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12 Seiten

Tagebuch des Untergangs

Romane/Serien · Trauriges
Freitag 24. Juli. Die Sonne scheint endlich wieder ungetrübt, nachdem sie sich einige Tage nicht hat sehen lassen. Mein Kopf ist schwer von allerlei Gedanken über mein Leben und meine Zukunft.
Zukunft. Welch ein großes Wort, das für mich so wenig Bedeutung in sich trägt! Ich lümmle auf meinem Bett herum, ein Buch in der Hand und merke, wie wenig ich, von dem was ich lese, verstehe. Nicht weil ich mich an Lektüre versuche, die so viel größer ist, als ich zu erfassen vermag, sondern weil mein Kopf einfach voll ist mit Gedanken, die sich nicht bändigen lassen wollen.
Also tun wir, was wir so oft schon getan haben, wenn der Kopf schier platzt und niemand da ist, der sich auch nur im geringsten dafür zu interessierern scheint. Man schreibt. Aber wie soll es beginnen?
Wie soll man es schaffen, jemanden damit zu fesseln und ihn dazu bringen weiter lesen zu wollen? Gar nicht so einfach wie ich mir vorgestellt hatte.
Selbst der Titel zu diesem Bericht oder Roman oder wie auch immer man das nennen will, was mir hier aus den Fingern fließt, bereitet mir Schwierigkeiten.
Vermutlich sollte ich wohl doch besser die Finger davon lassen und mich wieder meinem Buch widmen. Diejenige, die dieses geschrieben hat, versteht wenigstens was vom Schreiben. Ganz im Gegensatz zu mir...

Sonntag,09. August. Das Wetter hat sich meiner Stimmung in der Zwischenzeit angepasst. Es ist trübe und regnerisch. Ich überlege mir seit Tagen ob und wie ich diese Geschichte schreiben soll. Und ein Titel muß auch noch her. Aber es langt nicht einmal zu einem Arbeitstitel, unter dem man das ganze laufen lassen könnte...
Der eine hat es, der andere eben nicht. Ich bin eindeutig die andere Sorte. Doch die trüben und schweren Gedanken sind noch immer präsent. Sie bohren sich durch mich hindurch, fressen all meine Energie auf, die ich so mühsam aufzubauen versuche.
„ Lach doch mal wieder!“ sagte Tanja – eine gute alte Freundin – neulich als ich sie nach langer Zeit mal wieder getroffen hatte.
Ich sah sie aus leeren Augen an, meinen Mund zu einer Grimasse verzogen, die ein Lächeln sein sollte. Tanja sah mich skeptisch bis entsetzt an, schwieg aber. Überhaupt schwiegen wir mehr als wir redeten. Es hatte sich etwas geändert. Grundlegend. Doch wir wollten es uns nicht wirklich eingestehen.
Ich saß neben ihr auf dem Sofa – einem gemütlichen alten Teil, das seine besten Tage schon lange hinter sich gehabt hatte – und sah sie an. Unmerklich klein und zart lief mir eine Träne die Wange herab. Ich konnte mir das nicht erklären. Zwar war meine Stimmung katastrophal doch nicht so abgründig, daß ich in eine solche leere hätte stürzen können, wie sie mich plötzlich und unerwartet einnahm.
„Halt mich. Bitte. Ganz fest,“ sagte ich zu ihr und noch mehr Tränen rannen mir über das Gesicht.
Tanja sah mich entsetzt an, schwieg aber. Nach einer kurzen Weile, in der sie zu überlegen schien was sie tun sollte – eine Zeit, die mir erschien als vergingen Stunden – rückte sie zu mir heran und nahm mich in den Arm. Ich legte meinen Kopf auf ihre ausladende Brust. Es tat gut. Ich fühlte mich geborgen. So geborgen und beschützt wie lange nicht mehr.
Ich weiß nicht zu sagen wie lange wir so saßen. Doch das war auch nicht wirklich wichtig. Wichtig war allein die Tatsache, daß mich jemand verstand und ich nicht mehr alleine war.
Doch leider verebbte dieses Gefühl sehr schnell. Ich war gerade mal eine oder zwei Stunden zu Hause, da hatte mich diese Trostlosigkeit und Leere wieder eingeholt. Das war vor drei Tagen. Nun sitze ich hier und grüble vor mich hin, was in meinem Leben nur so furchtbar hatte schief gehen können.
Nun, jedenfalls ist mir endlich ein Titel eingefallen. Ich werde diese Geschichte, die die Geschichte meines Lebens ist, >Tagebuch des Untergangs< nennen.
Vielleicht nicht gerade sehr orginell, doch besser als gar keinen Titel zu haben. Und wenn es ein Trost sein kann, es kann ja auch der Arbeitstitel des ganzen sein. Möglich es kommt noch eine bessere Idee während des schreibens.
Nun, sei´s drum. Ich werde beginnen meine Geschichte zu erzählen. Dazu allerdings muß ich etwas ausholen und in die Vergangenheit zurück gehen. Doch welche Geschichte die erzählt wird ist nicht Vergangenheit ?

