet ihr die Wahrheit nicht erkennen”. Das ist doch idiotisch! (stößt ein bitteres Lachen aus, wird aber gleich wieder ernst.)
P: Gott ist keine rosarote Brille.
A: Was ist er dann?
P: Gott ist der er ist. Er ist der Gott, der uns durch die Heilige Schrift offenbart wurde.
A: (schüttelt den Kopf.) Ich kann verstehen, dass es vorteilhaft ist, einen Glauben zu haben. Aber ich will das einfach nicht mehr, Priester, mit dieser rosaroten Brille durch die Welt gehen. Damals, als ich noch verliebt war, in diesen Engel, da ist mir alles plausibel erschienen. Ja, ich wollte mein Leben geben für Gott, ich wollte zusammen mit ihr die Welt bereisen, auf Mission gehen, die Menschen zum wahren Glauben führen, die Schwachen gegen die Tyrannen verteidigen, aber seitdem sie weg ist… (seufzt) habe ich nicht mehr die Kraft dazu.
(Priester überlegt.)
P: Also ist sie das Problem, diese Frau, von der du sprichst. Sie hat dich enttäuscht, und noch dazu war sie ein Kind Gottes. Ein Kind Gottes hat dich tödlich verletzt, und jetzt denkst du, Gott habe dich tödlich verletzen wollen.
A: Es ist immer wieder interessant, wie Ihr es schafft, mir die Worte im Mund umzudrehen.
P: (grinst.) Wo wir doch jetzt auf so unterschiedlichen Fronten stehen, wie sollte es mir da möglich sein, dich nicht umzudrehen, so wie auch du mich umdrehst, mit deinen Worten, falls du es nicht bemerkt haben solltest.
A: Ihr habt recht. Ich habe nicht darauf geachtet, dass ich Eure Gefühle verletzten könnte. Ihr habt Euer Leben Gott verschrieben, und ich…
P: (winkt ab.) Keine Sorge, mein Sohn, ich bin derartige Auseinandersetzungen gewohnt, vielmehr: es gehört zu meinem Beruf. Außerdem geht es hier ja nicht um mich, sondern um dich. Nicht ich will die Fronten wechseln, sondern du.
A: Müssen es denn zwei Fronten sein?
P: Für mich schon.
A: Für mich nicht. Und doch habt ihr recht, es sind unzählige Fronten. Jeder Mensch hat die seine. Vielleicht sind auch die Fronten die Illusion, vielleicht ist es ganz gleich, auf welcher Seite man steht. Letztendlich ist man doch alleine.
(Priester möchte wieder den Arm um ihn legen, lässt es dann aber doch sein.)
P: Ich sehe, dass diese Frau ein tiefes Loch in deinem Herz hinterlassen hat. Möchtest du Gott nicht die Chance geben, es aufzufüllen?
A: Überall, wo ich Gott sehe, sehe ich sie, inmitten seiner Schar von Engeln stehen, und ich bin ihm gram, dass er sie mir weggenommen hat. Wo ich mich Gott annähere, dort hasse ich ihn, wo ich Gott fliehe, dort bekomme ich Sehnsucht nach ihm.
P: Vielleicht hilft es dir, zu wissen, dass Gott dein Leid sehen kann, und dass es ihm leid tut. Wir vergessen das sehr häufig, aber Gott ist in all seiner Herrlichkeit und Vollkommenheit doch des Mitleids fähig. Er leidet mit dir, mein Sohn, du bist in deinem Leiden vielleicht nicht so alleine, wie du glaubst.
(Als Abtrünniger keine Antwort gibt, fährt er weiter fort.)
P: Und mir gefällt nicht, dass du diese Frau immer als Engel bezeichnest. Ich kenne sie und ich kenne ihre Vergangenheit. Sie war nie ein Engel, und sie wird es auch nie sein. Vielleicht ist es das, was dich davon abhält, dich Gott wahrhaft anzuvertrauen. Du hast einen Mensch vergöttert, und obwohl dieser Mensch dir bewiesen hat, dass er nur ein Mensch ist, vergötterst du ihn noch immer.
(Der Abtrünnige vergräbt sein Gesicht in seinen Händen. Der Priester setzt seine Rede fort.)
