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10 Seiten

Sünde einer Nacht/1/erotische Geschichte 11

Romane/Serien · Erinnerungen
© rosmarin
Staunend saß ich vor dem Spiegel im Bad. Noch konnte ich nicht fassen, was geschehen war. Alles war so unerwartet, so unverhofft gekommen.
Das Schicksal geht oft seltsame Wege. Irrwege. Doch irgendwie und irgendwann führen sie alle zum Ziel.


- 1 -

„Wenn man wirklich will, schafft man alles.“
Oh, Gott. Linda.
Ärgerlich kniff Linda ihre vollen Lippen zu einem dicken Strich. Gleich würde sie sagen:
„Dieses Mädel. Ist wie ein Schmetterling. Huscht von einer Blüte zur anderen. Immer auf der Suche. Immer auf der Reise.“
Aber ich irrte. Diesmal sagte sie vorwurfsvoll:
„Du musst endlich wissen, was du willst. Nur so kommt man weiter im Leben. Und das willst du doch. Oder?“
„Ich will Schauspielerin werden“, sagte ich trotzig.
Energisch nahm Linda meine Hand und zerrte mich vor den großen Spiegel im Schlafzimmer.
„Sieht so eine Schauspielerin aus?“, lachte sie höhnisch. „Nichts als Flausen im Kopf hast du, Mädchen.“ Ihre Stimme wurde noch eine Nuance böser. „Mach lieber deine Hausaufgaben. Sonst wirst du Putzfrau.“
„Kann ich nicht“, triumphierte ich. „Opa hat gesagt, wenn jemand nichts kann, wird er Schauspieler. Und du sagst doch immer, ich könne nichts, sei zu nichts nütze. Also werde ich auch nicht taugen zum Putzen. Hab sowieso Nullbock, anderen Leuten den Dreck wegzumachen.“
Das hatte gesessen. Lindas Lippen waren jetzt ganz dünn. Noch dünner als ihre grünen Augen, die sie zu einem Schlitz verengt hatte. Bestimmt, damit ich das Funkeln nicht sehen konnte. Denn sie war sich nicht zu schade, anderen Leuten den Dreck wegzumachen. Sie reinigte nach ihrer Arbeit in der Dreherei, in der auch mein Stiefvater arbeitete, noch dreimal wöchentlich die Sparkasse, damit sie unsere sechs Mäuler stopfen konnte, wie sie sich ausdrückte.
Kopfschüttelnd verließ Linda das Zimmer.

Ich stellte mich zufrieden vor dem Spiegel in Positur. Was ich sah, gefiel mir. Ich gehörte nicht zu den Teenagern, die ständig an sich rummäkelten. Ich betrachtete mein Spiegelbild mit Wohlgefallen.
In meinen hellen Augen tanzten neugierig goldene Pünktchen. Rotblonde Locken fielen keck in die hohe Stirn, die Nase fand ich etwas zu stupsig, und die Sommersprossen erinnerten an Pippi Langstrumpf. Und die fand ich schön. Also war ich es auch. Und wenn man schön ist, wird man Schauspielerin.
Naive zwölfjährige Unschuld.