Der Tag war lang und anstrengend. In der Halle zwei, in der ich heute zu arbeiten hatte fiel die Klimaanlage aus und die Techniker versuchten ihr möglichstes, um sie wieder zum laufen zu bringen. Aber schließlich mußten sie uns zu ihrem Leidwesen gestehen, sie könnten sie nicht wieder in Gang bekommen, ehe gewisse Ersatzteile nicht geliefert wären.
„Was genau ist denn verreckt“, wollte ich wissen?
„Die Steuerplatine hat nen Hau weg. Karl kann nix machen. Hat keine Reserve und auch nicht die Teile da, was zu fummeln. Muß neu beschafft werden. Aber nach zehn Jahren kann da schon mal was verrecken, oder?“
Ralf grinste und ging hinüber in die Werkstatt, wo er und seine Kollegen von der Technik an irgend welchen Maschinenteilen herumschraubten.
Ralf, ein typischer Rheinländer, dem nichts so schnell die gute Laune verderben konnte, war einer der Kollegen, die ich vom Technikerstab am meisten schätzte. Ich hatte im April in der Firma angefangen und alle, mit denen ich an den Maschinen zu tun hatte, mochten mich. So hatte ich wenigstens den Eindruck.
Nun, Ralf war einer der Techniker die gerne bereit waren etwas zu erklären und den Leuten denen er vertraute auch einiges beibrachte. Ich war einer von diesen Leuten. Natürlich lernte ich auch von den Kollegen an der Linie vieles. Ich war neugierig und begierig darauf zu erfahren, wie etwas funktionierte mit dem ich zu tun hatte. Nur für den Fall, daß es einmal nicht mehr funktionieren sollte.
Ralf war der Auffassung man sollte den Leuten an der Linie genug Wissen vermitteln, so dass sie in der Lage sind, sich auch selbst zu helfen, wenn gerade kein Techniker Zeit hatte zur Produktionslinie zu kommen.
Mich persönlich erfüllte es immer wieder mit Genugtuung, wenn ich mir selbst zu helfen vermochte. Auch wenn es nicht immer leicht gewesen ist. -

