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6 Seiten

Selena - Kapitel 16

Romane/Serien · Spannendes
© Alexander
Alles war wie immer. Jedenfalls konnte Selena keinen Unterschied feststellen. Ob Erleuchtung die richtige Umschreibung für das war, was ihr widerfahren ist, konnte sie nicht sagen. Manch einer mochte es so nennen. Andere wiederum nicht. Für die Spitzohren war sie die Erlöserin. Im Falle der Biester die Erbin. Keins von beiden traf auf sie zu, fand die Albin.
Ja, sie war die Tochter einer Orin. Ihre Tante war eine Orin. Demzufolge floss das Blut der Orin in ihr. Machte sie das automatisch zu einer von ihnen? Technisch gesehen ja. Praktisch nein. Sie kannte nur das Leben als Albin. So wurde sie gesehen.
Im Moment spielte nichts davon eine Rolle. Die Krone, ihre Tante, würde nicht ruhen, bis sie sie wieder in den Fingern hatte. Der Grund hatte sich ihr offenbart. Selena war von Eurasien nach Rawa gelangt. Ihre Tante wollte den umgekehrten Weg nehmen. Dazu brauchte sie ihre Nichte.
Noch etwas hatte sich ihr offenbart.
Nicht nur die Krone von Rawa war eine Bedrohung, sondern auch Leena in Basra. Ihre Schwester war mit Sicherheit genauso auf Rache aus. Schließlich hatten ihre Mutter und Mjra sie besiegt. Besiegte neigten dazu abzuwarten und sich zur gegebener Zeit zu rächen. Meistens waren sie dann noch stärker als zuvor. Was wenn die Krone zu dem selben Schluss gekommen war?
Unter einem Banner vereint! Sie wollte sich mit den Völkern Eurasiens gegen ihre Schwester stellen. Verständlich. Sie verfügte ja nicht gerade über eine kampfstarke Armee. Lediglich die Reiterschaft und das eine oder andere Heer aus Orks und Urikais standen ihr zur Verfügung. Nicht besonders schlagkräftig.
Da die Gehzeiten das Meer zwischen Rawa und Basra zu einem begehbarem Eispanzer machten, war es nur eine Frage der Zeit bis Leena mit ihren Truppen einfiel. Bei dem was Selena gesehen hatte stand der Angriff kurz bevor.
Daher war es ihre einzige Chance gemeinsam mit den Völkern Eurasiens sich Leena entgegenzustellen. Sobald Rawa gefallen war, würde sie ihre Aufmerksamkeit auf Eurasien richten. Wenn sie es nicht schon längst getan hatte.
Eine Entschlossenheit festigte sich in ihr. Die Krone war ebenso eine Bedrohung für Rawa und Eurasien wie ihre Schwester aus Basra. Eins nach dem Anderem, hörte sie Michael sagen. Er hatte recht. Michael! Sie verdrängte das Bild von ihm in der Ruinenfestung.
Was zählte war das hier und jetzt. Zumal Selena ihm sowieso nicht helfen konnte. Sie ignorierte den Stich in ihrer Brust.

