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6 Seiten

Selena - Kapitel 09

Romane/Serien · Spannendes
© Alexander
Der Wanderer wärmte sich an einer überdachten Feuerstelle an der Straße. Sie führte tiefer ins Land. Wenn man auf ihr blieb, erreichte man sogar die grauen Mauern von Rawa. Ein Umstand, der nicht weiter überraschte. Jede Provinzhauptstraße führte zum Sitz der Krone. In einem Topf, den irgendjemand vergessen hatte, köchelte der Wanderer einen Eintopf. Er rührte die Masse um, zog den Duft ein und genoss die Wärme. Bald würde der erste Schnee fallen. Es sollte nicht das einzige Ereignis von Bedeutung bleiben.
Er verringerte die Flamme, tat sich zwei Kellen des Eintopfs in die Schüssel, wartete ein wenig und aß. Es begann zu regnen. Ein weiteres Zeichen, dass der Winter vor der Tür stand. Bald würde der Regen in Schnee übergehen und die Täler in weiße Landschaften färben. Kinder würden im Schnee tollen, Burgen oder Schneemänner bauen. Beim dem Gedanken musste er schmunzeln.
Eine Frau näherte sich dem Unterstand. Genau in diesem Moment begann der Schauer. Der nasse Vorhang ließ einen keine 5 Meter weit sehen. Sie setzte sich auf die andere Seite der Feuerstelle, hielt ihre Hände nahe des Feuers und sah zum Topf. Aus der Tasche holte sie ein Stück Brot, spitzte es auf und hielt es ans Feuer. Kurz darauf war es knusprig.
Selena behielt den Mann im Auge. Seinem Aussehen nach musste er ein Wanderer sein. Woran an sich nichts Verdächtiges war. Im ersten Moment spürte sie keine Gefahr, die von ihm ausging. Eher etwas Vertrautes, Friedliches.
„Möchtet ihr etwas von dem Eintopf?“, fragte der Mann mit einer unglaublich sanften Stimme.
Sie nickte. Er gab zwei Kellen vom Eintopf in eine Schüssel, reichte sie ihr und begab sich wieder zu seinem Platz.
Selena roch. Gifte die dem Essen oder einem Getränk beigemischt werden, veränderten den Geruch. Je feiner der Geruchssinn war, desto wahrscheinlicher war es, dass man den feinen Unterschied riechen konnte.
Das Essen schien unbedenklich, also probierte die Albin einen Happen. Es war einfach eine Angewohnheit argwöhnisch zu sein. Vor allem dann, wenn man fremd war. Als sie nichts Verdächtiges herausschmeckte, begann Selena zu essen. Der Eintopf besaß eine angenehme milde Würze. Die Aromen der verschiedenen Zutaten hatten sich miteinander verbunden. Im Nu hatte sie die Schüssel gelehrt. Sie stellte sie beiseite, nahm ein weiteres Stück Brot und röstete es nahe der Flamme.
Dabei beobachtete Selena den Mann auf der anderen Seite des Feuers. Sie hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, bewusst und unbewusst, stets wachsam zu sein. Der Mann war ein Elb mit einer starken Aura. In seinen Augen lag eine Kraft und ein Wissen, das tief verwurzelt war.
„Was führt euch hierher?“, fragte der Mann ungezwungen.
Obwohl sie den Mann zum ersten Mal sah, wirkte er ihr irgendwie vertraut. Er war keine Bedrohung für sie. „Das schlechte Wetter.“, antwortete die Albin schnippisch.
Der Elb lachte. „Etwas tief in eurem Inneren hat euch hierher geführt.“
Schon automatisch ging ihre Hand zum Schwert. „Ich weiß nicht, was ihr meint.“ An seinen Augen erkannte Selena, dass er mehr wusste, als ihr lieb war.
„Ihr habt eine Bestimmung, Selena.“
Sie wurde unruhig. „Ihr kennt meinen Namen?“
Er nickte schlicht.
Die Unruhe wurde stärker. „Woher?“
Ein sanftmütiges Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Mit einmal war sie bis in die Haarspitzen elektrisiert. Die Härchen im Nacken richteten sich auf. Jetzt wurde ihr bewusst, dass die Unruhe nicht dem Elb galt, sondern etwas anderem.