Einige Jahre später war ich mir meiner Schönheit nicht mehr so sicher, obwohl ich noch immer stundenlang vor dem Spiegel sitzen konnte. Mein langer Gänsehals wirkte zerbrechlich wie der Stängel einer Blüte. Und auch die übrigen Teile meines Teenagerkörpers waren nicht gerade kräftig zu nennen. Doch der Busen hatte schon Form angenommen. Ihn bedeckten die kupferroten Wellen meiner Haare, umschmeichelten mein Gesicht und kringelten sich wie kleine Nattern auf den eckigen Schultern.
In diesem romantischen Stadium meines Lebens umschwärmten mich die Jungen. Doch ich hielt mich zurück.
„Man muss wissen, was man will“, sagte ich, wenn mir einer zu nahe treten wollte.
Und ich wusste, ich wollte noch nicht.
Ich wollte schreiben. Schauspielern oder schreiben. Oder nur schreiben. Oder beides. Jedenfalls begann ich voller Begeisterung meinen ersten Roman.
- Mein Hündchen Freya -. Eine traurige Geschichte. Und sie war sogar wahr. Denn mein Stiefvater hatte mein Hündchen Freya brutal erschlagen, als es wieder mal, wie so oft, zu meinen Füßen in meinem Bett lag. Wutentbrannt hatte er den kleinen, süßen Hund durch das Zimmer geschleudert und dann an die Wand geworfen. Wie ein Irrsinniger wütete er durch das ganze Haus und erschlug meine geliebte Freya im Hof auf einem Hackklotz.
Natürlich habe ich das bis heute nicht verwunden. Dieses Trauma wird mich wohl noch im Grab verfolgen.
„Mörder! Mörder!“, schrie es in mir. „Verdammter Mörder!“
Der Mörder verstarb dann ziemlich früh an seiner Zuckerkrankheit. Ich stand ohne eine einzige Träne des Bedauerns an seinem Grab und dachte schadenfroh:
'Nun hast du deine gerechte Strafe.'
Doch ein Blick in Lindas schmerzverzerrtes Gesicht brachte mich zur Besinnung. Immerhin war der Kerl ihr Ehemann gewesen und mit ihr durch Dünn und Dick gegangen. Dass wir uns nicht grün waren, war nicht ihre Schuld.
In dieser Zeit reifte in mir der Wunsch, Schriftstellerin zu werden. Bestimmt, um unbewusst dieses Trauma aus meiner Kindheit zu verarbeiten. Unser Unterbewusstsein ist unserem Bewusstsein ja immer einige Längen voraus.
Um zu schreiben brauche man einen starken Willen, hatte ich gelesen, Ausdauer und Konzentration. Und beides hatte ich damals natürlich noch nicht.
Nach neun Seiten gab ich auf und schrieb in mein Tagebuch:
- Das ist mir zu mühselig, ich habe ja noch mehr zu tun. -
Und wenn ich an das Sitzen vor der Schreibmaschine dachte, gruselte mich schon im Voraus ein Bürohintern. Ich war mal unfreiwillig Zeugin eines Gesprächs zweier Männer. Sie lästerten über eine Frau in meiner Nachbarschaft, liefen hinter ihr und grinsten frech. Der eine sagte im Machoton:
„He, guck mal, die Olle hat ‘nen Arsch wie’n Ackergaul. Arbeitet bestimmt im Büro.“
„Aber drauf liegen tätsde gern“, erwiderte der andere, und beide lachten laut und anzüglich.
Die arme Frau hatte es bestimmt gehört. Sie gab sich plötzlich einen Ruck und drückte den Rücken durch. Dann drückte sie die fetten Arschbacken zusammen, so gut es ging - es ging gar nicht - und stolperte steif vor den Männern her.
Ich hätte denen ja gern den Stinkefinger gezeigt.
Aber die drehten sich nicht um zu mir.
Na ja, ein Bürohintern wäre auch das letzte, das ich ersehnte. Mein Körper war mein ganzer Stolz. Das schmächtige Entlein aus den Teenagerjahren hatte sich zu einem gereiften Schwan entwickelt. Seine Formen lockten die Männer an. Sie umgaunerten mich wie die Erpel die bunten Enten.
Einmal hatte ich auf einem Bauernhof beobachtet, wie ein wunderschöner Erpel eine Ente begattete. Fasziniert war ich stehengeblieben, als der Erpel sein Ding, ich weiß nicht, wie man das bei den Enten nennt, wie einen Korkenzieher in ihre Öffnung drehte. Des Erpels Begattungsinstrument sah tatsächlich aus wie ein Korkenzieher. Phantastisch. Kein Menschenmann konnte so etwas Bizarres aufweisen, war ich mir sicher.
Auch der Ente schien es gefallen zu haben. Mit hängenden Flügeln, die auf der belaubten Erde schleiften, hatte sie sich geduckt, ihre winzigen Äuglein geschlossen und demütig stillgehalten, bis der Erpel fertig war.
Er spreizte dann stolz sein Gefieder. Die Entenfrau erhob sich träge und fing an - welch wundervolles Schauspiel - vor ihm zu tanzen. Immer wieder hob sie ihr Flügelkleid und drehte sich im Kreis in der Abendsonne. Bis zur Erschöpfung. Und der Erpel sah ihr zu. Später dann sind beide fröhlich schnatternd weitergezogen.