P: Du sagst, du bist an der Wahrheit interessiert. Wie sieht es dann mit deinen wahren Motiven aus, weshalb du diese Gemeinde verlassen möchtest? Bist du daran nicht interessiert? Die Wahrheit ist immer das Ganze, eine halbe Wahrheit gibt es nicht. Aber du versuchst dir halbe Wahrheiten zurecht zu zimmern, weil du die ganze Wahrheit nicht ertragen kannst. Diese Frau, die auch ein aktives Mitglied unserer Gemeinde ist, liebt dich nicht mehr, ist das nicht die unerträgliche Wahrheit, mit der du nicht zuwege kommst? Und jetzt möchtest du nicht mehr in die Gemeinde kommen, weil du Angst hast, ihr ins Gesicht zu sehen, weil du dort die Wahrheit sehen müsstest? Ist es nicht so? Ist nicht auch das Wahrheit?
(A erhebt sich wütend von seinem Platz.)
A: Darum geht es doch überhaupt nicht. Es geht um Gott, und ob es überhaupt vernünftige Gründe gibt, anzunehmen, dass er wirklich existiert!
P: (ruhig) Also geht es nicht um die persönlichen Gründe, weshalb du nicht mehr an Gott glauben möchtest?
A: Nein, darum geht es nicht.
P: Seltsam, ich finde, genau darum geht es. Warum versteckst du dich hinter philosophischen Argumenten, wenn es doch eigentlich um dich, um deine individuelle Person geht?
A: Nun gut. (setzt sich wieder) Ich möchte nicht so feige sein, und mich selber aus diesem Diskurs herausnehmen. Also, Ihr habt recht. Auch das ist ein Grund, weshalb ich die Gemeinde verlassen möchte. Weil ich ihr nicht mehr ins Gesicht sehen kann. Weil es so verdammt weh tut, zu sehen, wie sie so gleichgültig gegenüber der Tatsache sein kann, dass wir nicht mehr zusammen sind. Weil ich nicht ertragen kann, wie sie anderen Männern diese Grimassen zieht, genauso wie sie es bei mir gemacht hat. Weil ich es unerträglich finde, zu sehen, dass ihr Leben so unbeschwert weitergeht, während ich selbst von Zweifeln und Kummer aufgefressen werde. Ich fühle mich betrogen, verletzt, und nach jedem Sonntag komme ich niedergeschlagen nach Hause. Ist es das, was Ihr hören wolltet? Seid Ihr jetzt zufrieden?
P: Nein, die Frage ist doch, ob du zufrieden bist, mein Sohn. Bist du jetzt zufrieden?
A: Nein, verdammt. (steht wieder auf) Ich bin nicht zufrieden!
(Priester nimmt ihn am Hemdärmel und lächelt beschwichtigend.)
P: Und nun glaubst du, wenn du die Gemeinde verlassen wirst, und das alles hinter dir lassen wirst, alles, was du jemals mit ihr verbunden hast, dann wird es dir besser gehen?
(Abtrünniger setzt sich wieder.)
A: Es muss einen anderen Weg geben.
P: Die Frage ist, möchtest du überhaupt diesen anderen Weg finden, oder möchtest du nur dich selbst bemitleiden, in der Hoffnung, dass irgendein Mensch dich wieder aufrichtet?
A: Nein, ich möchte diesen Weg finden. Wäre ich sonst zu Euch gekommen?
P: Ja, ich sehe, dass du auf der Suche nach einer Antwort bist. Aber du wirst diese Antwort nicht finden, solange du nicht zuerst den Mut findest, dich dieser Antwort zu stellen.
A: Woher wollt Ihr denn meine Antwort wissen? Ihr glaubt doch, dass Gott euch alle Antworten geben kann. Gott kann mir meine Antworten aber nicht mehr geben, das ist es, was ich weiß.
P: Oder du möchtest seine Antworten nicht hören, weil sie weh tun, du möchtest, dass er sie so schön und harmlos verpackt, dass sie deinem armen und gebeutelten Ego nicht schaden. Aber manche Antworten lassen sich nicht schön verpacken, manche Antworten tun weh.
A: Und welche Antworten wären das?
P: Kein Mensch wird dich jemals so lieben, dass diese Liebe dich retten kann.
A: Ich erwarte das auch nicht. Sollen die Menschen mich doch alle in Ruhe lassen! Sollen sie sich doch zum Teufel scheren! Ich mache mein Ding, und die machen ihr Ding. So war es früher, so wird es wieder sein!
P: Also ist es das? Wo die Menschen dir nicht geben können, was du von ihnen erwartest, da können sie sich alle zum Teufel scheren?