Die Klimaanlage lief also nicht. Gegen acht Uhr früh hatte es schon gut fünfundzwanzig Grad in dem Bereich wo wir arbeiteten.
Mir war eigentlich nicht nach Unterhaltung. Aber meine Kollegin hatte leider wieder ihren schwatzhaften Tag. Glücklicher Weise ein Freitag heute. Meine Gedanken schwebten schon der Unterkunft zu und der schönen kühlen Dusche, die zu geben ich mir vorgenommen hatte als ich am Morgen aufgestanden war.
„Was hast du am Wochenende vor,“ fragte Verena und sah mich erwartungsvoll mit ihren himmelblauen Augen an.
Ich blickte nur kurz auf und zuckte mit den Schultern.
„Willst du nicht mehr mit mir reden oder was?“ Sie schien mir leicht beleidigt zu sein.
Die Maschine blieb stehen und somit auch das Förderband auf das wir Flaschen aufstellten. Ich wollte wissen was wohl schon wieder passiert sein konnte und blickte zur Füllmaschine, die – getrennt durch eine mit großen Fenstern durchsetzte Wand – in der Halle stand.
Ganz am Ende der Halle befand sich eine Maschine, die die Kartons mit Fertigware auf Paletten packte. Diese streikte und so blieb alles stehen.
„Scheint als hätten wir jetzt etwas Zeit. Willst du mal was trinken oder eine durch die Lunge ziehen? Ich schaff das wenn es weiter geht auch kurz mal alleine.“
Verena machte einen Schmollmund – eine süße Angewohnheit von ihr, wenn sie über etwas sehr intensiv nachdachte oder zumindest vorgab dies zu tun. Sie nickte nach einigen Augenblicken nur kurz und war auch schon verschwunden.
Nun war ich mit meiner Arbeit die sich im Moment ausruhte und meinen Gedanken allein. Mal wieder.
Ich überlegte mir ernsthaft was ich dieses Wochenende wohl anstellen könnte? Mein Blick wurde starr. Ich stierte in meinen Flaschenkarton und sah nur diese scheiß weißen Flaschen. Aber ich nahm sie gar nicht wirklich wahr.
Schließlich kam Verena zurück. Ich bemerkte, dass sie mich etwas besorgt ansah und versuchte mir ein Lächeln oder wenigstens ein Grinsen aufs Gesicht zu zaubern. Aber der Versuch blieb halbherzig.
„Frag nicht,“ sagte ich leise zu ihr, als ich bemerkte sie wollte mich fragen was los sei. Wie hätte ich ihr das auch erklären sollen ? Wie erklärt man sich wenn man tot unglücklich ist und eine der Ursachen einem direkt gegenüber sitzt ? Acht Stunden am Tag, fünf Tage die Woche und das schon ganze drei Wochen lang, ohne auch nur die Spur einer Ahnung, wie lange dies wohl noch so weiter gehen würde. Dein Gott sei der Schichtleiter! Deine heilige Schrift der Schichtplan. Unabänderlich. Gnadenlos. Die Hölle auf Erden oder die himmlische Glückseeligkeit! Je nachdem wohin ihre Gnaden Schichtleitung beschlossen hatte dich hinzustellen.
Und mich geruhten sie an die Linie acht zu stellen. Zusammen mit Verena...

Ich war gerade von meinem Zwischenurlaub – Überstunden und drei Tage Resturlaub, der genommen werden mußte – zurück gekommen und hatte meinen ersten Arbeitstag beinahe beendet.
Ein langweiliger aber immerhin ruhiger Job war mir zugeteilt worden, nämlich den Flaschenbunker zu befüllen. Man reißt sich dabei kein Bein aus, hat aber dennoch gut zu tun.
Gerade als ich mich so auf meinen Stuhl lümmelte und überlegte, ob ich noch Vorbereitungen für den Kollegen der zweiten Schicht machen sollte, kam Verena.
Einsfünfundsiebzig, schlank, strahlend blaue Augen und ein Lächeln, das jeden Eisblock hätte schmelzen lassen. Ihr Gesicht war blaß wie weißer Marmor, was ihre schmalen roten Lippen besonders betonte. Sie hatte eine zierliche Nase und die Augen saßen wie vom Bildhauer gemacht perfekt. Man konnte an diesem Gesicht einfach nichts finden, das einem nicht sofort gefallen hätte.
Einige Augenblicke stand sie da und betrachtete mich. Zunächst hatte ich sie gar nicht gesehen, so in Gedanken versunken war ich.
„ Tag. Bin die neue und komm jetzt öfter!“, sagte sie mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Ich fuhr erschrocken zusammen und sie kicherte leise.
„Erschreckst du die Leute eigentlich immer so“ fragte ich?
„Nein. Eigentlich nicht. Nur wenn sie mir gefallen“
Sie lächelte über das ganze Gesicht und sah mich forschend an.
„Aha. Und ich gefalle dir wohl?“
„Ja. Ich bin übrigens Verena.“
„Nun, mich nennt man Micha oder den Bayern. Kannst es dir aussuchen.“
„Den Bayern? Warum das denn?“
Ich sah sie an und dachte darüber nach ob ich es ihr sagen wollte oder nicht. Eigentlich hätte sie es schon an meiner Aussprache merken müssen.
„Willst nicht sagen warum, gell?“ Wieder lächelte sie und in dem Moment wurde mir klar, dass mir das Mädel sehr sympatisch war.
„Nun, ich komme aus Bayern. Deshalb nennen mich manche so.“
„Was machst du nach Feierabend? Hast da schon was vor?“
„ Naja... ich wollte dann eigentlich nach Hause fahren und was futtern. Warum fragst du?“
„Ich dachte vielleicht könnten wir einen Kaffee trinken gehen. Und jetzt frag mich blos nicht warum!“
Das hatte ich in der tat vorgehabt. Aber ich ließ es dann doch sein.
So verabredeten wir, uns vor dem Werkstor zu treffen, nach dem die Arbeit beendet wäre. Das dauerte noch knapp dreißig Minuten. Aber viel Zeit zum Nachdenken blieb mir nicht. Ich hatte mich so in das Gespräch vertieft, daß ich doch glatt vergessen hatte den Bunker zu füttern. Zum Glück waren noch einige wenige Flaschen darin. Aber um bis Feierabend den Bunker voll und die Kartons aufgeräumt zu bekommen gab es einiges zu tun. Aber ich machte mir trotzdem keinen Streß. Eines nach dem anderen dachte ich mir. Und ganz nebenbei dachte ich auch noch an Verena....