*

Wenn es doch mit den Menschen auch so wäre. Es gäbe keine Probleme. Ich musste an Siggi denken. Jetzt. Hier. Vor dem Spiegel. In dem ich mich aufmerksam betrachtete. Nach dem heutigen Erlebnis. Nach dem bestimmt mein Leben verändernden Erlebnis. Im Westteil der Stadt. Zwei Tage nach dem Fall der Mauer. Am 11.11.1989!

Siggi war ein Idiot. Mit ihm gab es nur Probleme. Eigentlich war er das Problem. Das Problem schlechthin. Ja, der ganze Kerl war ein einziges Problem. Ganz abgesehen davon, dass er nicht mit so einem Drehdings ausgestattet war wie der wunderschöne Erpel und mir wenigstens damit Freude bereitet hätte, klappte mit ihm überhaupt nichts. Und wie hatte ich mich in ihn verliebt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Und die soll es ja nur einmal im Leben geben.
Das ist natürlich Unsinn pur. Siggi war nicht meine erste Liebe auf den ersten Blick. Er war meine zweite Liebe auf den zweiten Blick. Meine erste Liebe auf den ersten Blick war Apoll. Apoll hieß natürlich nicht Apoll. Ich nannte ihn nur so, weil ich seinen richtigen Namen nicht wusste und er mir so schön erschien, wie man sich Apoll immer vorstellt. Aber von Apoll erzähle ich später.

Jetzt saß ich vor dem Spiegel und wunderte mich. Ich starrte mich an, als sähe ich mich zum ersten Mal.
„Wie vergänglich doch die Liebe ist“, sprach ich zu meinem Spiegelbild. „Oder das, was man dafür hält.“
Eine Krankheit ist sie. Die Liebe. Eine Krankheit, die vergeht. Die man heilen kann. Oder an der man stirbt. Glücklicherweise sterben die wenigsten daran. Und zu ihrem eigenen Entsetzen werden einige immer wieder von dieser Krankheit befallen, obwohl es sie ja nur einmal geben soll, bis sie sich daran gewöhnt haben und sie so richtig auskosten, oder auskotzen. Pardon.
Flüchtig ist sie. Die Liebe. Flüchtig wie ein Schmetterling. Man kann sie nicht festhalten. Man will es vielleicht auch nicht. Wer will schon eine Krankheit festhalten. Es sei denn, man ist Machoist.

*

Siggi hatte ich durch Zufall kennengelernt. Wenn es Zufälle geben sollte. Ich glaube ja mehr an Vorbestimmung. Irgendwo, ganz weit hinter den sieben Bergen soll es ein Buch geben, in dem der Menschen Anfang und Ende, also Geburt und Tod, aufgeschrieben sein soll. Im voraus natürlich. Diesen Ort würde ich ja gerne finden. Oder lieber doch nicht. Wer will schon wissen, wann sein Leben zu Ende ist. Ich bestimmt nicht. Dann müsste ich mich ja hetzen, um all das zu machen, was ich noch machen will. Das Leben ist vergänglich wie die Liebe. Ewig währt nur der Tod. Doch den will ich nicht. Noch nicht. Nein, überhaupt nicht. Auch das steht irgendwo geschrieben, dass nur derjenige den physischen Tod erleiden werde, der es wolle. Also werde ich nicht wollen.

Und nun wieder zurück zu Siggi. Ach, das noch vorweg: Ich bin tatsächlich Schauspielerin geworden. Na ja, mehr so etwas Ähnliches.
Aber dazu später mehr.
Ich hatte eine Winzigrolle in einem Film bekommen, -Der letzte Rächer -, und Claudia, die Regieassistentin, hatte unser Team zu ihrer Hochzeitsfeier eingeladen, vielmehr, zu ihrem Polterabend. Das war im Mai vor der Wende an einem wundervollen Tag, dem ein noch wundervollerer Abend folgen sollte, mild und sternenüberfunkelt.