A: Seid doch mal ehrlich, Priester, ist es mit Euch nicht eben dasselbe? Weil ihr nicht mehr an den Menschen glauben könnt, darum glaubt ihr an Gott? Seid Ihr nicht auch einmal von den Menschen so tief verletzt worden, dass Ihr all euer Vertrauen verloren habt? Und diese Menschen waren Ungläubige, habe ich recht? Also seid Ihr ein Diener Gottes geworden, damit ihr eine Rechtfertigung haben konntet, diese Menschen zu hassen. Also ist der Unterschied zwischen mir und Euch nur der, dass ihr von Ungläubigen enttäuscht wurdet, ich von einer Gläubigen.
(Priester seufzt.)
P: Nun, die Menschen sind nun mal Parasiten. Jeder sieht nur auf seinen eigenen Vorteil.
A: Ihr irrt euch, so wie auch ich mich geirrt habe. Es gibt noch gute Menschen auf dieser Welt, solche die unschuldig sind, solche die noch echte ungeheuchelte Liebe in sich tragen. Solche die in Gemeinschaft leben und zufrieden sind mit dem Teil, den sie haben. Aber Ihr seid nicht zufrieden, mit dem Teil, den euch die Menschen zugewiesen haben. Ihr wollt unbedingt die absolute Wahrheit haben, die Allwissenheit und das ewige Leben. Ist es nicht hochmütig, ewig leben zu wollen? Und ist Hochmut nicht die schlimmste aller Sünden?
P: Nun, dann sag mir, wo sind die Menschen, die dir das geben können, was du suchst?
A: Ich bin ein Ausgestoßener, so wie auch Ihr. Ich habe mein Vertrauen verloren, so wie auch Ihr. Wir sind vom selben Schlag, Priester, seht Ihr das nicht? - Aber wir haben unterschiedliche Wege eingeschlagen. Ihr habt euer Leben, all eure Träume und Leidenschaften aufgegeben, damit Ihr nicht mehr auf die Liebe der Menschen angewiesen seid, denn Ihr wisst insgeheim, ohne die Menschen seid ihr nichts. Aber da gibt es ja noch Gott, und Ihr wisst, durch Gott könnt ihr wieder alles sein, in diesem kleinen, verstaubten Universum, das Ihr euch zusammengebastelt habt. Gratulation! Ihr werdet ein glückliches und einfältiges Leben führen! Aber Ihr werdet wohl nie mehr erleben, was es heißt zu lieben…
(Priester wird jetzt zornig, richtet sich auf.)
P: Was weißt du von Liebe! Da hängst du für ein zwei Jahre an der Zitze einer Frau, die du für einen Engel hältst, und meinst, das wäre Liebe? Hat sie dich nicht darum verlassen? Ist es nicht, weil es Ihr zu viel geworden war, dass sie für dich alles sein musste: Freundin, Mutter, Gott! Das ist nicht Liebe, das ist Ausbeutung, das ist Selbstsucht! Ich hingegen gebe alles für meine Gemeinde! Ich bete täglich für jedes einzelne meiner Schafe, ich erkundige mich regelmäßig nach ihrem Befinden, ich habe Gesellschaft mit ihnen, ich kümmere mich um die zerschlagenen und bedrückten Seelen, - und selbst dir höre ich zu, obwohl… obwohl…
A: Obwohl?
(Priester fällt zurück in seinen Sessel und wischt sich mit einem Schweißtuch das Gesicht ab.)
P: Ach, das hat alles keinen Zweck.
A: Ihr habt recht, es hat keinen Zweck. Nur noch eines. Es heißt in der Bibel, man soll sich von Gott kein Bildnis machen. Späterhin heißt es, Gott ist Liebe. Nun finde ich es seltsam, dass Ihr so ein deutliches Bild von dem habt, was Liebe ist. Mir hingegen ist die Liebe immer noch ein Rätsel, und ich, … ich bin immer noch auf der Suche nach ihr…
(Abtrünniger richtet sich auf zu gehen.)
P: Du gehst? (klingt verbittert.) Wohin willst du gehen? Du weißt doch ganz genau, dass es dort draußen nichts für dich gibt! Sie werden kein Erbarmen mit dir haben! Sie werden dich in Stücke reißen und deinen Besitz werden sie unter sich aufteilen!
A: (zitiert aus seinem Gedächtnis) “Siehe, ich sende euch wie die Schafe mitten unter die Wölfe. Also seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben”
P: Ja, ich sende euch, ich sende euch, wer ist denn ich? In wessen Auftrag gehst du, in welche Richtung willst du gehen?
A: In meinem eigenen Auftrag, in welche Richtung wird sich zeigen.