Während meines Urlaubs war ich zu Hause in Bayern gewesen. Meine Freundin, die in Bayern geblieben war meinte, ich sollte den Urlaub doch bei ihr verbringen, damit man sich mal wieder zu Gesicht bekomme.
Fand ich etwas seltsam. Manuela hatte mich erst zwei Wochen vor meinem Urlaub besucht und war eine Woche geblieben.
Aber ich dachte mir nichts weiter dabei und fuhr eben nach Bayern um sie zu besuchen. Schon der Empfang am Bahnhof, wo sie mich abholte, war etwas frostig. Sie umarmte mich nicht und küsste mich auch nicht. Selbst mir die Hand zur Begrüßung zu geben war ihr offenbar zuviel. Die Stimmung war sofort im Keller und ich wußte es war etwas nicht in Ordnung. Wir sprachen kein Wort miteinander auf dem Weg zu unserer ehemals gemeinsamen Wohnung.
War das der Grund, weil ich ausgezogen war? Aber das konnte eigentlich nicht sein denn wir hatten lang und ausgiebig darüber gesprochen gehabt. Ich wollte nicht unbedingt weg. Doch der Arbeitsplatz, den ich angeboten bekommen hatte verhieß gutes Geld. Und wenn man keinen Job hat und einen angeboten bekommt der halbwegs gut bezahlt ist, wäre man ja dumm ihn abzulehnen.

Etwas hatte sich verändert in der Zeit, sei ich die Stadt verlassen hatte. Aber warum war mir das nicht aufgefallen, als sie bei mir gewesen war? Wollte ich es nicht sehen? Es einfach nicht wahr haben?
Vielleicht hatte ich wieder meine rosarote Brille auf gehabt und deshalb die Zeichen nicht erkannt.
Auch die ersten vier Tage sagte sie nur das aller notwendigste und ging mir aus dem Weg so es nur möglich war. Mein Bett stand noch im Gästezimmer. Dort quartierte sie mich ein. So als sei ich nicht ihr Freund sondern eher ein guter bekannter, dem man Obdach gewährt hatte. Ich fühlte mich mehr als mies, versuchte es mir aber nicht anmerken zu lassen.
Am fünften Tag packte ich meinen Koffer und ging, ohne mich zu verabschieden. Ich hörte sie im Schlafzimmer weinen und wußte, dass es vorbei war. Den Wohnungsschlüssel legte ich auf die Komode im Flur und zog die Tür hinter mir leise ins Schloß.
Vor dem Haus überlegte ich kurz wohin ich gehen sollte und als mir nur Joes Pub bei dem es auch Fremdenzimmer gab einfiel, begab ich mich dort hin ohne mich noch einmal unzusehen. -