***
Wie aus dem Nichts schälten sich mehrere Biester aus dem Regenvorhang und stürmten mit dem unverkennbaren Grunzen vor. Selena konnte ihre Waffe nicht mehr ziehen. Ein Ork schwang seine Keule. Ohne darüber nachzudenken, rollte sie sich unter dem Schlag hinweg. Dabei kam sie den Flammen sehr nahe und spürte die Hitze auf ihrem Gesicht. Sie nahm ein brennendes Holzstück. Das Feuer zog einen Schweif hinter sich her. Die Albin traf den Kopf des Orks. Der Holzscheit splitterte und Funken stoben auseinander. Das Grunzen ging in einen Schrei über. Sie ließ den Holzscheit los, sprang nach vorne und schlug dem Ork ins Gesicht. Unverkennbar hörte man wie die Nase brach. Der Knochen bohrte sich in den Schädel. Sofort verklang der Schrei und der Ork sackte zusammen.
Aus dem Augenwinkel sah Selena eine Bewegung. Sie drehte sich blitzschnell um die eigene Achse, winkelte dabei das Bein an. Ihre Ferse krachte gegen den Kiefer eines Biest. Wieder brach der Knochen und von der Wucht wurde der Angreifer zu Boden geschleudert. Sie rollte sich ab und blieb gebückt.
Der Elb kämpfte mit seinem Stock gegen einen Urikai, der ihm in allen Belangen überlegen schien. Dennoch behauptete sich der Mann in einer Art und Weise die Selena unweigerlich an ihren Lehrmeister erinnerte. Jede Bewegung und jeder Schritt waren einstudiert. Er führte den Stock wie jemand der darin ausgebildet war. So was sah Selena bei einem Vetter der eurasischen Elben zum ersten Mal. Hinter dem Elb tauchte ein Feind auf. Sie zögerte keinen Moment. Selena sprang durch das Feuer auf die andere Seite.
Die Flammen stoben auseinander und verliehen ihr eine mystische Aura. Wie ein Kranz aus Feuer hüllte das orangerote Licht sie ein. Der Ork hatte keine Chance. Sie rammte ihm den Dolch zwischen Hals und Schulter. Genau in dem Moment schlug der Elb mit dem Stock in einer unglaublich schnellen Abfolge gegen den Schädel seines Gegners, der bewusstlos zu Boden sank.
Hinter dem Regenvorhang registrierte Selena weitere Bewegungen. Aus dem Augenwinkel sah sie den Elb an. Er schien unverletzt.
„Das reicht.“, brummte eine der Gestalten. Ein Ork mit Zügen eines Urikais tauchte auf. Mit ihm erschienen ein Dutzend Soldaten. Die Hälfte davon zielten mit Armbrüsten auf sie.
„Hauptmann K`reuk.“, grüßte der Elb.
Seltsamerweise neigte er den Kopf. Was man durchaus als eine Ehrbekundung bezeichnen konnte. Der Elb erwiderte die Bekundung. Ihr Gegenüber machte einen Schritt vor. Sein Blick ging zu seinen Männern. Dann schaute der Hauptmann zu Selena. „Ihr müsst diejenige sein, der es gelungen ist die Abgesandten der Krone zutöten!“, stellte er fest. Nun sah der Elb sie an. In seinem Blick lag ein Anflug von Trauer. Er währte aber nur einen Wimpernschlag. „Euer Ruf eilt euch voraus.“, setzte der Ork fort.
Selena wusste, wann es besser war, die Waffen zu strecken. Ein Armbrustschütze war kein Problem. Bei Zweien war es problematisch, aber drei Schützen auszuweichen, hatte sie bisher nur einmal gesehen. Schon an der Haltung der Armbrust sah sie, dass die Biester geschult im Umgang mit der Waffe waren. Bevor sie auch nur einen Schritt machte, hätte mindestens ein Bolzen sie getroffen. Darauf konnte Selena verzichten.
So wurden die Albin und der Elb entwaffnet. Man fesselte ihnen die Hände auf den Rücken, verarztete die Verwundeten und nahm die toten Biester huckepack. Der Regen hatte sich leicht abgeschwächt, als man von den Biestern in die Mitte genommen wurde und den Unterstand verließ.