***
„Erhebt euch, Hauptmann K’reuk. Ihr seit nicht meine Diener.“, sprach die Albin zu den Biestern. Unschlüssig schaute der Ork auf. Langsam kam er auf die Beine. Seine Gefährten taten es ihm gleich.
Für den Bruchteil einer Sekunde schaute K’reuk weg, dann sah er wieder zur Erbin der Krone. Selena hatte es gesehen, schien sich aber nicht weiter drum zu kümmern. Sie wusste schon, wem der Blick galt. Demjenigen, der die Siedlung vom Untergrund verraten hatte. Schon bei der ersten Begegnung war ihr ein ungutes Gefühl gekommen.
„Majestät.“, sagte die Orkfrau ehrfürchtig.
„Majestät!“, spie Jerome angewidert aus. Sein Schwert hielt er weiterhin in der Hand. In seinen Augen loderte der Hass, die Wut, der Zorn.
Der Blick der Orkfrau hätte selbst Lava zu Stein erkalten lassen. Bei dem Elb prallte er ab. Zum Glück gab es keine Magie mehr, andernfalls wäre er erstarrt oder von einem Blitz getroffen worden. „Wir stehen euch zu diensten. Bis in den Tod.“
Es war nun mal ihre Bestimmung. Dagegen war Selena machtlos. Ihre Aufgabe war keine leichte. Nicht dass sie ein Problem damit hatte, ihre Tante zu töten. Das Problem waren ihre Leibwächter; Die Reiterschaft.
Nava trat vor. „Wer hat die Siedlung verraten?“, wollte sie von den Biestern wissen. Vor ihr standen keine gewöhnlichen Soldaten der Krone. Sie unterstanden dem Kommando der Zwillinge. Welche einzig und allein der Krone dienten. Wenn also jemand wusste, wer den Standort der Siedlung verraten hatte dann sie.
„Wollt ihr es ihr nicht sagen?“, fragte Selena den Verräter. Sie hatte sich zu ihm begeben, stand vor ihm und schaute dem Verräter direkt in die Augen. Sie waren es, was sie von Anfang an gestört hatte; die Augen. Was Sie darin sah, war ganz und gar nicht elbisch, sondern albisch. Es waren keine Zwillinge. Drillinge!
Nava schaute zu ihr. Sie konnte nicht glauben, wen sie angesprochen hatte. Der Verräter war direkt unter ihnen. Ihr Verdacht war zwar, dass es einen Verräter im Untergrund gab, aber dass er sich unter ihrem Trupp befand hielt sie für ausgeschlossen.
„Jerome!“
Er schaute sie an. Der Ausdruck in seinen Augen erschreckte sie. Eine solche Boshaft hatte sie nie zuvor gesehen. Er, ein Freund, verzog seine Miene zu einer Grimasse abgrundtiefer Verachtung. „Ja. Ich diene der Krone. Wie meine Brüder.“ Er schaute zu Celin. „Ich hätte gerne das Gesicht deines Vaters gesehen, wenn ich ihm mein Schwert in den Leib gerammt hätte.“
„Nein...“, schluchzte sie und schlug die Hände vors Gesicht.
„Er war ein Nichts. Genau wie der Imam. Niemand kann die Krone aufhalten.“ Jerome sah zu Selena. „Auch du nicht. Erlöserin.“, höhnte er inbrünstig und spuckte ihr voller Verachtung vor die Füße.
Die Orks griffen zu den Waffen.
„Ich werde schon mit ihm fertig. Er ist kein Gegner für mich.“, richtete Selena an die Wächter der Erbin. Sie brauchte niemand der für sie kämpfte. Jerome reichte ihr nicht mal annähernd das Wasser. So wie seine Brüder.
„Mag sein.“, erwiderte er freudig. „Sie schon.“
Ihre Nackenhärchen richteten sich auf. Gefahr!