*

Wochende. Die Mehrzahl der Kollegen wird sagen ENDLICH. Und ich kann es verstehen. Diese Woche war furchtbar. Nur Stress und Ärger die ganze Zeit. Für mich auch im Privaten. Alles läuft aus dem Ruder. Verena, mit der alles wunderbar gelaufen ist, hat mir gestern den Laufpass gegeben.
Sie kam in der Frühstückspause an meiner Linie vorbei – wir hatten entschieden etwas später Pause zu machen, denn dann würden wir die Kantine für uns allein haben.
Verena kam also zu meiner Linie, stellte sich dazu und beobachtete mich eine Weile. Ich sagte nichts. Freute mich nur sie zu sehen und in meiner Nähe zu wissen.
„Wir müssen reden,“ sagte sie. Und schon an ihrem Ton merkte ich, es würde nicht schön werden, das Gespräch.
„Was gibt es denn?“ Wollte ich wissen und sah sie direkt an.
„Ich kann nicht mehr mit dir zusammen sein.“
Mir zog es den Boden unter den Füssen weg. Jedenfalls fühlte es sich an, als stürze ich in ein bodenlos tiefes Loch. Ein Gefühl als trete mir jemand in den Magen. Es war ein sonniger und guter Tag. Wenigstens bis eben gerade.
„Was ?“,brachte ich nur gepresst hervor.
„Ich mache Schluß mit dir!“
„Aber Verena, warum um himmels willen?“ Mir kamen die Tränen aber das war mir egal.
„Ich liebe dich nicht mehr. Jedenfalls nicht genug.", gab sie zurück und auch ihr liefen tränen über die Wangen.
„Seit wann...ich meine“, schluchzte ich und vollendete den Satz nicht.
Verena drehte sich weg.
„Tut mir leid. Echt.“,sagte sie und ging davon. Ich konnte sehen wie ihre Schultern erzitterten. Sie weinte. Ich stand da, und wußte nicht, was ich tun sollte.
Und nun hatten wir Freitag. Noch eine halbe Stunde bis zum Wochenende.
Franka, die heute die Linie fuhr, kam zu mir nach hinten wo ich Paletten packte. Sie hatte bemerkt, dass etwas nicht mit mir stimmte.
„Was ist denn heute mit dir los? Du bist so still,“ sagte sie, als sie einen Karton aufnahm um nach der Kodierung zu sehen. Ich sah Franka an und atmete tief durch, schwieg aber.
Ihrem durchdringenden Blick vermochte ich aber nicht stand zu halten und senkte den Kopf.
„Ich bin tief traurig“, sagte ich schließlich mit erstickender Stimme. Franka steckte mir einen Zettel mit ihrer Telefonnummer zu.
„Wenn was ist und du reden willst, ruf an. Jederzeit. Ok?“
Ich nickte nur,sagte aber nichts. Den Zettel steckte ich in die Jackentasche. Es war ein gut gemeintes Angebot, doch ich würde es nicht annehmen. Jedenfalls hatte ich das nicht vor.
Nach der Schicht radelte ich langsam und ohne auf irgend etwas zu achten nach Hause. Mir war alles vollkommen gleichgültig. Meine Wohnung sah aus wie nach einem Hunnenüberfall. Die Wut und Enttäuschung hatte sich am späten Donnerstagabend in einem Tobsuchtsanfall entladen.
Die Nachbarn hatten ob des Lärms die Polizei verständigt. Diese wiederum einen Arzt, der mir eine Beruhigungsspritze gab. Um ein Haar hätte man mich eingeliefert.
Die netten grünen Männer – Polizei – riefen bei einen meiner Kollegen, mit dem ich mich gelegentlich traf und der in der nähe wohnte, an. Dieser versprach nach mir zu sehen, was er auch tat. Somit waren zwei Dinge sicher. Zum einen war sicher gestellt daß ich keine Dummheiten machen konnte und nicht in die Klappsmühle eingewiesen werden würde. Und zum Anderen würde spätestens Montag zur Mittagszeit jeder auf der Arbeit bescheid wissen was ich angestellt hatte.
Aber nun galt es ja ersteinmal das Wochenende zu überstehen.
Lange drei Tage wenn man den angebrochenen Freitag mitrechnen wollte. Ich legte mich aufs Bett ohne mich meiner Jacke oder der Schuhe zu entledigen. Egal. Was sollte es denn auch ? Es gab niemanden der sich darüber aufgeregt hätte.
Mein Schädel brummte und quoll über vor Gedanken, derer ich nicht Herr werden konnte. Alles kreiste um Verena und mir wollte nicht in den Kopf, warum sie Schluß gemacht hatte.
Ich begann hemmungslos zu heulen. Hätte es noch etwas gegeben, das ich hätte zerschmeißen können, es wäre sicherlich zu Bruch gegangen. Doch Geschirr gab es keines mehr. Ebensowenig intakte Schränke. Selbst die Wohnzimmertür und die der Küche hatte ich kaputt geschlagen. Alte, massive Türen mit Füllungen. Ich glaube man nennt es Kassettenfüllung. Sicher weiß ich es aber nicht und es spielt im Grunde auch keine besonders große Rolle. Mir war gar nicht bewußt gewesen, daß ich in meinem Wahn solche Kräfte entwickeln konnte. Mit bloßen Fäusten hatte ich drauf gehauen. Ich weiß gar nicht mehr wie oft. Irgendwann jedenfalls gab die Füllung auf, riß in der Mitte und der nächste Schlag ließ sie brechen und aus dem Rahmen segeln. Vier Füllungen hatte jede Türe. Die der Küche hat nur ihre beiden unteren behalten. Meine Wohnzimmertür hatte es ebenso erwischt. Aber ich muß sie wohl auch mit den Füßen malträtiert haben, denn ihrer fehlt auch im unteren Bereich eine.
Meine Hände schmerzten leicht nach diesem Ausbruch. Doch ich denke selbst wenn sie gebrochen gewesen wären hätte ich es wohl nicht bemerkt. Jedenfalls sicher nicht vor dem frühen Freitag Morgen, so wie ich unter Strohm gestanden hatte.
Nun ist nur noch eine leere in mir. Ein Gähnender Abgrund, der auf mich wartet. Ich fühle mich elend und mein Herz scheint mir ein Haufen Asche zu sein. Wie ich mich hasse! Ich bin ein schwächliches Wrack welches in Selbstmitleid versinkt. Einfach zum kotzen. –