***
„Man hätte uns über euer Tun informieren müssen.“, stellte der Fürst entrüstet fest.
K’reuk verabscheute ihn von der ersten Sekunde an. Er gab vor, nichts davon gewusst zu haben, dass der Untergrund in Sierra stärker aktiv war als angenommen. Die Schuld schob er auf den Gouverneur. Zum Teil zu Recht, schließlich war er der Befehlshaber der Provinztruppen.
Fürst Rosario gab sich schockiert, als er vom Tod der Zwillinge hörte. In seinen Augen stand aber Gleichgültigkeit und Erleichterung. Die Abgesandten hätten ihn wegen seiner Verfehlungen, die er gegenüber der Krone begonnen hatte, hingerichtet. Sie waren die Einzigen im Dienste der Krone, die mehr Machtbefugnisse besaßen als die Fürsten. Gleichzeitig waren sie ihr gegenüber Loyal.
„Wenn es die Abgesandten für notwendig gehalten hätten.“, raunte K’reuk dem Fürsten zu.
Seine Augen funkelten ihn wütend an. „Hütet eure Zunge, Hauptmann. Ihr sprecht mit einem Fürsten und nicht mit irgendeinem Bauern.“, fauchte Rosario bedrohlich.
Er entblößte seine Hauer, was man durchaus als Lächeln deuten konnte. „Meine Truppen und ich unterstehen einzig und allein der Krone, Fürst. Ich spreche mit euch, wie es mir passt.“ K’reuk entblößte seine Hauer weiter. Sie waren keine gewöhnlichen Soldaten. Außer den Abgesandten gab es nur eine weitere Person, deren Befehle sie Folge leisten zu hatten; der Krone.
Die Augen des Fürsten glitzerten.
In diesem Moment betrat einer von K’reuks Männern den Saal. Ohne jegliche Bekundung gegenüber den Fürsten oder dem Gouverneur schritt er zu seinem Hauptmann, machte Meldung und verschwand wieder.
„Was soll das?“, wollte der Fürst wissen. Er spuckte Gift und Galle.
„Wir erhielten soeben eine Nachricht aus Rawa.“ Gleichgültig schaute ihn der Fürst an.
„Und?“
K’reuk zeigte seine Hauer. „Jetzt könnt ihr die Lage der Krone mitteilen.“
Der Fürst funkelte ihn einen Moment finster an. Unschlüssig, wieso der Hauptmann lächelte, rief er nach einem Schreiber.
„Der wird nicht nötig sein.“, wandte der Ork eine Spur zu höflich ein.
„Wieso? Ihr sagtet ich könne der Krone die Lage mitteilen.“
„Das stimmt.“, gab K’reuk dem Alb recht. „Persönlich.“
Man sah die Verständnislosigkeit in seinem Gesicht. Dann von einem Moment zum anderen entglitten ihm die Gesichtszüge. Seine Augen zeigten abwechselnd Furcht, Angst und pures Entsetzen. Ihm war klar geworden, was der Hauptmann meinte.