Unser Team fuhr nach Drehschluss ausgelassen und überdreht, nach jedem Drehtag waren sowieso alle überdreht, zu Claudias adrettem Einfamilienhaus.
Wir waren etwas spät dran. Die Stimmung im Keller schlug schon hohe Wogen, als wir eintrafen. Im Halbdunkel des Dusterlichts konnte man kaum etwas wahrnehmen. Überlaute Rockmusik dröhnte uns entgegen aus den übergroßen Boxen der Stereoanlage.
Ein Platz in der Mitte lud zum Tanzen ein. Doch die Gäste tanzten nicht. Sie saßen dicht gedrängt an langen Tischen längs der kalten Wände und ließen sich Essen und Trinken munden. Dabei quasselten sie lautstark und wild gestikulierend durcheinander. Bestimmt hatten die schon alle einen sitzen.

Wir stolzierten im Gänsemarsch an der Theke vorbei, die rechts neben der Kellertür aufgestellt war. Die Gäste rückten zuvorkommend etwas zusammen, so fanden wir jeder einen Sitzplatz.
Claudia und ihr Bräutigam hatten uns an der Tür bewillkommnet, umarmt, geküsst, ihre Geschenke huldvoll entgegengenommen. Eine Männerstimme hatte enttäuscht gesagt:
„Kein Material dabei.“
Nachdem ich dann, als Letzte, vorbei gestolzt war, sagte die selbe Männerstimme anerkennend:
„Die ist Klasse.“
Damit meinte er mich. Wen sonst. Meine Nase stupste noch höher, ich dachte laut: „Idiot“, und setzte mich neben Renate.
Renate war ihres Zeichens Aufnahmeleiterin in unserem Team. Sie gab sich selbstbewusst und Respekt einflößend. Eigentlich sah sie aus wie eine Hotelbesitzerin, etwas gereift und nicht mehr ganz schlank. War immer elegant und teuer gekleidet. Aus dem Intershop. Versteht sich. Das war man seinem Rang schuldig.
Ich kaufte meine Klamotten damals noch im Kinderkaufhaus.
Renate hatte ihre graumelierten, langen Haare aufgesteckt.
„Wie findest du den Bräutigam?“, fragte sie mich jetzt, dabei Messer und Gabel vornehm beiseite legend.
Ich hatte gerade nach einem Steak gelangt und druckste nun mit vollem Mund:
„Sieht ganz nett aus, hat aber wohl einen Sprachfehler.“
„Er stottert“, flüsterte Renate nah an meinem Ohr. „Aber nur, wenn er aufgeregt ist.“
Renate griff ihr Besteck, aß genüsslich weiter.
„Hauptsache, er ist lieb“, sagte ich naiv.

Ich dachte an Claudias Trauer, nachdem ihr Ex sie verlassen hatte. Wochenlang war sie mit rot geweinten Augen umhergelaufen. Ihr Ex war ein sehr gut aussehender Mann, dem die Frauen zu Füßen lagen, wie man so sagt.
„Er ist ein Schwein“, war Claudias Meinung. „Er hat mich nur beleidigt und gedemütigt. Was denkst du, was der einmal zu mir gesagt hat, als ich ihn lieben wollte? Na?“
Sie sprach nicht weiter. Machte nur ein angewidertes Gesicht. Ich wusste nicht, was der gesagt hatte.
„Na?“, fragte sie nach einer Weile und guckte mich an, als müsste ich wissen, was der gesagt hat. Ich wusste es aber nicht.
„Der hat gesagt“, sagte sie, während sie meine Hand ganz fest drückte, ‘geh runter von mir, du dürre Zicke.’ Ja, das hat der gesagt.“
So ein Schwein war der. Und ich konnte nicht verstehen, dass Claudia ihn trotzdem geliebt hatte. Sogar von oben. Doch es hat nichts genützt. Er hat sie immer wieder betrogen. Mit Weibern mit Busen und Hintern. Und dann hat er sich scheiden lassen. Und sie hat ihm nachgetrauert. Dabei hätte sie doch froh sein können, dass er weg war. Sollte er doch andere Frauen demütigen und benutzen. Das hatte ich ihr damals gesagt, als der Kerl sich von ihr getrennt hatte. Doch sie meinte, davon verstünde ich nichts. Na ja, ich war ja auch wirklich noch ein Dummchen.
Aber jetzt hatte sie einen, der stotterte und lieb war.