Es war Abend geworden. Die Sonne ließ ihre letzten Strahlen über die Wände wandern. Ich mußte eingeschlafen sein. Und es war gut so. Die Kopfschmerzen waren verschwunden. Doch wirklich ausgeruht und voller neuer Energie zu sein konnte ich nun wirklich nicht behaupten. Die beste Ausgangsbasis für ein zünftiges Besäufnis!
„Junge“, sagte ich zu mir selbst „Junge es gibt da nur einen Ausweg: geh zum Alkoholdealer deines Vertrauens!“
Wie gesagt, die Beste Basis für eine von Alkohol geschwängerte und rauschende Nacht mit Vergessensgarantie. So bestärkt zog ich mich aus und warf mich unter die Dusche. Gut fünfundzwanzig Minuten später ging ich zur Bahn, die mich in die Stadt brachte. Eine halbe Stunde etwa dauerte die Reise. In der Bahn war einiges los. So mancher Fahrgast hatte anderswo schon einmal „vorgeglüht“, ehe er sich auf in die Stadtmitte machte. Überhaupt fuhr ein lustiges Völkchen durch den Abend. Alle waren sie fröhlich und guten Mutes. Ich selbst saß ganz hinten im letzten Wagen in einer Ecke. Mir gegenüber saß ein junger Mann von vielleicht zwanzig Jahren, der mich die ganze Fahrt über dümmlich angrinste.
Ich blickte grimmig zurück. Er schien sich daran nicht zu stören. Mir ging sein Grinsen auf die Nerven. Am liebsten hätte ich ihm sein Grinsen aus dem Gesicht gedrückt. Doch ich beherschte mich, auch wenn es mir schwer fiel.
Schließlich erreichte ich unbehelligt von weiteren Leuten, die mir hätten auf die Nerven gehen können, mein Ziel. Theos Metalbar. Ich wußte nicht welche der Leute, die ich da kennen gelernt und von denen manche soetwas wie Freunde für mich geworden waren, heute Abend da sein würden.
Die Tür war wie immer geschlossen. Trotzdem konnte man die Musik die gespielt wurde bis auf die Strasse hören. Vor dem Lokal standen einige Leute mit Getränken in der Hand und unterhielten sich. Ich kannte keinen von ihnen. Zumindest konnte ich mich nicht daran erinnern einen von den Jungs und Mädels näher zu kennen. Doch sie kannten mich offenbar, denn sie grüßten mich und ich grüßte zurück. So hing ich zunächst einige Minuten vor der Kneipe herum und machte belanglosen Smalltalk, wie man so schön neudeutsch zu sagen pflegt.
Die Tür öffnete sich und ein Gast, der schon gut getankt hatte, wankte aus dem Laden. Die Musik dröhnte mir entgegen. Es mußte einiges los sein da drin. Schließlich verabschiedete ich mich von meinen flüchtigen Bekannten und man sagte, man sehe sich sicher gleich. Im Lokal war es brechend voll und schweinelaut. Ich hatte einige Mühe mich zum Stammtisch durch zu arbeiten. Chickenfred, Jo und Herman the German saßen da und versuchten sich trotz der laut hämmernden Klänge von Motörhead zu verständigen.
„Salve!“ brüllte ich und setzte mich dazu. Eigentlich war mir nicht so sehr nach Gesellschaft. Doch die Bar war besetzt und auser bei meinen Stammtischfreunden gab es keinen Platz mehr zum hinsetzen.
„He Mike! Wie geht’s denn immer?“ Herman brüllte wie ein Marktschreier und gerade in dem Moment verstummte die Musik. Wir alle guckten und schließlich brach ein schallendes Gelächter aus. Ich bestellte mir ein Bier und einen Whiskylong. Während die Getränke vorbereitet wurden, erzählte ich den anderen was mir widerfahren war. Alle drei klopften mir freundschaftlich auf die Schulter .
„Das wird schon wieder Jung!“, meinte Herman mit seiner brummigen Stimme. Ich machte ein fröhliches Gesicht.
„Wat hasse jez föhr“, fragte mich Jo und man konnte sowohl seinem Gesicht als auch seinen Augen ansehen, dass er seine beste Zeit heute schon hinter sich hatte.
Ich sah die drei nacheinander an und sagte schließlich grinsend : „Ich ? Volltanken bis zum Eichstrich, jawohl!“ Alle lachten. Ich auch. Der Abend konnte also durchaus lustig werden.
Chickenfred, ein etwas älterer und wohlgenährter Mann mit langen langsam ergrauenden Haaren, der diesen Spitznamen seiner Vorliebe für Brathuhn und jungen Mädels verdankte, ging zum DJ und bestellte bei ihm extra ein Lied für mich.