***
Schneller als jedes Pferd und der Wind breitete sich das Kommen der Krone in die Provinzhauptstadt aus. Die Händler, Wanderer und Tagelöhner trugen die Nachricht hinter die Stadtmauern. Innerhalb von einem halben Umlauf hatte sie sich in Sierra ausgebreitet. Nur die wenigsten glaubten sie, jedenfalls anfangs. Viele hielten es für ein Gerücht. Es hielt sich hartnäckig und jeder sprach davon. Selbst die Ältesten der Alten erinnerten sich nicht, ob die Krone Rawa jemals verlassen hatte. Niemand wusste so recht, was man davon halten sollte.
Bis sich die Nachricht herumsprach, dass einem, auf einer Nebenstraße, eine schwer bewaffnete Eskorte mit dem Banner der Krone begegnet war. Bei der Eskorte handelte es sich um die Reiterschaft von Rawa, eine Eliteeinheit, die nur der Krone unterstand. Sie begleitete eine Kutsche mit einem Eddaner Gespann. Diese Pferde gab es in freier Wildbahn nicht mehr, sondern wurden von der Krone gezüchtet. Außer ihr durfte niemand sonst Eddaner nutzen oder reiten. Es waren die Pferde der Krone.
Gerade als Fürst Rosario von einem seiner Berater über die Nachricht informiert wurde, teilte ihm ein Diener mit, dass die Krone das Westtor passierte. Kurz darauf erklangen die Fanfaren. Rosario trat an das große Fenster. Die Aussicht bot einen Blick auf den Platz vor dem Fürstenpalast. Die Villa stand auf einer künstlich herbeigeführten Anhöhe. Dadurch hatte man einen guten Blick auf die Stadt. Drumherum war eine begrünte Freifläche. Eine niedrige Festungsmauer schottete das Grundstück vom Rest der Stadt ab.
Nie hätte er es für möglich gehalten das zu sehen, was er nun sah. Eine Gänsehaut überkam ihn. Die Soldaten der Reiterschaft ritten auf ihren schwarzen gepanzerten Rössern die gepflasterte Straße hinauf. Hinter den muskelbepackten Urikais und Orks, in ihren schwarzen Rüstungen, fuhr eine klassische Kutsche. Im ersten Moment wunderte sich Rosario. Sie schien nicht den Rang der Krone widerzuspiegeln. Die Reiter hielten die Eddaner an, stiegen ab und verteilten sich. Die Kutsche fuhr unter das Vordach vom Westflügel. Dort lagen die Räume der Krone. Jeder Fürstenpalast im Reich verfügte darüber. Ob sie jemals bewohnt wurden, wusste bis heute niemand.

***
Vor der schweren Holztür des Westflügels hatten sich zwei der gerüsteten Soldaten der Krone postiert. Über den Hauskorridor und den Hofeingang bekam man Zutritt zum Westflügel. Beides wurde bewacht. Nur die Krone entschied, wer zur Ihr vorgelassen wurde und wer nicht. Hauptmann K’reuk gehörte zu den Ersteren.
Ein schwarz gerüsteter Soldat brachte ihn in einen Raum. Dort stand eine lange ungedeckte Tafel. Durch die sieben gotischen Fenster drang Licht ins Zimmer. An der Wand befand sich ein großer Kamin. Darüber hing die Flagge der Krone. Keine Blumen oder andere Pflanzen. Auch sonst gab es keinerlei Inventar. Außer der Tafel, den Stühlen und den Vorhängen. Der Soldat blieb an der Tür stehen.
An einem der Fenster stand eine Person mit dem Rücken zu ihm. Sie trug einen Umhang aus rotbrauner Seide mit feinen Seitenstickereien. Auf der anderen Seite des Raums standen zwei weitere Soldaten. K’reuk konnte ihre Gesichter nicht sehen. Sie lagen hinter den Helmvisieren verborgen. Keiner aus der Reiterschaft, der Leibgarde der Krone, nahm das Visier ab.
Ihn überkam ein Frösteln. Seine Härchen stellten sich auf. Bisher war K’reuk der Krone nie persönlich begegnet. Die Abgesandten waren stets an seiner Stelle gekommen. Er blieb stehen, schaute zu der Person am Fenster. Dann ging er mit einem Bein auf die Knie und neigte den Kopf. Einem Gerücht zufolge versteinerte einen das Antlitz der Krone, bei einem anderen wiederum verbrannte man. Es gab unzählige Varianten. Keiner davon wollte K’reuk sich aussetzen.
„Meine Gebieterin.“ Seine Stimme klang rau. Zum allerersten Mal in seinem Leben empfand er Angst. Es konnte nur einen Grund geben, warum die Krone ihn zu sich zitierte. Der Tod der Abgesandten. „Wir…Ich konnte die Abgesandten nicht schützen.“
„Deswegen habe ich euch nicht holen lassen, K’reuk.“ Die Stimme war wie eine rasiermesserscharfe Klinge. Kalt. Hart. Kompromisslos. Keine Spur einer Emotion. Vollkommen hohl und leer.
Er war verwirrt. Wenn sie ihn nicht bestrafen wollte, weil er die Abgesandten nicht schützte konnte, warum hatte sie ihn dann kommen lassen?
„Sondern zur endgültigen Vernichtung des Untergrunds.“
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Ende, Kapitel 9
© by Alexander Döbber
 
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Kommentare  

Die ist ja ganz entsetzlich, diese Königin. Und Selena und der Elb sind gefangen. Spannend, ich muss gleich weiterlesen.

Petra (18.11.2010)

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