Renate hatte einen, der nicht stotterte, und der nicht lieb war. Er war Fotoreporter, verheiratet, hatte zwei kleine Kinder. Und wegen der zwei kleinen Kinder konnte er sich nicht scheiden lassen und Renate nur ab und zu besuchen. Heimlich, versteht sich. Doch die Kinder wuchsen heran, und der Liebhaber war noch immer nicht geschieden.
„Eines Tages kommt einer, der dich wirklich liebt“, hatte ich ihr prophezeit.
So geschah es dann auch.
Als Renate ihren Urlaub in der Wüste Sahara verbrachte, begegnete ihr der Prinz. Es war wie im Märchen.
Der Prinz war ein Universitätsprofessor aus Leipzig und holte sie heim in sein Reich. Das Reich war Renates Reihenhaus. Es stand zwischen lauter anderen kleinen Reihenhäusern in einer schmalen Straße. Und der Wind sang schon viele Jahrzehnte sein Lied in den Wipfeln der riesigen Bäume vor dem winzigen Haus. Und der Sportreporter wurde endlich in die Wüste geschickt.

Zu meiner Linken saß meine Freundin Uschi. Uschi war klein und etwas pummelig und hätte meine Mutter sein können. War sie aber nicht.
Uschi hatte wunderschöne blaue Augen hinter dicken Brillengläsern und schwarze lange Haare. Auch sie kannte die Männer. Ihr letzter Mann war das Allerletzte. Er war bedeutend jünger als sie, rauchte wie der längste Schornstein in Halle und soff wie eine ganze Kegelmannschaft. Doch das störte Uschi nicht. Sie war damals selbst noch gut drauf. Doch als der Kerl sie verließ, veränderte sie sich in ihr Gegenteil. Sie rauchte und sie trank nicht mehr. Sie steckte ihren Sexykörper in lange Hosen, weite Röcke, rümpfte die Nase über alle Frauen, die auf die blöden Knaben hereinfielen.
„Und dir laufen diese Schwachköpfe auch nur nach, weil du immer Mini trägst und viel Busen hast“, rügte sie mich. „Das macht die doch geil.“ Verächtlich zog Uschi die Mundwinkel nach unten, ehe sie weitersprach: „Ich jedenfalls hab die Nase voll. Ich habe sie alle gehabt. Fast Kinder noch, Greise auch. Ich weiß, was gespielt wird.“
Ich wollte auch wissen, was gespielt wird und fragte neugierig:
„Und was wird gespielt?“
„Finde es selbst heraus“, hatte Uschi angeekelt erwidert.

Bis dahin hatte ich nur eine entsprechende Erfahrung gemacht. Apoll. Aber wie gesagt, davon später.
Aus der Anlage tönte wieder so eine Rockröhre, ich wiegte mich fröhlich im Takt zu den Klängen der Musik.
Plötzlich stand ein junger Mann vor mir.
„Wollen wir tanzen?“ Er verbeugte sich höflich.
Diese Stimme kannte ich doch. Ja. Es war der Idiot.
Verwirrt starrte ich zu ihm auf. Mit dieser Tanzaufforderung hatte ich nicht gerechnet. Der Idiot glupschte auf mich herab. Wie in Trance stand ich auf und blickte in zwei wundervoll sanfte Bernsteinaugen.
‚Dieser Mann wird dein Verhängnis‘, schoss es mir durch den Kopf.
Verhängnis? Noch eines?
Na, er war es ja noch nicht. Doch er würde es werden. Da war ich mir sicher. Mit hellseherischer Fähigkeit vermeinte ich dies auf den ersten Blick zu erkennen. Und ich konnte und wollte nichts dagegen tun. Sollte das zweite Verhängnis seinen Lauf nehmen.