***
Aus dem Schatten der Kammer traten Kreaturen der Reiterschaft hervor. Ein Waldwächter, er stand ihnen am nächsten, konnte nicht mehr reagieren. Entsetzt sah er ein blutverschmiertes Landschwert aus seinem Brustkorb ragen. Einem Ork erging es nicht viel anders. Der Hieb der Kreatur schlitzte seinen gesamten Torso auf. Ein Schwall Blut spritzte umher.
Selena überlegte keine Sekunde, sondern handelte instinktiv. Sie wirbelte herum, zog Celin beiseite und rettete der jungen Elbin das Leben. Eine Klinge stach aus dem Schatten und hätte sich in ihren Leib gebohrt, wenn Selena nicht reagiert hätte.
Der Reiter setzte sofort nach. Ihre Klinge schnellte hervor, wehrte die Folgeattacke ab, vollführte über der Langschwertklinge einen Flickflack, hämmerte der Kreatur ihre geschiente Ferse gegen den Helm und schlug ihm ihr Schwert in den Hals. Gurgelnd sackte es zu Boden.
Orks und Elben kämpften gemeinsam gegen die Soldaten der Reiterschaft. Ihrem gemeinsamen Feind. Der Feind meines Feindes, ist mein Freund; lautete ein Sprichwort der Menschen. Der Elbwächter vor ihr starb. Die Kreatur stieg über seine Leiche und widmete sich Selena.
Jerome würgte Celin. Er hatte immer vorgehabt sich die Elbin als Gespielin zu halten. Sobald die Krone den Untergrund vernichtete. Sie würde einzig und allein ihm dienen. Alles tun, was er wollte. Die Gedanken daran, was er mit ihr in seiner Fantasie anstellte, erregten ihn eins ums andere Mal. Ein abscheuliches Grinsen erschien, als er sich daran erinnerte. „Zu schade, dass du den Tod finden wirst, Kleines.“, sagte er anzüglich. „Ich hätte eine Menge Spaß mit dir gehabt.“ Wehmutig schaute er ihr in die Augen. Jerome schmeckte ihre Angst. Köstlich. Der Geruch spornte ihn an. Er hob die Klinge, zögerte den Bruchteil einer Sekunde und stach zu. Ihre Augen weiteten sich im Angesicht des Todes.
Njra duckte sich unter dem Faustschlag weg, den der Reiter vollzog. Sie standen zu dicht beieinander, um eine Schwertattacke anzusetzen. Der Schlag sollte ihm den nötigen Freiraum bringen. Kein schlechter Zug. Wenn die Orkfrau nicht genau darauf aus gewesen wäre. Die gerüstete Faust traf mit voller Wucht auf den Fels. Sie war so dicht, dass sie das Knacken brechender Knochen hören konnte. Der Reiter gab nicht einen Laut von sich, außer einem missmutigen Knurren. Njra packte den Arm, schlug mit aller Kraft gegen den Ellbogen. Man hörte das Splittern des Knochens. Ein Stöhnen erklang. Jeder andere hätte geschrien vor Schmerzen. Nicht so die Reiter. Sie zog den Streitkolben vom Gürtel, zielte auf den Kopf. Der Helm brach beim Aufprall. Ihr Kolben knackte den Schädel wie eine Melone auf und bohrte sich ins weiche Gewebe. Der Reiter sackte zusammen. Stumm wie ein Fisch.
Lorana kreuzte ihre Kurzschwerter, in die Kerbe traf das Langschwert. Beim Auftreffen wirbelte die Elbin herum. In der Bewegung machte sie einen Buckel. Ihr Gegner reagierte nach ihrer Verteidigung sofort und schlug mit der freien Faust zu. Hätte Lorana keinen Buckel gemacht, wäre die Faust auf ihren Schädel geprallt und hätte sie ausgeknockt. So ging er ins Leere. Sie kam hoch, trieb dem Reiter das Kurzschwert in den Hals. Weder ein Schrei oder ein Ruf erklang.
Die Elbin sah, wie Jerome das Schwert hob. Lorana ließ ihre Waffe im Hals des Reiters los. Sie wollte Celin zu Hilfe eilen, als ein lebloser Körper sie zu Boden riss. Es handelte sich um einen Ork. Benommen wollte sie ihn von sich weg rollen, als ein Reiter über ihnen auftauchte. Das Langschwert stieß herab.
Njra beobachtete die Szene zwischen Jerome und Celin. Gleichzeitig bekam Zedek mit einem Reiter immer mehr Schwierigkeiten. Sie stand nun vor der Wahl. Half sie einem der Ihren oder der Spitzohrin? Der Ork war zwei Schritte weiter weg als die Elbin und der Alb. In zwei Schritte konnte ihre Hilfe für Zedek vergebens sein. Nicht so für die Elbin. Entschied sie sich aber für den Ork, war das der Tod der Spitzohrin. Ihr blieb gar keine Wahl. So sehr sie sich sträubte, die Entscheidung war gefallen. Sie änderte ihren Schwerpunkt und warf den Streitkolben.
Aus der Brust des Reiters über Lorana drang ein Schwert nach draußen. Seine Waffe entglitt seinen schlaffen Fingern und fiel neben der Elbin scheppernd zu Boden. Jemand zog das Schwert aus dem Körper. Die Kreatur kippte tot zur Seite. Hinter ihm, mit dem blutigen Schwert in der Hand, stand der Ork mit dem Abzeichen eines Hauptmanns. Er hielt ihr unvermittelt seine Hand hin. Um ihr aufzuhelfen. Lorana zögerte einen Moment, stieß den toten Ork von sich und griff zu.
Das Zögern, so flüchtig es gewesen sein mochte, bedeutete den Tod. Hätte Jerome nicht gezögert, wäre Celin gestorben. Der Streitkolben schlug in seine Brust ein und riss ihn von den Füßen. So überlebte die Elbin im allerletzten Moment. Sie wurde durch die Wucht des Treffers zwar auch zu Boden gerissen, da der Alb sie im Würgegriff hatte. Ungläubig schaute Jerome sie am Boden liegend an. Röchelnd verdrehte er seine Augen und starb.
Ruhe kehrte augenblicklich in die Kammer ein.