„Hab´n Lied für dich gewünscht...“ meinte er und grinste breit übers ganze Gesicht. Wären nicht seine Ohren im Weg gewesen, es wäre ein 360° Grad – Lächeln geworden!
„Und nun auf speziellen Wunsch von Chicken Dreamon von Nazareth!“ Und da ging es auch schon los und plärrte laut aus den Boxen. Die Mistsau! Aber mit so einer Aktion hätte ich eigentlich rechnen müssen. Freds Art von Humor. Wunderbar! Wozu braucht man eigentlich noch Feinde, wenn man solche Freunde hat ? Nazareth. Und von denen dann auch noch ausgerechnet dieses Lied! Scheiß was drauf. Mir gab es kurz einen Riß und dann war es auch schon wieder vorbei. Mein Schnaps und mein Bier kamen. Ich orderte gleich noch einmal das selbe. Ehe Theo mit Nachschub kam, hatte ich die erste Lage schon durch meine Kehle gejagt.
Ich war gut in Form, das mußte der Neid mir lassen.
So gegen elf Uhr allerdings hat meine Erinnerung eine Lücke. Böses schwarzes Loch. Filmriss. Totalst.
Am Samstag Morgen wachte ich auf und hatte keine Ahnung wo ich war. Alles vollkommen fremd. Irgendjemandes Wohnung. Aber wessen? Na wenigstens ein Dach über dem Kopf. Warm und trocken. Wenn da nur nicht dieses Loch in meiner Erinnerung wäre. Kater hatte ich – gottlob! – keinen. Wenigstens etwas. Ich drehte mich auf die andere Seite und erschrak nicht schlecht als ich eine blonde lange Mähne sah,die ein offenbar hübsches Gesicht verdeckte. Jetzt erst bemerkte ich, dass ich vollkommen nackt war. Die Dame neben mir auch. Zumindest sah ich ihre nackten Brüste und die Hälfte ihres Bauches. Der Rest lag unter der Bettdecke verborgen.
„Nur die Ruhe keine Panik! Alles in Ruhe checken“, dachte ich mir. Eine Zeit lang sah ich nur der schönen Unbekannten beim Schlafen zu, den Kopf auf die Hand gestützt. Schließlich zog ich ganz vorsichtig die Bettdecke von ihr herunter. Da lag sie nun nackt und blos. Die Versuchung und Krönung der Welt.
Ich konnte nicht anders als sie zärtlich zu streicheln. Ihre Brust, den Bauch und runter zu ihren Schenkeln. Dabei sreifte ich leicht ihre rasierten Schamlippen. Sie zuckte im Schlaf und stöhnte leise als ich die Stelle der männlichen Begierde berührte. Dann küsste ich sie dort unten und ließ meine Zunge spielen. Langsam und leise stöhnend wachte sie auf. Ich blickte kurz zu ihr auf und sah, es gefiel ihr, was ich da machte. Mein Werkzeug regte sich und stellte sich auf. Ich ließ von ihrer Lustgrotte ab, glitt langsam über ihren Körper nach oben und drang sachte in sie ein.
Wollüstig stöhnte sie auf, als sie mich in sich spürte. Ich strich ihr die Haare aus dem Gesicht, küsste sie leidenschaftlich und begann mich in ihr zu bewegen.
Animalisch, wild, hemmungslos gaben wir uns einander hin. Es war der beste Morgen seit langer Zeit. Naja, jedenfalls der zwangloseste seit drei Wochen. Eine Ewigkeit schien mir diese Zeit, in der ich mich nicht so hatte fallen lassen können.
Schwitzend und schwer atmend lagen wir neben einander, küssten und streichelten uns. Ich war einfach nur zufrieden. Ausgepowert und zutiefst befriedigt. Kein Gedanke mehr an den vergangenen Donnerstag belastete mich. Alles easy. Locker flockig!
„Wie bin ich eigentlich hier her gekommen,“ wollte ich nach einer Weile wissen. Die blonde Göttin lächelte nur und schwieg.
„ Du mußt jetzt gehen“, sagte sie nur. Dann erhob sie sich und ging ins Bad um zu duschen.
Sie wusch mich, unseren Sex und die vergangene Nacht von sich ab. Ich zog mich an, wartete noch ein paar Minuten ehe ich ging. Ich habe nie erfahren wer das göttliche Wesen war, mit dem ich das Bett teilte. Es gab kein Namensschild an der Wohnungstür. Wir sahen uns nie wieder.
Aber ich hatte so einen Verdacht der auf Chickenfred hin deutete. Er mußte seine Finger im Spiel gehabt haben, dessen war ich mir fast sicher. Aber er schwieg beharrlich, als wir uns im Theos zwei Wochen später trafen.




