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5 Seiten

Das Generationsraumschiff 1/6

Romane/Serien · Spannendes · Experimentelles
Der Himmel flackerte. Das war noch nie vorgekommen. Das Programm, das dafür zuständig war, war anscheinend mittlerweile doch schon etwas in die Jahre gekommen. Zufälligerweise wusste Thomas, wer dafür auf dem Raumschiff zuständig war. Er würde ihm einen heißen Tipp geben. Man konnte durchaus große Schwierigkeiten bekommen, wenn man seine Pflichten derart für alle sehbar vernachlässigte. Das System auf diesem Raumschiff, das von den Menschen erschaffen und von ihnen selbstverständlich auch getragen werden musste, ermöglichte erst das Überleben der ganzen Gemeinschaft. Machte einer von ihnen einen Fehler, konnte dies sehr schnell Konsequenzen auch für andere Bereiche haben und unter Umständen sogar für jeden einzelnen von ihnen lebensbedrohlich werden.
Thomas schüttelte verständnislos seinen Kopf. Wie konnte sein Freund seine Pflichten nur so vernachlässigen? Ihnen allen wurde von Kindesbeinen an eingebläut, wie wichtig es war, seine Pflicht ordnungsgemäß zu erfüllen. Sein Freund musste einen triftigen Grund dafür haben, dass ihm die Anomalie in dem Programm, für das er zuständig war, offensichtlich entgangen war.

Thomas lebte auf einem so genanten Generationsraumschiff. Es war sein zu Hause. Er hatte noch nie etwas anderes gesehen, als das. Genau so wie alle anderen auf diesem Raumschiff auch. Seinen Heimatplaneten kannte er lediglich von den Aufzeichnungen, die ihnen mitgegeben wurden. Auch nur von dieser Quelle wussten sie, weshalb sie überhaupt wohin unterwegs waren.