***
„Alles in Ordnung?“, fragte Nava Celin und half ihr auf.
Ihre Kehle war noch wie zugeschnürt. Sie nickte. Die Orkfrau zog den Streitkolben aus Jerome`s toten Leib. „Danke.“, krächzte die Elbin schmerzhaft. Der Blick der Ork war nichtssagend.
Selena schaute sich um. Sie zählte 10 tote Kreaturen, 3 Orks und 3 Waldwächter. Deren Anführer, Madaeus, kniete neben einem Elb, hielt seine Hand, flüsterte ihm was zu. Anschließend schloss er ihm die Augen. Der vierte Waldwächter war so eben gestorben. Dazu der Verräter. Der Kampf hatte deutlich gemacht, dass die Reiter nicht unbesiegbar waren, aber dafür musste man einen hohen Preis zahlen.
Am Ende blieb alles beim Alten. Die Krone musste aufgehalten werden. Eine Aufgabe, die durch den Kampf nicht leichter wurde. Der Untergrund war vernichtet. Die Nachricht darüber hatte sich mit Sicherheit im Land verbreitet. Was zur Folge hatte, dass es ihnen ungemein schwerer fallen würde Helfer zu finden.
Eine sorgfältige Organisation dauerte zu lange. Sie durften nicht viel Zeit verlieren. Das würde zu ihren Ungunsten ausfallen. Ihre Tante würde Vorbereitungen treffen, was es ihnen schwieriger machte ihr Ziel zu erreichen.
„Hauptmann.“, sprach Selena den Ork an.
K`reuk wandte sich ihr zu. „Ja…Maje…“ Er blickte unschlüssig zu Njra. „Majestät.“
„Die Krone scheint eure Dienste nicht mehr zu benötigen.“ Dem konnte er nicht widersprechen und nickte daher.
Die Reiter waren nicht darauf aus gewesen ihn und seine Leute am Leben zulassen. Das bedeutete, sie standen nicht länger in ihrem Dienst. Sie waren frei! Technisch gesehen, denn wirklich frei fühlte er sich nicht. Dazu musste die Tyrannei der Krone beendet werden. Was nur auf eine Weise ging. Mit ihrem Tod.
„Das macht es nicht gerade einfacher.“, sagte Selena gedankenverloren.
„Hast du einen Plan?“, fragte Nava. Sie stand bei Lorana, um sich nach ihrem Wohlbefinden zu erkundigen. Celin und sie waren die Einzigen, mit denen Nava eine Freundschaft verband.
Eine Idee formte sich. „Wie viele der Reiter gibt es?“, wollte die Albin wissen.
„Das weiß niemand. Sie sehen alle gleich aus. Vielleicht nur wenige Hundert!“, spekulierte der Hauptmann. Njra verband die Ursak`s Fleischwunde.
Dass war nicht gerade die Antwort, die sie sich gewünscht hatte. Wenn man die Anzahl der Gegner kannte, war das natürlich von Vorteil. „Wie ist es um die Loyalität der Orks und Urikais gegenüber der Krone bestellt?“
K`reuk schaute zu Njra. „Wir sind an die Hundert Mann stark.“, antwortete sie ihrem Hauptmann und der Albin.
Selena ging auf und ab. 100 Mann waren wenig, wenn man zum Vergleich die Stärke des Gegners sah. Dazu die unbekannte Zahl der Soldaten der Reiterschaft. Andererseits bedeutete eine Übermacht nicht unbedingt den Sieg und Unterzahl die Niederlage. Setzte man die vorhandenen Kräfte geschickt ein, konnte man jede noch so große Übermacht besiegen.
Sie blieb stehen. Der Plan stand. In groben Zügen jedenfalls. Was im Moment ausreichen musste. „Wie wäre es mit einer kleinen Rebellion!“
Unsicher schaute K`reuk, Njra und Ursak an. „Rebellion!“, wiederholte er hörbar skeptisch. Ihm war nicht ganz klar, worauf sie hinaus wollte.
Die Erbin der Krone lächelte vielsagend.
„Eine Rebellion!“, hackte Nava nach.
Ihr Lächeln wurde breiter. Die Gesichter aller gaben ihr ungewollt recht. Sie hatten damit nicht gerechnet. Genauso wird es der Krone ergehen. Darum wird der Plan funktionieren, davon war sie mehr den je überzeugt.
______________________________________________________

Ende, Kapitel 16
© by Alexander Döbber
 
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Kommentare  

Ein Verräter in den eigenen Reihen. Das ist vor allem für Celine sehr traurig und auch hoch gefährlich. Aber Selena hat auch treue Freunde auf die sie sich verlassen kann.

Petra (27.12.2010)

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