Ohne ein weiteres Wort zog mich der Idiot vom Stuhl und an sich heran. Und wie von selbst drängte sich mein Körper dem seinen entgegen. Traumverloren tanzten wir als einziges Paar in der Mitte des Kellers.
Siggis weich geformter Mund lächelte mich verheißungsvoll an unter dem bernsteinfarbenen Schnurrbart. Seine bernsteinfarbenen Augen schienen zu träumen. Die bernsteinfarbenen Locken, die auf seinen Schultern wippten, umrahmten ein fein geschnittenes Gesicht, schienen den schmalen Schädel zu beschützen.
Bernstein. Bernsteingedanken, die an die Ostsee flogen. Schon roch ich den würzig herben Duft der Wildpflanzen. Sah die uralten Bäume sich schiefknorrig bewegen. Spürte den Wind hinter den Dünen. Atmete das trangeschwängerte Meer in meine Lungen. Sah ich mich liegen mit Bernstein im warmen Sand.
Zu meinem eigenen Erschrecken wollten die Bilder meiner aufgeputschten Fantasie kein Ende nehmen.
All dies geschah mir an diesem Abend bei Siggis Anblick. Sogar die Farbe seines Haares, goldbraun und fast durchsichtig, erinnerte an Bernstein.

An diesem Abend gab es nur noch uns. Wir tanzten und tanzten. Und nachdem mein Bernstein mir ab und zu einen Drink spendiert hatte, Orangensaft mit Schuss, überfiel mich schon nach kurzer Zeit ein kleiner Schwips. Ich lachte und lachte. War mir doch egal, was die anderen dachten. Verschwommen wie durch dichten Nebel flogen ihre verzerrten Gesichter an mir vorüber. Ich lachte und lachte. Ich glaube, ich war ein einziges Lachen. Ein einziges, unbeschwertes, glückliches Lachen.
Und Bernstein schwitzte.
„Komm, wir gehen nach draußen“, sagte er nah an meinem Gesicht. „Mir ist heiß.“
„Mir aber nicht“, erwiderte ich, obwohl ich liebend gern mit ihm gegangen wäre. „Du kannst allein gehen.“

Bernstein ging allein. Ich setzte mich wieder an meinen Platz, trank und lachte. Wusste ich es doch. Er war ein Idiot. Dachte der etwa, ich sei so blöd und ginge mit dem Erstbesten nach draußen? Blöder Trick.
Mir war siedendheiß.
„Der geht ja ganz schön ran.“ Renate stupste mich in die Seite. „Pass nur auf, dass der dir nicht den Boden unter den Füßen wegzieht.“
„Ich kenne diese Typen“, gab Uschi ihren Senf dazu. „Der sieht schon aus wie ein Vernascher. „Ein Filou.“
„Mir doch egal“, sagte ich ärgerlich.
Ich hätte mich liebend gern mal wieder vernaschen lassen. Aber das sagte ich natürlich nicht.

Der Vernascher war noch nicht wieder aufgetaucht. Vielleicht war der ja irgendwo untergetaucht.
Plötzlich hatte ich das dringende Bedürfnis, auf die Toilette zu müssen. Diese war natürlich im Haus, nicht im Keller. Logo. Also begab ich mich doch nach draußen.
Wie durch Watte watete ich einen dunklen Weg entlang zum Haus, fand nach einigem Suchen die Begehrte. Als ich in den Spiegel sah, überkam mich ein kaum zu bändigender Lachkrampf.
„Ganz schön angeschwipst“, kicherte ich mich an.
Mein Kopf war nicht mehr mein Kopf. Das komische Ding auf meinem Hals war leicht, schien durchsichtig, auf Flügeln zu tanzen.
Es dauerte eine Weile, ehe ich begriff, dass die Flügel mein Körper waren. Wie eine Elfe schwebte ich nach draußen. Und dort, auf dem schwarzen Watteweg, packte mich plötzlich eine kräftige Hand, zog mich einige Schritte weiter in tiefes Gebüsch.
Zu der Hand gesellte sich ein Mund, der sich auf meine Lippen presste, eine feuchte Zunge, die sie fordernd öffnete. Die Hand war warm, fest, umklammerte meine rechte Brust. Und bevor ich auch nur eines Gedankens fähig war, rutschte die kräftige Hand nach unten, streichelte meine Hüften, meinen Bauch. Sie rutschte noch weiter. Mein Schoß drängte sich feucht dieser Hand entgegen, öffnete sich bereitwillig auf ihren stummen Befehl.
Erschrocken blickte ich in den Sternenhimmel. Eine Sternschnuppe leuchtete in naher Ferne auf wie eine Warnung, bevor sie auf dem Flug zur Erde blinkend in sich selbst versank.
Ich hatte mir nichts gewünscht.
„Ich will dich. Sofort“, flüsterte Bernstein in meinem Mund.
Da kam ich sofort zu mir. Mein Geist wurde wieder klar. Na, etwas. Mein Mund, noch brennend von der Gier der Küsse, sagte:
„Knöpf’ deine Hose wieder zu. Mit mir nicht.“
Ich stieß Bernsteins Hand von mir, rannte so schnell ich konnte zu dem Keller und setzte mich, fast wieder nüchtern, zu den anderen an die lange Hochzeitstafel.
Bernstein kam sofort nach. Ich würdigte ihn keines Blickes, obwohl seine Blicke wie ein ganzer Ameisenhaufen über meinen Körper liefen.