„Hallo Markus.“
„Hallo Thomas. Wie geht es dir?“
„Gut, und selbst?“ Thomas schaute seinen Freund ein wenig musternd von oben bis unten an. Das Programm schien noch immer nicht repariert worden zu sein. Jetzt schon seit einem ganzen Tag nicht. Der Himmel flackerte immer noch.
„Ach ja, geht so.“ Hastig, so als habe er Angst, er könnte unhöflich wirken, trat Markus zur Seite. „Aber komm doch rein, mein alter Freund.“
„Gerne.“ Thomas trat in die Wohnung seines Freundes ein und schaute sich um. „Gemütlich hast Du es hier. Komisch, dass ich Dich noch nie zu Hause besucht habe.“
„Hast Du nicht?“ Markus sah seinen Gast etwas ungläubig an. „Ich hätte schwören können, dass Du schon mal hier gewesen bist.“
Markus bot seinem Freund einen Sessel an, welcher dieser danken annahm. Er selbst setzte sich ihm gegenüber in einen zweiten Sessel. „Möchtest Du etwas zu Trinken haben?“, fragte er seinen Freund, als er sich eigentlich schon hingesetzt hatte.
„Äh, nein danke“, sagte Thomas. „Äh, hör mal…“, sagte er daraufhin, um sogleich auf den Punkt zu kommen. Er wollte keine unnötige Zeit verlieren, schließlich war sein Anliegen ja auch dringend.
„Ja?“ Markus schien nun tatsächlich neugierig geworden zu sein. Es war auf diesem Raumschiff eigentlich nicht üblich, jemanden zu Hause zu besuchen. Viel eher traf man sich an einem öffentlichen Ort.
„Bist Du eigentlich immer noch für den Himmel zuständig?“
Markus zog eine Augenbraue hoch. Thomas kannte diese Mimik von seinem Freund nur allzu gut. Er tat dies immer, wenn er nervös war. „Ja, warum? Stimmt denn etwas nicht?“
Thomas räusperte sich. „Nun, ich weiß nicht, ob das nur mir aufgefallen ist, aber der Himmel flackert merklich. So etwas habe ich noch nie zuvor bemerkt. Wie kommt das? Ich meine, jedes Kind weiß doch, wie wichtig solche >natürlichen< Sachen für uns sind. Wir brauchen nun einmal die Illusion, dass es sich dabei um einen echten Himmel handelt. Das flackern steht aber dieser Illusion“, er räusperte sich ein weiteres mal, „na ja, zumindest bei mir, doch erheblich im Wege.“
Markus lehnte sich in seinem Sessel zurück und faltete seine Hände vor sich in seinem Schoß.
„Ich meine, versteh mich bitte nicht falsch“, warf Thomas hastig ein. „Wenn die da oben“, dabei zeigte er mit seinem Zeigefinger symbolisch in Richtung Decke, „etwas davon mitbekommen, dann kannst Du richtigen Ärger bekommen. Schließlich hängt alles mit allem zusammen. Jede unserer Aufgaben, die wir hier zu erfüllen haben, ist wie ein kleines Rädchen in einem großen Getriebe. Nur wenn jedes dieser Rädchen einwandfrei funktioniert, kann auch das gesamte Getriebe einwandfrei funktionieren, ein Getriebe, von dem letztendlich unser aller Überleben abhängt.“
Markus nickte fast unmerklich mit seinem Kopf. „Weißt Du was, alter Freund? Ich glaube, ich mache uns doch etwas zu Trinken.“ Mit diesen Worten erhob er sich wieder aus seinem Sessel heraus und ging ein paar Schritte hin zur Küche wo er zwei Gläser mit einer bläulichen Flüssigkeit füllte. Danach kam er zu seinem Gast zurück, gab diesem eines dieser Gläser, setzte sich wieder in seinen Sessel, trank einen Schluck aus seinem Glas und sah seinen Freund eindringlich an. Allerdings sagte er erst einmal nichts.
„Und?“, fragte deshalb Thomas nach einer Weile.
„Und was? Trink doch erst einmal einen Schluck aus deinem Glas.“
Thomas schaute sich das Getränk in seinen Händen etwas genauer an. „Was ist das?“
„Probier einfach mal. Es wird dir schmecken. Vertrau mir.“
Thomas führte das Glas zu seinem Mund, hob es an und nippte übervorsichtig am Inhalt. Er schluckte das bisschen Flüssigkeit, das er nun in seinem Mund hatte, eiligst herunter. Es schmeckte nach Minze. Er mochte diesen Geschmack überhaupt nicht, und außerdem brannte diese Flüssigkeit unangenehm in seinem Mund und nun auch in seinem Hals. „Was ist das?“, wollte er noch einmal von seinem Freund jetzt hüstelnd wissen.
„Man nennt es Menta. Es enthält etwas Alkohol.“
„Was?!“ Angewidert stellte Thomas sein Glas so energisch auf einen kleinen runden Tisch, welcher zwischen ihm und seinem Freund stand, ab, dass der Inhalt bedrohlich hin und her schwappte und auch etwas davon verschüttet wurde. „Alkohol? Das ist doch strengstens verboten! Wo hast Du dieses Teufelszeug nur her?“ Dabei griff er sich an seinen Hals so als könne er diesen damit vor diesem widerlichen Zeug, das er gerade unwissentlich zu sich genommen hatte, irgendwie schützen.