(Abtrünniger geht. Priester bleibt zurück.)
 
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Kommentare  

Wow - echt klasse! Hat mich richtig mitgerissen dieser Dialog. Der Abtrünnige hat da wirklich einen Punkt mit: sind wir nicht alle allein? Meiner Meinung nach: Ja! Wir sind All-Ein. So ist niemand und jeder allein/All-Ein.
Sehr schön geschrieben, wirklich sehr schön!

Liebe Grüße
Clarenbach


Clarenbach (17.07.2009)

Hallo Tratus von Klueck!

Vielen Dank für die positive Resonanz!

Die Anreden an den Priester gehören natürlich groß geschrieben, da hast du vollkommen recht. Ich werde das gleich ändern!

LG


locksmith (23.05.2009)

seit langem das -geist-reichste, das ich hier gelesen habe. danke fürs einstellen.
eine anmerkung: ich würde die anreden groß schreiben, Sie haben ein recht darauf, oder?
lg tratus von klueck


tratus von Klueck (08.05.2009)

Hallo Locksmith, ist ja toll, dass du so schnell und ausführlich antwortest. Da macht es ja direkt Spaß Kommentare unter deine Geschichten zu schreiben. Also her mit dem nächsten Text.

Jochen (07.05.2009)

Hallo Jochen!

Vielen lieben Dank für deinen Kommentar! :)

Haha.. nein eigentlich sollte die Geschichte nicht im Mittelalter spielen, aber du hast recht, die Sprache klingt wohl etwas antiquiert. Das liegt aber daran, dass ich vorzüglich so alte Bücher gelesen habe, meistens solche die erst im frühen 19. Jahrhundert geschrieben worden sind. Naja, einen Bestseller werde ich mit meiner Sprache wohl nicht mehr hinkriegen, aber es freut mich, dass ein Leser die Mühe wert gefunden hat, sich darin hineinzuversetzen! :D

Ich möchte dich aber nicht "eines Besseren" belehren, weil ich finde, dass dieser kleine Dialog sich in jeder Zeit (ante domine) zugetragen haben könnte, also durchaus auch im MA. Solche Dinge zu entscheiden möchte ich daher ganz dem werten Leser überlassen!


locksmith (07.05.2009)

Finde ich gut, dass du dir solche Gedanken machst und die hast du auch lebendig und ausdrucksstark in diesem Text zu Worte gebracht. Die altertümliche Art miteinander zu sprechen ist passend, da ich denke, dass diese Geschichte im Mittelalter spielen soll. Sollte es nicht so sein, belehre mich eines Besseren.

Jochen (07.05.2009)

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