...Fortsetzung folgt
 
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Kommentare  

Hallo Jochen!
Da sag ich doch mal ganz lieb danke für die Blumen. Nun das ich da etwas weit aushole stimmt schon. Aber ich dachte mir wenn dan ordentlich ;-). Der nächste Teil wird etwas weniger erbaulich fürchte ich. Aber laß Dich überraschen, auch wenn es noch eine weile dauern wird.
Beste Grüße Bernhard B.


Bernhard Brüllmückel (27.09.2010)

Ich muss zugeben, am Anfang fiel es mir schwer weiterzulesen, da du zu weit ausholst. Aber dann schreibst du dich ein und die Story wird nicht nur sehr lebendig, sie bekommt auch eine humorvolle Richtung. Wenn du so weiterschreibst, könnte das eine echt gute Story werden. Also her mit dem nächsten Kapitel.

Jochen (26.09.2010)

Oh Donner! Und dabei hab ich alles noch mal durch gelesen ehe ich es los gelassen habe....
PEINLICH!
Naja, irgend was muß wohl immer ein wenig schief gehen
Gruß Bernhard Brüllmückel


Bernhard Brüllmückel (25.09.2010)

Zitat: "Wie soll man es schaffen, jemanden damit zu fesseln und ihn dazu bringen weiter lesen zu wollen? "
kein problem: schreib einfach das erste wort falsch... lol, schöner text.

lg tvk


tratus von Klueck (25.09.2010)

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