„Entspann Dich. Alles halb so schlimm. Sieh doch: ich trinke auch einen Schluck und es tut mir gut. Entspann Dich, man.“ Diese Worte seines Freundes hörten sich für Thomas fast wie ein Mantra an. „Du spinnst doch!“, sagte Thomas deshalb keuchend zu seinen Freund. „Was ist nur mit Dir los?“ Plötzlich wurde es ihm irgendwie schwindelig. „Du… Du hast mich vergiftet!“ Er sank aus seinem Sessel heraus hinunter auf den Boden und wälzte sich dort theatralisch hin und her.
Markus sah seinem Freund regungslos zu, trank einen weiteren Schluck aus seinem Glas und sagte seinem Freund ein weiteres Mal, dass dieser sich doch bitte endlich entspannen solle.
Thomas lag mit dem Rücken auf dem Boden, hielt sich seinen Hals und keuchte. Plötzlich merkte er, wie sich von seinem Bauch ausgehend in ihm ein wohliges Gefühl ausbreitete. Dieses wohlige Gefühl schoss in seine Gliedmaßen und schließlich auch in seinen Kopf. Er entkrampfte sich auf der Stelle, atmete tief durch, schloss seine Augen, drehte sich auf die Seite und hätte sich seinen Daumen in den Mund gesteckt, wenn er die Ausführung dieses Impulses nicht im allerletzten Moment verhindert hätte. Sein Verstand schien zu schweben, sich an längst vergessene Tage zu erinnern, an Tage, die schön waren, an denen er sich geborgen gefühlt hatte. Er machte sich keine Sorgen mehr, alles schien nun in Harmonie zu sein, einfach aus sich selbst heraus zu funktionieren.
Die Wirkung flachte nach viel zu kurzer Zeit wieder ab, schließlich hatte er an dem Glas nur ein wenig genippt gehabt, und verschwand dann völlig aus seinem Körper.
Er öffnete seine Augen, wurde sich bewusst, dass er auf dem Boden lag, richtete sich abrupt auf, glättete seine Hose und setzte sich wieder in seinen Sessel hinein.
„Markus, was war das? Was zum Teufel war das? Was habe ich da gerade erlebt?“
„Menta war das“, sagte sein Freund nur.
„Ist dieses Zeug dafür verantwortlich, dass Du deine Pflichten vernachlässigst?“
„Meine was?“
„Deine Pflichten!“ Sein Freund war anscheinend immer noch in dem Schleier, aus dem er selbst gerade erst wieder herausgefunden hatte, gefangen.
„Was ist schon Pflicht gegen die Harmonie, die uns alle durchdringt, uns alle umgibt?“
Es schien keinen Sinn zu haben. Die Droge hatte seinen Freund anscheinend fest im Griff. „Markus, hör mir jetzt gut zu, was ich Dir zu sagen habe: Du musst das Programm in Ordnung bringen, verstehst Du mich? Sonst wirst Du großen Ärger bekommen! Es wundert mich eigentlich, dass noch keiner von den Behörden vor deiner Tür steht. Kann aber nicht mehr lange dauern. Sie werden Dich von deinen Pflichten entheben und Dich vielleicht zur Müllentsorgungseinheit oder so was versetzen. Hast Du mich verstanden? Bring dieses verfluchte Programm in Ordnung! Und zwar so schnell es geht!“
„Ja, klar. Das Programm in Ordnung bringen. Hab verstanden“, sagte Markus endlich etwas träge. „Aber was wäre denn eigentlich an der Müllentsorgungseinheit so schlimm?“
Thomas sah seinen Freund an, als habe er es mit einem Verrückten zu tun. Er konnte nicht so recht glauben, was er da hörte. Als er sich dann aber wieder etwas gefasst hatte, sagte er zu seinem Freund: „Ich gehe jetzt. Werde Du wieder nüchtern und bring dieses verfluchte Programm in Ordnung. Mehr kann ich nicht für Dich tun.“
„Ich verstehe“, sagte sein Freund und trank einen weiteren Schluck aus seinem Glas.
„Dieses Zeug da ist nicht ohne Grund verboten worden. Es ist eine Geisel.“
Zwar sagte sein Freund „Ich weiß“, doch Thomas war sich ziemlich sicher, dass dieser an seinem Verhalten nichts ändern würde.
Er verabschiedete sich von seinem Freund und machte sich dann anschließend eiligst auf den Weg. Schließlich hatte er selbst auch noch genügend Pflichten zu erledigen.
 
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Kommentare  

Vielen Dank für eure Kommentare.

@ Dieter Halle
Die Geschichte ist schon fast fertig geschrieben, ich werde sie nach und nach auf dieser Seite veröffentlichen.

@ Crazy Diamond
Deine Interpretation des Textes gefällt mir ausgesprochen gut.


Siebensteins Traum (16.05.2011)

Gut eingeleitete Story. Die Hauptidentifikationsfigur ergreift sehr schnell entschieden Partei gegen den Alkohol. Im Hintergrund schimmert durch, dass vertraulichere Kontakte auf dem Schiff nicht üblich sind, und dass Pflichterfüllung eine vielleicht zu wichtige Rolle spielt, auch wenn es sich bei dieser Pflicht um die Aufrechterhaltung einer Illusion handelt.
Ohne es sich eingestehen zu können, scheint Markus ziemlich darunter zu leiden.


Crazy Diamond (16.05.2011)

...und weiter? Spannender Anfang einer futuristischen story.

Dieter Halle (16.05.2011)

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