Später kam Claudia, die schöne Braut, an unseren Tisch. Ich fragte sie über Bernstein aus und erfuhr, dass er Siggi genannt wurde und mit Claudias Bräutigam im VEB Heizungsbau arbeitete. Der Bräutigam war Meister, Siggi Bauleiter. Also war Siggi der Vorgesetzte von Claudias Mann.
„Er ist verheiratet und mit einer fünf Monate jungen Tochter gesegnet“, klärte Claudia mich weiter auf. „Und mit dir flirtet der rum“, sagte sie enttäuscht. „Männer.“
Vorwurfsvoll starrte sie zu Siggi.
„Sagte ich doch. Männer! Alle gleich.“
Hasserfüllt starrte Uschi ebenfalls in Siggis Richtung.
„Mit mir nicht“, sagte ich und starrte auch in Siggis Richtung. Natürlich nicht hasserfüllt.
Siggi stand an der Theke, starrte zu mir, trank.
„Der muss doch bald umfallen.“ Renate starrte auch.

***

Fortsetzung in Kapitel 2
 
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Kommentare  

Toll, mal eine Story mit den Abenteuern eines jungen Mädchens. Schauspielerin werden, ja, das kenne ich. Meine Mutter wäre zu gerne eine geworden und ich glaube sie hätte auch das Talent dazu gehabt, aber sie empfand sich als zu hässlich. Ach, Schade der Siggi ist also verheiratet. Aber deine Protagonistin scheint wohl trotzdem einem kleinen Abenteuer mit ihm nicht abgeneigt zu sein. Und wer ist nun Apoll? Das werde ich wohl erst im nächsten Teil erfahren.

doska (16.07.2010)

hallo, jochen, das finde ich ja toll, dass du dich noch an die geschichte erinnern kannst, obwohl ich sie schon vor einem jahr gelöscht hatte. und sie ist tatsächlich etwas verändert, also überarbeitet. und authentische grundzüge hat sie allemal. danke dir. aber leider habe ich sie noch immer nicht zuende geschrieben. mal sehen, ob es mir diesmal gelingt.
grüß dich


rosmarin (09.07.2010)

Ich glaube ich kenne diese Story, aber es war trotzdem schön, sie noch einmal zu lesen. Ich denke auch, dass du Einiges in diesem Kapitel verändert hast. Deine Protagonistin ist ein heiteres Geschöpf, macht sich keine wirklichen Gedanken über das Leben, will halt alles nur genießen und Neues erleben. Sie ist noch sehr jung und abenteuerlustig. Federleichte Story mit authentischen Grundzügen. Hat mir sehr gefallen.

Jochen (08.07.2010)

hallo, ingrid, ich glaube nicht, dass es den letzten rächer gibt. aber man kann ja nie wissen.
grüß dich


rosmarin (08.07.2010)

so so, bernstein ist also verheiratet und hat eine fünf monate junge tochter. tstststs... sehr interessante und auch lustige einblicke in die frühe und spätere jugend. bis auf den stiefvater natürlich, dem gönne ich seinen frühen tod, hat er nicht anders verdient, das arme hündchen!
der letzte rächer? kann man den irgendwo sehen? ;))
lieben gruß von mir


Ingrid Alias I (07.07.2010)

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